Gesundheitsministerin Ulla Schmidt will Wechsel zu privaten Krankenkassen erschweren |
Spiegel-Online vom 11.4.2002
GESUNDHEITSREFORM
Schmidt will Wechsel zu den Privaten erschweren
Der Wechsel Hunderttausender Krankenversicherter zu den Privatkassen bereitet der
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt Sorgen. Mit der für das kommende Jahr geplanten Reform
will sie das Abwandern von den gesetzlichen Kassen eindämmen.
Berlin - Laut Schmidt wechselten allein im vergangenen Jahr 212.700 Versicherte zu den
Privatkassen. "Das sind so viele Menschen wie in einer mittelgroßen Stadt." Als
Folge gehe den gesetzlichen Kassen eine Milliarde Euro an Einnahmen im Jahr verloren. Das
soll ab 2003 anders werden, kündigte die SPD-Politikerin in Berlin bei einer Rede zu
ihrem Reformkonzept an. Bisher dürfen Versicherte ab einem Einkommen von 3375 Euro im
Monat wechseln. Diese Grenze will Schmidt deutlich erhöhen, um mehr gut Verdienende in
den gesetzlichen Kassen zu halten.
Der Verband der privaten Krankenversicherung
protestierte prompt und sprach von einem tiefen Eingriff in die Wahlfreiheit der
Versicherten. "Die private Krankenversicherung würde von einem großen Teil ihres
Nachwuchses abgeschnitten." Kritik kam auch von der FDP.
Schmidt lehnt die Forderung der Grünen ab, den Höchstbeitrag für gut Verdienende
deutlich anzuheben. Diese Gruppe zahle schon heute hohe Summen, sagte Schmidt. Eine
Aufteilung in Grund- und Wahlleistungen will sie ebenso wenig wie Wahltarife.
Dagegen verteidigte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Christian Wulff die Idee, dass
Versicherte zwischen verschiedenen Tarifen und Leistungen wählen können. "Der
Versicherte soll bestimmte Leistungen abwählen und gleichzeitig eine Beitragsermäßigung
bekommen können", sagte er der "Financial Times Deutschland". Dagegen
hätten sich CDU und CSU darauf geeinigt, den Kassenkatalog nicht in Grund- und
Wahlleistungen zu teilen.
Schmidt warnte vor einer Aushöhlung der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese sei das
Herzstück des Sozialstaates und müsse bewahrt werden. Allerdings müsse jeder Euro gut
und wirtschaftlich ausgegeben werden, betonte Schmidt. Trotz hoher Ausgaben seien die
medizinischen Ergebnisse in Deutschland im internationalen Vergleich oft nur
durchschnittlich. Es gelte daher, die Qualität zu verbessern und so auch die Kosten zu
senken.
Die Ministerin will ein neues "Zentrum für Qualität in der Medizin"
einführen, das über Behandlungsleitlinien für große Krankheiten entscheidet. Davon
erhofft sie sich, dass neue medizinische Erkenntnisse schneller als bisher in die Praxis
umgesetzt werden. Auch sollen unabhängige Experten Arzneien nach Preis und Nutzen
bewerten. "Zehn Prozent mehr Nutzen und ein 300-prozentig höherer Preis dürfen
nicht sein", sagte Schmidt.
Sie will zudem die Pharmaindustrie stärker unter Aufsicht stellen. Dazu erwägt Schmidt,
ähnlich wie in den Niederlanden einen Arzneimittel-Inspekteur einzuführen, bestätigte
ihr Ministerium entsprechende Zeitungsberichte. Die Ministerin reagiert damit auf
wiederholte Berichte über Bestechung von Ärzten etwa am Krankenhaus.
Der neue Inspekteur soll die Vergünstigungen der Pharmaindustrie an Ärzte und Apotheker
überprüfen. Es sei auf Dauer nicht hinzunehmen, dass die forschenden Pharmahersteller
doppelt so viel Geld ins Marketing stecke wie in die Forschung, sagte Schmidt der
"Frankfurter Rundschau" und der "Süddeutschen Zeitung".