Sögeler Eulenspiegeleien oder Es war einmal ein Schücking-Museum |
Aus forum 4/2002, Zeitschrift des Literaturrat Niedersachsen e. V.
Sögeler Eulenspiegeleien oder Es war einmal ein Schücking-Museum
Im Mai 1997 wurde im Emsländischen Sögel, einer 7.000-Seelen-Gemeinde im Winkel von B
213 und B 70 zwischen Löningen, Meppen und Papenburg, einem bis zu diesem Zeitpunkt
blinden Flecken auf der Landkarte der Niedersächsischen Literaturförderung, ein
Literaturmuseum eröffnet, das Schücking-Museum Sögel. In der Trägerschaft der im
selben Jahr gegründeten Schücking-Gesellschaft hatte es sich das Ziel gesetzt, den
Nachlass des regional verwurzelten Schriftstellers und Journalisten Levin Schücking
(18141883), dessen Name zumeist in einem Atemzug mit Annette von Droste-Hülshoff
genannt wird, zu bewahren und zu erforschen.
Zur feierlichen Eröffnung reisten Gäste von weither an. Der Bürgermeister der Gemeinde
Sögel, der das Amt des stellvertretenden Präsidenten der literarischen Gesellschaft
übernahm, lobte das Projekt als »neue wichtige Adresse in Sögels reichhaltiger
Kulturlandschaft« und sprach dem Initiator Heinz Thien seinen Dank und Anerkennung aus
(laut Schücking-Jahrbuch 1998/99, S. 121). Die Gemeinde Sögel überließ das Gebäude,
hatte im Vorfeld die Renovierungskosten getragen, immer wieder Mitarbeiter ihres Bauhofes
für Baumaßnahmen zur Verfügung gestellt und verschiedene Einrichtungsgegenstände
gestiftet. Der in Sögel lebende Bildhauer Albert Radke setzte dem regionalen Literaten
ein steinernes Denkmal. Zahlreiche Firmen und Privatpersonen engagierten sich durch Geld-
und Sachspenden. Dauerleihgaben vervollständigten den Ausstellungs und Archivbestand. Da
hatte sich offenbar eine Region für ihren Schriftsteller und das ihm gewidmete Museum
bekennend entschieden.
Zunächst eine Erfolgsgeschichte
Das bereits zitierte erste Schücking-Jahrbuch verzeichnete als Bilanz nach einem Jahr stolz die Besuche von Schulklassen sowie eine rege Nutzung des Archivs durch Studierende, Heimatforscher und Journalisten. Zum einjährigen Bestehen des Museums tagte die AG der literarischen Gesellschaften Westfalens in Sögel. Partnerschaften zu anderen Literaturgesellschaften konnten aufgebaut werden. Ganz deutlich war bei alledem die Tatsache, daß der Name des Museumsleiters und Geschäftsführers der Gesellschaft, Heinz Thien, untrennbar mit allen Aktivitäten und Erfolgen des Museums verbunden war. Die Schücking-Gesellschaft zählte zum Zeitpunkt der Drucklegung 83 Mitglieder. Im Frühjahr 1998 begann sie ein Veranstaltungsprogramm aus Lesungen und literaturwissenschaftlichen Vorträgen zu realisieren, um über die Möglichkeit zur Beschäftigung mit der regionalen Literaturgeschichte hinaus Interessierten ein Forum zur Begegnung mit zeitgenössischer Literatur zu eröffnen. Eine Erfolgsgeschichte. Soweit.
Und dann titelt die regionale Presse zum Jahresanfang 2002 plötzlich »Ein Museum sucht Asyl«, macht sich zum Sprachrohr der Sache des Heinz Thien und schildert ausführlich, warum jener gestern noch hochgelobte Initiator, Museumsleiter und Geschäftsführer der Gesellschaft unlängst ein »Opfer kommunalpolitischer Ränkespiele« geworden sei. Den Geldhahn habe man seinem Museum zugedreht, alle Versuche der Schücking-Gesellschaft, Fördergelder vom Landkreis zu erhalten, wären erfolglos geblieben. Von Anfang an unerwünscht sei das Museum auf Kreisebene gewesen und nicht für förderwürdig befunden, obgleich Thien sich zum Zeitpunkt, zu dem der Streit entbrannte, bereits seit mehr als einem Jahr ehrenamtlich für das Museum engagiert habe. Es kam zu offenen Briefen, Anschuldigungen und Diffamierungen, die bis hin zur Vereinbarung eines Redeverbotes hinsichtlich der Belange des Museums für Herrn Thien zwischen Gemeinde und Gesellschaft führen sollten. Der sorgte währenddessen dafür, daß die Öffentlichkeit über die Homepage des Museums seine Auseinandersetzungen mit Gemeinde und Landkreissozusagen live miterleben konnte.
Was geschah in Sögel?
Auf Nachfrage hin teilt Thien im Juli 2002 mit, das Museum sei endgültig geschlossen. Unter den gegebenen Umständen und den politischen Verhältnissen im Emsland habe er keinen anderen Ausweg gesehen. Den Nachlaß habe er an die Familie Schücking zurückgegeben. Die Sachen seien in Westfalen besser aufgehoben.Was mit dem übrigen Museumsbestand geschähe, sei noch nicht entschieden. Bestehen demnach konkrete Pläne für eine Präsentation in Westfalen? Zieht am Ende gar Herr Thien mitsamt des kompletten Museumsbestandes einfach nach Westfalen um? Oder hat er sich von der Idee, ein Schücking-Museum zu leiten, zu Gunsten seines neuesten Projektes, eines im Frühjahr erschienenen Schelmenromans mit der satirischen Darstellung seiner Wahrnehmung der Ereignisse im Umfeld des Schücking-Museums, verabschiedet?
Der Roman, so die Ankündigung des Verlags, gebe »aufschlußreiche Einblicke in die heutigen gesellschaftlichen Zustände in der deutschen Provinz«. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen seien leider nicht zu vermeiden gewesen. Der Sprecher des Landkreises schließt laut Aussage der Presse juristische Schritte gegen den Roman nicht aus. Und erneut weiden sich die regionalen Printmedien an dem kleinen Skandal um Heinz Thien. Will der Mann sich denn unbedingt streiten? Muß er denn immer eine möglichst große Öffentlichkeit für seine Auseinandersetzungen suchen? Ist ihm womöglich im Emsland tatsächlich Unrecht widerfahren?
Sögels stellvertretender Gemeindedirektor, Günther Wigbers, vordem Pressesprecher des
Landkreises, urteilt, Heinz Thien und mit ihm das Schücking-Museum seien in der Tat
dessen eigener Streitlust zum Opfer gefallen. Keinesfalls wolle er die engagierte Arbeit,
die Thien für Sögel in Sachen Literaturförderung geleistet habe, in Frage stellen.
Natürlich sei erst aus seinen Kontakten zur Familie Schücking und seinem engagierten
Einsatz sowie auf der Grundlage seiner Sachkenntnis die Einrichtung eines
Schücking-Museums möglich geworden. In Anerkennung und Wertschätzung dieser Vorarbeit
habe die Gemeinde das aus zur Verfügung gestellt und umfangreiche Renovierungsarbeiten
geleistet. Nur eine neue Planstelle für die hauptamtliche Leitung des Museums bzw. für
die gleichzeitige Geschäftsführung der Schücking-Gesellschaft war weder im Budget der
Gemeinde noch des Landkreises vorgesehen. Und auch das, so der Vertreter der Gemeinde, sei
von Anfang an bekannt gewesen. Thien vereinte daher in seiner Person zwei Jahre lang beide
Positionen auf der Grundlage einer von Gemeinde und Landkreis finanziell unterstützten
ABM-Stelle.
Bereits im Zusammenhang mit der Bewilligung dieser ausdrücklich befristeten Maßnahme
habe der Landkreis davor gewarnt, eine hauptamtliche Stelle einzurichten. Eine
Einschätzung, die sich nach Ablauf der beiden Jahre bestätigte. Die ABM lief aus und
wurde nicht neu bewilligt.
Immer wieder habe Thien es dann abgelehnt, das Museum in Räumlichkeiten auf dem Gelände des benachbarten Jagdschlosses Clemenswerth umziehen zu lassen und die damit verbundenen Vorteile zu nutzen: Vorhandenes Aufsichtspersonal, regelmäßige Öffnungszeiten, durch Alarmanlagen gesicherte Ausstellungsräume und vor allem eine erheblich größere Besucherfrequenz. Damit wären dann allerdings auch alle weiteren Verhandlungen um eine eigene Stelle für Geschäftsführung und Museumsleitung vom Tisch gewesen. Aus der Perspektive von Landkreis und Kommune sicher nicht der uninteressanteste Effekt. Aus der Perspektive von Heinz Thien untragbar, denn damit wäre die wissenschaftliche Bearbeitung des dann nur noch ausgestellten Nachlasses nicht mehr gewährleistetet gewesen.
Eine Kleinstadt ohne Museum
Etwa zu diesem Zeitpunkt habe Thien begonnen, über die regionalen Wochenblätter seine Geldgeber »anzuschießen«. Und auch unter Beschuß habe die Gemeinde noch lange zu ihm gehalten, sich dann aber doch schließlich als Financier nicht mehr öffentlich beschimpfen lassen mögen. Als Konsequenz wurde ihr bis zuletzt gezahlter Zuschuß »eingefroren«. Hätte Heinz Thien und hätte die Schücking-Gesellschaft im Interesse einer größeren Besucherfrequenz und um das Museum als Einrichtung zu erhalten seinem Umzug zustimmen müssen? Hätten Gemeinde und Landkreis einsehen müssen, daß ein Literaturmuseum mit angeschlossenem Archiv als Einrichtung mit einem klaren Arbeits- und Forschungsschwerpunkt per se nur eine kleine Gruppe von Interessierten anspricht und für die üblichen Besucher kulturhistorischer Museen nur von mäßigem Interesse sein dürfte? Und wenn Sie es eingesehen hätte? Woher das Geld für die Personalkosten eines hauptamtlichen Museumsleiters nehmen? Also ist das Schücking-Museum letztendlich doch nur ganz banal einem knappen Kulturhaushalt zum Opfer gefallen, denn erst an der Finanzierung einer hauptamtlichen Leitungsstelle bzw. an Zuschüssen für Projekte von Museum und Gesellschaft entbrannte offenbar der große Streit? Oder waren es doch die atmosphärischen Störungen, die eine weitere Zusammenarbeit unabhängig vom knappen Etat unmöglich gemacht hatten?
Bei all dem aufgewirbelten Dreck ist ein klarer Blick auf die Ereignisse um das Schücking-Museum kaum mehr möglich. Unterm Strich fällt aus dem Gelärm und Gezänk jedenfalls eine geschlossene Einrichtung der Literaturforschung und -förderung heraus. Kein Schücking-Museum mehr in Sögel. Kein Literaturarchiv, keine zeitgenössischen Literaturveranstaltungen. Und das ist zu bedauern.
P.S.: Virtuell existiert das Schücking-Museum weiter. Unter www.schuecking-museum.de findet nach wie vor die Homepage der Einrichtung »Termine nach Vereinbarung«, heißt es da noch immer.
Monika Eden.
jdm