"Das exklusive Recht zum Angriff " - aus der Süddeutschen Zeitung vom 20.03.2003 |
Süddeutsche Zeitung vom 20.03.2003
Außenansicht
Das exklusive Recht zum Angriff
Von Dietrich Murswiek
Wenn die USA den Krieg gegen den Irak ohne Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen beginnen, dann ist dies nicht nur ein Krieg gegen einen Diktator, dem
man Nichterfüllung von UN-Resolutionen und viele Schandtaten vorwerfen kann. Dann ist das
auch ein Krieg gegen das Völkerrecht nicht lediglich ein eklatanter Bruch des
geltenden Rechts, sondern der Versuch, die grundlegenden Normen des völkerrechtlichen
Systems der Friedenssicherung außer Kraft zu setzen.
Wenn es um unsere Sicherheit geht, werden wir handeln, und wir brauchen dazu nicht
die Zustimmung der Vereinten Nationen, hat George W. Bush gesagt. Machtpolitisch ist
das richtig. Rechtlich ist es falsch. Aber was die USA machtpolitisch durchsetzen können,
das wollen sie künftig auch völkerrechtlich dürfen. Und der Irak-Krieg könnte der
erste Schritt zu einer fundamentalen Umwälzung der Völkerrechtsordnung sein.
Kern des geltenden Systems der Friedenssicherung ist das allgemeine Gewaltverbot.
Militärische Gewalt wird prinzipiell geächtet. Allein zur Selbstverteidigung gegen einen
bewaffneten Angriff darf ein Staat aus eigenem Recht Krieg führen. Nur wenn ein
feindlicher Angriff bereits erfolgt ist oder wenn ein solcher Angriff unmittelbar
bevorsteht, ist eine Selbstverteidigungslage gegeben. Unter dieser Voraussetzung braucht
der betroffene Staat keine Erlaubnis des Sicherheitsrats, um Gewalt anzuwenden. Besteht
demgegenüber nur die Möglichkeit, dass irgendwann einmal ein Staat angreifen könnte,
ist Selbstverteidigung noch nicht erlaubt. Bereitet ein Staat sich auf einen eventuellen
Angriff vor, kann unter Umständen eine Situation entstehen, die sich als Bedrohung
des Friedens qualifizieren lässt. Ein Staat, der sich bedroht fühlt, kann den
Sicherheitsrat anrufen. Dieser kann die erforderlichen Maßnahmen zur Wahrung des
Weltfriedens beschließen, einschließlich militärischer Sanktionen. Hierzu kann er auch
einzelne Staaten ermächtigen. Aber kein Staat darf in bloßen Bedrohungslagen ohne
Ermächtigung des Sicherheitsrats militärische Gewalt anwenden.
Es liegt auf der Hand, dass sich die USA im Irak-Konflikt nicht auf das
Selbstverteidigungsrecht berufen können. Darüber sind sich alle Völkerrechtler einig.
Weder hat der Irak angegriffen, noch steht ein Angriff unmittelbar bevor. Ohne
Ermächtigung durch den Sicherheitsrat ist der amerikanische Angriff daher klar
völkerrechtswidrig. Völkerrechtlich falsch ist auch die von amerikanischer und
britischer Seite gelegentlich geäußerte Ansicht, eine Ermächtigung durch eine neue
Resolution des Sicherheitsrats sei deshalb nicht nötig, weil die vorhandenen Resolutionen
ausreichten. Weder der Resolution 1441 noch früheren Resolutionen lässt sich eine solche
Ermächtigung entnehmen. Die Resolution 1441 erinnert zwar daran, dass Saddam bei
Nichterfüllung mit ernsthaften Konsequenzen zu rechnen hat. Ob es sich bei
diesen Konsequenzen um einen Militärschlag handelt und wer ermächtigt wird, diesen zu
führen, ist aber vom Sicherheitsrat noch nicht entschieden worden.
Die in der Presse mitunter zu lesende Ansicht, Bush handele in einer rechtlichen
Grauzone, wenn er ohne Sicherheitsratsmandat den Angriffsbefehl gebe, ist
falsch. Ohne ausdrückliche Ermächtigung durch eine neue Resolution ist der Irak-Krieg
ein verbotener Angriffskrieg ein Verbrechen im Sinne des Völkerstrafrechts. Die
Bundesregierung darf einen solchen Krieg in keiner Weise unterstützen, auch nicht durch
die Gewährung von Überflugsrechten oder die Gestattung, auf deutschem Boden befindliche
Militärbasen zu benutzen. Das Grundgesetz verbietet jede Beteiligung an einem
Angriffskrieg (Artikel 26).
Dass die einzige Supermacht sich bedenkenlos über das Völkerrecht hinwegsetzt, ist
schlimm genug. Man kann das nicht mit dem Hinweis darauf bagatellisieren, dass die USA
schon in anderen Fällen es mit dem Völkerrecht nicht so genau genommen haben. Hier geht
es zum ersten Mal um einen Angriffskrieg, den zu führen ein Staat für sich in Anspruch
nimmt, der bislang eine der Stützen der geltenden Völkerrechtsordnung war. Wenn die USA
sich über die rechtliche Ächtung des Krieges hinwegsetzen, dann werden andere Staaten
versucht sein, ebenfalls das Gewaltverbot zu missachten. Das System der Friedenssicherung
droht zusammenzubrechen.
Es besteht aber nicht nur die Gefahr, dass ein Rechtsbruch den nächsten nach sich zieht
und so das Recht seine Autorität und faktisch seine Geltung verliert. Die US-Regierung
will auf eine fundamentale Änderung des geltenden Völkerrechts hinwirken. Wenn Bush
sagt, er brauche niemanden um Erlaubnis zu fragen, spricht daraus nicht nur die Arroganz
der Macht. Darin liegt auch eine Rechtsbehauptung. Bush meint wirklich, es sei rechtlich
in Ordnung, dass die USA immer dann Kriege führen, wenn sie das für ihre Sicherheit als
notwendig erachten. Diese Bush-Doktrin hat er nicht en passant, sondern in
einem Grundlagendokument, der Nationalen Sicherheitsstrategie vom September
2002, verkündet. Angriff sei die beste Verteidigung, heißt es dort. Wenn nötig,
müssten Freiheit und Leben der Amerikaner durch präventive Militärschläge verteidigt
werden. War präventive Selbstverteidigung bisher nur bei einem unmittelbar bevorstehenden
Angriff erlaubt, so soll jetzt auf das Unmittelbarkeitskriterium verzichtet werden. Bei
Schurkenstaaten soll die bloße Möglichkeit, dass diese irgendwann einmal
Massenvernichtungsmittel einsetzen, schon ausreichen, um einen Krieg zu legitimieren.
Wenn diese Auffassung sich durchsetzt und zu einer neuen Regel des Völkerrechts wird, ist
das allgemeine Gewaltverbot praktisch abgeschafft. Es gibt viele Staaten, die von
Schurken regiert werden. Wenn jeder Staat gegen jeden Staat Krieg führen
darf, den er für einen Schurkenstaat hält, dann gibt es keine internationale
Sicherheit mehr. Kein Staat kann wollen, dass es dazu kommt. Auch die Bush-Administration
will dies nicht. Sie hat in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie zwar nicht
wörtlich gesagt, aber doch erkennen lassen, dass sie die Befugnis zur Führung von
Präventivkriegen als exklusives Recht für sich selbst in Anspruch nimmt. Während sie im
Hinblick auf andere Staaten mit der Möglichkeit rechnet, dass präventive
Selbstverteidigung als Vorwand für imperialistische Aggression verwendet werden könnte,
fühlt sie sich selbst über diese Versuchung erhaben: Die USA führen immer nur gerechte
Kriege.
Eine neue Völkerrechtsregel, die allein den USA die Führung von Präventivkriegen
gestattete, würde auch das Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten zerstören.
Das amerikanische Ansinnen, dieses Ergebnis herbeizuführen, ist auch ein Angriff auf die
Gleichheitsidee, die seit der Aufklärung Grundlage des Rechts gewesen ist. Neues
Völkerrecht könnte schon dann entstehen, wenn die Staaten es unterließen, gegen die
praktische Anwendung der Bush-Doktrin zu protestieren. Offizieller Protest ist daher
notwendig, gleich beim ersten Anwendungsfall dieser Doktrin, beim Angriff auf den Irak.
Dietrich Murswiek
ist Professor für Staats- und Völkerrecht an der Universität Freiburg