Pharmakonzerne

Tödliche Patente

Westliche Pharmakonzerne wollen verhindern, dass Aids-Kranke in der "Dritten Welt" mit billigen Medikamenten behandelt werden

"Ich stehe hier vor Ihnen, weil ich reich bin. Meine Anwesenheit zeigt die Ungerechtigkeit von Aids in Afrika. Auf einem Kontinent, in dem 290 Millionen Menschen täglich mit weniger als einem Dollar auskommen müssen, kann ich mir die monatlichen Behandlungskosten von rund 400 Dollar leisten." Der südafrikanische Verfassungsrichter Edwin Cameron, der diese Erklärung im vergangenen Jahr bei der Aids-Weltkonferenz in Durban abgab, gehört zu jener kleinen Minderheit von HIV-infizierten AfrikanerInnen, die eine Therapie mit antiretroviralen Medikamenten – die derzeit effektivste Behandlungsmethode – bezahlen können. Ein von westlichen Konzernen beherrschter medizinisch-industrieller Komplex hat ein Monopol auf diese Medikamente. Sie bestimmen den Preis – und der liegt schätzungsweise 500 bis 1000 Prozent über den Herstellungskosten.

Internationale Bewegung gegen Pharmakonzerne

Konkurrierende Hersteller bieten die gleiche antiretrovirale medizinische Behandlung schon für Preise zwischen 350 und 700 Dollar pro Jahr an. Die westlichen Pharmakonzerne tun derzeit alles, um die Verbreitung dieser sogenannten Generika – Kopien patentgeschützter Arzneimittel – zu unterbinden. Das im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) verabschiedete Regelwerk gibt ihnen die Möglichkeit, überall auf der Welt gegen nationale Gesetze zu klagen, die ihrer Ansicht nach das Patentrecht verletzen. Diese Bemühungen sind jedoch nicht immer erfolgreich, und mittlerweile hat sich eine internationale Solidaritätsbewegung gebildet, die das Menschenrecht auf Zugang zu lebensrettenden Medikamenten gegen die Profitinteressen der Konzerne verteidigt. Die Auseinandersetzung konzentriert sich derzeit auf Südafrika und Brasilien.

1997 hatte der damalige südafrikanische Präsident Nelson Mandela ein Gesetz unterzeichnet, das den Import von Generika im Fall einer "Krise der öffentlichen Gesundheit" gestattet. Kurz darauf klagte der südafrikanische Pharmaverband PMA, massiv unterstützt von 39 überwiegend westlichen Konzernen, gegen das Gesetz. Die neue Regelung, so die Position der Konzerne, verstoße gegen das "Abkommen über handelsbezogene Aspekte geistigen Eigentums" („Trips"), das Teil des WTO-Vertragswerks ist. Zwar erlaubt „Trips" den Import von Generika im Fall eines "nationalen Notstandes", die südafrikanische Regelung hätte es aber einzelnen Ministern gestattet, den Generika-Import zu genehmigen. Eine zu einfache Prozedur, meinten die Konzerne, und somit ein Verstoß gegen das Patentrecht.

Die Konzerne engagierten die besten südafrikanischen Anwälte, vier Jahre lang wurde der Prozess vorbereitet. Sie setzten darauf, dass der Prozess ohne großes Aufsehen über die Bühne gehen würde. Für gewöhnlich finden die gesundheitlichen Probleme der afrikanischen Bevölkerung ja wenig öffentliches Interesse; dass jährlich mehrere Millionen AfrikanerInnen an banalen Durchfallerkrankungen sterben, wird allenfalls als Fußnote in UN-Statistiken vermerkt.

Doch es kam anders. Durch die Aids-Weltkonzerenz in Durban rückte das Thema ins Blickfeld der Medien. Bald darauf begann eine internationale Kampagne, getragen von westlichen Hilfsorganisationen und südafrikanischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Treatment Action Campaign (TAC). Sie propagierten das Recht armer Länder, Generika zur Behandlung von Aids und anderen Krankheiten einzuführen, in Südafrika fanden Demonstrationen mit Tausenden von Teilnehmern statt.

Aus KlägerInnen werden Angeklagte

Die Pharmakonzerne, so der zentrale Vorwurf, stellen ihre gewaltigen Profite über das Leben der Kranken. Auch die Generika-Produzenten sind ja kapitalistische Konzerne, die Profit erwirtschaften wollen. Doch um ihre Marktchancen zu verbessern und gegen die Übermacht der westlichen Konzerne bestehen zu können, kalkulieren sie mit einer geringeren Gewinnspanne. Die Gegenargumente der westlichen Konzerne waren schnell vom Tisch. Ihre Vertreter hatten behauptet, die geringeren Preise der Generika-Produzenten seien allein auf das Fehlen von Forschungs- und Entwicklungskosten zurückzuführen und nur das Patentrecht könne gewährleisten, dass weiterhin neue Medikamente entwickelt würden.

NGO-Vertreter konnten nachweisen, dass die Pharmaindustrie wesentlich mehr Geld für Werbung als für Forschung ausgibt. Zudem werden die Forschungskosten häufig aus öffentlichen Mitteln subventioniert oder im Rahmen der so genannten Drittmittelforschung zu Dumpingpreisen von Universitäten erworben. Studentische Initiativen forderten nun von den Universitätsleitungen, ihre Verträge mit der Pharmaindustrie zu kündigen, falls deren Vertreter nicht mehr Einsicht in die Notwendigkeit einer Gesundheitsversorgung auch für Arme zeigen sollten.

Zudem orientiert sich die Pharma-Forschung allein an lukrativen Märkten und nicht an den Bedürfnissen der Kranken. Wenn Aids nicht auch in westlichen Staaten verbreitet wäre, hätte sich die Entwicklung neuer Medikamente nicht rentiert. Nun werden antiretrovirale Medikamente für den westlichen Markt produziert und zu entsprechenden Preisen verkauft. Sie in Afrika, wo – die Zahlen sind umstritten – schätzungsweise drei Viertel aller HIV-Infizierten leben, billiger anzubieten, würde westliche Gesundheitsminister und Krankenkassen hellhörig machen.

So wurde der Streit um die Preispolitik zum entscheidenden Mittel, um die Konzerne zu einem Kompromiss zu zwingen. Der zuständige südafrikanische Richter hatte die TAC als Sachverständige zugelassen, und deren Vertreter brachten die Pharmaindustrie in große Verlegenheit, als sie eine Darlegung der Preispolitik forderten. Diese Politik unterliegt höchster Geheimhaltung. So erbaten sich die Konzernvertreter zunächst eine Prozessunterbrechung, angeblich, um weltweit die benötigten Daten zu sammeln.

Ein fauler Kompromiss

Diese Zeit wurde für Geheimverhandlungen genutzt. Am 19. April verkündeten die Konzernvertreter dann, dass sie ihre Klage zurückziehen werden. Der Jubel unter den AktivistInnen und NGO-VertreterInnen war zunächst groß. Doch auch die Pharmaindustrie frohlockte, und WTO-Generaldirektor Mike Moore erklärte, der Vergleich sei "eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. (...) Die Einigung zeigt, dass WTO-Verträge wie „Trips" flexibel genug sind, um den Gesundheitsbedürfnissen von Entwicklungsländern zu entsprechen."

Das Ergebnis ist bestenfalls ein fauler Kompromiss. Die südafrikanische Regierung erkannte ihre WTO-Verpflichtungen noch einmal ausdrücklich an, als Gegenleistung für die Rücknahme der Klage sagte sie den Konzernen zu, sie vor jeder Anwendung des Gesetzes zu konsultieren. Für die HIV-Infizierten ändert sich zunächst nichts. Sofort nach dem Urteil dämpfte Gesundheitsministerin Mano Tshabala-Msimang die Erwartungen: "Das Thema der Erschwinglichkeit dieser Medikamente begleitet uns noch immer. Diese Medikamente sind nicht erschwinglich." Da jede/r neunte SüdafrikanerIn HIV-infiziert ist, wäre auch die derzeit billigste Behandlung für den Staatshaushalt eine schwere Belastung. Und den Gesundheitsnotstand auszurufen, um den legalen Generika-Import zu ermöglichen, könnte westliche Investoren abschrecken.

Die Behandlung mit anti-retroviralen Medikamenten ist noch immer eine Ausnahme. Als erster Staat der "Dritten Welt" hat Brasilien ein Programm begonnen, das diese Medikamente Bedürftigen kostenlos zur Verfügung stellt. Das Programm hat die Aids-Todesrate um 50 bis 70 Prozent gesenkt und gilt international als vorbildlich. Da aber auch Brasilien sich die horrenden Preise westlicher Pharmakonzerne nicht leisten kann, hat die Regierung ein Gesetz verabschiedet, das Patentinhaber verpflichtet, innerhalb von drei Jahren ihre Medikamente in Brasilien herzustellen. Andernfalls verfällt ihr Patent, brasilianische Hersteller dürfen das Medikament kopieren.

Im Februar reichte die US-Regierung, gedrängt vom Pharmaverband PhRMA, bei der WTO in Genf Klage gegen das Gesetz ein, Anfang Mai kritisierte der US-Handelsrepräsentant Robert Zoellick das brasilianische Aids-Programm und drohte der Regierung mit Sanktionen. "Wenn auf globaler Ebene oder in Gesprächen über internationale Beziehungen der Handelsrepräsentant der USA die Aufgabe hat, zu sagen, was bei der Prävention und Kontrolle von Aids gut ist und was nicht, wenn er sogar sagt, welche Strategie die Länder anwenden sollen – dann, denke ich, sind wir verloren", kommentierte Dr. Paulo Roberto Teixeira, der Direktor des brasilianischen Aids-Programms.

"Freihandel" und westliche Monopole

Eine Entscheidung der WTO könnte bereits im Juni fallen. Angesichts der Machtverhältnisse in dieser Organisation ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Hüter des sogenannten Freihandels Sanktionen gegen Brasilien verhängen werden. Die gnadenlose Anwendung eines rigide ausgelegten Patentrechts stößt allerdings auf immer größeren Widerstand – nicht allein seitens der internationalen Solidaritätsbewegung, sondern auch vieler Regierungen und Konzerne der "Dritten Welt".

Gemäß der kapitalistischen Theorie sollte sich der Preis eines Produkts durch Angebot und Nachfrage regeln. Zumindest im Falle der Pharmaindustrie aber gibt das Patentrecht den westlichen Konzernen ein Monopol, das es ihnen erlaubt, die Preise willkürlich zu bestimmen. Unerwünschte Konkurrenz soll nun mit der im Rahmen der "Freihandelspolitik" eingeführten Gesetzgebung unterbunden werden. Die "Globalisierung" soll nicht allein die gesamte Welt der schrankenlosen kapitalistischen Verwertung öffnen, sondern auch die Dominanz der westlichen Konzerne sichern.

Immerhin ist der Druck auf die Pharmakonzerne so weit gewachsen, dass sie sich zu Gesten der Kompromissbereitschaft genötigt sehen. So haben einige ihrer Vertreter die Bereitschaft angedeutet, die Preise für Aids-Medikamente zu senken. Obwohl solche Zugeständnisse rein taktischer Art sind, zeigen sie, dass die Arbeit der Solidaritätsbewegung erste Erfolge hat. Der Kampf hat jedoch erst begonnen. Sein Ausgang wird über Leben und Tod vieler Millionen Menschen entscheiden, deren Erkrankungen nur mit Medikamenten behandelt werden können, auf die westliche Pharmakonzerne derzeit noch ein Monopol beanspruchen.


Harry Tuttle

aus Avanti Juli- August 2001