Gericht: Rat muss weitere Mastställe nicht genehmigen |
Ems-Zeitung vom 10.03.2003
Gericht: Rat muss weitere Mastställe nicht genehmigen
Sitzung in Dersum - Bürgerbegehren
Dersum (kd) Eine Gemeinde kann zu Recht ihr Einvernehmen gegen
Stallneubauten versagen, wenn sie dafür eine Begründung anführt." Diese Auffassung
hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg gegenüber dem Rechtsbeistand der
Interessengemeinschaft Contra Geflügelmastställe", in Dersum bestätigt.
Wie die Interessengemeinschaft (IG) im Vorfeld der heutigen Sitzung des Dersumer
Gemeinderates mitteilte, hat eine Anfrage beim OVG Lüneburg zur Planungshoheit von
Kommunen ergeben, dass aus der Versagung des Einvernehmens zum Bau von Mastställen nicht
zwangsläufig Schadensersatzansprüche der potenziellen Bauherren gegenüber der Kommune
resultierten. Wie berichtet hatte der Dersumer Rat vor knapp drei Wochen eine Entscheidung
zur Errichtung von zwei Hahnchenmaststallen mit zusammen über 60000 Plätzen
überraschenderweise vertagt.
Nach Darstellung des Rechtsbeistandes der IG habe das Lüneburger Verwaltungsgericht klar
aufgezeigt, dass ein Kommunalparlament, falls es eine ablehnende Haltung zum Bau von
Mastanlagen annehme, diese unbedingt begründen müsse. Eine Begründung könne
beispielsweise eine zu große Viehdichte in einer Gemeinde darstellen. Dies hat
allerdings nur dann Bestand, wenn konkret festgelegt wird, bis zu welcher Viehdichte der
Bestand akzeptiert wird." Dazu könne beispielsweise die Vorgabe von zwei
Großvieheinheiten je Hektar herangezogen werden.
Ferner sei aus der Auffassung des OVG hervorgegangen, dass die Versagung des Einvernehmens
seitens der Kommune nicht durch den Landkreis ersetzt werden könne. Voraussetzung sei
hier wiederum, das Kommunalparlament habe seinen Entscheid begründet, selbst wenn dieser
unzutreffend sei.
Auf der Sitzung des Dersumer Gemeinderates die um 20 Uhr im Jugendheim beginnt, soll laut
Tagesordnung der Antrag eines Landwirts zum Bau von zwei Mastställen erneut diskutiert
werden. Die Bürgerinitiative "Contra Geflügelmastställe" mochte dem Vernehmen
nach die Zusammenkunft des Kommunalparlamentes nutzen, um die Unterschriftenlisten ihres
Bürgerbegehrens zu überreichen. Mit rund 300 Unterschriften war die erforderliche Anzahl
von zehn Prozent der 1100 Wahlberechtigten bereits im vergangenen Monat erreicht worden,
um einen Bürgerentscheid zu erzwingen. Votierten bei diesem Urnengang mehr als 50 Prozent
der Bürger gegen ein weiteres Ausbreiten von Mastställen in Dersum, käme dies einem
Beschluss des Gemeinderates gleich.
Kommentar: Gemeinderat Dersum zu Mastställen
Karten neu gemischt?
Von Klaus Dieckmann
Es ist und bleibt ein Balanceakt. Solange seitens des Gesetzgebers bundesweit keine neuen
Rahmenvorgaben erlassen werden, die auch den kommunalen Parlamenten Möglichkeiten
einräumen, gegen eine örtliche Überfrachtung mit Mastställen vorzugehen, bleibt die
Materie rechtlich vage.
Auf der einen Seite stehen die berechtigten Interessen der Landwirtschaft, in einen
expandierenden Markt wie die Geflügelproduktion investieren zu wollen. Dies sichert
schließlich das Überleben von Höfen in der ohnehin angeschlagenen Agrarbranche. Auf der
anderen Seite wünschen die Bewohner von Dörfern verständlicherweise eine
Lebensqualität, die nicht von möglichen Gesundheitsgefahren, Geruchsbelästigungen und
ortsbildprägender Dominanz von Mastanlagen beeinträchtigt wird. Mit ihren
Bürgerbegehren legt die Interessengemeinschaft Contra Geflügelmastställe" in
Dersum den Finger in die Wunde.
In der komplizierten Gemengelage aus bestehenden Vorgaben nach dem
Bundesimmissionsschutzgesetz, interpretierenden Auffassungen von Gerichtsinstanzen (siehe
die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg) sowie drohenden
Regressansprüchen der Bauherren von Mastställen den schwarzen Peter der
schwächsten Instanz, den Gemeinderäten, zuzuschieben erscheint grob
fahrlässig.
Gleichwohl: Die Einschätzung des OVG Lüneburg zur Planungshoheit der Gemeinden dürfte
die Karten neu gemischt haben. Und daraus resultierend, könnte die Auffassung der
Verwaltungsrichter nicht nur dem Dersumer Gemeinderat unbenommen der Entscheidung des
Kommunalparlaments im aktuellen Fall Mut machen, selbst das Heft des Handelns auf
politischer Ebene in die Hand zu nehmen. Das wäre der eigentliche Erfolg des
Bürgerbegehrens der Interessengemeinschaft, die mit ihrer Initiative zusehends
Pilotcharakter gewinnt.
.
Aus der Ems-Zeitung vom 10.03.2003