Statistiker kritisieren abwiegelnde Studie zu Gentech Mais| Süddeutsche Zeitung vom 20.10.2005

Rattenschlechte Daten
Statistiker kritisieren abwiegelnde Studie zu Gentech Mais

Wo Kochrezepte und Zutatenlisten nach Maismehl verlangen, finden Europäer demnächst vielleicht „MON 863" in ihrem Essen. Denn am 24. Oktober stimmt der EU-Agrarministerrat über die Zulassung der gentechnisch veränderten Maissorte als Lebensmittel ab, um die seit Jahren ein Streit zwischen der Herstellerfirma Monsanto und Gentechnik-Gegnern tobt. Jetzt machen Wissenschaftler erneut darauf aufmerksam, dass der Mais entgegen den Angaben der Herstellerfirma gesundheitsschädlich sein könnte. Sie kritisieren eine von Monsanto erstellte Studie an Ratten, die angeblich gezeigt hatte, dass der Mais unbedenklich sei: „Aus dieser Untersuchung lernen wir nichts darüber, ob MON 863 nun sicher ist oder nicht", sagt Karl Wegscheider, Professor am Institut für Statistik und Ökonometrie der Universität Hamburg, der die Studie auf Bitten der Umweltschutzorganisation Greenpeace bewertet hat. Aber er fügt hinzu: „Inhaltlich will und kann ich die gesundheitlichen Auswirkungen von gentechnisch verändertem Mais nicht beurteilen."

Die Studie, für die Ratten 90 Tage lang mit MON 863 gefüttert worden waren, war schon vor eineinhalb Jahren in die Kritik geraten. Bei den mit Gentech-Mais gefütterten Ratten veränderten sich Gewicht, Nierengewebe und Blutbild. Monsanto hatte jedoch argumentiert, das sei bedeutungslos und könne bei einer Studie mit insgesamt 400 Tieren zufällig auftreten. Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit folgte Monsantos Deutung und empfahl die Zulassung des Mais, der einen Abwehrstoff gegen Schädlinge produziert, als Lebens- und Futtermittel. Im August dieses Jahres genehmigte die Europäische Kommission schließlich Einfuhr und Verwendung von MON 863 als Futtermittel.

Eine Bewertung der Studie durch unabhängige Wissenschaftler war erst jetzt möglich geworden, weil das Oberverwaltungsgericht Münster im Juni entschieden hatte, dass Monsanto die gesamte Studie veröffentlichen muss. Vorher war sie nur den zuständigen Behörden vorgelegt worden.

Karl Wegscheider kritisiert das gesamte Konzept der Studie: „Wenn man belegen will, dass MON 863 genauso wenig gesundheitsschädlich ist wie normaler Mais, ist eine so genannte Äquivalenzstudie nötig. Nur sie kann zeigen, dass beide Maissorten die gleiche Wirkung auf die Versuchstiere haben. Dazu muss'man vor dem Versuch genau festlegen, welche Parameter man betrachten will und in welchem Bereich sie liegen müssen." Monsanto habe aber erst im Nachhinein entschieden, welche Werte wichtig seien und welche nicht. „Das ist, als ob man zuerst schießt, dann die Zielscheibe um den Pfeil herum malt und behauptet, man hätte getroffen", so Wegscheider. Zudem sei die statistische Auswertung der Daten in mehreren Punkten unzureichend.

Das bestätigen auch der Statistiker Dominique Cellier und der Molekularbiologe Gilles Eric Seralini, die die Monsanto Studie für die französische Organisation Crii Gen untersuchen. Monsanto habe zum Beispiel nicht berücksichtigt, dass die Gewichtsunterschiede zwischen den Ratten im Laufe der Studie immer größer geworden sind. „Da fragt man sich natürlich, was passiert wäre, wenn die Studie länger als 90 Tage gedauert hätte", sagt Seralini, der auch Mitglied der französischen Kommission für die Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen ist.

Crii Gen wird in den nächsten Monaten im Auftrag von Greenpeace eine neue statistische Auswertung der Originaldaten von Monsanto erstellen. Doch dies sei nur die zweitbeste Lösung, sagt Seralini: „Eigentlich müsste die ganze Studie wiederholt werden, bevor eine Entscheidung über die Zulassung von MON 863 fallen sollte."
Alexandra Hostert

top

Zur Homepage