In dem schwedischen Spielfilm „Wie im Himmel“ beschreibt die Hauptperson, ein erfolgreicher Dirigent, wie während einer Gala-Vorstellung seines Orchesters der Strom ausfällt. Minutenlang herrscht absolute Dunkelheit. Doch die Musiker spielen weiter. Sie brauchen keinen Dirigenten. Die Freude an ihrem Spiel, das Vertrauen in sich selbst und in die anderen, die Hingabe an das Stück, das sie spielen und die Gewissheit, dass alles gut wird, sind die Folgen einer Beziehungsfähigkeit bei jedem Einzelnen, die durch die gute Führung des Dirigenten in unzähligen Proben geweckt wurde und in positive Gefühle für den anderen und die gemeinsame Aufgabe übergegangen ist.
Professor Hüther, Hirnforscher an der Universität Göttingen, nennt Beziehungsfähigkeit die wichtigste menschliche Eigenschaft. Ihre Ausprägung in einem Menschen ist entscheidend für Glück und Zufriedenheit im Privaten und Erfüllung und Erfolg im Beruf. „What`s new,“ werden Sie jetzt denken. „Liebe Deinen Nächsten, wie Dich selbst“, steht schon in der Bibel geschrieben. Die spirituelle und esoterische Ecke in Buchhandlungen steht voll mit Büchern, die unter dem Titel „Achtsamkeit“ ähnliche Botschaften verkünden. Neu ist, dass diese Erkenntnis wissenschaftlich belegt wird. Der Hirnforscher stellt fest: „Was gut für das Hirn ist, ist gut für den Menschen, und was gut für den Menschen ist, ist gut für das Hirn.“
Das Gehirn besteht aus Milliarden von Zellen. Je mehr aktive Verbindungen es zwischen ihnen gibt, desto intelligenter ist es. Die Zunahme der Vernetzungsdichte ist bei einem Kind im Vorschulalter am größten. Danach flacht sie ab. Bei vielen Menschen wird sie sogar geringer. Verbindungen, die nicht genutzt werden, sterben ab…wie im richtigen Leben. Das Vernetzen von Gehirnzellen wird über so genannte Neuro-Transmitter angeregt. Auslöser für deren Produktion sind positive Erregungszustände wie Freude, Neugier, Lust und Hingabe. Es sind dieselben, die Menschen über sich hinauswachsen lassen, wie die Musiker des Orchesters in dem schwedischen Film. Der Schlüssel zu einer solchen Entwicklung ist Beziehungsfähigkeit. Sie bei Menschen zu wecken und zu nutzen, ist die vielleicht wichtigste Kompetenz einer guten Führung.
In der Abgrenzung zum Management, das sich vornehmlich mit dem Steuern und Regeln von Prozessen befasst (Human Resource Management ist Teil davon), sollte sich Führung vornehmlich um die Menschen des Unternehmens kümmern. Dabei ist wichtig zu bedenken, dass man deren Beziehungsfähigkeit im Job nicht von der Beziehungsfähigkeit im persönlichen Leben trennen kann. Ihnen werden sicherlich eigene Beispiele (gute wie schlechte) zu dieser Wechselbeziehung einfallen. Im Folgenden soll und kann es nicht darum gehen, eine Checkliste anzubieten, in der aufgelistet steht, wie man Beziehungsfähigkeit herstellt. Eine alte Weisheit aus der Erwachsenenbildung besagt, dass man Erwachsene aus „ihrem Vorgarten“ holen muss, damit sie Neues annehmen. Das geht am besten über Metaphern, Bilder oder Geschichten außerhalb ihres Erfahrungshorizonts. Der o.g. Film „Wie im Himmel“ erzählt eine solche Geschichte.
Der erwähnte prominente Dirigent ist in sein Heimatdorf zurückgekehrt, um sich von seiner Berühmtheit zu erholen. Er wird erkannt. Man bittet ihn, die Leitung des Kirchenchores zu übernehmen. Er soll den Chor auf einen internationalen Wettstreit vorbereiten. Die Mitglieder sind Bürger des Dorfes. Während der Proben brechen Konflikte auf, untereinander aber auch persönliche, die jeder aus seinem Leben mitbringt. Ein geistig behinderter junger Mann, der auch mitsingen will, wird von dem Kaufmann des Dorfes geoutet. Eine junge Frau setzt sich für ihn ein. Schließlich darf er mitsingen. Bei einer Feier, auf der ausgelassen getanzt wird, wird die Frau des gestrengen Pastors, die auch im Chor mitsingt, von ihrem Mann bei deren nächtlicher Heimkehr mit Vorwürfen überhäuft. Er verbietet ihr, weiter im Chor mitzusingen. Als der sie mit Moralpredigten und Liebesappellen überhäuft, konfrontiert sie ihn mit seinen Porno-Heften, die er hinter seinen Büchern versteckt hält und trennt sich von ihm. Der Dirigent fängt sie alle immer wieder über das Singen. In einer Probe lässt er sie kreuz und quer mit- und übereinander sich auf den Boden legen. Sie sollen einen Ton singen, jeder für sich, was natürlich irgendwann in Lachen übergeht. Sein Kommentar: Wenn ihr singen wollt, müsst ihr zuerst zuhören lernen. Und dann war da noch Gabriella, eine junge Frau mit zwei Kindern zuhause und einem gewalttätigen Mann. Alle wussten, dass er sie schlägt, und niemand hatte sich eingemischt. Als sie zu einer Probe mit zerschlagenem Gesicht kommt und erklärt, dass sie nicht mehr mitsingen will, weil ihr Mann das verboten habe, kocht es in der Chorgemeinschaft hoch. Sie alle haben von der Gewalt gewusst, und haben es geschehen lassen. Der Dirigent schreibt daraufhin ein Lied für Gabriella und bittet sie, es auf dem Chorwettstreit zu singen. Zuerst weigert sie sich, dann tut sie es doch.
Wie die Geschichte ausgeht, werden Sie erfahren, wenn Sie sich den Film anschauen. Auf jeden Fall sollten Sie sich den Clip „Gabriellas Song“ anschauen. Melodie, Mimik, Gestik und Gesang der Schauspielerin und nicht zuletzt der Text (schwedisch mit deutschen Untertiteln) vermitteln eindrucksvoll die Kraft von Beziehungsfähigkeit in der Ganzheitlichkeit von Gemeinschaft und Persönlichem. Die Führungsperson, hier der Dirigent, hatte sie durch seine Beziehungsfähigkeit ausgelöst. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter/Foto: Screenshot Youtube]