Stillstand 840 Meter unter der Erde| Ems-Zeitung vom 10.06.2006

Stillstand 840 Meter unter der Erde
Von Jens Peter Dohmes

Gorleben.
Seit bald 30 Jahren wird über das potenzielle Endlager für Atommüll in Gorleben gestritten. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat die Untersuchung weiterer Standorte angekündigt; die niedersächsische Landesregierung macht Druck und fordert vehement, die Erkundung des Salzstocks in Gorleben fortzusetzen.

Die Szenerie ist gespenstisch. Still ist es hier, 840 Meter unter der Erde. Am Rand stehen die gelben Bagger, Bohrwagen und Transportfahrzeuge. Doch meistens stehen sie still.
"Das ist so, als würde man einen 100-Meter-Läufer fünf Meter vor der Ziellinie stoppen", seufzt Christian Islinger. Der 45-Jährige ist Geologe bei der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern (DBE), und für ihn könnte es sofort weitergehen mit den Arbeiten im Salzstock. Doch im Jahr 2000 hat die damalige rot-grüne Bundesregierung beschlossen, die Erkundung des Bergwerks im Landkreis Lüchow-Dannenberg auszusetzen.

Seit dem Moratorium wird der Schacht lediglich "offen gehalten". Gut 70 Mitarbeiter sorgen für die Erhaltung, führen weiter Messungen durch und verhindern, dass in dem 250 Millionen Jahre alten Salzstock die Schächte langsam zuwachsen. "Alles wird in seinem Wert erhalten", sagt Henning Rösel, Vizepräsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), das das Bergwerk betreibt. 20 Millionen Euro kostet der Betrieb jedes Jahr.

Gorleben war 1977 von der niedersächsischen Landesregierung als möglicher Standort eines Endlagers für hochradioaktiven Atommüll vorgeschlagen worden. Zunächst wurde oberirdisch erkundet, dann ab 1985 ein Erkundungsbergwerk errichtet. Das Moratorium ist politisch höchst umstritten; CDU und FDP würden es gern aufgehoben sehen, doch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hält an der Vereinbarung fest, die Teil des mit der Energiewirtschaft geschlossenen Atomkonsenses ist. Die große Koalition will das Problem der Endlagerung bis zum Ende der Legislaturperiode lösen - so steht es im Koalitionsvertrag. Ansonsten wurde das Thema vorerst vertagt.

Nun hat Gabriel vor kurzem angekündigt, neue Standorte als Alternativen zu Gorleben zu überprüfen. 1,2 Milliarden Euro sollen in die Erprobung gesteckt werden, vor allem an solchen Orten, an denen der Müll in Ton oder Granit gelagert würde. Neben Gorleben müssten "alle möglichen Standorte in Deutschland gegeneinander abgewogen werden".

Eine "ergebnisoffene Suche" hatte die rot-grüne Bundesregierung propagiert, Gabriels Vorgänger Jürgen Trittin (Grüne) ein Endlagersuchgesetz angekündigt, das jedoch nie verabschiedet wurde. Atomgegner fürchten, dass es letztlich ohnehin auf Gorleben hinauslaufen und die angekündigten Untersuchungen praktisch nur zum Schein geben soll. Auch von Befürwortern des Standorts im östlichen Niedersachsen wird dieses Szenario gemalt - als Ausweg aus dem politischen Dilemma.

Vor allem die niedersächsische CDU/FDP-Landesregierung macht Druck: "Wir brauchen ein Endlager und müssen das Moratorium beenden", fordert Ministerpräsident Christian Wulff (CDU). "Man muss jetzt sagen, was aus Gorleben wird." 1,4 Milliarden Euro sind an diesem Standort investiert worden - zu viel, als dass man es sich leisten könnte, nicht zu Ende zu erkunden. Nur falls sich Gorleben als ungeeignet erweise, sagt Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP), solle man eine neue Endlagersuche vornehmen.

Im Emsland hegt man nun die Sorge, dass im Zuge der neuen Suche auch wieder der Salzstock Wahn zum Tragen kommt. Dieser war vor der Entscheidung für Gorleben von der damaligen Bundesregierung als geeignetster Standort gehandelt worden.

Bisher gebe es "aus geologischer Sicht nichts, was gegen Gorleben als Endlager spricht", sagt BfS-Mann Rösel. Das bedeute aber nicht, dass die Eignung nachgewiesen sei. "Das kann man erst sagen, wenn die Erkundung abgeschlossen ist." Das würde insgesamt noch rund fünf Jahre dauern.

Ähnlich wie die in Gorleben fiebern auch die Mitarbeiter im Schacht Konrad darauf, dass es weitergeht. In dem ehemaligen Erzbergwerk bei Salzgitter soll schwach und mittelstark strahlender Atommüll eingelagert werden. Das Planfeststellungsverfahren ist längst abgeschlossen, doch mit der Genehmigung will Minister Gabriel warten, bis der Betrieb gerichtlich nicht mehr zu verhindern ist. Die Landesregierung fordert hingegen die sofortige Inbetriebnahme. Mit der Planfeststellung sei die Entscheidung doch "politisch gefallen", sagt Sander.

Geologe Islinger wartet weiter auf das Okay für die Fortsetzung der Erkundung. Ob er noch erleben werde, dass hier Atommüll endgelagert wird? Da sei er eher pessimistisch, sagt er.

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