Demo gegen Kernenergie in Wippingen am 29.11.1976

Vor genau 25 Jahren fand in Wippngen eine große Demonstration gegen die Errichtung eines Endlagers und einer Wiederaufbereitungsanlage (WAA) für Atommüll statt. Dies war der Höhepunkt des Widerstandes der Menschen in Wippingen und der Nachbardörfer.

Karte des geplanten Geländes für die WAA Angefangen hatte alles Mitte 1975, als das  Niedersächsische Landesamt für Bodenforschung u. a. auf dem angepachteten Grundstück von Helene Frericks in der Nähe des Uhlenbergs an der Straße zum Gutshof Renkenberge Bohrungen durchführen wollte.

Am 15. Januar 1976 veröffentlichte die Ems-Zeitung Pläne, das zentrale Atommülllager für die BRD in Wippingen zu errichten. Denn quer unter Wippingen, Renkenberge und Kluse verläuft ein Salzstock, der als sicherer Ort für  die Atommülllagerung galt.

Mit diesem Bericht war plötzlich klar, dass die Bohrungen  nicht der Erforschung von Öllagerstätten diente, sondern der Erforschung des Salzstocks. Das Landvolk und die Bürgermeister von Kluse, Renkenberge, Wippingen, Werpeloh, Sögel und Fresenburg forderten die Landwirte auf, keine Nutzungsverträge mit Bohrfirmen zu schließen. Werpelohs Bürgermeister Bene Albers sagte: "Aus unserer Gemeinde wird für diese Maßnahme kein Quadratmeter Boden freiwillig zur Verfügung gestellt."

Diese spontane Ablehnung des Atommüllprojektes wurde begründet mit den ungeklärten Sicherheitsproblemen und der Furcht vor einer Beeinträchtigung und Gefährdung der landwirtschaftlichen Interessen. In Wippingen, Renkenberge und Werpeloh löste aber vor allem Entsetzen aus, dass diese Dörfer in einer 6-Km-Sicherheitszone um den Standort der Wiederaufbereitungsanlage lagen. Innerhalb dieser Zone sollten alle umgesiedelt werden. Erinnerungen an die Ausradierung der Gemeinde Wahn wegen des Schießgebiets in den dreissiger Jahren wurden wach.

Dem Versprechen mit der Anlage 5000 Arbeitsplätze zu schaffen wurde schnell entgegengehalten, dass dann die Erprobungsstelle Meppen mit ihren 2000 Arbeitsplätzen schließen müsse. Als die Zahl neuer Arbeitsplätze später nur auf 1000 geschätzt wurde, konnte endgültig nicht mehr von einem Gewinn für das Emsland gesprochen werden. Eine Aktionsgemeinschaft der Gemeinden und Verbände wurde gegründet. Im Vorstand waren die Bürgermeister Albers (Werpeloh), Gerdes (Wippingen), Hövelmann (Papenburg), Steinkamp (Samtgemeinde Dörpen), der Samtgemeindedirektor Kröger (Sögel) und der Geschäftsführer des Landvolks Kruse.

Bohrstelle mit Graben Gegen die Bohrung auf Frericks´ Grundstück ging man jetzt gerichtlich vor. Aber Bürgermeister Hermann Gerdes hatte noch eine besondere Idee. Im Rahmen eines laufenden Flurbereinigungsverfahrens ließ er längs des Bohrgeländes einen zwei Meter breiten Graben ziehen. Die Schachtbaugesellschaft konnte das Gelände nicht mehr erreichen.

Weiter meldeten sich täglich viele in der Ems-Zeitung mit ablehnenden Stellungnahmen: der Emsländische Heimatbund, aus der Provinz Groningen, Kreistag ASD, IHK, SPD ASD, Partij van de Arbijt Groningen, Samtgemeinderat Werlte, Bezirksparteitag der CDU, usw.

Das änderte sich nach dem  24. April 76. Kommunalpolitiker aus dem Landkreis waren zu einer Besichtigung der Kernforschungsanlage nach Karlsruhe eingeladen. Die Tatsache, dass rund um Karlsruhe noch Leben herrschte, genügte vielen dieser Reisenden plötzlich als Beleg für die Ungefährlichkeit einer Wiederaufbereitungsanlage. Vielen CDU- und SPD-Politikern war plötzlich klar geworden, dass sie gegen die offizielle Politik ihrer Parteien handelten. Die ablehnende Haltung der Lokalpolitiker blieb aber im Wesentlichen erhalten.

In dieser Situation machte Bürgermeister Gerdes auf einer Bürgerversammlung den Vorschlag, eine Bürgerinitiative zu gründen. Auf die Politiker allein sei kein Verlass. Die Gründung der Bürgerinitiative fand am 2. Juni  76 in der Wippinger Mehrzweckhalle statt. Einige Vorstandsmitglieder. Am Mikrofon Hermann Gerdes

Am 25. Juni waren auf einer zweiten Versammlung 200 Mitglieder anwesend, um den Vorstand zu wählen. Ihm gehörten an: Hermann Gerdes (Vorsitzender, Wippingen), Horstmann (stellvertr. Vors., Werpeloh), Lukas Kuper (Werpeloh), Lögermann (Renkenberge), Helene Löw (Dörpen), Heinz-L. Groß (Dörpen), Jan Deters (Wippingen).

Aus vielen Orten wurden Vertrauensleute bestimmt, die die Informationen der Bürgerinitiative schnell im Ort verbreiten sollten: aus Börger, Neulehe, Steinbild, Papenburg, Lathen, Neudörpen, Vrees, Cloppenburg, Neudersum, Lorup, Fresenburg, Spahnharrenstätte, Esterwegen, Sögel, Walchum.

Die Bürgerinitiative wuchs sehr schnell auf über 1000 zahlende Mitglieder. Eine Arbeitsgruppe kümmerte sich um die Öffentlichkeitsarbeit, druckte Plakate, stellte Schilder an den Ortseingängen auf. Der Vorstand führte Veranstaltungen in vielen Orten durch und versuchte mehr Menschen von der Notwendigkeit des Widerstandes zu überzeugen. Ein Arbeitskreis Atommülldeponie der KLJB traf sich regelmäßig. Die Dekanatsversammlung der KLJB Hümmling lud einen Vertreter der BI zum Vortrag. Im Kreis Cloppenburg gründete sich ebenfalls eine BI.

Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz BBU führte schließlich vom 19. bis 21 November 1976 seine Jahreshauptversammlung in Melstrup durch. 2000 Menschen besuchten diese Veranstaltungen. Eine geplante Pro- und Contra-Diskussion in Sögel wurde zu einer BI-Kundgebung mit 800 Teilnehmern umfunktioniert, weill die Vertreter des Forschungsministeriums, des TÜVs und der Atomindustrie nicht erschienen waren.

Einen Besuch des niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrechts in Papenburg am 29. November 1976 nahm die Bürgerinitiative zum Anlass, massiv gegen das Atommüllprojekt zu demonstrieren. Gleichzeitig sollte die Möglichkeit einer Blockadeaktion gegen neue Bohrungen am Salzstock erprobt werden. Zur Demonstration wurde deshalb nicht öffentlich aufgerufen. Vielmehr wurden erst zwei Tage vorher die Mitglieder über die Vertrauenleute und Telefonketten zur Demo aufgerufen.

800 Bauern mit Treckern, insgesamt 1500 Menschen kamen am Bohrplatz zusammen. Hermann Gerdes sagte: "Dies ist eine Generalprobe für das, was wir hier auf die Beine stellen können. Wir sind nicht bereit, Versuchskaninchen der Atomindustrie zu werden." Demonstration am Bohrplatz

Mit Wippingen waren noch zwei andere Standorte für eine Atommülldeponie genannt worden: Celle und Lichtenmoor. Auch hier entwickelte sich Widerstand, auch hier wurden Probebohrungen verhindert. Ein vierter Salzstock bei Gorleben wurde plötzlich für geeignet gehalten, Atommüll sicher zu lagern. Schließlich wurde Wackersdorf in Bayern als Standort für die Wiederaufbereitung (zur Geschichte der WAA) aus dem Ärmel gezogen. Auch dort verhinderte ein breiter Widerstand diese gefährlichen Planungen. Schließlich wurde der Plan für eine Wiederaufbereitung in Deutschland ganz aufgegegeben.

Aber Atommüll wird noch weiter produziert. Er wird in einfachen Hallen neben den Atomkraftwerken, auch in Lingen, gelagert. Und wenn kein Flugzeug darauf stürzt, wird er  in Castorbehältern gegen den Willen der Bevölkerung nach Gorleben transportiert. Hier wird ein Atommülllager von der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe (DBE) betrieben.Die Atomindustrie und die Regierungen haben gelernt, den Widerstand der Menschen als gewalttätig zu denunzieren. Mit gewaltiger Polizeipräsenz werden Blockadeaktionen der Aktion Xtausendmalquer unmöglich gemacht.

 

JDM