Konkret 1/2010, Elke Wittich


"Talmudischer Betrug"

Unter den Kritikern der Schweinegrippeimpfung tummeln sich allerlei antisemitische Verschwörungstheoretiker.

Die Mail, die eine besorgte Hausärztin namens Juliane Sacher einigen Freunden schickte, las sich bedrohlich: In den Impfstoffen gegen die Schweinegrippe sei mit der Substanz Squalen der Wirkstoff enthalten, der bei US-Soldaten zum sogenannten Golfkriegssyndrom geführt habe. Da war es dann auch kein Wunder, daß die Adressaten dieser Nachricht so alarmiert waren, daß sie die Warnung ihrerseits weiterverbreiteten. Mittlerweile ist daraus eine regelrechte Kettenmail geworden, und die Squalen-Sache wird selbst in Fußballforen aufgeregt diskutiert.

Die sensationelle Enthüllung hat allerdings einen Haken: Der Impfstoff, der Golfkriegssoldaten routinemäßig injiziert wurde, enthielt die Substanz mit dem nach ganz besonders bösartiger Chemie klingenden Namen gar nicht.

"Ich gebe zu, daß das nicht so geschickt war, weil einige Autoren später darlegten, daß das Golfkriegssyndrom nichts mit Squalen zu tun gehabt haben kann, weil in dem Impfstoff kein Squalen vorhanden gewesen sein soll", schrieb Sacher inzwischen auf ihrer Homepage, was nicht nur so klingt, als handele es sich um ein bestenfalls halbherziges Dementi. Zumal die Ärztin gleichwohl bei ihrer Warnung bleibt. Auch das verwundert nicht, denn Juliane Sacher ist schließlich weit mehr als nur eine besorgte Hausärztin, die lediglich einigen Freunden eine Mail schickte, die sich völlig ohne ihr Zutun zu einem Kettenbrief entwickelte. Die 64jährige, die ihre Kassenzulassung schon vor einiger Zeit zurückgegeben hat, gehört unter anderem zu den sogenannten Aids-Kritikern, die fest daran glauben, daß die Immunschwächekrankheit, verkürzt gesagt, als Virenerkrankung nur eine Erfindung raffgieriger Pharmakonzerne sei. Außerdem gehört Sacher zum Kreis der Impfkritiker aus Prinzip, einer Gruppe von nicht notwendigerweise mit medizinischen Kenntnissen ausgestatteten Leuten, die unermüdlich versuchen, Impfungen aller Art unter anderem als Ursache einer Vielzahl von Krankheiten darzustellen, und damit besonders Eltern immer wieder verunsichern.

Daß auch kritische Medien wie KONKRET nicht vor dem Hype gefeit sind (siehe KONKRET 12/09: "Asterix mit Ausschlag"), liegt an der Arbeitsweise der Impfkritiker: Man zitiert sich ausgiebig gegenseitig, verbreitet die eigenen Texte gezielt in Foren, Blogs und Kommentarspalten und schafft es so nicht nur, bei Google die ersten zehn bis 20 Ergebnisseiten zu belegen, sondern auch, durch Verweise auf wichtig klingende Institute und Studien den Eindruck von Seriosität zu erwecken. Wie erfolgreich diese Vorgehensweise ist, belegen auch die von Medizinern beklagten sinkenden Zahlen geimpfter Kinder - viele Eltern sind stolz darauf, daß sie über die angeblichen Gefahren von Impfungen aufgeklärt seien, und verbreiten die Theorien der Impfgegner gern weiter.

Juliane Sacher ist in dieser Szene sehr aktiv, seit 2007 trat sie zweimal gemeinsam mit Hans Tolzin auf Symposien auf, wie das Internetportal und "Wiki der irrationalen Überzeugungssysteme" Esowatch (www.esowatch.com) berichtete. Hans Tolzin ist einer der Stars der Impfgegnerszene, er betreibt unter anderem die Webseite Impfkritik.de und ist Herausgeber der Zeitschrift "Impf-Report". Er verfaßte ein immer wieder verbreitetes Flugblatt, in dem behauptet wird, daß unter den 25 Millionen Menschen, die zwischen 1918 und 1920 an der Spanischen Grippe starben, ausschließlich Geimpfte gewesen seien, weil die Krankheit als Folge von Massenimpfungen gegen die Influenza ausgebrochen sei - daß es damals noch keine Grippeschutzimpfungen gab, wird in dem Pamphlet einfach verschwiegen.

Der offenkundige Unsinn tut Tolzins Renommee allerdings keinen Abbruch, am 6. August trat er sogar im ARD-"Morgenmagazin" als kritischer Impfexperte auf. Weniger bekannt sind seine politischen Aktivitäten: Der gelernte Molkereifachmann Tolzin, so Esowatch, ist beim "Neue Impulse Treff" aktiv, der "vom Verfassungsschutz beobachteten (...) Nahtstelle zwischen Scientology und Rechtsextremen".

Außerdem hat Tolzin in der Vergangenheit für die Germanische Neue Medizin, kurz GNM, geworben, deren Begründer Ryke Geerd Hamer sich kürzlich ebenfalls zum Thema Schweinegrippe ausließ. Der 74jährige hält die Krankheit für eine von den "Mächtigen" dieser Welt erfundene Krankheit, wobei "Mächtige" bei ihm grundsätzlich für "Juden" steht. Die Schweinegrippe sei ein "riesiger talmudischer Betrug", schrieb er aus dem norwegischen Exil, was nicht weiter überraschend ist, denn Hamer glaubt auch, daß Krebs und Aids in Wirklichkeit nicht existieren beziehungsweise daß "die Juden" die Chemotherapie sowie Aids-Medikamente nur erfunden hätten, um alle Nichtjuden umzubringem.

Im Oktober dann erklärte Hamer, "eine Freundin einer Managerin der Firma Baxter der Pharmaindustrie" habe bei einem Vortrag zugegeben (Details wie Ort, Datum, Name nannte er nicht), daß es bei der Schweinegrippeimpfung ausschließlich um eine "weltweite Chip-Implantation" gehe, "jeder Arglose, Ahnungslose, Dumme bekommt nun ›seinen Chip‹. Von da an ist er nur noch Sklave, und selbst über seinen Tod - wann und wo -, kann per Computer (in Tel Aviv?) entschieden werden."

Selbst einigen seiner Anhängern wurde das Ganze dann doch zu doof, nachdem man ganz gegen die sonstigen Gewohnheiten der GNM-Jünger einfach mal die Hamerschen Angaben nachgeprüft und festgestellt hatte, daß Mikrochips immer noch viel zu groß sind, als daß sie durch die Kanüle einer Impfspritze passen würden. Hamer selber ließ sich davon nicht beirren. Im Gegenteil, er legte, nachdem seine Theorien am 16. November Bestandteil eines "Bildzeitungs"-Artikels mit der Überschrift "Immer mehr irre Verschwörungstheorien zum Virus" waren, mit einem besonders aparten Statement nach. Das Foto, das ihn 1997 bei einer Wortmeldung in einem Prozeß mit erhobenem Zeigefinger zeigte, sei ein Beweis für die Richtigkeit seiner Behauptungen, erklärte er, und von "Bild" bewußt ausgesucht worden, um "Eingeweihte" zu informieren, daß er, Hamer, der Verschwörung auf die Schliche gekommen sei: "Nach den Freimaurer-Signalen bedeutet nämlich der erhobene Zeigefinder: Der weiß es! Seine Meinung ist richtig. Das wird aber nur den Eingeweihten mitgeteilt.

Elke Wittich schrieb in KONKRET 11/09 über das Veranstalten von virtuellem Lärm um nichts