Ein Artikel der

http://www.kindernothilfe.de/

 

Von Sascha Decker und Christoph Engel (Fotos)

 

Neue Mütter für die Aids-Waisen von Matero

Die Kwasha Mukwenu Frauengruppe in Lusaka 

 

Es ist seltsam still hinter dem kleinen Haus der Familie Bwalya. Esther ist gerade dabei, in der Mittagshitze etwas Gemüse klein zu hacken. Constance und Warren spielen in einer verrosteten Schubkarre und Raphael mit seinem Auto, das er sich aus Draht selber gebaut hat. Er hat einen langen Stab daran gemacht, so dass er es vor sich herschieben kann. Aber bis auf ein leises Brummm, wenn er um die Hausecke biegt, ist von ihm nicht viel zu hören. Und auch seine Geschwister in der Schubkarre geben kaum einen Laut von sich. Besuch bei einer Kinderfamilie. Eine von vielen in Matero east, dem ältesten Township in Lusaka, der Hauptstadt Sambias.

 

 „Unser Vater ist an Malaria gestorben, und Mama hatte einen kranken Magen“, sagt die 21-jährige Matilda. Alle Nachbarn hier wissen, dass das nicht stimmt. Aber um das Thema Aids machen in Matero east alle gerne eine großen Bogen. Aus Angst, selbst das Virus in sich zu tragen, oder aus Scheu, von den anderen geringschätzig behandelt zu werden. Gerade Aids-Waisen haben es schwer, einen Unterschlupf bei Verwandten oder Freunden der Eltern zu finden. Denn sie haben Angst, dass sich die eigenen Kinder mit dem HI-Virus anstecken, wenn sie mit den Waisen spielen oder essen.

 

Der siebenjährige Raphael hat das Auto beiseite gestellt und lehnt sich an den Hocker, auf dem Matilda gerade sitzt. Er legt seinen Kopf auf ihre Beine, und sie streichelt sein Haar. „Wir sind zusammen 14“, erklärt sie. „Esther, Mavis, Michael, Justin, Peter, Marvin, Theresa, Louis, Sara, Banji, Warren, Raphael und Constance.“ Die Mädchen und Jungen teilen sich zwei Räume zum Schlafen, Kochen und Essen. Nicht alle Kinder sind ihre Geschwister. Esther, ihre älteste Schwester, hat mittlerweile drei eigene Kinder, und Florence, eine andere Schwester, hat Sara, Banji und Warren nach ihrem Tod im elterlichen Haus zurückgelassen.

 

Matilda gehört zu den Älteren der Familie.  Ihre Aufgabe ist es, sich um Lebensmittel zu kümmern. Wie viel Geld sie denn für die Familie im Monat habe? „Wir haben etwas Mehl, Bohnen, Gemüse und getrockneten Fisch“, erklärt sie. Ja, aber wie viel Geld sie dafür habe? „Wir haben kein Geld, niemand aus diesem Haus hat Arbeit.“ Der trockene Wind bläst den heißen feinen Sand auf. Nach zehn Minuten Gespräch ist er überall. In den Schuhen, den Strümpfen und im Hemd. Matilda sagt das mit großer Würde. Sie hat sich schick gemacht für den Besuch aus Deutschland. Sie hat ihre beste Bluse angezogen und einen Rock. Dass sie keine Arbeit hat, liegt nicht daran, dass sie sich nicht bemühte. Im vergangenen Jahr hat sie die Schule nach Grade 12 abgeschlossen, vergleichbar mit dem Abitur in Deutschland. Aber dieser Schulabschluss reicht nicht aus. Sie müsste jetzt 400.000 sambische Kwacha haben, um sich den Traum zu erfüllen, eine Ausbildung zur Krankenschwester machen zu können. Soviel kostet die zweijährige Ausbildung. Es wird ein Traum bleiben, wenn nicht ein Wunder geschieht. 400.000 Kwacha sind etwa 220 Mark. Eine astronomisch hohe Summe, selbst für jemandem, der einen Job hat. Für die meisten Familien in Matero east sind 400.000 Kwacha etwa drei Monatsgehälter.

 

Plötzlich kommt Unruhe auf dem kleinen Vorplatz auf. Zwei ältere stattliche Frauen kommen um die Hausecke. Sie gehen direkt auf die Geschwister zu, streicheln Köpfe, schütteln Hände und drücken die Kleinste, Constance, an die große Brust. Es sind Alfonsina Phiri und Elizabeth Mwewa Ngoma von der Kwasha Mukwenu Frauengruppe aus der Nachbarschaft. Die beiden Damen gehören hier schon zur Familie. Dank ihrer Hilfe ist bei den Bwalyas noch niemand verhungert, und dank ihrer Unterstützung können die Jüngsten zur Schule gehen. Denn die Schule in Sambia kostet Geld. Und nach dem Tod der Ernährer bleibt den Schulkindern in der Regel nichts anderes übrig, als zu Hause zu bleiben. Marvin, Teresa, Warren, Banji, Sara, Justin, Peter und Louis können weiter zur Schule gehen, weil Kwasha Mukwenu die Gebühren und Unterrichtsmaterial bezahlt.


„Einmal im Monat bringen wir dieser Familie einen 25-Kilo-Sack Mju Mju, fünf Kilo Bohnen und zwei Liter Salatöl“, erklärt Elizabeth, die Chefin dieser ehrenamtlich tätigen Fraueninitiative. Aus Mju Mju – Mehl – machen sie Brot. Die Fladen sind das Grundnahrungsmittel bei den Bwalyas. Manchmal haben sie auch etwas Trockenfisch, aus denen sie eine dünne Suppe kochen. Die Frauen von Kwasha Mukwenu leben selbst in armseligen Verhältnissen und haben eine eigene Familie zu versorgen. Ihre  Hilfe für die Aids-Waisen wird möglich, weil die Kindernothilfe die Initiative mit Kleinkrediten unterstützt.

 

Drei bis vier Frauen aus der Gruppen bekommen solch einen Kredit und kaufen davon zum Beispiel Stoffe. Sie nähen daraus Kleider und verkaufen sie auf dem Markt. Vom Gewinn können die Frauen Mehl und Bohnen anschaffen und haben auch noch etwas für die eigene Familie übrig. Wenn der Kredit vollständig zurückgezahlt ist, bekommt eine andere Gruppe dieses Startkapital. „Wir sind Nachbarn. Und Nachbarn müssen sich helfen. Eines Tages werde ich auch sterben, und dann müssen auch meine Kinder und Enkelkinder versorgt werden. Jeder, der stirbt, lässt Kinder zurück, die versorgt werden müssen“, erklärt die 56-jährige Elizabeth. Die 25 Frauen aus Matero east erreichen mit ihrer Unterstützung über 100 Waisenfamilien. Diesen nachbarschaftlichen Ansatz der Waisenunterstützung hebt das Gemeinsame HIV/ Aids Programm der Vereinten Nationen (UNAIDS) in seinem aktuellen Statusbericht als „kostengünstiges Betreuungsmodell“ für die südlichen Länder Afrikas hervor. Es kostet nicht allzu viel, und es stärkt den Zusammenhalt in der community.

 

Das Modell könnte nicht nur in Matero east eine wesentliche Rolle spielen. In Sambia ist die Rate der HIV-Neuinfektionen dramatisch hoch. Nach Schätzungen von UNAIDS lebt bereits jeder fünfte Erwachsene mit dem HI-Virus, und rund eine halbe Million Kinder haben Vater oder Mutter oder beide Eltern durch Aids verloren. Elizabeth ist sich ihrer großen Verantwortung, die sie als Vorsitzende dieser Frauengruppe hat, durchaus bewusst : „Wir sind wie Mütter für diese Kinder. Bis wir sterben, werden wir alles für sie tun.“