Gefahrenabwehrverordnung – Über »Sicherheit« und Macht

medico-Rundschreiben 1/2004
Gefahrenabwehrverordnung – Über »Sicherheit« und Macht
Der Rundschreiben Kommentar. Von Thomas Gebauer

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Es gibt wohl kaum ein Thema, das gegenwärtig mehr die Öffentlichkeit bewegt, als das Thema Sicherheit. Angesichts der Flut von Schlagzeilen über Terror, Kriminalität und Drogen, angesichts der Bilder von Kriegen und Elend nimmt das nicht wunder. Die pausenlose Beschäftigung mit den Bedrohungen aller Art aber hinterlässt mehr und mehr Spuren: Chip-Karten im Supermarkt, private Sicherheitsdienste in U-Bahnen, die erkennungsdienstliche Behandlung beim Grenzübertritt, Überwachungskameras allüberall, die Satelliten gestützte Kontrolle des Verkehrs. Längst hat sich die Überzeugung breitgemacht, dass Leben und Überleben ohne wehrhafte Sicherheitsmaßnahmen kaum noch möglich sind.
Das Gefühl permanenter Unsicherheit aber steht in einem merkwürdigen Kontrast zur Wirklichkeit. Die Erkenntnisse von Polizei und empirischer Sozialwissenschaft nämlich sind keineswegs so eindeutig. Seriöse Statistiken belegen, dass in den zurückliegenden Jahren weder die Gewaltkriminalität noch der internationale Terror sonderlich zugenommen haben. Die auffallende Diskrepanz zwischen realem und »gefühltem« Terror aber ist nicht allein menschlicher Irrationalität geschuldet, sie ist vor allem das Resultat mächtiger Interessen.

Das Geschäft mit der Angst
Bereits die Panik- und Moralkampagnen in der Boulevardpresse legen nahe, dass es in der aktuellen Sicherheitsdebatte um ordnungspolitische Maßnahmen alleine nicht geht. Wenn der deutsche Innenminister am Frankfurter Flughafen vor die Kamera tritt und ein neues Hightech-System zur Iris-Erkennung vorstellt, dann geht es ihm auch um Legitimation – und im Hintergrund um das Geschäft. Wer sich als wehrhafter Politiker zu inszenieren versteht, punktet bei denen, die Unsicherheit empfinden; wer es zudem auch noch vermag, eine profitable Bresche für die Sicherheitsindustrie zu schlagen, punktet auch dort.

Geschäft und Politik gehen im Umgang mit der Angst gut zusammen. Was der Sicherheitsbranche den Zuwachs sichert, hilft der politischen Klasse bei der Überwindung von Legitimationsdefiziten. Weil sie ihre wirtschaftliche und soziale Gestaltungskompetenz im Zuge der Entfesselung der Ökonomie weitgehend eingebüßt haben, suchen Politiker ihr Heil verstärkt im »Zupacken« bei der Abwehr der negativen Folgen des Wirtschaftsliberalismus. Nicht um die Schaffung tragfähiger sozialer Perspektiven geht es mehr, sondern um aktiv eingreifende Kontrolle. Als kürzlich erneut die Gewalt, die an deutschen Schulen herrscht, Schlagzeilen machte, fiel den Verantwortlichen nur noch die komplette Videoüberwachung aller Klassenzimmer ein. Den Herstellern von Sicherheitselektronik dürfte es gefallen haben.

Schon vor dem 11.9. boomte die Sicherheitsindustrie mit Wachstumsraten von 9%. Heute liegt der jährliche Gesamtumsatz bei über 50 Mrd. Dollar. Gut 2 Mio. Beschäftigte zählen die 300000 Sicherheitsunternehmen, die sich inzwischen in der Welt niedergelassen haben. Zu den Marktführern gehört die dänische Falck-Gruppe, die mit ihren 230000 Mitarbeitern inzwischen in über 80 Ländern tätig und zum größten Betreiber privater Gefängnisse avanciert ist. Unlängst hat die Falck-Gruppe die Mehrheit an der israelischen Sicherheitsfirma Haschmira erworben, zu deren Spezialität die Sicherung israelischer Siedlungen in der Westbank zählt. Wenn konflikterfahrene Sicherheitsdienste zum Exportschlager werden, stehen völkerrechtliche Bedenken offenbar hinten an.

»Wo Müll ist, sind auch Ratten, wo Verwahrlosung herrscht, ist Gesindel. Das muss in der Stadt beseitigt werden«, verlangte vor einigen Jahren der CDU-Politiker Landowsky. »Der harmlose Obdachlose, der mit seinem Schild brav in der Ecke sitzt, hat nichts zu befürchten«, sekundierte der damalige Frankfurter Ordnungsdezernent, der mit einer neuen Gefahrenabwehrverordnung für die Stadt Frankfurt klar macht, dass fortan »aggressive Bettler« und beispielsweise Menschen, die in der Öffentlichkeit Alkohol konsumieren, mit Platzverboten belegt werden können. Sie gelten als »gefährlich«, nicht weil sie andere bedrohen, sondern weil sie das Bild der sauberen City stören. Shopping und selbstzufriedenes Mittelstandspathos vertragen sich nicht mit dem Anblick von Armut. Zumal sich in den Gesichtern der Ausgeschlossenen ja schon die Angst spiegeln könnte, selbst bald deklassiert zu werden. Solche Verunsicherungen kann die »wehrhafte Stadt« nicht dulden – und sei es unter Verletzung des Grundrechtes auf Freizügigkeit.

Redundant People
Wo früher noch sozialpolitischer Ausgleich und Integration im Vordergrund standen, kommen heute immer stärker Ausgrenzungsstrategien zum Tragen. Dabei werden ausgerechnet diejenigen von Sicherheit ausgeschlossen, die sie am meisten bräuchten: die Mittellosen. Zur Ware verkommen kann sich Sicherheit aber nur noch leisten, wer über die nötige Kaufkraft verfügt. Nirgendwo ist die Fragmentierung der Gesellschaft so weit vorangeschritten wie in den USA. Während bereits 8 Mio. US-Bürger in sog. »gated communities« leben und von privaten Sicherheitsdiensten geschützt werden, sitzen über 2 Mio. Menschen in Gefängnissen ein; betrieben von privaten Firmen, die längst auch an der Börse notiert sind. Die Correction Corporation of America beispielsweise steigerte den Wert ihrer Aktien innerhalb von 10 Jahren von 50 Millionen auf 3,5 Milliarden US$.

Um solche profitablen Spaltungen zu rechtfertigen, »zero tolerance« durchzusetzen und Menschen schon für kleinste Vergehen lebenslang wegschließen zu können, bedarf es eines gesellschaftlichen Revanchismus. Tatsächlich betrachtet der sich immer aggressiver gebärdende Mittelstand Gewalt, Terror und Drogen als nur noch von außen kommende Bedrohungen, die mit allen Mitteln bekämpft werden müssen.

Auch die globalen Strategien zur Gefahrenabwehr, ob sie nun Präventivkrieg oder humanitäre Intervention heißen, laufen darauf hinaus, den wirtschaftlichen und sozialen Ausschluss großer Teile der Weltbevölkerung dauerhaft abzusichern. Nicht das Eintreten für den Schutz der Menschenrechte motivierte zum militärischen Handeln in Afghanistan, wie es hin und wieder heißt, sondern nationale Sicherheitsinteressen, die per definitionem davon ausgehen, dass Bedrohungen von außen kommen und nichts mit dem eigenen Lebensstil zu tun haben. Unmissverständlich bekannte der deutsche Verteidigungsminister, dass es die Sicherheit Deutschlands sei, die am Hindukusch verteidigt wird, und nicht die Menschenrechte.

Die Botschaft, die dabei kommuniziert wird, ist ebenso populär wie perfide. Gerade weil in der Welt ein permanenter Ausnahmezustand herrscht, kann nur noch jeder für sich und jedes Land auf sich selbst bezogen für Sicherheit sorgen. Es ist das Gefühl allgemeiner Unsicherheit, das neo-liberale Herrschaftsstrategien jenseits von Recht und Justiz legitimiert. Und so werden auch im internationalen Geschehen völkerrechtliche Grundsätze durch eine Art globale Gefahrenabwehrverordnung ersetzt.

Schritt für Schritt, fast unmerklich ist die normative Orientierung an der Kategorie des Rechts von der politischen Orientierung an der Kategorie der Sicherheit abgelöst worden. Völkerrechtswidrige Kriege haben daran Anteil, aber auch die zunehmenden Attacken der Boulevard-Presse gegen die heimische Justiz oder die Denunzierung des Rechtsanspruchs auf Sozialhilfe als Beihilfe zum »Schmarotzertum«. Die Entmoralisierung der Gesellschaft, die darin zum Ausdruck kommt, bereitet den Weg für eine neue, eine autoritäre »Moral mit Anschlusszwang«, die nicht mehr auf dem normativen Urteil von vernünftigen Subjekten gründet, sondern auf Ideologie und den Interessen der Macht.

Die Sorge um die in der Welt herrschende Gewalt und die Gefahr totalitärer Entwicklungen aber ist berechtigt. Angesichts flagranter Menschenrechtsverletzungen sind Einspruch und Einschreiten dringend geboten. Dabei muss es auch um die kritische Auseinandersetzung mit dem totalitären Anspruch des global entfesselten Kapitalismus gehen.

Thomas Gebauer

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