25.10.2001 Ehrenbürgerrechte für jüdische Mitbürgerin
Lathen.- Mit einer nachahmenswerten Aktion hat die Gemeinde Lathen ein Zeichen der Mahnung und Erinnerung gesetzt. Im Rahmen eines feierlichen Rahmens verlieh Bürgermeister Wolfgang Berger der einzigen jüdischen Mitbürgerin, Erna de Vries per Urkunde und Ring die Ehrenbürgerrechte der Gemeinde Lathen. Die heute 78-Jährige überlebte das Konzentrationslager Auschwitz und lebt seit über 50 Jahren in Lathen.
In Anwesenheit vieler Gäste, darunter auch dem Rabbiner der Jüdischen Gemeinde, Marc Stern, wies Bürgermeister Wolfgang Berger darauf hin, dass bisher nur Dr. Hermann Frerker 1991 diese Ehre zuteil wurde. Berger betonte: ,,Anhand Ihrer Biografie Frau de Vries ist erkennbar, welches unsägliche Elend und Leid, Ihnen, Ihrer Familie sowie den anderen jüdischen Mitbürgern widerfahren ist". Auch in Lathen sei die erst sechs Jahre alte Synagoge in der Reichsprogomnacht am 9. November 1938 angezündet worden. ,,Mit unvorstellbarem Hass wurde getötet, gefoltert, geraubt und zerstört", so der Ratsvorsitzende weiter. Er ergänzte: ,,Was an diesem Tag geschah, das geschah nicht im Verborgenen, das geschah vor aller Augen."
Dabei seien die 30 jüdischen Familien voll in die Lathener Dorfgemeinschaft integriert gewesen. So gingen jüdische Kinder seit jeher zur katholischen Volksschule und mit bischöflichen Einverständnis auch zur Mittelschule.
Trotz der schrecklichen Vergangenheit habe Erna de Vries in Lathen als jüdische Mitbürgerin einen Neuanfang gewagt. ,,Durch ihr Leben in unserer örtlichen Gemeinschaft habe Sie einen entscheidenden Beitrag zur Aussöhnung und Versöhnung geleistet", betonte Berger in seiner Laudatio. Erna de Vries habe keine Abrechnung mit der Vergangenheit verlangt, sondern durch ihren Umgang mit den Mitmenschen und besonders der Jugend, der Zukunft eine Chance gegeben.
Oberkreisdirektor Hermann Bröring forderte die Emsländer auf: ,,Die braunen Horden konsequent zu bekämpfen." Die Bürger müssten wachsam sein, um Rassismus und Antisemitismus zu begegnen. Auch im Emsland würden Friedhöfe geschändet, und gebe es leider eine ,,wachsende Fremdenfeindlichkeit". Bröring forderte ein Klima der ,,Akzeptanz und Toleranz" auch gegenüber Aussiedlern. Samtgemeindebürgermeister Josef Gieseke bescheinigte der Ehrenbürgerin, dass sie sich stets für eine ,,friedliches Miteinander" eingesetzt habe. Michael Grünberg, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Osnabrück, betitelte die Auszeichnung als ,,große Ehre für die Jüdische Gemeinde". Auf der anderen Seite sei es jedoch auch ,,eine große Auszeichnung für Lathen, dass Erna de Vries die Ehrenbürgerrechte entgegengenommen hat". Die 78-jährige selbst nahm die ,,hohe Auszeichnung" nach ihren eigenen Worten auch ,,stellvertretend für meinen verstorbenen Mann und die ermordeten Lathener Juden entgegen". Mit der Hoffnung auf Frieden in der Welt (,,Shalom") beendete sie unter stehenden Ovationen der rund 100 Gäste ihre Rede.