Kliniken weigern sich häufig, Unfallopfer aufzunehmen| Süddeutsche Zeitung vom 04.01.2006

Irrfahrt im Krankenwagen
Kliniken weigern sich häufig, Unfallopfer aufzunehmen

Dieses Unglück bewegte sogar hartgesottene Unfallchirurgen. Denn es zeigte ihnen, wie sehr ihr Fach krankt. Der junge Mann war mitten am Tag und im flachen Norddeutschland einfach mit seinem Lkw gegen einen Baum gefahren. Um halb vier war das, und danach hatte er erst einmal Glück: Schon 15 Minuten später war der Notarzt bei dem 28 Jährigen und versorgte den Schwerverletzten. Das Schlimmste schien überstanden doch tatsächlich begann erst jetzt die Odyssee.

Obwohl das Gehirn des Mannes verletzt war und zahlreiche Knochen gebrochen waren, wollte keines der fünf Krankenhäuser im Umkreis den Patienten aufnehmen. Verzweifelt brachte der Notarzt den Mann mit den offenen, stark blutenden Brüchen schließlich in ein nahe gelegenes Krankenhaus, das eigentlich nicht für so schwere Fälle ausgerüstet war. Da war es 18 Uhr.

Die Ärzte in der kleinen Klinik fühlten sich zu Recht überfordert mit dem Fall. Sie wollten den jungen Mann verlegen, doch sie erhielten eine Absage nach der anderen: Zwölf auf Notfallpatienten spezialisierte Krankenhäuser lehnten in den nächsten zweieinhalb Stunden die Aufnahme des Schwerstverletzten ab. Um 20.30 Uhr schließlich erbarmte sich eine Klinik im 135 Kilometer entfernten Hannover.

Das Schicksal des Lkw Fahrers ist exemplarisch für den schlechten Zustand der Notfallmedizin. „Wenn man mit schwerverletzten Patienten kommt, ist die Begeisterung oft mäßig", sagt der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte, Peter Sefrin. Eine anonyme Umfrage unter Unfallchirurgen habe ergeben, dass vor allem kleinere Häuser Patienten oft ablehnen. Sefrin glaubt, dass sich die Situation im neuen Jahr noch verschärfen wird. Die Notfall Vergütung der Kliniken sei zu schlecht, noch dazu erfasse der Ärztemangel auch die Unfallchirurgie. Gut 30 000 Euro bekommt eine Klinik den neuen Fallpauschalen zufolge für einen schwerstverletzten Patienten. Doch häufig verursachen diese Kranken viel höhere Kosten. Schon im Durchschnitt benötigt ein Unfallopfer 38 000 Euro. Wer noch dazu Brüche im Schädelbereich hat, eine blutende Lunge und Wochen auf der Intensivstation zubringen muss, ist für die Krankenhäuser ein noch größeres Verlustgeschäft.

„Die Folge ist, dass Patienten mitunter angeboten werden wie faules Obst", sagt Steffen Ruchholtz. Der Essener Unfallchirurg hat deshalb ein Traumanetzwerk mitgegründet in dem regionale und überregionale Kliniken zusammengeschlossen sind. Es soll den Häusern die Kommunikation und auch die Finanzierung erleichtern, damit jeder Unfallpatient künftig binnen 30 Minuten in der Aufnahme eines geeigneten Krankenhauses angelangt ist. „Die Frage ist doch, ob die ablehnenden Kliniken nicht können oder nicht wollen", sagt Andreas Seekamp von der Kieler Universitätsklinik. Zeit aber bedeute bei diesen Patienten Leben. „Deshalb wollen wir verbindlich festlegen, welches Haus zur Aufnahme verpflichtet ist."

Die Hannoversche Klinik, die den jungen Lkw Fahrer schließlich aufpäppelte, hat der Patient um 21.05 Uhr per Hubschrauber erreicht fünfeinhalb Stunden nach seinem Unfall. 17 Tage verbrachte der Mann dann auf der Intensivstation. Seine Entlassung wird auch den Verwaltungschef des Hauses gefreut haben.

Christina Berndt


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