Der Pleitier als Karrierist: Wolfgang Clement

Aus Konkret, Heft 4 April 2004

Seine Effizienz

Der Pleitier als Karrierist: Wolfgang Clement inszeniert sich als Erfolgstyp, ist aber ganz das Gegenteil. Zum politischen Wirken eines autoritären Charakters

Von Ralf Schröder

Anfang Januar erlebte der hiesige Dokumentarjournalismus eine große Stunde. Der WDR strahlte ein Porträt des Superministers Wolfgang Clement aus, und so erfuhr eine breite Öffentlichkeit erstmals etwas über dessen Kindheit. »Ich hatte schreckliche Angst zu versagen«, sagte hierzu der Porträtierte, dessen weitere Ausführungen von »Spiegel Online« so zusammengefaßt wurden: »Leistung zu bringen war die höchste Pflicht in seinem Bochumer Elternhaus, auf Scheitern standen drakonische Strafen. Etwa: Wenn er sitzen bleibt, muß er von der Schule und in eine Maurerlehre. Der junge Wolfgang blieb nicht sitzen.« Nun hätte sich Clement, um die Folgen dieser Pädagogik abzumildern, der Hippie und Protestbewegung anschließen können. Doch er, 1968 gerade 28 Jahre alt, aber schon seit drei Jahren studierter Rechtsreferendar, tat folgendes: »Er rannte in Schlips und Kragen, ließ Hippies und Protestbewegung links liegen auf dem Weg nach oben. Und er rennt bis heute. Um sechs Uhr morgens durch den Park, danach von Termin zu Termin, von Interview zu Interview. Er läßt sich von Gewerkschaftern auspfeifen, von US-Politikern demütigen, von Wirtschaftbossen umschmusen.«

Weil der WDR der Haus und Hofsender der nordrheinwestfälischen Sozialdemokratie ist, versagte seine Dokumentation zwangsläufig vor der eher moderaten Herausforderung, die Selbstinszenierung des Superministers zu durchleuchten. Diese beruht auf der erfolgreichen Verbreitung der Legende, Clement sei ein Erfolgstyp. In einer exemplarischen Nachbetrachtung der WDR Dokumentation schrieb die »Aachener Zeitung«, Clement sei durch und durch »aufs Gelingen fixiert« ein Urteil, das die in der Medienzunft vorherrschende Ansicht präzise wiedergibt. Als der hyperaktive Streber nach der Bundestagswahl im Herbst 2002 als Minister für Arbeit und Wirtschaft nach Berlin ging, schrieb ein WDR Kommentator, mit Clement sei die Rolle des »effizienten Politik Managers« großartig besetzt. Nicht zufällig sei es unter Journalisten üblich, den bisherigen NRW Ministerpräsidenten als »Seine Effizienz« zu titulieren.

Dabei hatte bereits der erste vernehmbare Paukenschlag in Clements politischer Laufbahn seine Ursache darin, daß Seine Effizienz nicht zum Zuge kam. Ende 1986, Clement war als stellvertretender SPD Bundesgeschäftsführer eine der maßgebenden Figuren im Bundestagswahlkampf von Johannes Rau beendete er zunächst seine Arbeit für die SPD. Der Grund für seinen Rückzug war die äußerst dosierte Loyalität, die Parteichef Willy Brandt dem Kanzlerkandidaten entgegenbrachte. Brandt dachte damals bereits an eine rotgrüne Perspektive, während Rau den Traditionssozi gab.

Bald nach seiner Demission wurde Clement, der bereits zwischen 1968 und 1980 als Redakteur und Vizechef der »Westfälischen Rundschau« in Dortmund tätig war, zum Chefredakteur der »Hamburger Morgenpost« ernannt. Das marode ehemalige SPD Blatt war im Jahr zuvor von Gruner & Jahr übernommen worden und sollte zu einer linksliberalen Konkurrenz der »Bildzeitung« ausgebaut werden. Diesem Anspruch konnte allerdings Seine Effizienz nicht gerecht werden: Die verfügbaren Meldungen aus jener Zeit besagen, daß die »Mopo« weiterhin rasante Verluste machte und der Verlag zeitweise über eine Einstellung der Zeitung nachdachte.

Wieder schmiß Clement; er ließ sich im Januar 1989 von Johannes Rau zum Leiter der NRW Staatskanzlei machen. Wenig später mußte der Thorium Hochtemperatur Atomreaktor in Hamm Uentrop stillgelegt werden, der vier Milliarden DM gekostet, aber mehr Schlagzeilen über Störfälle als Strom geliefert hatte. »Unsere Entscheidung für diesen Reaktor war wohl nicht richtig. Und jetzt müssen wir es wohl zu Ende bringen« so kommentierte Clement den Entschluß der NRW Regierung, sich zu einem Drittel an den Stillegungskosten von 500 Millionen DM zu beteiligen. Clement verkaufte dieses Desaster als Erfolg, denn zuvor hatte der Energiekonzern VEW damit gedroht, sich seiner Verantwortung durch einen Konkurs der Reaktorbetreibergesellschaft gänzlich zu entziehen.

Bei den NRW Landtagswahlen von 1990 verlor die SPD 2,5 Prozent, konnte aber ihre absolute Mehrheit behaupten. Clement blieb Chef der Staatskanzlei und wurde vom Staatssekretär zum Minister für besondere Aufgaben befördert. Eine davon löste er, indem er als Antwort auf eine rassistische Hetzkampagne der CDU ein neues Instrument entwickelte, überflüssige Ausländer loszuwerden. Sein »Reintegrationsprogramm« für jugoslawische Roma stellte die 1.400 Betroffenen vor die Wahl zwischen einer Zwangsabschiebung und einer »freiwilligen Umsiedlung« ins Roma-Ghetto der mazedonischen Hauptstadt Skopje, wo sie neuerrichtete Holzhäuser und Sozialbetreuung durch ein Büro der Essener Caritas vorfanden. Als die Kritik an dieser innovativen Deportationspolitik nicht verstummen wollte, bekräftigte Clement im Juli 1992 noch einmal, sein 13 Millionen DM teures »Projekt Skopje« werde »bei der Bekämpfung von Armutsflucht seinen Modellcharakter unter Beweis stellen«. Danach hat man von der Sache nie wieder etwas gehört.
Bereits zu Beginn der neunziger Jahre begann Clement ebenfalls damit, sich um das Wohl der beiden NRW Großkonzerne RWE und Bertelsmann zu kümmern. Diese Fürsorge wurde mit fortschreitender Dauer so intensiv, daß sich eine psychologische Deutung geradezu aufdrängt. War mit der erzwungenen Unterwerfung unter den elterlichen Ehrgeiz der Weg zum autoritären Charakter vorgezeichnet, dienerte Clement nun ohne Not vor der Macht der Unternehmen, wobei die Idealisierung dieser Ersatzautoritäten soweit ging, daß ihnen mitunter beinahe schon ein Overkill an Unterstützung zuteil wurde. Politikwissenschaftlich betrachtet, verliert dieser Sachverhalt allerdings jegliche Komplexität: Clement machte sich zu dem, was er war: ein Laufbursche.

Folgerichtig war er seinerzeit einer der ersten, die den Mediensektor als Zukunftsindustrie ernstnahmen, und so begann er mit einer großzügigen öffentlichen Subventionierung des Bertelsmann Reviers. Von den zahlreichen Pleiten, die Seine Effizienz auf diesem Gebiet zu verantworten hat, können hier nur einige skizziert werden. Die erste betrifft den Bertelsmann TVSender Vox, der gleich nach seinem Start im Januar 1993 täglich eine Million DM Verlust machte. Nach einem Jahr waren bis auf Bertelsmann alle Gesellschafter abgesprungen, und Clement, der Urheber des Projekts, mußte sich einen Sommer lang mit der Strafarbeit befassen, neue Mitbetreiber für den Sender zu finden. Im Hause Bertelsmann dagegen wurde der Verantwortliche für das Chaos, Manfred Lahnstein, in den Aufsichtsrat abgeschoben. Clements medienpolitisches Credo, das er 1995 der »FAZ« anvertraute, brachte die Angelegenheit auf den Punkt: »Kein Fernsehprogramm kann so schlecht sein, daß es den Verzicht auf Investitionen in die neuen Medien rechtfertigen könnte.«

Vier Jahre später machte mit dem in Oberhausen ansässigen Trickfilmzentrum HDO ein zweites von Clement initiiertes Mediengroßprojekt Pleite. Verschwunden waren nicht nur 110 Millionen DM an Subventionen, offensichtlich war bei deren Auszahlung auch Betrug im Spiel gewesen. Die Frage, ob man einen Großteil der Fördergelder bei sachgemäßer Kontrolle von Clements New Economy Pionieren hätte retten können, beschäftigte zwei Untersuchungsausschüsse des NRW Landtages. Ein Flop wurde auch das 1999 vollendete und von Clement energisch verfochtene Kölner Coloneum Projekt: Das größte TV Produktionszentrum Europas, errichtet auf dem ehemaligen Flughafen Ossendorf und 500 Millionen DM teuer, wurde zu einer Investitionsruine. Trotz solcher Pleiten ist Clement bei vielen Medienleuten bis heute deshalb so beliebt, weil erst seine Projekte sie zu Medienleuten gemacht haben.

Um die traditionellen SPD Kunden zu halten, flankierte Clement seine Modernisierungskampagne für NRW mit einem an Fanatismus grenzenden Engagement zugunsten des Energiekonzerns RWE und dessen rückwärtsgewandter, aber profitabler Braunkohlestrategie. 1995 verlor die SPD in der zweiten von Clement organisierten Landtagswahl völlig überraschend ihre absolute Mehrheit und mußte fortan mit den Grünen eine Koalitionsregierung bilden. Seine Effizienz wurde nun zum schärfsten Fürsprecher der Braunkohlelobby. Als im Herbst 1995 die RWE Zentrale aufgrund einiger angeblich ungeklärter Sachfragen mit einem Kraftwerks Investitionsstopp drohte, katzbuckelte der mittlerweile zum Minister für Wirtschaft und Verkehr aufgestiegene Clement so überzeugend vor den Erpressern herum, daß die noch am gleichen Tag die Fortsetzung ihrer Planungen ankündigten. 1997 erhielt die RWE Tochter Hochtief den Zuschlag für den Kauf der Landesanteile am Düsseldorfer Flughafen, obwohl ein Mitbewerber ein höheres Angebot vorgelegt hatte. Das Engagement für den Essener Konzern setzte Clement auch nach seinem Wechsel in Schröders Kabinett fort: Während der vergangenen Monate versuchte er, das britisch amerikanische Unternehmen Intergen daran zu hindern, bei Köln ein hochmodernes Gasheizkraftwerk zu errichten, dessen fortschrittliche Technologie die RWE Einrichtungen blamieren würde.

In seinem Einsatz für die NRW Industrie nahm sich Clement Zeit für eine Unzahl weiterer Peinlichkeiten. Nachdem 1996 ein Großbrand den Düsseldorfer Flughafen verwüstet hatte, dachte der grüne Bauminister Vesper über eine Vermeidung des Werkstoffes PVC nach, der im Feuerfalle hochgiftiges Dioxin produziert. Als ein paar Wochen später Chemieunternehmer mit der zugehörigen DGB Gewerkschaft gegen die Reduzierungspläne demonstrierten, ließ es sich Clement nicht nehmen, diesem Bündnis aus Vollidioten via Satellit und Großleinwand ein Grußwort zu schicken: In NRW werde es keine Beschränkungen für PVC geben. Nicht zuletzt durch Episoden dieser Art kam Clement in den Ruf des nimmermüden und ideologiefreien Pragmatikers. Er spielt diese Rolle so, daß für Zweifel an seiner Getriebenheit kein Platz bleibt. Sobald sich ernste Bedrängnisse abzeichnen, wechselt Clement die Baustelle und erklärt, gerade nicht abkömmlich zu sein.

Aufsehen erregte auch Clements ehrgeiziger Versuch, die Verwaltung seines Bundeslandes zu reformieren. Kaum hatte er 1998 die Regierungsgeschäfte von Rau übernommen, ordnete Seine Effizienz die Fusion des Justiz- und des Innenministeriums an. Nachdem Clement alle Proteste ignoriert hatte, darunter die von 23 NRW Gerichtspräsidenten, wurde er erst von einem Beschluß des Landesverfassungsgerichtes gestoppt. Dessen Mitglieder hatten nicht einsehen wollen, daß etwa bei Ermittlungen gegen Polizisten deren Dienstherr auch gegenüber den Staatsanwaltschaften weisungsbefugt werden sollte.

Als das Landesverfassungsgericht Clement ein zweites Mal erwischte, hatte der sich bereits nach Berlin abgesetzt: Im September 2003 erklärten die in Münster ansässigen obersten Juristen die NRW Haushalte von 2001 und 2002 für verfassungswidrig. Clement hatte zur Finanzierung des Etats Rücklagen auflösen lassen, die aus Krediten gebildet worden waren. Dadurch umging er die von der Verfassung gezogene Höchstgrenze bei der Verschuldung. Konsequenzen hatten diese Vorgänge selbstverständlich nicht.

Als Seine Effizienz 13 Jahre nach Dienstantritt aus Düsseldorf verschwand, konnte er auch parteipolitisch eine insgesamt durchschlagende Bilanz vorweisen: Die SPD hatte ihre fette absolute Mehrheit verloren und im Jahr 2000 unter seiner Ministerpräsidentschaft mit 42,5 Prozent das schlechteste Landtagswahlergebnis seit über vierzig Jahren erzielt. Bei der Kommunalwahl von 1999 gingen die ehedem roten Rathäuser der NRW Städte reihenweise an die CDU. Und kaum war Clement in Schröders Kabinett eingetroffen, machte das personifizierte Desaster weiter wie bisher.

Bereits im März 1996 hatte die »Taz« in einer wohlwollenden Reportage berichtet, Clement mühe sich »jetzt bis zur Erschöpfung, um seinem wichtigsten Ziel näher zu kommen, die Arbeitslosigkeit um 50 Prozent zu reduzieren«. 1998 forderte Clement (vergeblich), die Bundesregierung solle sich offiziell auf das Ziel festlegen, die Arbeitslosenzahlen in den nächsten vier Jahren um ein Viertel zu senken. Und als Bundesminister wollte Clement schließlich mittels der Hartz Gesetze den Arbeitsmarkt endgültig in Schwung bringen. Neben scharfen materiellen Einschnitten und sonstigen Schweinereien zuungunsten der Erwerbslosen kündigte er im Oktober 2002 »die Revolution der Arbeitsvermittlung« an. Gemeint waren damit die Personal ServiceAgenturen (PSA), die wie Leiharbeitsfirmen funktionieren und Arbeitslose in feste Beschäftigungen vermitteln sollen. Das ging natürlich schief: Anstelle der anvisierten 50.000 wurden 2003 ziemlich genau 6.500 PSA Opfer in Jobs vermittelt, und vor einigen Wochen machte die größte PSA, Maatwerk, mit viel Getöse pleite.

Kritik an dem Desaster fertigte Clement mit dem Hinweis ab, für eine Beurteilung der PSA Strategie sei es viel zu früh. Eine Bilanz werde man erst 2006 ziehen können. So hat Seine Effizienz für das übernächste Jahr doch noch eine wichtige Aufgabe gefunden. Denn die Einweihung des NRW Metrorapid, von Clement einst für 2006 angekündigt, fällt ja leider aus.

Ralf Schröder schrieb zuletzt in KONKRET 2/04 über die Militärpolitik der EU


top

Zur Homepage