- Rundschreiben 1/99
Biopiraterie 500 Bauern aus Indien protestieren im Juni auf dem Gegengipfel von Köln |
OPERATION:
»Verbrennt Monsanto« Biotechnologie-Konzerne preisen genmanipulierte Nutzpflanzen gern als Segen für Entwicklungsländer an. In Indien stoßen sie auf erbitterte Ablehnung: Die Operation »Verbrennt Monsanto« begann am 8.11.1998 gegen Mittag im Dorf Maladagudda, nördlich der indischen Großstadt Bangalore, auf einem Baumwollfeld. Höchstpersönlich riß Mr. Basanna, der Besitzer des Ackers, die erste Baumwollpflanze aus, tatkräftig unterstützt vom Bauernverbandspräsidenten Professor Nanjundaswamy. Die Menge folgte dem Beispiel, binnen weniger Minuten war das Feld kahlgepflückt & die Ernte zu einem Scheiterhaufen aufgeschichtet. Der flammende Protest war Auftakt einer ganzen Serie von Aktionen gegen den US-Konzern Monsanto, der in Indien genmanipulierte Baumwolle testet. Der Biotechnologie-Gigant, der mit dem Slogan »Food, Health, Hope« wirbt und gern darauf verweist, mit seinen Produkten die Ernährungslage in der Dritten Welt zu verbessern, stößt in Indien auf Feindseligkeit. Viele Kleinbauern sehen in den Fortschritten der Gentechnik keinen Segen, sondern eine Bedrohung ihrer Existenz. Der Bauernverband Karnataka Rajya Raitha Sangha (KRRS), Initiator der Kampagne, bezeichnet Monsanto gar als »kriminelle Vereinigung«. Im vergangenen Jahr kaufte der Konzern eine Reihe von Saatgutfirmen auf, unter anderem beteiligte er sich an dem indischen Unternehmen Mahyco. Jetzt kontrolliert die Allianz den indischen Markt für Baumwollsaat ein Politikum, da Baumwolle zu den wichtigsten Exportprodukten des Landes zählt. Bislang gewinnt die oft hochverschuldete Landbevölkerung in Südasien ihr Saatgut noch überwiegend selbst, indem sie einen Teil ihrer Ernte dafür abzweigt. Umweltschützer befürchten, die Bauern könnten bald gezwungen sein, diese alte Tradition aufzugeben und ihr Saatgut teuer zu bezahlen. Genährt wird diese Furcht durch Gerüchte, Monsanto hetze in den USA Farmern Detektive auf den Hals, um herauszufinden, ob Landwirte vertragswidrig einen Teil ihrer genmanipulierten Ernte wieder aussäen. Noch empörter reagierten die indischen Bauern auf ein im vergangenen Frühjahr erteiltes US-Patent der Firma Delta & Pine Land. Dem Unternehmen das derzeit ebenfalls vom Monsanto-Imperium geschluckt wird gelang es, durch eine Genmanipulation Tabak & Baumwolle zu erzeugen, deren Samen nicht mehr keimfähig sind. Grundsätzlich läßt sich der Eingriff auch bei anderen Nutzpflanzen vornehmen. Gentechnik-Gegner kritisieren die Entwicklung als »Terminator-Technologie«, da sie die Bauern zwingt, jedes Jahr neues Saatgut einzukaufen. Zwar handelte es sich bei den Pflänzchen, die auf Basannas Acker nach Auskunft der KRRS eher kümmerlich gediehen, nicht um Terminator-Kräuter, sondern um insektenresistente Gen-Baumwolle der Marke »Bongard«. Wut und Mißtrauen rief jedoch das Vorgehen der Mitarbeiter von Mahyco-Monsanto hervor, die, wie Basanna berichtet, ausgewählten Bauern kostenlos Saatgut angeboten hätten. Daß es sich um genmanipulierte, in Indien kommerziell noch gar nicht zugelassene Pflanzen handelte, sei den Abnehmern nicht bewußt gewesen. »Sie haben die Bauern weder über das Saatgut informiert«, empört sich die indische Umweltschützerin Vandana Shiva, »noch über international übliche Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der umliegenden Felder.« Aktivisten wie Shiva mißtrauen dem Biotech-Boom auch aus einem anderen Grund: Nicht nur, warnen sie, laufen die Bauern Gefahr, das Recht an ihrem Saatgut zu verlieren; womöglich müsse die indische Landbevölkerung sogar ihre altbewährten Kräuter und Hausmittel eines Tages im Supermarkt kaufen weil Biotechnologie-Konzerne Patente darauf halten. Nicht einmal Reis, Grundnahrungsmittel für Millionen von Asiaten, bleibt vom Zugriff der Patentanwälte verschont: Die texanische Firma RiceTec sicherte sich die Rechte auf eine neue Variante von Basmati-Reis, einer seit Jahrhunderten kultivierten Sorte. Erfolgreich fochten indische Anwälte ein Patent auf die Curry-Zutat Kurkuma an. Sie verwiesen darauf, daß Gelbwurz auf dem Subkontinent seit jeher als Gewürz und Heilmittel bekannt sei. Die indische Regierung steht unter internationalem Druck, ihr Patentrecht den Vorgaben der Welthandelsorganisation WTO anzupassen. Umweltschützer fürchten den ungehemmten Ausverkauf der Gen-Ressourcen. »Wir beobachten seit Jahren eine Bio-Piraterie aus den Ländern des Nordens«, sagt Shiva, »es wäre Irrsinn, das Patentrecht vorschnell zu ändern.« Nun grassiert die Angst, Genjäger könnten heimlich die biologischen Reichtümer des Landes plündern. So ertappten Zöllner kürzlich einen Amerikaner, der verdächtige Proben außer Landes schmuggeln wollte Erbgut von Haien aus dem Indischen Ozean für genetische Studien in den USA. Professor Nunjandaswami und 500 der betroffenen Bauern wollen ihren Flammenden Protest im Juni 1999 auf den Kölner (Gegen-) Gipfel tragen: Herzlich Willkommen!
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»Die Abwesenheit des Heiligen« Das Vampir Projekt: |
Wissenschaftler
auf der Jagd nach den Genen der Ureinwohner Südlich der Stadt Syracuse verlässt man die USA und betritt das Onondaga Nation Territory. Onondaga ist das politische Zentrum von Iroquoia, dem Einzugsgebiet der Irokesen. Sechs Nationen umfaßt der Völkerbund: Mohawk, Cayuga, Oneida, Onondaga, Seneca und Tuscarora. Aber die juristische Gewalt der USA reicht nicht hinein in die kleine Welt von Onondaga. Noch immer werden hier die Häuptlinge von den Clan-Müttern ernannt, den ältesten Frauen des Stammes, seit 800 Jahren regelt das Große Gesetz des Friedens als Verfassung das Zusammenleben und die Beziehung zum weißen Amerika. Im 18. Jahrhundert studierte Benjamin Franklin diese Verfassung und sah in ihr ein Vorbild für die neuen Kolonien. Hier treffe ich Oren Lyons, Mitglied des Rats der Häuptlinge. Lyons ist Maler, Professor für Native American Studies an der University of Buffalo und Politiker. Oren Lyons ist in Sorge: Das »Human Genome Diversity Project« will weltweit die Gene bedrohter Völker untersuchen. Eine Liste ist aufgetaucht mit 722 Völkern Onodaga ist eines davon. Oren Lyons sagt: Wir wollen wissen, was es damit auf sich hat, Völker, die vom Aussterben bedroht sind, noch schnell genetisch zu erfassen, bevor sie endgültig verschwunden wind. Man will unsere DNA. Man will unser Blut. Wir haben es also mit einer Rückkehr zu den anthropologischen Studien des 19. Jahrhunderts zu tun. Blutproben, Hautproben, Haarproben. Wir werden untersucht, gemessen, katalogisiert. Plötzlich, beim Human Genome Diversity Project, haben wir es mit indigenen »Nationen« zu tun. Ist das nicht seltsam: Auf der einen Seite ist es so verdammt schwierig, uns als Nationen anzuerkennen, und auf der anderen Seite passiert es ohne unser Drängen. Wie wir wissen, sind die USA dabei, Gene patentieren zu lassen. Sie haben bereits versucht, die Gene eines Menschen in Panama zu patentieren. Dann gibt es diesen Mann aus Papua-Neuguinea, der bereits patentiert ist. Jetzt sagen die Gerichte, die Gewebe- und Blutproben sind im Labor modifiziert worden und gehören daher nicht mehr der Person, der sie entnommen wurden. Jetzt bewegen wir uns auf die Frage zu, wem was gehört. Es ist sehr raffiniert, dein Blut als nicht mehr dein Eigentum zu bezeichnen, nur weil es durch einen Laborprozess gegangen ist. Das hier ist eine moralische Frage. Ein Buch fällt mir ein, das ein Freund von mir geschrieben hat, Jerry Mander. Das Buch heißt: In der »Abwesenheit des Heiligen«. In der Abwesenheit des Heiligen: anything goes alles ist möglich. Und dann kam HUGO. HUGO steht für das Human Genome Project. Dahinter verbirgt sich ein internationales Geflecht von Forschern und Instituten, die sich zum Ziel gesetzt haben, die gesamte Erbinformation des Menschen zu entschlüsseln. Sogenannte Sequenzier-Roboter entziffern heute das Erbgut des Menschen. Derzeit gelten nahezu 15 000 Gene als entschlüsselt. Zwei Jahre nach HUGOs Start meldete sich eine Gruppe von Wissenschaftlern der Stanford University in San Francisco und kritisierte, HUGO würde die zum Teil isoliert lebenden indigenen Völker ignorieren & damit nicht der Vielfalt der menschlichen Rasse Rechnung tragen. Das führte schließlich zur Gründung des Human Genome Diversity Project. Das Tochterprojekt von HUGO begann im Geheimen. Als die ersten Ureinwohner, es waren die Maori Neuseelands, vom Human Genome Diversity Project erfuhren, gaben sie ihm einen neuen Namen: Das Vampir-Projekt! Es ist unentschuldbar, in Gemeinschaften indigener Völker einzudringen und Blutproben zu nehmen, ohne die Bewohner darüber aufzuklären, was mit ihrem Blut geschieht. Auch wenn sie die Wahrheit nicht erfahren, so können die Ureinwohner dennoch fühlen, was in den Labors geschieht. Blut ist für indigene Völker etwas Heiliges. Wenn Teile vom restlichen Körper getrennt werden, so sagen unsere Ältesten, dann lebt die Erinnerung in ihnen weiter und mit ihnen der Lebensplan. Mittels gewisser traditioneller Rituale und Methoden haben sie die Gewißheit darüber gewonnen, daß die Erinnerung und die Identität ihrer Ahnen in ihrer eigenen Person und ihrem eigenen Bewußtsein fortlebt. Wenn das Blut indigener Menschen mißbraucht wird, dann fühlen das diese Menschen. Sie können es physisch spüren, wenn die Essenz der Erinnerung vorangegangener Generationen manipuliert wird, damit andere davon profitieren. Die genetische Identität gehört dem Menschen. Wenn uns irgendwas noch gehört, dann ist es das. Vielleicht ist dies die modernste Form des Kannibalismus. Die Kannibalen kommen von Universitäten und privaten Firmen. Sie haben offenbar erkannt, daß unsere Isolation für sie ein gutes Geschäft bedeuten kann. Das reicht vom Human Genome Diversity Project bis hin zu Gen-Banken der US-Armee. Die Proben enden dann in Privatbesitz. GATT, das Generalabkommen für Handel & Verkehr, erlaubt den Handel mit allem. Dazu kommt ein Patentsystem, das ermöglicht, wertvoll erscheindende Gene und DNA-Sequenzen zu patentieren. Damit gerät man in den Besitz des Kapitals. Deshalb nenne ich es eine moderne Form der Sklaverei. Die US-Armee sammelt Gen-Proben rund um die Welt, vor allem von jenen, die sie als »isolierte Populationen« bezeichnen. Sie bewahren ihre Proben in Fort Dittrich auf, dem US-Zentrum für biologische Kriegsführung. Diese Stoffe werden verwaltet von der Firma SAIC, in deren Vorstand Leute sitzen, die wiederum mit dem CIA und dem National Defence Council verbunden sind. Zum einen kommen die Gen-Proben also vom Militär, zum anderen von einer öffentlichen Einrichtung, dem National Institute of Health, und beide arbeiten zusammen. Und es gibt keine Richtlinie, die besagt: Eine Probe darf nur für diese bestimmte Art von Forschung verwendet werden. Und was wird in den Labors untersucht? Wer ist genetisch gegen Krankheiten gewappnet und wer nicht? Lassen sich gar unsichtbare Gifte entwickeln, die bei einer Gruppe angewendet werden, die ein Problem darstellt? Vor 3 Jahren kamen sie und wollten die Gene der Aitas, eine der indigenen Gruppen auf den Phillipinen. HoffmannLaRoche erfuhr von einem Doktor in Aloha auf Hawai'i, der mit einem Ärzteteam in die Region eines Vulkanausbruchs gehen wollte, genau die Region, in der die Aitas leben. Hoffmann LaRoche wollte wissen, ob sie eigene Wissenschaftler schicken könnten, um das Hilfsteam zu den Aita zu begleiten, um auf diesem Weg genetisches Material der Aitas zu gewinnen. Man geht in ein Katastrophengebiet und sammelt Gene, verborgen unter dem Mantel der Hilfeleistung. Makabre Wissenschaft Die Igorot gehören zu den über 700 Völkern, von denen genetisches Material gesammelt werden soll. Sie leben in Australien, wo 36 Stämme ausgewählt worden sind. Und beim Sammeln der Proben haben sie die Leute einfach angelogen. Es ist eine Vermessenheit der Wissenschaftler, anzunehmen, sie hätten ein Recht, das zu tun, ungeachtet unserer Zustimmung. Es ist diese Haltung, die mich wütend macht. Sie begreifen nicht, was sie uns antun. Aber wann hatten wir denn je eine Stimme? Und ich habe den Verdacht, sie können unser genetisches Material benützen, um uns zu diskriminieren. Wir haben überhaupt keine Garantien, ob unser genetisches Material nicht gegen uns verwendet wird, zum Beispiel, um zu bestimmen, wie sehr wir überhaupt Indianer sind oder nicht, ungeachtet, wie lange wir hier schon leben. Sobald die unser genetisches Material geklont haben, gibt es keine Möglichkeit, es wieder zurück zu holen oder in irgendeiner Weise die Kontrolle darüber zu haben. Indigene Völker werden untersucht, weil sie vom Aussterben bedroht sind. Das ist makabre Wissenschaft! Warum konzentrieren sich die Wissenschaftler nicht darauf, diese Völker und ihre Kulturen und ihre Wirtschaft zu erhalten, so daß ihr Überleben gesichert ist? Viele der Wissenschaftler studieren uns & dann verraten sie uns. Die Anthropologen sind gefährlich für uns, denn sie kennen uns sehr gut. Angeblich sind sie auf unserer Seite, doch am Ende stehen sie auf der anderen Seite. Chiapas Eine Stimme sagt: »Ich komme aus dem Hochland von Chiapas und gehöre zum Volk der Tzotzil Maya. Mein Volk ist auf der Liste. Es ist ein Schock. Ich hatte keine Ahnung über die Dimension des Ganzen. Für uns und für alle Ureinwohner Amerikas ist das wie ein Deja-vu: Sie werden nicht aufhören, uns auszunutzen, bis wir von der Erdoberfläche verschwunden sind. Ich fühle mich hoffnungslos«. Ein Angriffspunkt ist das sogenannte Einverständnis in Kenntnis aller Umstände, im amerikanischen Recht »informed consent«. In den Arztberufen ist dieser Terminus ein wichtiger Bestandteil im Verhältnis zum Patienten. Es dürfen keine Proben dem menschlichen Körper entnommen werden ohne Einwilligung des Betroffenen. Die Person, von der Blut- und Haarproben genommen werden, muß wissen, für was die Körpersegmente benutzt werden. In den 30er und 40er Jahren wurde bereits die Bevölkerung ohne »informed consent« mißbraucht: US-Bürger wurden mit radioaktivem Material gespritzt. Damals handelte es sich bei den Testpersonen um Insassen von Gefängnissen und Krankenhäusern, Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung. EUGENIC »Der Wohlgeborene« Sie alle protestieren, weil sie die eine Angst haben: HUGO samt seinem Sproß »Human Genome Diversity Project« könnten bei zunehmenden Fortschritten in der Molekularbiologie zu einem Wiederaufleben der Eugenik führen. Die Bemühungen von Regierungen, ihr Volk genetisch zu verbessern, gab es schon bevor Galton dem Ganzen einen Namens gab: seit 1757 besteht zum Beispiel in Schweden ein Eheverbot für Epileptiker. Die Eugenik führte in den Einwanderungskontinenten Nordamerika und Australien zu Imigrationsbeschränkungen für bestimmte Rassen. 50 Jahre später klingt es kaum anders. Die in Wisconsin erscheinende indianische Zeitung »News from Indian Country« belegte dies in einer Ausgabe im Herbst 1997 mit Zitaten aus den 70er Jahren; damals sagte Salvador Luria, Professor für Biologie in Harvard: »Wir werden womöglich Zeuge sein, wie Viren erfunden werden, die sich in einer feindlichen Bevölkerungsgruppe ausbreiten; ebenso Gene, die eine Empfindlichkeit gegenüber Giften oder eine Tumoranfälligkeit auszeichnet, oder gar Gene, die Defekte übertragen mit anderen Worten: ein genetischer Genozid könnte möglich werden.« Ebenfalls aus der renomierten Harvard University in Cambridge, Massachusetts stammt das Zitat des Bakteriologen Professor Bernard Davis: »Wir brauchen ein eugenisches Programm, das darauf abzielt, die Zahl jener Individuen zu verringern, deren genetische Ausstattung ihre Fähigkeit begrenzt, mit einer veränderten, technologisch komplexen Umwelt fertig zu werden.« *** Der britische Fernsehsender »Chanel 4« hatte einen Dokumentarfilm in Auftrag gegeben: Den Film »Gene Hunters«. Die Filmer begleiteten ein Team von Ärzten und Biochemikern zu isolierten Stammesgruppen im Regenwald Kolumbiens. Aus »Gene Hunters« stammen die folgenden Zitate der Wissenschaftler: Dr. Janielle Noble, Mitarbeiterin des Pharmakonzerns Hoffman LaRoche, sagt: »Ich denke, daß der Wert des Human Genome Diversity Project unschätzbar hoch ist. Wir müssen Zugang haben zu diesen Proben, um untersuchen zu können, wie sich Gene in isolierten Bevölkerungen entwickelt haben. Wir müssen es tun, solange sie noch einigermaßen isoliert sind. Wir können bei Völkern wie hier, die sich noch nicht vermischt haben, zu Erkenntnissen gelangen, die wir an unserer gemischten Gesellschaft anwenden können. Damit sind wir in der Lage, für das Human Genome Diversity Project einen wertvollen Beitrag zu leisten. Den Nutzen, den der Stamm dadurch hat, ist der, daß wir mit einem Ärzteteam hierher kommen und für die Zeit unserer Anwesenheit den Leuten einen kostenlosen Zahnarzt bieten. Es hat keinen Sinn, ihnen zu erklären, was wir mit der DNA anfangen, denn sie würden es doch nicht verstehen. Diese Bluproben aus Kolumbien sind eine Goldgrube.« *** Ein Grundbegriff der Molekularbiologie ist die Zell-Linie, im englischen: cell line; es handelt sich dabei um eine Kette genetisch identischer Zellen, die sich ständig durch Zellteilung vermehren, solange sie im Labor Idealbedingungen vorfinden. Zellen des menschlichen Körpers, aus Haut-, Haar- oder Blutproben gewonnen, können in speziellen Nährmedien gezüchtet werden. Die Eigenschaft einer sogenannten »Unsterblichkeit« machen derartige Zell-Linien zu einem extrem wertvollen Bestandteil der Genforschung. Ein Laborrundgang mit Professor Ken Kidd durch die Abteilung für Molekularbiologie der Yale University im US-Staat Connecticut hört sich so an: »Hier haben wir es mit Zellen eines Digi aus dem Kaukasus zu tun; Resultat einer Zusammenarbeit mit Individuen in Rußland. Hier haben wir Zellen von sibirischen Ureinwohnern, und das hier sind die Zellen nordamerikanischer Indianer. Die Zellen auf dieser Seite wachsen nicht sehr gut, aber diese wachsen dafür sehr, sehr gut. Ein Farbindikator zeigt an, wenn sich der PH-Wert verändert und sie wieder mit Nährstoffen versorgt werden müssen. Jetzt kommen wir zum letzten Stadium einer Zellwachskultur. Wir befinden uns im Wärmeraum, der auf einer konstanten Körpertemperatur gehalten wird. Das sind menschliche Zellen aus den Gläsern, die wir vorher gesehen haben. Wenn ihr Volumen zugenommen hat, verpflanzen wir sie in diese rotierenden Glasflaschen, in denen Temperatur und Bewegung dafür sorgen, daß sie sich weiter vermehren können. Aus einem solchen Zellvorrat können wir dann die gewünschten Mengen DNA entnehmen.« Diese Geschäfte & Manipulationen liefen besser, gäbe es nicht R.A.F.I. in Kanada. Ausgeschrieben heißt die Organisation »Rural Advancement Foundation International«. In den 80er Jahren deckten sie die Methoden der Saat-Multis auf, die systematisch lokale Getreidesorten und lokale Farmwirtschaft weltweit zerstören. R.A.F.I. versorgt heute die kleinen Völker im Visier der Gentechnik mit den nötigen Informationen. In North Carolina spreche ich mit Edward Hammond, dem Leiter des US-Büros von RAFI: »Es ist uns gelungen, dem Ganzen eine Dollarperspektive zu verpassen: 428 Millionen Dollar beträgt derzeit der Jahresumsatz in menschlichen Proben. Wir haben es mit einer Industrie zu tun, die im Wachsen begriffen ist, nach Einschätzung von Experten mit einer jährlichen Wachstumsrate von 13 Prozent. Mit Beginn des nächsten Jahrhunderts ist mit einem Jahresumsatz von einer Milliarde Dollar zu rechnen. Sobald diese Organ- und Körperteil-Industrie aus den Kinderschuhen heraus ist, wird nach Meinung der Experten, mit einem Jahresumsatz von 80 Milliarden zu rechnen sein. Wir haben es also mit viel Geld zu tun, wenn wir die Patentierung und den weltweiten Handel mit Bestandteilen des menschlichen Körpers betrachten. Was als besorgniserregender Faktor noch hinzu kommt, ist die Verquickung von Industrie und Militär. Wissenschaftler beider Bereiche sammeln und untersuchen gemeinsam Proben menschlicher Vielfalt. Wir haben heraus gefunden, daß eine Vertragsfirma des US-Verteidigungsministeriums, Science Application International, auf das Sammeln genetischen Materials spezialisert ist und sonst für das US-Gesundheitsministerium arbeitet. Die Firma entwickelt auch Verfahren zur genetischen Sequenzierung. Die fehlende Mitwirkung, die fehlende Einladung zur Teilnahme, die ganze Art, wie das Projekt durchgezogen wurde, ist für mich kolonialistisch. Ich kann deutlich sehen, warum aus den Kreisen indigener Völker der Vorwurf des Kolonialismus kommt. Die Mitarbeiter versuchen, Proben von den vom Aussterben bedrohten Kulturen zu bekommen, solange sie noch existieren. Es ist interessant, daß Anthropologen es als Ziel ihrer Arbeit erachten, das genetische Material indigener Völker zu retten, aber nichts unternehmen, um die Kulturen selbst zu retten.« Claus Biegert |
Ein medico Spenderprojekt zum 30jährigen Jubiläum | Der
Markt ordnet an:
Auf der Höhe der 30jährigen medico Existenz: Ein neues Jahrtausend vor Augen. Die traurige Lage des bedrohten Menschen im Sinn. In armen wie in reichen Ländern. Weil in aller Welt patentiert, rationalisiert, kalkuliert, erfaßt, leistungsbezogen vermessen und nun auch genetisch zugerichtet. Das ist das Bild vom heutigen Menschen. Unser altes enges Bündnis mit den Spenderinnen & Spendern bedarf vielleicht eines neuen Beschlusses: Die neuesten Techniken des Human Engineering zu erkennen, zu begreifen, zu veröffentlichen, zu demonstrieren & und auf demokratische Weise das Maß dessen genau zu bestimmen, was wir wollen und was wir auf keinen Fall für menschengeeignet halten. In Erwartung unglaublich rascher und schwer zu übersehender wissenschaftlicher Innovationen möchten wir eine WATCH-STATION einrichten. Ein Spenderprojekt, das sich konstituiert auf den Willenserklärungen der Spenderinnen & Spender. Praktisch geht das einfach: Sie stimmen schon nach der Lektüre dieses Doppelheftes durch Ihre Überweisung darüber ab, ob medico sich in Zukunft stärker als zuvor den Fragen der fortschreitenden Ausbeutung & Manipulierung der menschlichen Biosubstanz widmen soll. In Deutschland genauso wie bei den Mapuche in Chile, bei den Menschen in Chiapas, in Angola oder Mosambik. Ihre Zustimmung, die nicht nur die Form des Geldes haben muß, sondern auch die der schriftlichen oder mündlichen Versicherung, ist uns Anlaß, Ihre Orientierung in unserem Arbeitsprogramm zu verwirklichen. Damit die Spender das genau verfolgen können, versprechen wir Ihnen neben den Rundschreiben gelegentliche Extraberichte. Deren Vorschläge & Resultate wieder um Ihre Zustimmung bitten. Mehr noch: Wir stehen Ihnen unmittelbar zur Verfügung für Veranstaltungen & Diskussionen zum Thema an ihrem Ort. Übertrieben wäre auch nicht, wenn sich alle Beteiligten einmal gemeinsam am zentralen Ort treffen. Auf unsere Einladung hin.
Wir müssen ganz neue Koalitionen bilden, um den feinen Bogen unserer existentiellen Grundlage nicht aus den Augen zu verlieren. Es liegt, was kommt, auch an uns allen. Dabei geht es um die Freiheitsfähigkeit des Menschen. Wir schlagen Ihnen ein neues INTERAKTIVES SPENDERPROJEKT vor. Eine Art Überprojekt: Eine Watch-Station, die wie eine Folie über unserer gesamten Arbeit liegen, die sensibel verfolgen soll, was sich am genetisch erfaßten Menschen ereignet in unseren sämtlichen Entwicklungs- und Hilfsprojekten, die wir alle selbstverständlich weiterführen wie bisher. Stimmen Sie ab! Schreiben Sie uns. Rufen Sie uns an. Und entscheiden Sie für das Projekt, seine Idee & seinen Inhalt, durch Ihre eindeutige Überweisung unter dem Stichwort: SPENDERPROJEKT. Spendenkonten: »Vielleicht will die Geschichte von der Moderne einfach nicht ablassen. Vielleicht gibt es gar keine Postmoderne. Weil die aktuelle Geschichte der Artifizialisierung und der technischen Vervollkommnung, die Erweiterung der physischen und sinnlichen Möglichkeiten und sämtlichen prothetischen Instrumenten, mit denen der Mensch über sich selbst hinauswächst, immer noch gründet auf dem Emanzipationsanspruch der Vergangenheit, der doch mündet in das Bild des idealen, des eben vorgestellten Menschen.« Stefan Breuer |
EIN FEINER BOGEN |
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