Archiv Naturschutz heute


Verdrängungswettbewerb

Sind neu eingewanderte Pflanzenarten ein Naturschutzproblem?

von Helge May

Bekämpfungsmaßnahmen: Köpfen, ausreißen, beschatten


Auch wenn es die Bundesregierung immer noch nicht wahrhaben will, für Zoologen und Botaniker ist es längst Gewissheit: Deutschland ist ein Einwanderungsland – und das seit Zeiten, als es Deutschland als solches noch gar nicht gab. Nachdem sich die Natur von der letzten Eiszeit erholt hatte und bevor die Menschen sesshaft und zu Ackerbauern und Viehzüchtern wurden, war Mitteleuropa weitgehend von Wald bedeckt. Mit dem Roden des Waldes für Weiden und Äcker entstanden neue Offenlebensräume. Diese wurden teilweise von alteingesessenen lichtliebenden Arten besiedelt, die vorher ein Nischendasein an Waldlichtungen und anderen baumfreien Flächen führten. Es wanderten aber auch zahlreiche licht- und wärmeliebende Pflanzenarten aus dem Mittelmeerraum, Kleinasien und den östlichen Steppen neu ein, vielfach zusammen mit der Einführung neuer Feldfrüchte.

Kleinere Einwanderungswellen gab es später auch durch die römische Kolonisierung und durch die Klostergärten des Mittelalters. Mit der "Entdeckung" Amerikas im Jahre 1492 setzte ein weiterer starker Zustrom neuer Arten nach Europa ein. Unter Botanikern gilt deshalb 1492 als Scheidejahr. Vorher eingebürgerte Pflanzenarten gelten als Alteinwanderer (Archäophyten), alle danach gelten als Neuankömmlinge, im Botanikerlatein Neophyten genannt. Den meisten Neuankömmlingen gelingt es nicht, dauerhaft bei uns Fuß zu fassen, immerhin 270 neophytische Arten gelten aber inzwischen als fest eingebürgert.

Die große Mehrheit der Neophyten hat sich für den Laien unauffällig in bestehende Pflanzengemeinschaften eingepasst, unter ihnen heute allgemein verbreitete Arten wie Franzosenkraut, Frühlings-Greiskraut, Strahlenlose Kamille und Persischer Ehrenpreis. Eine zweite Gruppe besiedelt des wärmeren Klimas wegen fast ausschließlich typische Stadtbiotope und ist in der freien Landschaft kaum zu beobachten; hierzu gehören Gehölze wie Sommerflieder (Buddleia), Eschenahorn und Götterbaum. Auffallend und problematisch dagegen ist eine kleine Gruppe von Hochstauden, darunter Goldrute, Staudenknöterich und Herkulesstaude. Sie können mannshohe, kaum durchdringbare Dickichte bilden und verdrängen dabei die bodenständige Pflanzenwelt oder schwächen zumindest deren Überlebenskraft.

Sprung über den Gartenzaun
Viele Neubürger wurden ursprünglich als Zierpflanzen in botanische Gärten eingeführt und von dort führte der Weg in die Hausgärten oder gleich in die freie Landschaft. Schon um 1650 war der Topinambur als Nahrungspflanze bekannt. Heute ist er vor allem an den Stromsystemen von Rhein, Weser und Elbe eingebürgert. Die aus Nordamerika stammenden licht- und wärmebedürftigen Goldrutenarten wurden im 17. Jahrhundert eingeführt, Japanischer Staudenknöterich und Sachalin-Knöterich dagegen kamen erst Anfang des letzten Jahrhunderts zu uns, sie dienten zeitweise auch als Viehfutter. Das Drüsige oder Indische Springkraut, beheimatet im westlichen Himalaya, gelangte ebenfalls um 1800 nach Mitteleuropa. Als letzte der Problemarten kam um die Jahrhundertwende die Herkulesstaude, auch Riesen-Bärenklau genannt, aus dem Kaukasus als imposante Zierpflanze in die Gärten.

Der Sprung über den Gartenzaun erfolgte entweder durch flugfähige Samen wie bei der Goldrute oder durch Ablagerungen von Gartenabfällen in der freien Landschaft, die Samen oder Bruchstücke des Wurzelstocks enthielten. Oft wurden die ausbreitungsstarken Arten auch im Garten lästig und man versuchte, sich ihrer zu entledigen. Heute werden zusätzlich Samen und Wurzelstücke durch Verlagerung von Erdmaterial bei Straßenbaumaßnahmen über weite Entfernungen verschleppt.

Eine nicht unerhebliche Rolle spielt das absichtliche Ausbringen von Samen in die freie Natur. Goldrute, Indisches Springkraut und Riesen-Bärenklau wurden und werden häufig von Imkern als Bienenweide ausgesät, wobei neben dem relativ späten Blühtermin gerade die Fähigkeit zur Massenausbreitung geschätzt wird. Ähnliches gilt für Kugeldistel, Phacelie und Robinie. Die nordamerikanische Robinie oder Scheinakazie wird außerdem im Forst als Rohbodenaufbereiter eingesetzt, da sie wie viele Schmetterlingsblütler über die Wurzeln Luftstickstoff zu binden vermag. Topinambur hingegen wird wegen seiner zuckerhaltigen und nahrhaften Knollen immer wieder von Jägern zur Wildäsung angebaut, in einigen Gegenden wird aus den Knollen Schnaps gebrannt.

Der Boden ist bereitet
Neu ankommende Arten fassen am ehesten auf offenen Böden Fuß. Bevorzugte Ansiedlungsorte sind deshalb vom Menschen gestörte Stellen wie Industriebrachen, Bauerwartungsland und neu angelegte Straßenböschungen, bei den unabsichtlich eingeschleppten Arten liegen die Wuchsorte oft in der Nähe von Häfen, Güterbahnhöfen oder entlang der Bahnstrecken, aber auch an Flussufern. Durch die fehlende Konkurrenz anderer Arten gelingt den Neueinwanderern Keimung und Wachstum hier weitaus besser als in bereits geschlossenen Vegetationsdecken. Entlang der Flussufer kommen begünstigend der Nährstoffreichtum des Bodens und die Transportfunktion des fließenden Wassers hinzu, mit dem Samen und Pflanzenteile flussabwärts weitergetragen werden. Bei Hochwasser gelangen sie sogar weitab in die Talräume hinein. Mit der Rodung der natürlichen gewässerbegleitenden Auwälder wurden für die Neophytenansiedlung ideale Bedingungen geschaffen.

Topinambur und Springkraut haben ihren Verbreitungsschwerpunkt in den Ufer- und Auenbereichen, während Knöterich, Goldrute und Herkulesstaude auch auf trockeneren Ruderalstellen entlang von Straßen und Bahnlinien und auf Schuttplätzen zu finden sind. Die Goldrute ist zudem äußerst stark auf Brachen aller Art verbreitet und dringt auch auf degenerierte Trocken- und Magerrasen vor. Auf landwirtschaftlichen Flächen ermöglicht gerade das Aussetzen der regelmäßigen Bewirtschaftung der Goldrute die Ausbreitung.

Natürlich ist die Ausbreitung von Pflanzenarten keine Einbahnstraße. Umgekehrt hat eine große Zahl europäischer Arten in Amerika ideale Lebensbedingungen gefunden. Einige wurden bald überall bekannt, so gilt der Breitwegerich wegen seiner Verbreitung durch die Siedler Anfang des 19. Jahrhunderts bei den Ureinwohnern als "Fußspur des weißen Mannes". Andere Arten verursachen große Probleme, wie die bei uns schon selten gewordene Wassernuss, die in den Großen Seen Nordamerikas ernsthaft die Schifffahrt behindert.

Der Konkurrenz überlegen
Mehrere Faktoren bedingen die hohe Konkurrenzkraft der Neubürger gegenüber einheimischen Arten: Neophyten werden bisher praktisch nicht von Fraßschädlingen oder Parasiten befallen, die die Bestandsentwicklung auf natürliche Weise kontrollieren. Die Goldrute hat in ihrer nordamerikanischen Heimat 290 Insektenarten als Fraßschädlinge, die wurden aber nicht mit importiert – hierzulande hat die Goldrute noch keinen einzigen Fraßschädling. Goldrute und Staudenknöterich breiten sich über Wurzelausläufer auch ungeschlechtlich aus. Am unterirdischen Wurzelstock, dem Rhizom, werden jedes Jahr neue Knospen angelegt, die im Folgejahr austreiben. Ähnlich ist es beim Topinambur, der kartoffelähnliche Sprossknollen ausbildet. Aus ein und der selben Mutterpflanze entsteht so in kürzester Zeit eine große und dichte Herde. Die sehr hohe Samenproduktion ermöglicht Springkraut und Herkulesstaude die effektive Ausbreitung. Diese Arten erreichen in kurzer Zeit Wuchshöhen von anderthalb bis vier Metern. Da sie auch sehr dicht wachsen, werden kleinere und langsamwüchsigere angestammte Arten beschattet, bis diese verkümmern oder schließlich ganz verschwinden. An Flussufern können so kilometerlange Reinbestände von Springkraut oder Staudenknöterich entstehen. Selbst Gehölze kommen hier auf natürliche Weise nicht mehr hoch. Damit gehen typische Lebensgemeinschaften aus bestimmten einheimischen Pflanzen und den speziell daran angepassten Tieren – vor allem Insekten – zugrunde.

Nur wenige Insektenarten sind so wenig spezialisiert, dass sie sich auch von neuen Arten ernähren – darunter zur Freude der Imker die Honigbiene. Was die Wildbiene aber nicht kennt, frisst sie nicht, ließe sich in Abwandlung eines Sprichwortes sagt. So sind von den 429 Wildbienenarten Baden-Württembergs bisher erst ganze vier bekannt, die Pollen der Goldrute nutzen. Zum Vergleich: Die von der Goldrute teilweise aus den Halbtrockenrasen verdrängte Skabiosen-Flockenblume ist nachgewiesen Pollenlieferant für 32 Wildbienenarten, für sieben davon sind Flockenblumen ihre einzigen Nahrungsquellen. Für die Wildbienen ein schlechter Tausch. Auch das Indische Springkraut wird lediglich von drei weit verbreiteten Hummelarten besucht. Am regen spätsommerlichen Flugverkehr an Goldrute und Springkraut sind also nur wenige Arten beteiligt. Masse statt Klasse eben.

Die Rächer der Verdrängten
In natürlichen Ökosystemen richten die vitalen Neuankömmlinge allerdings nur begrenzten Schaden an. Fast immer wird ihr Vordringen durch vorherige vom Menschen verursachte Veränderungen erst möglich oder wenigstens stark begünstigt. Die Reaktion mancher Naturfreunde auf bunt blühende Springkräuter und Goldruten lässt sich deshalb rational eigentlich nicht begründen. Gestandene Naturschützer ziehen plötzlich als wildgewordene Sensenrambos oder Rächer der Verdrängten durch die Feldmark – in den Jackentaschen immer einen Vorrat an Kupfernägeln, um sie bei passender Gelegenheit an falscher Stelle wachsenden Essigbäumen ins hölzerne Herz zu treiben.

Vielleicht macht sich hier auch die sonstige Ohnmacht des Naturschützers Luft, ist es doch einfacher, einen Flecken Springkraut niederzumähen, als eine Autobahn zu verhindern. Ganz sicher steht dahinter auch die alte Frage, wie und zu welchem Zweck Naturschutz eigentlich zu betreiben ist. Wenn denn der Istzustand oder gar ein historischer Zustand erhalten werden soll, müssen höhere Artenvielfalt garantierende Bewirtschaftungsformen wieder eingeführt oder durch Pflegemaßnahmen simuliert werden. Wäre der oben erwähnte Halbtrockenrasen weiter durch Beweidung genutzt, hätte die Goldrute gar keine Chance, die Flockenblume zu verdrängen. Das Vordringen der Goldrute ist in diesem Fall kein Neophytenproblem, sondern eines der Standortveränderung und der natürlichen Sukzession. Mit einheimischen Arten wie Landreitgras oder Wacholder könnten die Wildbienen genauso wenig anfangen. Wo es aber um Schutz und Entwicklung naturnaher Ökosysteme geht, um wirksamen Naturschutz über den biologisch vernachlässigbaren Zeitraum eines Menschenlebens hinaus, da ist der Halbtrockenrasen mit seinen Flockenblumen Nebensache und die Bekämpfung von Goldrute und Konsorten ist erst recht überflüssig, ja kontraproduktiv, denn sie lenkt von den wirklichen Umweltproblemen ab.


Bekämpfungsmaßnahmen: Köpfen, ausreißen, beschatten

Die gezielte Bekämpfung ausbreitungsfreudiger Neophyten kann in bestimmten Fällen auch aus Naturschutzsicht sinnvoll sein, etwa wenn schützenswerte Lebensgemeinschaften bedroht sind oder Biotope und Landschaftsstrukturen mit ihrer typischen Tier- und Pflanzenwelt wiederhergestellt werden sollen. Nach einer Untersuchung im Auftrag des baden-württembergischen Umweltministeriums haben sich folgende Methoden bewährt:

Das Indische Springkraut ist eine einjährige Art. Es genügt also, die Samenverbreitung zu verhindern. Das Springkraut lässt sich sehr gut ausreißen, auch die Mahd während der Blüte ist sehr wirkungsvoll. Da es an den Sprossknoten leicht zur Wiederbewurzlung kommt, müssen ausgerissene Pflanzen und das Schnittgut unbedingt abgeräumt und kompostiert werden. Auch gezielte Überflutung mit mindestens einer Woche Staunässe bringt die Jungpflanzen zum Absterben.

Topinambur vermehrt sich kaum über Samen, hier müssen die Knollen entfernt oder die Knollenbildung verhindert werden. Neben dem mühsamen Ausgraben und Absammeln der Knollen im Winterhalbjahr hilft vor allem ein zweimaliger Schnitt Ende Juni und Ende August. Die Knollenbildung wird damit fast vollständig unterdrückt, der Schnitt muss aber mehrere Jahre durchgeführt werden, bis alle Knollen aufgezehrt sind. Topinambur braucht sehr viel Licht, Beschattung durch Anpflanzung von Gehölzen ist deshalb gerade an Flussufern aus Naturschutzsicht die beste Bekämpfungsmethode.

Auch bei Sachalin-Knöterich und Japanischem Staudenknöterich ist Beschattung durch Gehölze die beste und auf lange Sicht wohl auch einzige erfolgreiche Methode. Auf mehrmaligen Schnitt reagieren die Staudenknöteriche eher mit verstärktem Austrieb und Wurzelbildung, bestenfalls – bei wenigstens vier bis fünf Schnitten jährlich – mit Auslichtung der Bestände.

Den Goldrutenarten ist schwer beizukommen, weil sowohl der Samenflug wie auch die Wurzelausbreitung verhindert werden müssen. Je nach Größe des Bestandes und eventuell notwendiger Rücksichtnahme auf die Begleitflora gibt es eine ganze Reihe von erfolgreichen Methoden. Dazu gehören ein wenigstens zweimaliger Schnitt, das Abdecken mit lichtundurchlässiger Folie und das zweimalige Zerhacken der Wurzeln mit einer Motorhacke. Das Abflämmen der Goldrutenbestände ist zwecklos, da dies die Rhizomausbreitung sogar noch fördert.

Die Herkulesstaude ist zwei- bis dreijährig, sie bildet also zunächst nur eine Blattrosette und blüht erst im zweiten oder dritten Jahr. Die einfachste und wirksamste Bekämpfungsmethode ist das Abschneiden sämtlicher Blütendolden vor der Samenreife. Die Pflanze stirbt dann ab und treibt auch im Folgejahr nicht wieder aus. Ein Mahd vor der Blüte dagegen lässt die Herkulesstaude immer wieder nachtreiben. Da im Boden noch Samen lagern, müssen die Maßnahmen mehrere Jahre wiederholt werden. Vorsicht: Gelangt Pflanzensaft auf die Haut, kommt es unter Einfluss des Sonnenlichts zu schmerzhaften Hautverbrennungen.


aus: Naturschutz heute, Ausgabe 4/93, S. 36-39


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