Patent geht vor Patient
Harald Neuber 23.05.2001 Im Streit um die Herstellung von
medizinischen Nachahmeprodukten haben die Pharmakonzerne bei der Jahreskonferenz der WHO
einen Teilsieg errungen
Fast 200 Staaten haben sich im Rahmen der Jahreskonferenz der
Weltgesundheitsorganisation ( WHO) in einer gemeinsamen Erklärung
verpflichtet, die Anstrengungen im Kampf gegen die Immunschwächekrankheit Aids zu
steigern. Die gestern zu Ende gegangene Konferenz wurde dabei von einem Streit um die
Verfügbarkeit von Aids-Präparaten für Staaten der Dritten Welt überschattet.
Brasilien scheiterte am Sonnabend im Genfer "Palais des Nations" mit der
Forderung nach einem vereinfachten internationalem Zugriff auf Arzneimittel, die zur
Herstellung gebrauchsüblicher Wirkstoffcocktails gegen die Pandemie dienen. Gegen das
Vorhaben laufen internationale Pharmakonzerne, unter ihnen die US-amerikanische Merck-Gruppe und das Schweizer Unternehmen Roche, Sturm. Sie sehen den internationalen Pharmahandel
durch die Untergrabung ihrer Patentrechte gefährdet. In Genf konnten die Hersteller nun
einen Punktsieg erlangen: In die nach zweitägigen Beratungen verabschiedete Resolution
wurde Brasiliens Position nicht aufgenommen.
Dabei hatte die UN-Menschenrechtskommission noch vor einem Monat die Forderung des
südamerikanischen Landes nach freiem Zugang zu lebensrettenden Aids-Medikamenten
unterstützt. 52 der 53 Mitgliedsländer des Gremiums stimmten für einen entsprechenden
Antrag, einzig die USA enthielten sich der Stimme. Die Resolution definiert den freien
Zugang zu pharmazeutischen Basissubstanzen und Medikamenten gegen Aids als Voraussetzung
des Menschenrechts auf physische und geistige Unversehrtheit. In dem Dokument werden zudem
alle Staaten aufgefordert, bedürftigen Ländern heilende oder vorbeugende Pharmazeutika
zur Verfügung zu stellen.
Zeitgleich konnte die südafrikanische Regierung vor einem Monat einen Sieg über die
39 bedeutendsten Konzerne verzeichnen, die eine Klage vor dem Obersten Gerichtshof in
Pretoria zurückzogen ( AIDS in Afrika. Mit der
Klage wurde ein 1997 beschlossenes Arzneimittelgesetz blockiert, das die Herstellung sowie
den Import entsprechender Generika ins Land regeln sollte. Allein in Südafrika leben bei
einer 42-Millionen-Bevölkerung schätzungsweise 4,7 Millionen HIV-Infizierte - jeder
neunte Landesbürger ist also betroffen.
Sowohl Südafrika wie auch Brasilien berufen sich in Anbetracht entsprechender
Verbreitungszahlen auf eine Regelung der Welthandelsorganisation, nach der Patentrechte an
Gültigkeit verlieren, sofern aufgrund einer Krankheit der nationale
"Gesundheits"-Notstand bestehe. Tatsächlich bedeutet die hohe Verbreitungsquote
des HI-Virus in vielen afrikanischen Staaten eine ernsthafte Bedrohung der
Nationalökonomie. Neben dem Ausfall von Arbeitskräften stehen Ländern wie Südafrika
oder Kenia erhebliche Kosten für die Behandlung von Menschen bevor, bei denen die
Krankheit ausgebrochen ist. An diesem Punkt kommen die Menschenrechte ins Spiel.
Denn viele Staaten der Dritten Welt werden sich eine solche medizinische Betreuung
ihrer Bürger schlichtweg nicht leisten können - und sehen damit mehr oder minder
machtlos einer humanitären Katastrophe entgegen. Nach Angaben der Generaldirektorin der
Weltgesundheitsorganisation, Gro Harlem Brundtland, ist das Gesundheitsbudget der 30 von
HIV am härtesten betroffenen Staaten auf durchschnittlich zwei Dollar pro Jahr und Kopf
gesunken. "Der Gesundheitsminister von Malawi schilderte mir kürzlich, dass die
Abwertung der Landeswährung die Regierung dazu veranlasst habe, diesen Posten auf 1,75
Dollar pro Kopf und Jahr zu senken", sagte Brundtland die Situation bei einem
Arbeitstreffen zur Thematik Anfang April in Norwegen.
Durch die desolate Wirtschaftslage der betroffenen Länder werden die Kosten zunehmend
auf die Familien abgewälzt. Im Resultat haben weniger einkommensschwache Menschen Zugang
zu einer adäquaten Gesundheitsversorgung. Sogenannte "Out-of-pocket payments"
machen in einigen armen Staaten schon bis zu 90 Prozent der Gesundheitsausgaben aus. Die
finanzielle Belastung für Bedürftige ist in jedem Fall enorm: Eine Behandlung eines an
AIDS erkrankten Menschen liegt bei durchschnittlich 10000 Mark pro Jahr. Auch die
Behandlungskosten bei Malaria oder Polio liegen in der Regel außerhalb der finanziellen
Möglichkeiten der Betroffenen.
Zunehmend hoffen Regierungen der Dritten Welt wie Nichtregierungsorganisationen und
UN-Institutionen daher auf eine mittelfristige Verbesserung der Lage durch die Herstellung
von Generika. Nach Meinung der "Bundeskoordination Pharma-Kampagne" in Bielefeld
ist eine stärkere Intervention der WHO dringend notwendig: "Wir können auf eine
WHO-Liste der unentbehrlichen Arzneimittel zurückgreifen, die ein sehr gutes
Arbeitsinstrument darstellt", sagt Hedwig Diekwisch von der Kampagne. In der
Zusammenstellung werde klar, dass mit ganz wenigen Medikamenten die meisten der
Krankheiten geheilt werden könnten. Mit solchen Methoden wird der letzte Ausweg aus einer
einfachen Marktlogik gesehen: No cash, no cure.
Anderer Meinung sind indes die betroffenen Pharmakonzerne, und sie können dabei mit
der Unterstützung der US-Regierung rechnen. Die im Visier stehenden Unternehmen wollen
ihrer Verantwortung dadurch gerecht geworden seien, dass sie die Preise für die
benötigten Produkte in den rebellierenden Staaten rapide gesenkt haben. Eine
entsprechender Schritt war auch der Klageniederlegung in Südafrika vorausgegangen. Die
US-Regierung, der Brasilien im Streit gegenübersteht, sieht die WTO-Auflagen damit
erfüllt. Schließlich dürften Patente, so heißt es in Washington, nur dann gebrochen
werden, wenn die Lizenzinhaber es verfehlten, einem Staat das Produkt zur Verfügung zu
stellen. Die Befürchtung ist offensichtlich, dass von dem Fall eine Präzedenz ausgeht,
mit der auch die Unterhöhlung anderer Patente von Entwicklungsländern beginnen könnte.
Nach Meinung der Leitung des Schweizer Unternehmens Roche verhindere der Schutz
geistigen Eigentums, den man durch die Staaten der Dritten Welt attackiert sieht,
keineswegs die medizinische Behandlung. In der Firmenzeitung des Unternehmens sieht man
die Sache wie folgt: "Roche leistet (auf dem Gebiet der AIDS-Forschung)
Bahnbrechendes und investiert unter anderen 800 Millionen Schweizer Franken, um zwei
völlig neuartige Medikamente, sogenannte Fusionshemmer, zu entwickeln. Solche
Innovationen können nur auf der Basis eines angemessenen Patentschutzes realisiert
werden." Für unangemessen halten Kritiker allerdings den 20-jährigen Schutz
pharmazeutischer Patente. In dieser Zeit kann der Patentinhaber die Preise weitgehend
selber bestimmen.
Auch der deutsche Verband forschender
Arzneimittelhersteller sieht die Branche einer unberechtigten Kritik ausgesetzt. Man
müsse die Rechtslage völlig von der AIDS-Thematik abkoppeln", fordert deren
Sprecher. In Afrika herrschten oft tiefer greifende Probleme , als der Zugriff auf
Arzneimittel. Bevor ein Patient "in unzivilisiertem Gebiet" versorgt werden
könne, müsse zunächst die Frage der Logistik geklärt werden. Indes: Die Hoffnung ist
nicht groß, dass Pharmaunternehmen künftig den Straßenbau in der Dritten Welt
übernehmen.