Referat von Bernhard Wendt auf der Jahreshauptversammlung 2004 des Fördervereins der Grundschule Wippingen |
In seinem Referat zeigte Bernhard Wendt die Grundzüge des Niederländischen
Schulsystems und die Rolle der Inspektoren auf. Bernhard Wendt selbst ist Berater bei OBD
Groningen, einer Organisation, die den Schulen Unterrichts- und Organisationsberatung
anbietet. Für den Vortrag nahm Wendt kein Honorar. "Dat ist
Noaberspflicht", begründete er seinen Verzicht.
Das niederländische Schulsystem baut auf eine "Basisschool" auf, die alle
Kinder von 4 bis 12 Jahren 8 Jahre lang besuchen. Darauf bauen weiterführende Schulen
auf, die die Schüler 4 bis 6 Jahre lang besuchen (siehe Schaubild). Der Schulbesuch ist
kostenlos auch der Besuch von Privatschulen. Es gibt Tendenzen, in die basisschool
auch alle behinderten Kinder zu integrieren. Betroffene Eltern
bekommen vom Staat Zuschüsse, um basisschoolen für die Beschulung ihrer Kinder zu
gewinnen.
In den Niederlanden gehen Kinder von morgens 8 bis ca. 15 Uhr zur Schule. Die Schule ist
verpflichtet, ein Mittagessen anzubieten. Immer stärker verbreitet auch auf dem
Lande- sind neuerdings Ganztagsschulen (brede school), in denen Kinder und
Kindergartenkinder von 8 bis 18 Uhr betreut werden können.
Eltern können die Schule für ihre Kinder frei wählen, sie sind nicht an bestimmte
Schulbezirke gebunden. Die Schulen in einem bestimmten Bereich sind aber verpflichtet,
zusammen ausreichend Plätze in ihrem Bezirk anzubieten.
Schulpflicht ab 5 Jahre
Es besteht Schulpflicht ab dem 5. Lebensjahr, aber fast alle Kinder gehen ab ihrem 4.
Geburtstag zur Schule. Dabei können sie 6 Wochen vor ihrem Geburtstag schon mal
Schnuppertage in der Schule absolvieren. Am Ende der basisschool steht eine Zentrale
Prüfung (Cito-toets), deren Ergebnisse landesweit zentral ausgewertet und zensiert
werden.
Die basisschool wurde 1985 durch die Zusammenführung von Kindergarten (kleuterschool) und
der Grundschule (lagere school) eingeführt. In den Basisschoolen bekommen die Kinder in
den 8 Jahren 7520 Stunden Unterricht, wobei die Verteilung auf die Jahre Sache der Schule
ist. 30% der Basisschoolen sind in Trägerschaft von Gemeinden, 70% der Schulen befinden
sich in privater Trägerschaft, vor allem konfessionell gebundenen Elternvereinigungen.
Die Schulen sind selbständig organisiert und können die staatlichen Gelder autonom
verwalten. Diese Autonomie wird zur Zeit noch in einzelnen Aspekten ausgeweitet.
Das Gesetz über den Primär-Unterricht nennt folgende Ziele der Schule:
1. Die Schule soll den Kindern einen ununterbrochenen
Entwicklungsprozess ermöglichen.
2. Eine harmonische Entwicklung berücksichtigt emotionale, kognitive
und kreative Aspekte, ermöglicht den Wissenserwerb und den Erwerb sozialer, kultureller
und körperlicher Fähigkeiten.
3. Kinder mit spezifischen Unterrichtsbedürfnissen erhalten
zusätzliche und individuelle Förderung
4. Es wird schriftlich festgehalten, was welcher Schüler wann gemacht
hat.
Die Zusammenstellung der Fächer entspricht im Wesentlichen den niedersächsischen
Anforderungen.
Schulen sind alleinverantwortlich
Die Schulen sind für die Art der Gestaltung des Unterrichts allein verantwortlich. Es
wird aber durch die staatliche Schulinspektion eine Qualitätskontrolle der Schulen
durchgeführt.
Dabei wird geprüft, ob die Schulen sich ein Schulprogramm gegeben haben, das die
pädagogisch-didaktischen Ziele nennt, Aussagen über die Personalpolitik trifft und die
schuleigenen Formen der Qualitätssicherung benennt. Dieses Programm enthält Angaben, wie
die gesetzlichen Vorgaben erreicht werden sollen, kann aber auch selbst gesteckte Ziele
enthalten, z. B. das Angebot gezielten Schachunterrichts.
Jede Basisschool hat einen Schulführer zu erstellen. Diese Broschüre
soll alle wesentlichen Angaben über die Schule enthalten und muss jeder Person
zugänglich sein. Jede Schule soll Regeln für ihr Beschwerdemanagement einhalten.
Die Qualitätssicherung der Schule obliegt ihr in eigener Verantwortung. Allerdings ist
das Thema Schule in den Niederlanden ein heißes öffentliches Thema und das
gesellschaftliche Bedürfnis nach Informationen über die Qualität des Bildungswesens
drückt sich auch aus in einem eigenen Schulaufsichtsgesetz. Schulen bewegen sich im
Spannungsfeld von Regierung, Gesetzgeber, Schulaufsicht und Gesellschaft.
Staatliche Zuschüsse für Privatschulen
Hintergrund für diese Entwicklung sind einmal historische Gründe. Seit 1917 schon werden
private Schulen genauso staatlich bezuschusst, wie die kommunalen Schulen. Die Schulen
gehörten aber nicht dem Staat und waren somit nicht, wie in Deutschland Teil der
Behörde. Der Einfluss der Eltern auf ihre Schule ist in den Niederlanden traditionell
stark. Über ihre Trägervereine sind die Eltern quasi die erste Aufsichtsbehörde für
die Schule. Der Staat kontrolliert die korrekte Verwendung seiner Gelder durch die
Schulaufsicht, die in der Vergangenheit durchaus als hoheitliche autoritäre
Kontrollinstanz tätig wurde.
Heute jedoch findet eine Deregulierung des Schulwesens statt. Die Vergrößerung der
Autonomie der Schulen wurde gekoppelt mit der Forderung nach aktiver Qualitätssicherung
und verstärkter Eigenverantwortung. Die Schulaufsicht ist nicht weniger streng. aber sie
übt ihre Tätigkeit vollkommen transparent aus und bemüht sich um das Gespräch mit den
Schulen. Dies macht es den Schulen möglich ihre besonderen Stärken und Schwierigkeiten
fair beurteilen zu lassen. Die Berichte der Schulinspektoren sind öffentlich, auch im Internet,
zugänglich. Für die Eltern spielen diese Berichte bei der Auswahl der Schule für
ihre Kinder eine bedeutende Rolle. Aber persönliche Kenntnis über das pädagogische
Klima an der Schule oder Kriterien, wie z. B. Erreichbarkeit der Schule sind häufig
genauso wichtig.
Regelmäßige Kontrollen
Inhalte der Inspektionen sind neben den Formen der Qualitätssicherung die eigentlichen
Bildungsthemen (Lerninhalte, effektive Lernzeit, didaktisches Handeln, Schulklima), die
Schulergebnisse (Fördermaßnahmen, Prüfungsergebnisse der Schüler) und das Management
und die Organisation der Schule (Personalpolitik, Einsatz der Mittel, Umfeld- und
Elternarbeit).
Die Kontrollen werden periodisch wiederkehrend durchgeführt. Hat eine Schule
Qualitätsprobleme werden jährliche Kontrollen durchgeführt. Es können auch genauere
Überprüfungen und eine Begleitung von Qualitätsverbesserungsmaßnahmen stattfinden.
Generell gilt, dass die Kontrollen verhältnismäßig sein sollen: Soviel Kontrollen, wie
nötig; so wenig Kontrollen, wie möglich.
In einem abschließenden Videofilm zeigte Bernhard Wendt die Vision einer Schullandschaft
des Jahres 2015, die durch konkurrierende Schulangebote verschiedener auch kommerzieller
Schulträger gekennzeichnet ist. Im Film wählten die Eltern die Schulangebote nach
individuellen Gesichtspunkten aus. Der Film zeigte das Ideal der Qualitätsverbesserung
durch den Wettbewerb unter den Schulen.
Schulen Teil des Bildungsmarktes?
Ob diese Entwicklung der Schulen in den Niederlanden positiv zu bewerten ist, konnte nicht
geklärt werden. Verstehen werden kann diese Schullandschaft in erster Linie vor dem
Hintergrund der spezifischen niederländischen Schulgeschichte.
Aber sie ist sicher auch einzuordnen in die Bestrebungen, öffentliche Dienstleistungen
aller Art für den freien Markt zugänglich zu machen, wie sie bei den Verhandlungen zum
Weltdienstleistungsabkommen (GATS) von der EU forciert werden. Die niederländische Schule
ist schon sehr marktkompatibel. Ihr menschenfreundliches Antlitz kann sich durch eine
einfache Kürzung staatlicher Zuschüsse in das harte Gesicht des Marktes verwandeln, auf
dem nur der, der zahlen kann, gute Bildung für seine Kinder kaufen kann.
Die Übertragbarkeit dieser Schulinspektionen auf deutsche Verhältnisse, wie sie
Kultusminister Busemann vorschweben, und die Absichten, die dahinter stehen, konnten nicht
mehr diskutiert werden.
jdm