Jetzt im Wahlkampf versucht Robert Habeck den Eindruck zu erwecken, als ob die Grünen sich um die Interessen der arbeitenden Beitragszahler zur Sozialversicherung kümmern würden. Die von ihm formulierte Forderung, für Kapitalerträge Sozialversicherungsbeiträge zu erheben, ist grundsätzlich nicht falsch, aber „es ist schade, dass dieser Vorschlag vom Grünen Spitzenkandidaten Habeck kommt und nicht vom Bundeswirtschaftsminister Habeck. Offenbar fehlte Habeck in seiner Amtszeit der Mut für einen solchen Vorstoß“, sagte der Co-Vorsitzende der Linken Jan van Aken.
Bisher ist es so, dass Einkommen nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze zur Sozialversicherung herangezogen werden. Was darüber hinaus verdient wird, wird nicht berücksichtigt. (Der Arbeitnehmer zahlt Beiträge höchstens für 8.050 Euro Gehalt; was darüber hinaus verdient wird, wird nicht zur Beitragszahlung herangezogen.) In Österreich gibt es ebenfalls eine Beitragsbemessungsgrenze (Höchstbeitragsgrundlage), aber da alle in die Sozialversicherung einzahlen und nicht nur die Arbeiter und Angestellten, ist die Rentenversicherung trotzdem deutlich stabiler und kann höhere Renten zahlen.
Das heißt, dass Gutverdiener durch Habecks Vorschlag immer noch nicht mehr einzahlen würden. Habecks Vorschlag ohne irgendwelche Zahlen und Konsequenzen, wie der Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze, ergibt eigentlich keinen Sinn.
Und somit können die CDU/CSU/SPD/FDP/AFD auch auf den Vorschlag einschlagen und behaupten, damit würde den kleinen Sparern das Geld aus der Tasche gezogen werden. Damit haben sie auch noch Recht, obwohl es ihnen in der Kritik nur darum geht, den Anfängen zu wehren und das Kapital auf keinen Fall mehr für die Sozialversicherung zahlen zu lassen.
"Kapitalerträge werden besteuert. Das ist der richtige Weg. Aber sie haben mit Sozialbeiträgen nichts zu tun", sagte Cum-Ex-Bundeskanzler Scholz laut Stern. Er forderte jedoch, Gerechtigkeitslücken zwischen privat und gesetzlich Versicherten zu schließen und möchte somit die Debatte mit einer folgenlosen Floskel beenden.
Die AFD spricht in einer Stellungnahme von Peter Boehringer zwar über die deutschen Sparer, denen der Aufbau von Ersparnissen für die Altersvorsorge, die sie benötigen, wenn die Rente später nicht reicht, erschwert werde. Aber in der Überschrift dieser Stellungnahme steht „Sozialabgaben auf Kapitalerträge verschärfen die Kapitalflucht aus Deutschland“. Und da geht es eindeutig nicht um den armen Sparer aus der Arbeiterklasse, sondern um die reichen Kapitalbesitzer, die die AFD schützen will. FDP-Generalsekretär Marco Buschmann warf Habeck sogar vor, Kapitalanleger „ausplündern“ zu wollen.
Die Idee, die Arbeitgeber, die durch einen hohen Grad an Automatisierung zwar hohe Gewinne erwirtschaften, aber kaum Mitarbeiter beschäftigen, mit höheren Beiträgen zur Sozialversicherung heranzuziehen, ist bereits etwas älter, aber am Widerstand der CDU/CSU gescheitert.
Arbeitsminister Ehrenberg brachte in der sozialliberalen Koalition Ende der 1970er-Jahre die Wertschöpfungsabgabe ins Gespräch. Die Beiträge für die Sozialversicherung und insbesondere für die Rentenversicherung würden dann nicht mehr an der Lohnsumme ansetzen, sondern an der Wertschöpfung des Unternehmens.
Das heißt, die Kapitalerträge und Abschreibungen werden mit erfasst. Tendenziell werden dann Betriebe, die mit vergleichsweise vielen Menschen arbeiten, entlastet und die kapitalintensiven tendenziell mehr belastet. „Tendenziell“ meint, es gibt keine ruckartigen, sondern kleine Verschiebungen zugunsten der lohnintensiven Betriebe, Verwaltungen und Werkstätten. (Quelle).
Die Wertschöpfungsabgabe – die in früheren Debatten als Maschinensteuer denunziert wurde, um Assoziationen zur Maschinenstürmerei zu erzeugen – hat den Charme, dass tatsächlich die Unternehmen zur Sozialversicherung herangezogen würden und über Freigrenzen für Kapitaleinkünfte der Arbeitnehmer nicht nachgedacht werden müsste, was bei Habecks Vorschlag der Fall ist. Nur für Kleinbetriebe, Ein-Mannbetriebe und Landwirte müssten Sonderregelungen geschaffen werden, weil sie sonst eine Abgabe für die eigene Arbeitsleistung zahlen müssten. [jdm]