Versammlung zur Massengeflügelhaltung in Dersum am 25.11.2002

Versammlung zur Massengeflügelhaltung in Dersum am 25.11.2002

Das Podium v.l.n.r.: Paul Hatger, Martin Zeller, Hermann Coßmann, Hermann Schwarte, Jutta Engbers

Sehr unterschiedlich schätzten die Referenten am 25.11.2002 die Einflussmöglichkeiten der Gemeinden beim Maststallbau ein.

Eingeladen hatte die Bürgerinitiative gegen die Massengeflügelhaltung in Dersum gemeinsam mit der Gemeinde in den Saal Ganseforth zum Thema "Massengeflügelhaltung in Dersum - Schaden für die Bürger?". Über 100 Bürger, vorwiegend aus Dersum, folgten der Einladung.

Auf dem Podium saßen Jutta Engbers, Rechtsanwältin aus Friesoythe, und Martin Zeller, Baudezernent des Landkreises Emsland als Hauptreferenten. Weiter vertreten waren Paul Hatger, Rechtsdezernent des Landkreises und Hermann Coßmann als Vetreter der Bürgerinitiative. Die Diskussionsleitung hatte Bürgermeister Hermann Schwarte.

Die Veranstaltung war nicht die erste zum Thema. In Dersum gibt es bereits 29 Geflügelställe - weitere 7 Ställe mit 386 000 Tieren sind beantragt. Kreisweit sind ca. 10 Millionen Geflügelmastplätze vorhanden - Anträge für weitere 5 Millionen liegen dem Landkreis vor.

Engbers: Gewerbliche Mastställe wie Gewerbebetriebe behandeln

Jutta Engbers wollte zeigen, wie es juristisch aussieht und wie es tatsächlich beim Maststallbau aussieht. Generell könne ein Landwirt machen, was er wolle, solange es sich um eine integrierte Landwirtschaft handele. Um einen landwirtschaftlichen Stall handele es sich, wenn das Futter überwiegend selbst erwirtschaftet werde und die Ausscheidungen als Dünger verwendet werden könnten. Eine weiteres Kriterium sei die Obergrenze von 2 Großvieheinheiten pro Hektar, was einem Lebendgewicht von 500 Kg entspreche.

Alle anderen Ställe seien Gewerbebetriebe. Diese dürfen auch im Außenbereich gebaut werden, weil das anders nicht möglich sei. Aber sie müssten sich hinsichtlich Geruchsbelästigung, Staubemission, Lärmemission, Tierschutz und der Qualität des Produktes an die üblichen gesetzlichen Normen halten.

Somit hätten Gemeinden die Möglichkeit genau wie bei herkömmlichen Gewerbegebieten festzulegen, wo man was haben möchte. Bebauungspläne könnten festlegen, wieviel Staub, sonstige Emissionen und wieviel Großvieheinheiten zugelassen seien. Und dabei könne eine Gemeinde durchaus über gesetzliche Bestimmungen hinaus gehen.

Seit dem 1.10.2002 gibt eine neue TA-Luft ("Technische Anleitung Luft") genaue schärfere Richtlinien vor. Jetzt sind Filteranlagen bei Hähnchenmastställen zwingend. Mit ihnen kann man Emissionen steuern. Aber diese Filter halten nur ca. 70 bis 90 % der Emissionen zurück. Geruchsfilter seien noch nicht ausgereift. Häufig veränderten sie den Geruch, so dass er an die Gerüche einer Chemiefabrik erinnere. Nach den Vorschriften sei Geruch im Außenbereich in Grenzen zulässig. Dabei dürfe in 15% der Jahresstunden etwas zu riechen sein (1300 Stunden= 55 Tage). Dabei gebe es keine Abstufungen (riecht leicht oder stinkt stark), es gelte: stinkt oder stinkt nicht.

Vorbelastung ermitteln

Die TA-Luft beziehe die Vorbelastung mit ein. Es müsse bei der Stallgenehmigung gefragt werden: "Was erdulden Sie bereits und wieviel kommt mit dem neuen Stall an?". Dazu müssten Staubkarten und Geruchskarten erstellt werden. Die tatsächliche Belastung müsse ermittelt werden; und diese sei abhängig von vielen Faktoren: Gülle sei z. B. staubig, Stroh weniger. Viel Stroh staube weniger als wenig Stroh. Die Emissionen seien auch fütterungsabhängig. Diese Ermittlung sei aber teuer und werde deshalb gerne übersehen.

Die Gemeinden könnten über die Bauleitplanung durchaus festlegen, was sie genehmigt haben wollten. Im Landkreis Friesland werden keine Mastställe mehr genehmigt, in der Gemeinde Wangerland ebenfalls nicht. Friesoythe weise Sondergebiete aus und habe vorläufig für 2 Jahre einen Baustopp verfügt. Bad Nenndorf habe eine Obergrenze von 1 Großvieheinheit/ha festgelegt. In Norderney werde kein Stall genehmigt.

Das deutsche Tierschutzgesetz sei veraltet und müsse an das weit strengere EU-Recht angeglichen werden. Die jetzige Tierschutzrechtslage gebe keine Handhabe gegen die Mastställe.

Ist 2013 Schluß?

Die neue Wasserrahmenrichtlinie der EU lasse jetzt schon erkennen, dass die jetzige Art Massentierställe spätestens im Jahr 2013 verboten ist. Die EU-Wasserwerte werden in Deutschland nicht eingehalten. Dem stehe vor allem der massive Anfall von Gülle entgegen. Vechta sei 7fach überdüngt, Cloppenburg 6fach; im Emsland sei es nicht ganz so schlimm. Auch Biogas-Anlagen können dieses Problem nicht lösen, da auch sie trotz ihrer positiven Seiten letztlich nur ein Gülle-Konzentrat erzeugten.

In den Niederlanden seien diese Massentierställe durch "Abwrackprämien" geschlossen worden. Wenn holländische Investoren hierher kämen, dann, weil sie in den Niederlanden keine Ställe mehr bauen könnten. Die hiesigen Bauern sollten sich genau überlegen, ob es sich lohne, 200-500000 Euro in einen Stall zu investieren, der 2013 geschlossen werde.

Der Bau gewerblicher Mastställe bedürfe dringend einer Lösung.

Zeller: Gewerbebetriebe sind nur anders privilegiert

Ganz anders wurde die Situation von Martin Zeller, dem Baudezernenten des Landkreises, beurteilt. Schon mit der Definition eines Landwirts durch Engbers war er nicht einverstanden. Ein Landwirt müsse 50% des Futters selbst erzeugen, was bedeute, dass ein Landwirt auf seinen eigenen und den zugepachteten Flächen halb soviel Futtereinheiten erzeugen müsse, wie er auch verbrauche. Er könne das selbst erzeugte aber verkaufen und anderes Futter zurückkaufen.

Landwirte seien priviligiert, im Außenbereich zu bauen. Gewerbebetriebe seien wegen der Emissionen ebenfalls privilegiert, nur anders.

Die neue TA-Luft enthalte strengere Regeln hinsichtlich der Stäube und des Ammoniaks. Sie wurde aber schon länger angewandt, weil sie als sogenanntes Fachgutachten berücksichtigt werden musste. Auch die Vorbelastung habe man berücksichtigt. Aus den VDI-Richtlinien ergäben sich bestimmte Mindestabstände zu bestimmten schützenswerten Objekten.

Der Landkreis Cloppenburg habe Richtlinien für Staubfilter erlassen. Aber es gebe bisher keinen Filter, der diese Anforderungen erfülle. Im ganzen Weser-Ems-Gebiet sei aber die Grenze für die Belastung mit Stäuben überschritten. Deshalb würden Hähnchenmastställe grundsätzlich nur mit Staubfiltern genehmigt. Ammoniakfilter müßten im Bedarfsfall eingebaut werden. Geruchsfilter seien in der Regel nicht erforderlich, weil nur weitab von einer Wohnbebauung gebaut werden darf. Bei Geruchsfiltern handelt es sich Biofilteranlagen.

Für Staubfilter muss der Betreiber einen Wartungsvertrag vorweisen können. Eine Prüfung der Staubfilter ist am Ende des ersten Mastdurchganges vorgeschrieben, denn dann sei die Staubbelastung am höchsten. danach werde alle halbe Jahre von einem zugelassenen Unternehmen geprüft.

Auch die Geruchsbelastung im Umkreis von 1 Km werde ermittelt und in der UVP berücksichtigt.

Vorbelastung wird schon berücksichtigt

Zeller warf Engbers vor, in ihren Ausführungen zuviel Tendenz hineingebracht zu haben. "Es hilft nichts, wenn Sie Märchen erzählen". Die Grenze von 2 Großvieheinheiten/ha gebe es nicht - allerdings benutzte er später in der Diskussion diese Grenze selbst zur Definition eines Gewerbebetriebs. Die 2 GV/ha-Grenze sei in einzelnen Fällen die Grundlage für städtebauliche Planungen. Der Landkreis berate Antragsteller deshalb, um verträgliche Standorte zu erreichen. Im Übrigen halte er nicht so viel von einer rein juristischen Diskussion. In den Gemeinden könnten die Menschen diese Probleme gütlich untereinander regeln.

Zeller stellte in Abrede, dass die EU-Regeln strenger als die deutschen Regeln seien und verwies auf das Beispiel der Käfighaltung. Der Landkreis Vechta sei nicht überdüngt, sondern er erzeuge doppelt so viel Gülle, wie er sinnvoll verbrauchen könne. Der Überschuss werde exportiert. Auch der Landkreis Emsland sei weit von einer Sättigung entfernt.

Er bestritt, dass die Wasserrahmenrichtlinie der EU ein taugliches Mittel sei. Sie könne nicht zur Schließung der Ställe herangezogen werden.

Noch keine Untersuchungen vorhanden

Engbers stellt in einer Erwiderung klar, dass die Vorbelastung und die Belastung durch neue Ställe nie gemssen würden, sondern nur anhand von Richtwerten errechnet würden. In der Arbeitsmedizin würden für Beschäftigte in den Ställen die Verwendung von Masken verlangt. Es sei aber auch die Frage, wieviel veträgt eigentlich ein Nachbar. Eine Untersuchung des Landesgesundheitsamtes, die die realen Auswirkungen von Massentierhaltung, z. B.der Belastungen durch Stäube, Pilze, Salmonellen, Ammoniak und anderer Gefahren, messen sollte, sei gescheitert. Sowohl von den Tierhaltern, als auch vom Landkreis Emsland sei diese Untersuchung boycottiert worden. Der Leiter der Untersuchung Dr. Hartung habe ihr noch am Vortag mitgeteilt, dass keine Ergebnisse vorlägen.

Zeller hatte anscheinend auch mit Dr. Hartung gesprochen: Der habe ihm mitgeteilt, dass noch Ergänzungsuntersuchungen nötig seien.

Sondergebiete strittig

Strittig war auch die Ausweisung von Sondergebieten für gewerbliche Tierhaltung. Engbers forderte die komplette Untersuchung des gesamten Gemeindegebietes auf Eignung. Zeller erklärte, diese Staubanalyse sei zu teuer. Im Übrigen seien Sondergebiete mehrfach problematisch. Sie führten zu sehr schnellem Anstieg der Bauanträge und ließen die Grundstückspreise in die Höhe schießen. Deshalb habe noch keine Gemeinde in Niedersachsen diesen Schritt getan.

Engbers hielt dem entgegen, die Gemeinden Friesoythe, Barßel und Wangerland hätten genau diese Sondergebiete beschlossen. Preissteigerungen gebe es bei allen wirtschaftlichen Tätigkeiten. Das allein könne kein Argument dagegen sein.

Hermann Coßmann, der Vertreter der Bürgerinitiative, meinte unter Beifall der Versammlung, ihm sei die zukünftige Ausweisung von Sondergebieten egal. "In Dersum stehen bereits mehr als genug Hähnchenställe. Es muss definitiv Schluß sein."

Bürgermeister Hermann Schwarte war sichtbar unglücklich über die Problematik im Dorf. Einerseits müssten die Landwirte Entwicklungsmöglichkeiten haben, andererseits könnten die Menschen nicht mehr weiter belastet werden. Möglichkeiten der Gemeinde, hier einzuwirken, sah er nicht. Er verwies auf mögliche Schadenersatzforderungen der Antragsteller, falls die Gemeinde versuche den Bau eines Stalles zu verhindern.

Gemeinden schadenersatzpflichtig?

Engbers: "Weil das Einverständnis der Gemeinde durch die Aufsichtsbehörde ersetzt werden kann, sind Gemeinden nicht mehr schadenersatzpflichtig". Dies habe ein Rechtsgutachten der Bezirksregierung ergeben. In Friesoythe habe ein Antragsteller deshalb seinen Widerspruch zurückgezogen. Er habe keine Aussicht auf Erfolg mehr gesehen.

Dies bestritt wiederum Herr Hatger, der Rechtsdezernent des Landkreises. Untersuchungen hätten ergeben, dass es außerhalb eines Umkreises von 200 Metern keine Gesundheitsgefahren gebe. Werde dieser Abstand eingehalten, gebe es keinen Grund, die Zustimmung zu versagen. Geschehe das doch, bestehe Schadenersatzpflicht. Da der Antragsteller in Friesoythe den Rechtsstreit aufgegeben habe, sei dies weiterhin nicht höchstrichterlich geklärt.

Aus dem Publikum heraus warf Dr. Spranger ein, dass es zur Belastung durch Salmonellen oder Anmmoniak in anderen Ländern, z. B. Schweiz schon lange Untersuchungen gebe. Bei der deutschen TA-Luft handele es sich nur um eine "Schnüffelverordnung". Die wissenschaftlichen Ergebnisse der ausländischen Untersuchungen seien nicht in deutsche Rechtsverordnungen eingeflossen.

Betreiber schadenersatzpflichtig?

In den USA habe aber schon so mancher Bauer Haus und Hof verloren, weil Anwohner wegen der gesundheitlichen Beschwerden durch die Mastställe geklagt hätten.

Engbers erhärtete diese Aussage und führte einige Belege an, dass die gesundheitlichen Gefahren nicht aus der Luft gegriffen sind. In Mecklenburg-Vorpommern habe eine Gemeinde erfolgreich geklagt, weil ihre Reha-Klinik durch einen Maststall in der Nähe Schäden erlitt.

Untersuchungen des Evangelischen Krankenhauses in Oldenburg hätten einen Zusammenhang zwischen Erkrankungen im HNO-Bereich und einem Besatz von mehr als 1,8 Großvieheinheiten/ha ergeben. Lieferanten von Agrar-Frost müssten in ihren Lieferverträgen zusichern, dass sie keine Gülle verwendeten und im Umkreis von 500 Metern kein Geflügelmaststall stehe.

Bereits erkrankte Personen geniessen nach dem Antidiskriminierungsgebot des Grundgesetzes besonderen Schutz. All diese Tatsachen böten die Möglichkeit bzw. seien Beispiele für mögliche Schadenersatzklagen gegen Betreiber von Massentierställen.

Thema bleibt aktuell

Die Atmosphäre im Saal war weitgehend sachlich, obwohl die Wortbeiträge durchweg engagiert waren. Ein Teilnehmer sagte, es habe in Dersum bereits mehrere Veranstaltungen dieser Art gegeben. Jedes Mal habe es geheißen, nach diesem Stall sei aber Schluss. Er fragte, ob das jetzt auch wieder so laufen solle, nur weil der Gemeinderat Angst habe, irgendwie Neuland zu betreten. Bürgermeister Schwarte konnte nur versprechen, dass der Gemeinderat sich weiter, auch auf seiner nächsten Sitzung, mit dem Thema beschäftige.



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