Die Börsenkrise bringt die Schweizer Renten in Gefahr - aus der Süddeutschen Zeitung vom 15.04.2003 |
Die kapitalgedeckte Riesterrente
wurde uns im letzten Jahr als zweite Säule der Rentenversicherung angepriesen. Sie soll
offiziell die Rente im Alter auch für die heutigen Beitragszahler sicher machen. In der
Diskussion wurde als leuchtendes Vorbild die Schweizer Rentenversicherung angeführt.
Jetzt zeigt sich, dass die Börsenkrise diese Renten gefährdet. Ähnliche Tendenzen gibt
auch bei den deutschen Lebensversicherungen. In den USA haben die Pleiten von
Pensionskassen zehntausende Rentner arm gemacht. Die Süddeutsche Zeitung berichtete über
die Entwicklung bei den Schweizer Renten. jdm
Süddeutsche Zeitung vom 15.04.2003
Schnitte im System
Die Börsenkrise bringt die Schweizer Renten in Gefahr
Am vergangenen Freitag zogen die Schweizer Bundesbahnen die Notbremse. Die Pensionskasse
der SBB müsse dringend saniert werden, erklärte das Staatsunternehmen. Im vorigen Jahr
sei ein Verlust von 1,75 Milliarden Franken aufgelaufen. Der Gesamt-Fehlbetrag liege bei
2,7 Milliarden, die zugesagten Leistungen seien nur noch zu 80 Prozent von Kapital
gedeckt. Um die Renten zu retten, werden bei den versicherten Löhnen von Juli an drei
Prozent zusätzlich abgezwackt. Um andere Alterskassen steht es genauso schlecht, sie
kommen um Schnitte nicht herum.
Das Schweizer Rentensystem hat ein Problem: Wegen der Börsenkrise wackelt die so genannte
zweite Säule, die berufliche Vorsorge. Dabei ist sie eigentlich der Grund, warum das
Schweizer System vom Ausland so bewundert wird. Die Renten werden nicht nur im
Umlageverfahren finanziert, bei dem die aktive Generation die Rentner unterstützt. Diese
erste Säule gibt es auch: Die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), in der alle
in der Schweiz wohnenden oder arbeitenden Personen zwangsversichert sind. Sie zahlt aber
nur eine Grundrente von zurzeit maximal 2110 Franken im Monat. Hinzu kommt die
betriebliche Vorsorge, die zusammen mit der AHV ein Rentenniveau von 60 Prozent des
letzten Verdienstes sicherstellen soll. Alle Arbeitnehmer zahlen obligatorisch in eine der
mehrere tausend Pensionskassen ein. Sie sind meist Betrieben angegliedert und
privatwirtschaftlich organisiert. Dort wurde inzwischen ein Kapital von etwa 500
Milliarden Franken angespart.
Einen Teil davon hatten die Kassen während des Börsenbooms in Aktien angelegt. Das
brachte gute Renditen. Inzwischen aber sank der Wert der Anlagen, und nun reicht das Geld
nicht aus, alle Renten zu bezahlen. Das betrifft mehr als die Hälfte aller Kassen.
Innenminister Pascal Couchepin schätzt die Unterdeckung auf zehn Prozent. Es fehlen also
50 Milliarden Franken.
Im letzten Sommer hatte die Regierung erstmals gegengesteuert. Sie senkte den
vorgeschriebenen Mindestsatz für die Verzinsung der Sparguthaben der zweiten Säule von
vier auf 3,25 Prozent. Geplant waren drei Prozent, doch dies ließ sich nicht durchsetzen.
Schon damals sprachen Gewerkschaften von Rentenklau. Weil sich die Krise nun
verschärft hat, ist damit zu rechnen, dass der Zinssatz 2004 noch einmal kräftig
gedrückt wird, die Rede ist von 2,8 Prozent. Und selbst dies wäre Versicherern wie der
Rentenanstalt oder der Zürich, denen die meisten Pensionskassen angeschlossen sind, noch
zu hoch.
Solche Sätze ließen sich am Kapitalmarkt längst nicht mehr verdienen, klagen sie und
fordern ein neues Modell: weg von politisch festgelegten Zinssätzen, hin zu solchen, die
an die Marktlage angepasst sind. Wir brauchen ein objektives Kriterium, sagte
ein Rentenanstalt-Manager vorige Woche und pries die EU-Regelung: Dort dürfe die
Maximalverzinsung nicht mehr als 60 Prozent des zehnjährigen risikofreien Zinssatzes
betragen. In der Schweiz läge der Satz dann unter 2,5 Prozent.
In den nächsten Monaten will die Regierung ein Rettungsprogramm vorlegen. Flexible
Zinssätze aber kommen, wenn überhaupt, erst in Jahren. Nach Ansicht von Minister
Couchepin müsste zuerst eine neue Kontrollbehörde geschaffen werden. Lieber würde er
das Rentenalter erhöhen.
Thomas Kirchner