Plädoyer für die ältere Generation- von Friedrich Weltz

Aus der Süddeutschen Zeitung vom 15.01.2003

Außenansicht

Plädoyer für die ältere Generation

Von Friedrich Weltz

In einer Zeit, in der alle von Reformen und Einschränkungen sprechen und damit jeweils die anderen meinen, nur die eigene Gruppe nicht, war zu erwarten, dass auch die Rentner in dieses muntere Roulette einbezogen werden. Die Forderung nach Verzicht auf Rentenanpassung wird sogar im Namen der „Gerechtigkeit“ erhoben. Dabei ist sie doch der Offenbarungseid einer Generation, die sich vollmundig übernommen hat und nicht weiter weiß.

Seit geraumer Zeit schon zeichnet sich die Politisierung der Altersfeindlichkeit unserer Gesellschaft ab. Zunächst war der Jugendkult ja eine Frage der Mode und des „Lifestyles“. Dann trug er dazu bei, dass der Abbau der Belegschaften vor allem in größeren Unternehmen einseitig zu Lasten älterer Mitarbeiter ging. In den letzten Jahren nun hat der Jugendkult, beziehungsweise sein Pendant, die Altersfeindlichkeit, eine politische Dimension gewonnen. Er geht ein in die Auseinandersetzung um den Anteil am Volkseinkommen, den die verschiedenen Generationen heute und in Zukunft für sich beanspruchen. Hier zeichnet sich ein tief greifender Konflikt ab. Das Schlagwort vom Generationenkonflikt ist kein Modebegriff der Feuilletons mehr, sondern bittere Alltagsrealität:

Da ist der schneidige jugendliche BMW-Pilot, der auf ältere Autofahrer nicht Rücksicht nimmt, doch selbst häufiger Unfälle baut als die Älteren. Da erscheinen Artikel mit dem Titel „Rentenkosten: Wie die Alten die Jungen schröpfen“. Da sind die Ergebnisse von Umfragen, die ein zunehmend gereiztes Klima zwischen den Generationen widerspiegeln. Da ist die Nachricht, dass einige Banken an alte Menschen nur noch eingeschränkt Kredite vergeben. Und da sind schließlich Forderungen zur Aufkündigung des Generationenvertrags im Namen einer „gerechteren“ Verteilung der Lasten.

Aber was heißt hier gerecht? Wie gerecht sind Forderungen nach Anpassung der Renten an die steigenden Lebenshaltungskosten an eine Generation, die, zusammen mit der vorangegangenen Generation, den Wiederaufbau nach den Zerstörungen des Krieges geleistet hat? Diese Generation hat einen beträchtlichen Teil ihres Einkommens für ihre Altersversorgung abgezweigt. Die Jahre der Vollbeschäftigung bedeuten ja, dass – im Gegensatz zu heute – alle erwerbsfähigen Menschen gearbeitet haben. Damit waren alle daran beteiligt, den Wohlstand zu schaffen, in dessen Genuss die jüngeren Generationen heute kommen.

Konkret in Zahlen messbar drückt sich dies aus in dem unvorstellbaren Umfang von Vermögenswerten, die in den letzten Jahren von der heutigen Rentnergeneration an die nächste Generation vererbt wurden und in noch größerem Umfang in den kommenden Jahren vererbt werden. Im nächsten Jahrzehnt werden es allein zwei Billionen, also zweitausend Milliarden Euro sein. Dies wird vererbt an eine Generation, die dieses Erbe in erheblichen Maße nicht produktiv nutzt, sondern nur dazu, um sich den Anforderungen des Erwerbsleben nicht stellen zu müssen, und die sich dann noch larmoyant als die „Generation der Verlierer“ bezeichnet. Zugleich spricht sie gelassen vom Scheitern des Generationenvertrags.

Dies wird vererbt an eine Generation, die letztlich für die Schwierigkeiten, mit denen wir heute zu kämpfen haben, verantwortlich ist. Dies ist die Generation der schneidigen, jungen Macher der New Economy, die nun vor den Trümmern ihrer Hybris stehen; von Managern, die durch Fehlmanagement oder gar kriminelle Machenschaften Tausende von Arbeitsplätzen vernichtet haben, und von Politikern, die es aus Opportunismus oder Inkompetenz versäumt haben, beizeiten ein System, das sich über Jahrzehnte bewährt hat, an die veränderten Bedingungen anzupassen. Diese Generation hat die Älteren mit Brachialgewalt aus dem Erwerbsleben herausgedrängt und fordert nun eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Diese Generation hat ihrerseits den Generationenvertrag nicht eingehalten, als sie in weit gehendem Maße darauf verzichtet hat, Kinder in die Welt zu setzen. Insofern ist sie für jene problematische Altersverteilung der kommenden Jahre verantwortlich, die nun als Argument für die Aussetzung der Rentenanpassung herangezogen wird.

Nicht nachvollziehbar sind dabei all die Argumente und die Zahlenspiele, mit denen dies untermauert wird. Ausgehend von der für die Zukunft errechneten Alterspyramide werden unerfüllbare Belastungen für die nächsten Generationen herbeigerechnet. Solche Rechnungen und die aus ihnen gezogenen Folgerungen sind in mehrfacher Hinsicht schlicht falsch:

1. So weit ich mich erinnere, wurde nie gegen eine große Kinderzahl das Argument angeführt, diese sei volkswirtschaftlich nicht zumutbar. Volkswirtschaftlich betrachtet wirkt sich aber die Belastung durch einen hohen Anteil von Kindern an der Gesamtbevölkerung kaum anders aus, als durch einen hohen Anteil von Alten. Beide Gruppen tragen nicht selbst aktiv zum Volkseinkommen bei, sondern verursachen Kosten, das heißt Belastungen für die aktiv Erwerbstätigen. Fallen bei den Alten die Kosten für die ärztliche Versorgung und die Pflege an, so stehen bei den Kindern und Jugendlichen die Kosten für die Ausbildung zu Buche.

2. In einer Zeit, in der die hohe Arbeitslosigkeit ein zentrales und dauerhaftes Problem darstellt, mutet es eher skurril an, wenn aus der zunehmenden Zahl von Rentnern in Relation zu der Zahl der Berufstätigen eine unzumutbare Belastung für diese gefolgert wird. Für den Erwerbstätigen macht es jedoch keinerlei Unterschied, ob Abzüge von seinem Verdienst für einen Arbeitslosen oder für einen Rentner aufgebracht werden müssen.

3. Methodisch sind die angestellten Rechnungen insofern falsch, als einerseits die Entwicklung der Altersverteilung dynamisch weitergerechnet wird, andererseits die Rahmenbedingungen konstant gehalten werden. So wird die für die kommenden Jahre zu erwartende Produktivitätssteigerung nicht berücksichtigt. Es wird außer Acht gelassen, dass ein Erwerbstätiger in zehn oder fünfzehn Jahren im Durchschnitt erheblich mehr leisten wird als heute und dass ein Teil dieses Produktivitätsfortschrittes nicht nur der Steigerung des Lebensstandards, sondern auch der Altersversorgung zu gute kommen muss. Die Menschen werden nicht nur zunehmend älter, sie werden auch gesünder älter, mit entsprechenden Konsequenzen für die Kosten der Pflege und der medizinischen Versorgung. Schon heute betätigen sich die Alten in zunehmenden Maße auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben noch weiter „produktiv“. Außer Acht gelassen wird schließlich, dass die gegenwärtige, niedrige Geburtenrate kein Naturgesetz ist, sondern Resultat gesellschaftlicher Bedingungen, die sich in Zukunft durchaus verändern können. Hierfür entsprechende Voraussetzungen zu schaffen, das gehört auch zum Generationenvertrag.

So wie die Verantwortlichkeit für die Probleme einseitig und falsch zugeordnet wird, so werden also auch die Fakten einseitig und tendenziös interpretiert. Es mag ja sein, dass ein Beitrag der Rentner zur Bewältigung der gegenwärtigen Krisensituation notwendig ist. Aber bitte nicht im Namen der „Gerechtigkeit“, sondern als ein Opfer der älteren Generation, als ein Solidarbeitrag an eine Generation, die es nicht fertig gebracht hat, die Probleme, mit denen sie konfrontiert wurde, zu bewältigen.

Der Soziologe Friedrich Weltz ist in den 60er Jahren durch die mit Jürgen Habermas (und anderen) verfasste Studie „Student und Politik“ bekannt geworden.


top

Zur Homepage