Allerheiligen oder Die Explosion eines Kühlschranks namens Mike |
Aus der Süddeutschen Zeitung vom 31.10.2002
Allerheiligen oder Die Explosion eines Kühlschranks namens Mike
50 Jahre Operation Efeu: Die Wasserstoffbombe bleibt das absurdeste Projekt der
Menschheit und zugleich die wahrscheinlichste Ursache für ihr Ende
Wir glauben, dass keine Nation das Recht hat, eine solche Bombe anzuwenden,
gleichgültig, wie gerecht ihre Sache ist und auch sein mag. Diese Bombe ist keine Waffe
der Kriegsführung mehr, sondern ein Mittel zur Vernichtung ganzer Bevölkerungen. Ihre
Anwendung würde ein Verrat an den Grundlagen unserer Moral und der christlichen Kultur
sein. ... Wir fordern, dass die gewählte Regierung der Vereinigten Staaten eine
feierliche Erklärung abgibt, dass wir diese Bombe nie als erste anwenden werden.
Das ist die Erklärung von zwölf führenden Physikern, darunter Hans Bethe, zur
Entwicklung der Wasserstoffbombe im Jahr 1950, unmittelbar nachdem Präsident Truman deren
Bau befohlen hatte. Die amerikanische Nation stand unter dem Schock der ersten russischen
Atombombe und des Verrats durch den Atomspion Klaus Fuchs. Eine mächtige Geste wurde
verlangt.
Am Allerheiligentag 1952, 7 Uhr 15 Ortszeit in der Südsee in Amerika war noch
immer Halloween , war es so weit. Der erste experimentelle Kernfusionsapparatur
wurde gezündet, Operation Ivy, Codname Mike. In Millisekunden setzte sie die Energie von
10,4 Millionen Tonnen des konventionellen Sprengstoffs TNT frei, das rund
Fünfhundertfache der Plutoniumbombe, die 1945 Nagasaki vernichtete und mehr als alle
Sprengstoffe sämtlicher bis dato geführten Kriege zusammen. Wasser und Erde im Radius
von einem Kilometer und bis zu einer Tiefe von 60 Metern einschließlich des gesamten
Inselchens Elugelab verdampfte in die Stratosphäre; der ganzen Inselkette am nördlichen
Rand des Eniwetok-Atolls wurden vom Feuerstoß Vegetation und Bebauung weggeblasen. Nach
einer viertel Stunde hatte der Atompilz eine Höhe von 40 und einen Durchmesser von 150
Kilometern. Unter dem Pilzkopf liegt das Gebiet, in dem ungeschützte Menschen und Tiere
mit hoher Wahrscheinlichkeit sofort sterben.
Zu Beginn der Planung an der Kernfusionsbombe kannten die Militärs überhaupt nur zwei
potentielle Ziele in der Sowjetunion, die sich nicht schon mit einer gewöhnlichen
Atombombe vollständig vernichten ließen, Moskau und Leningrad. Erst durch ihre eigene
Existenz sind weitere Ziele entstanden: die Atomraketen des Gegners, tief in der Erde
verbunkert, die nach der Logik der Abschreckung das höchste schützenswerte Gut einer
Nation darstellen und den Angriff mit gewöhnlichen Atombomben, wenn sie nicht
hundertprozentig genau treffen, funktionsbereit überstehen.
Mit dem Hinweis auf die völlige militärischen Nutzlosigkeit versuchte noch Robert
Oppenheimer, der die Entwicklung der Atombombe geleitet hatte, der amerikanischen
Regierung die Super, die Kernfusionswaffe, auszureden. Ein solches Ding
benötige eine Größe und ein Gewicht, dass es nur noch mit einem Ochsengespann zum
Gegner transportiert werden könnte.
Mike füllte eine ganze Scheune. Im Zentrum stand die Wurst, ein
gut sechs Meter hoher, zwei Meter breiter Metallzylinder, umringt von aufwendigen
Kühlaggregaten und Messgeräten. Im Inneren des Zylinders befand sich die Erfindung von
Edward Teller und Stanislaw Ulam, die kurze Zeit später und unabhängig von den beiden
auch Andrej Sacharow in der Sowjetunion wiederholte.
Nach der Erfindung des Prinzips für die Wasserstoffbombe hatte sich auch Hans Bethe
unter dem Eindruck des Koreakrieges Tellers Forschungsteam in Los Alamos zur
Entwicklung der Wasserstoffbombe angeschlossen. Aber bereits nach einem halben Jahr
bereute er die Entscheidung und verabschiedete sich noch 1952 wieder. Bei der Entwicklung
der Atombombe, 1943 1946, war Bethe der Leiter der Abteilung für theoretische
Physik in Los Alamos und Edward Teller sein Mitarbeiter. In der Biografie des heute
sechsundneunzigjährigen Bethe spiegeln sich alle Phasen des Atomzeitalters. Promotion bei
Arnold Sommerfeld als Zweiundzwanzigjähriger. 1933 von den Nationalsozialisten seiner
Assistenzprofessur beraubt und in die Emigration getrieben. Von 1935 bis heute Professor
an der Cornell-University. 1938 entschlüsselt er den Kernfusionsmechanismus im Inneren
der Sonne, wofür er 1967 mit dem Physiknobelpreis ausgezeichnet wurde. Nach der
Wasserstoffbombe widmete Bethe einen großen Teil seiner Arbeit der Politik als
wissenschaftlicher Berater des amerikanischen Präsidenten und als treibende Kraft hinter
der internationalen Einigung auf das Kernwaffen-Teststopabkommen von 1963.
Man kann sich fragen,wie die Welt heute aussähe, wenn die Naturgesetze einen einfacheren
Weg zu den Kernwaffen erlauben würden. Was wäre, wenn sich schon mit Küchenutensilien
die Wasserstoffatome in einem Glas zur Kernfusion bringen ließen? Und bei jedem
Nachbarschaftsstreit, Liebeskummer und bei jede versehentlichen Beleidigung im Hintergrund
die Möglichkeit lauert, dass einer der Beteiligten eine Megatonnen-Explosion auslöst.
Vom physikalischen Standpunkt betrachtet ist es pures Glück, dass die Natur die
Wasserstoffbombe nur mit sehr großem technischen Aufwand ermöglicht. Selbst
Plutoniumbomben von Nagasaki hätten nicht ausgereicht, an ihrem Explosionszentrum
Wasserstoff auf Zündtemperatur für die Kernfusion zu bringen. Ein reines Glück, denn
anderenfalls hätte die erste im Ozean gezündete Atombombe unsere Erde in eine neue Sonne
verwandelt.
Der Teller/Ulam-Trick besteht darin, die Röntgenstrahlung einer Plutoniumbombe im Inneren
eines Metallzylinders einzufangen und damit schweren Wasserstoff so sehr auf eine zweite
Ladung Plutonium zu pressen, bis diese ebenfalls durch Kernspaltung explodiert. Zwischen
den Stoßwellen der primären Plutoniumbombe und dem Plutionumzünder erreicht der schwere
Wasserstoff kurzzeitig die Zündtemperatur für die Kernfusion, bevor die expandierenden
Explosionswolken die Anordnung in alle Richtungen zerstreut und damit Druck und
Temperatur wieder unter Fusionsniveau verdünnt.
Der Wasserstoff war in Mike, bei minus 250 Grad verflüssigt, in einer großen
Thermoskanne gelagert. Erst später entdeckte man, dass sich es sich auch in der chemische
Verbindung mit Lithium zünden lässt. Lithiumhydrid ist ein Festkörper, der keine
Kühlung erfordert. Erst damit wurden transportable Wasserstoffbomben möglich. Die erste
so gebaute Bombe war Bravo, die 1954 im Bikini-Atoll getestet wurde. Sie war
auf 5 Megatonnen konzipiert, explodierte allerdings mit fünfzehn, weil man nicht
hinreichend bedacht hatte, dass auch Lithium zur Kernfusion geeignet ist. In kleinen Dosen
eignet sich Lithium übrigens auch als Heilmittel gegen Depression. Schon beim guten alten
Sprengstoff Nitroglyzerin fand sich eine Zweitverwertung als Medikament gegen
Herzbeschwerden.
Auf den Test eines zweiten Exemplars von Bravo, das mit dem gleichen
Rechenfehler auf 15 Megatonnen konzipiert war, verzichtete das amerikanische Militär
freiwillig. Die größte real getestete Wasserstoffbombe war die Zar mit 50
Megatonnen, die die Russen kurz nach dem Bau der Berliner Mauer auf der arktischen Insel
Nowaja Semlja zündeten. Und 1963 einigten sich schließlich die Großmächte, keine
weiteren Kernwaffentests in der Biosphäre durchzuführen. Der Planet sollte nicht schon
vor einem Krieg durch die bloßen Waffentests unbewohnbar werden.
Die Wasserstoffbombe kennt keinen Unterschied: Militär oder Zivilist, Freund oder Feind,
Mensch oder Tier, selbst eigenes Land oder Fremde die Bombe macht alles gleich.
Durch den modularen Aufbau im Teller/Ulam-Design wird die Bombe frei skalierbar auf jede
Größe, und jede zusätzliche Megatonne an Sprengkraft ist preiswerter als die vorherige.
Schon bei der ersten Wasserstoffbombe kam man auf die Idee, dass man als Metallhülle für
den Hohlzylinder, der die Röntgenstrahlung bündelt, ja auch das billige Natururan
verwenden kann. Die gewaltige Menge schneller Neutronen, die bei der Kernfusion entsteht,
bewirkt in diesem Metall, das ansonsten zu keiner Kettenreaktion fähig ist, eine
induzierte Kernspaltung und trägt so zusätzlich zum großen Knall bei.
Tatsächliche kamen ganze acht der 10,4 Megatonnen von Mike aus dieser spottbilligen
Tertiärladung, die freilich die Bombe besonders dreckig macht, weil sie auch
das radioaktive Fallout übermäßig vergrößert.
Letztendlich braucht die Bombe nicht mehr transportiert zu werden. Im Grunde genügt eine
davon. Die Abschreckung besteht in der Androhung, sie auf dem eigenen Territorium zu
zünden. Erweiterter Selbstmord heißt dieser Fall in der Psychiatrie; man ist
bereit, mit dem Feind auch sich selbst zu opfern, oder andersherum, den eigenen Tod mit
einer Mission im Dienste eines abstrakten Nutzens zu verbinden. Die Logik der nuklearen
Abschreckung hat nach fünfzig Jahren der Erprobung durch die klügsten Strategen
der Supermächte mittlerweile auch den letzten Rebellenclan in fernen
Wüstenprovinzen überzeugt. Selbstmord, gerade weil er irrational ist, hat sich als
effizienteste Waffe der gegenwärtigen und kommenden Konflikte erwiesen.
Die Wasserstoffbombe jedenfalls bleibt das absurdeste Projekt der Menschheitsgeschichte
und die wahrscheinlichste Ursache ihres Endes, falls es uns bevorsteht.
ULRICH KÜHNE
Entnommen aus SZ-Archiv
jdm