Die Union will der Agro Gentechnik in Deutschland zum Durchbruch verhelfen| Süddeutsche zeitung vom 12.09.2005

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Die Union will der Agro Gentechnik in Deutschland zum Durchbruch verhelfen - die Verbraucher sind skeptisch
Von Heike Moldenhauer

"Vorfahrt für Arbeit" lautet die viel zitierte Kernaussage im Wahlprogramm von CDU/CSU. „Innovation" heißt das Zauberwort der Union für neue Produkte und neue Arbeitsplätze. Technologisches Spitzenfeld Nummer eins ist die Bio und Gentechnologie. Die Union verkündet dazu: „Wir werden für die Entwicklung der Bio und Gentechnologie den notwendigen und verantwortbaren Rechtsrahmen schaffen." Dabei gehe es„ um die Gewährleistung der Koexistenz und um praxisgerechte Haftungsnormen", schreibt sie in ihrem Agrarprogramm 2005. Mehr nicht. Kein Wunder: Die Agro Gentechnik, der Einsatz gentechnischer Verfahren in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion, ist bei den Wählern und Wählerinnen alles andere als populär. Deshalb ist aus Sicht von CDU/CSU Schweigen in diesem Falle Gold. Zumal die Botschaft für ihre Industrieklientel klar ist: Wir werden Euch die rot grünen Steine aus dem Weg räumen, die Euch bei Euren Geschäften behindern.

Ulrike Moldenhauer ist Gentechnikexpertin des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland BUNDDass die Union der Agro Gentechnik in Deutschland zum Durchbruch verhelfen will, hat sie in den letzten Jahren immer wieder deutlich zum Ausdruck gebracht. Macht die Union ihre Ankündigungen wahr, dann sieht es schlecht aus für Landwirte, die weiterhin gentechnikfrei produzieren wollen und schlecht für Verbraucher, die sich weiterhin gentechnikfrei ernähren wollen.

So will die Union das Standortregister unbrauchbar machen. Bisher gilt: Jeder, der wissen will, ob und wo in seiner Nachbarschaft gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden sollen, kann dies drei Monate vor Anbaubeginn über ein im Internet abrufbares Register in Erfahrung bringen. Die Union will dieses Informationsrecht kippen: Nur noch Gemeinden sollen drei Wochen vor der Aussaat im Netz stehen, nur noch Landwirte erhalten auf besonderen Antrag Auskunft über die Gentechnik Flächen.
Bleibt die Union nach einer möglichen Regierungsübernahme bei diesen Vorhaben, werden die Flächen, auf denen gentechnisch verändertes Saatgut ausgebracht wird, zum Geheimwissen von Behörden. Landwirte, die weiterhin ohne Gentechnik arbeiten wollen, haben keine Chance, sich gegen gentechnische Verunreinigungen zu schützen. Ein Landwirt, der Gentech Pflanzen aussäht, ist nicht verpflichtet, seine Nachbarn über seine Anbaupläne in Kenntnis zu setzen. Deshalb fehlt jeder zeitliche Spielraum, sich auf gemeinsame Maßnahmen gegen die Vermischung der Ernten zu verständigen.

CDU und CSU wollen eine schleichende gentechnische Verunreinigung von Landwirtschaft und Natur zulassen. Bisher gilt: Wenn sich ein Nebeneinander von gentechnisch veränderten und gentechnikfreien Kulturen als unmöglich erweist, muss der Anbau der Gentech-Pflanzen abgebrochen werden. Die Union will den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen selbst dann noch erlauben, wenn sich eine Koexistenz in ökolo gischer und ökonomischer Hinsicht längst als unmöglich erwiesen hat. Damit billigt sie, dass eine kleine Gruppe von Landwirten die Absatzmärkte ihrer gentechnikfrei produzierenden Berufskollegen gefährdet. Und sie setzt damit den Wettbewerbsvorteil der deutschen Landwirtschaft insgesamt aufs Spiel, die heute die weltweite Nachfrage nach gentechnikfreien Produkten bedienen kann. Den Verbrauchern und Verbraucherinnen gesteht sie allein die Wahl zwischen mehr oder weniger gentechnisch verunreinigten Produkten zu.

Die Konservativen wollen die so genannte gesamtschuldnerische Haftung zugunsten eines „Ausgleichsfonds" abschaffen. Bisher gilt: Wenn sich nicht zuordnen lässt, wer die gentechnische Verunreinigung der Ernte seines Nachbarn verursacht hat, kann jeder Landwirt, der gentechnisch veränderte Pflanzen anbaut, in einem bestimmten Umkreis für ökonomische Schäden zur Rechenschaft gezogen werden. Die Union will alle Landwirte, welche die bisher nirgends festgelegten gesetzlichen Regeln des Gentech Anbaus eingehalten haben, von der Haftung befreien. Einspringen soll ein auch mit Steuergeldern gespeister „Ausgleichsfonds". Dies sieht ein Gesetzentwurf vor, der letzte Woche bekannt wurde. Danach soll sich „der Bund mit Beiträgen angemessen beteiligen" Demnach will die Union über eine Gentechnik Steuer alle Steuerzahler in Kollektivhaftung für Produkte nehmen, die sie in ihrer Mehrheit nicht wollen.

CDU/CSU wollen die Verunreinigung von Nachbargrundstücken durch Freisetzungsexperimente legalisieren und ungenehmigte gentechnisch veränderte Organismen (GVO) in Lebens und Futtermitteln erlauben. Bisher gilt: In der EU dürfen GVO aus Freisetzungen nicht einmal in kleinsten Spuren in die Lebens und Futtermittelkette gelangen. Ernten von Landwirten, in die Auskreuzungen aus Freisetzungen gelangt sind, müssen vernichtet und die Landwirte entschädigt werden. Die Union will diese Nulltoleranz aufheben und durchsetzen, dass ungenehmigte GVO in Umlauf gebracht werden dürfen.

Wenn die Union dabei bleibt, dann ruft sie zum Verstoß gegen geltendes EU-Recht auf. Und sie verabschiedet sich zugunsten eines missverstandenen Fortschrittsbegriffs vom Prinzip der Verantwortung für Mensch und Umwelt und setzt diese bewusst den Gefahren der Gentechnik aus. 

Und wofür das alles? Für die Sicherung des Wirtschaftsstandorts durch den vermeintlichen Jobmotor Agro Gentechnik? Die jüngst im„ Deutschen Biotechnologie Report 2005" von Ernst & Young veröffentlichten Daten sprechen eine andere Sprache: Keine 300 Arbeitsplätze in 25 Labor und Zuchteinrichtungen vermeldet die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, daneben ein Forschungs und Entwicklungsvolumen von 129 Millionen Euro Gelder, die in beträchtlichem Maße aus öffentlichen Mitteln stammen.

Selbst wenn die Zahl der Arbeitsplätze steigen sollte: Das Schicksal des Wirtschaftsstandorts Deutschland wird sich sicher nicht an Gengewächsen entscheiden. Oder aber anders, als die Union es sich vorstellt: Arbeitsplätze können auch verloren gehen dann nämlich, wenn Märkte wegbrechen. Für 70 Prozent aller in der EU beheimateten Verbraucher hat Gentechnik im Essen nichts zu suchen, auch in Japan und den USA wächst die Gentechnik Skepsis die Nachfrage nach gentechnikfreien Lebensmitteln können deutsche Landwirte bisher problemlos bedienen. Noch kann die Marke „Made in Germany" damit punkten.

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