Tausende Schulleiter-Posten sind in Deutschland nicht besetzt

Haus ohne Hüter
Tausende Schulleiter-Posten sind in Deutschland nicht besetzt – der Rektorenjob verlangt viel und bietet wenig

Von Dominik Fehrmann
Viel Honig wird Deutschlands Schulleitern derzeit um den Bart geschmiert. „Motoren" der Bildungsreformen seien sie, „die wichtigsten Gelingensfaktoren" gar und ihre Rolle „kaum zu überschätzen". So verkünden es Bildungsforscher wie Kultuspolitiker und verweisen auf die zunehmende Selbstständigkeit der Schulen, die sich in zunehmender Zuständigkeit der Schulleitung manifestiere. Doch ausgerechnet im Reformmotorenbereich läuft nicht alles rund. Gerade jetzt, wo es darauf ankommt, will kaum jemand den Schulleiter Job übernehmen.

Zum Beispiel an der Walther Hartmann Schule in Remscheid. Eine normale Grundschule mit 240 Kindern, doch seit über einem Jahr ohne reguläre Leitung. Der letzte Rektor ist 2003 in Pension gegangen, fünfmal wurde seitdem die Stelle offiziell ausgeschrieben. Und fünfmal gab es keine einzige Bewerbung. „Einige Eltern haben sogar eine Stellenanzeige in der Zeitung aufgegeben", erzählt Ursula Tillmann. „Ebenfalls erfolglos." Die 58 Jährige hat die Leitung kommissarisch inne, als dienstälteste Lehrerin der Schule wurde sie vom zuständigen Schulamt zwangsverpflichtet.

Jetzt leitet sie nicht nur ihre vierte Klasse, sondern kümmert sich mit Unterstützung des Kollegiums auch um Stundenpläne, Schulveranstaltungen sowie die Anliegen von Eltern und Behörden. Und nebenbei noch um die Durchführung der frisch verordneten Lernstandserhebung sowie die Einführung der neuen Schuleingangsphase zusätzliche Aufgaben, die selbst erfahrenen Schulleitern viel abverlangen würden. Die Vakanz im Rektorat treffe die Schule zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, sagt Tillmann: „Da wird einiges auf der Strecke bleiben."

Der Fall ist kein Einzelfall. Allein in Nordrhein Westfalen waren zu Schuljahresbeginn knapp 800 Schulen führungslos. Dass einige davon inzwischen wieder über Leitungspersonal verfügen, macht die Lage kaum weniger problematisch, wie der Blick auf eine andere Statistik zeigt: In vielen Bundesländern kamen im vorigen Jahr auf eine ausgeschriebene Rektorenstelle im Schnitt nicht einmal zwei Bewerbungen. Besonders an Grundschulen ist es keine Seltenheit, dass sich niemand für den Chefposten interessiert. Und wo sich gerade mal ein Bewerber findet, stehen Schulämter oft vor der Wahl, die Stelle mit einem ungeeigneten Kandidaten oder gar nicht zu besetzen. Von qualitätssicherndem Wettbewerb kann keine Rede sein.

Der Führungskräftemangel an Deutschlands Schulen hat verschiedene Ursachen. So ist der Kreis potenzieller Kandidaten durch die Altersstruktur der Kollegien stark eingeschränkt. An vielen Schulen wird jeder dritte Lehrer in den nächsten zehn Jahren pensioniert. An der Walther Hartmann Schule etwa liegt das Durchschnittsalter des Kollegiums bei über fünfzig Jahren. Die zuletzt bundesweit vermehrt angeheuerten Junglehrer wiederum bewähren sich gerade erst im Unterrichtsalltag. Mithin haben relativ wenige Lehrer sowohl genügend Erfahrung als auch genügend Elan für den Schritt ins Schulleiteramt.

Doch demographische Faktoren verschärfen nur das eigentliche Problem. Denn das Amt bietet selbst ambitionierten Pädagogen mittleren Alters wenig verlockende Arbeitsbedingungen. Trotz erweiterter Kompetenzen. Zwar können Schulleiter ihrer Schule inzwischen ein eigenes pädagogisches Profil geben, dürfen zunehmend mit Sachmitteln und Fortbildungsgeldern haushalten, bei Personalentscheidungen mitreden und die Arbeit der Lehrer offiziell beurteilen. Womit auch ihr Einfluss auf die Qualität des Unterrichts deutlich gestiegen ist. Theoretisch. Praktisch seien diese Gestaltungsmöglichkeiten doch sehr begrenzt, meint Stephan Huber, der an der Universität Erfurt im Bereich Schulentwicklung und Schulmanagement forscht. „Die erhöhte Bedeutung der Schulleitung schlägt sich vorerst nur in zusätzlichen Aufgaben nieder, nicht in einer entsprechenden Ausstattung des Amtes."

Das fängt mit der unverändert bescheidenen Bezahlung an. Kaum zweihundert Euro mehr bringt der Schritt ins Führungsamt beispielsweise an einer Grundschule. Doch eine bessere Bezahlung ist für Heike Körnig, die Vorsitzende des Allgemeinen Schulleitungsverbands, nicht einmal vordringlich. „Was wir vor allem brauchen, ist mehr Leitungszeit und eine bessere Ausbildung. Nur dann können wir den erweiterten Gestaltungsspielraum auch nutzen".

Bislang aber kommen deutsche Schulleiter vor lauter Verwalten kaum zum Gestalten. Schuld daran, so der jüngste OECD Bericht, sei auch die „minimale personelle Unterstützung bei Management und Verwaltungsaufgaben". So müssen Rektoren an kleineren Grundschulen ohne Konrektor, einige sogar ohne Bürokraft auskommen. Vor allem aber bleibt hiesigen Schulleitern überhaupt wenig Zeit zum Leiten. Denn nach wie vor verbringen sie mehr Zeit mit dem Unterrichten. Standesgenossen in anderen europäischen Ländern haben eine deutlich geringere oder gar keine Unterrichtsverpflichtung. Auch bei der Ausbildung könnte Deutschland von den Nachbarn lernen. Die bestehenden Angebote der Bundesländer sind vergleichsweise dürftig: Die Kurse dauern im Schnitt kaum zwei Wochen, sind meist freiwillig und erst nach Amtsantritt vorgesehen.

Außerdem gibt es zu wenige Plätze. Gerade im hiesigen Qualifizierungsangebot, sagt Huber, zeige sich ein überholtes Verständnis von Schulleitung. „Kein anspruchsvoller Beruf lässt sich in ein paar Tagen erlernen. Schulleiter gelten hier noch als Lehrer mit einer Zusatzaufgabe." In anderen Ländern würden Qualifizierungs Programme dem besonderen Tätigkeitsprofil sehr viel mehr gerecht. Da seien Schulleiter Kurse verpflichtend, inhaltlich wie methodisch aufwändiger und in enger Kooperation mit den Hochschulen gestaltet. Zudem dauerten sie einige Monate und umfassten mehrere Bausteine in verschiedenen Berufsstadien. „Gerade die berufsvorbereitenden Qualifizierungsangebote führen erwiesenermaßen auch zu mehr Bewerbern für Schulleitungsstellen." Mentoren und Coachingsysteme, wie es sie etwa in Frankreich oder England gibt, hält Huber ebenfalls für nachahmenswert. Dort werden die Berufsanfänger auch von erfahrenen, qualifizierten Schulleitern betreut und fortgebildet.
Was das angeht, gehört ausgerechnet die Walther Hartmann Schule zur Avantgarde in Deutschland. Denn mit einer Art Mentorensystem haben sie hier schon reichlich Erfahrung gemacht. Notgedrungen. „Könnte ich nicht immer wieder Schulleiter aus der Umgebung um Rat fragen", sagt Aushilfs Rektorin Tillmann, „wüsste ich oft gar nicht weiter."

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