Erschütterte Nordic Walker | Süddeutsche Zeitung vom 20. Juli 2005 |
Erschütterte
Nordic Walker
Das Gehen mit Stöcken ist zum Trendsport geworden, doch es entlastet die Gelenke
keineswegs so sehr wie versprochen
Rosi Mittermaier und Christian Neureuther sind begeistert davon - genauso wie zwei
Millionen andere Deutsche. Das prominente Skifahrerpaar hat sogar ein Buch über Nordic
Walking geschrieben. Das Gehen mit Stöcken gilt derzeit als der Gesundheitssport
schlechthin, es soll sanft und für jedermann geeignet sein. Die Gelenke, so wird dem
Walkenden versprochen, würden durch die Carbonstöcke im Vergleich zum normalen Gehen um
bis zu 30 Prozent entlastet.
Doch so sanft ist der Sport offenbar nicht. Vor allem das Attribut extrem
gelenkschonend" hat er aktuellen Studien zufolge nicht verdient. Daniel Leyser,
Physiotherapie Student an der Europa-Fachhochschule Fresenius, hat bei 20 erfahrenen
Nordic Walkern nachgemessen, welche Kräfte wirklich auf den Gelenken lasten. Dafür
versah Leyser Beine, Schuhsohlen und Stöcke mit Kraftsensoren. Auch wenn er noch nicht
alle Daten ausgewertet hat - ein eindeutiger Trend zeigt sich bereits: Die Entlastung der
Knie, Hüft- und Sprunggelenke liegt im Vergleich zum normalen Gehen weit unter zehn
Prozent.
Beim Nordic Walking gibt es zwei Kraftspitzen eine beim Aufsetzen der Ferse, die
andere beim Abstoßen", bestätigt Markus Walther von der Gesellschaft für
Orthopädisch Traumatologische Sportmedizin (GOTS). Der Aufprall der Ferse auf den Boden
sei beim Nordic Walking zwischen 15 und 20 Prozent höher als beim einfachen Walken und
teilweise sogar höher als beim Joggen. Vor allem wer wie es normalerweise empfohlen
wird mit lang gezogenen Schritten walkt und seinen Fuß mit nahezu gestrecktem Knie
aufsetzt, belastet die Gelenke enorm", so Walther. Da Jogger schneller sind, setzen
sie ihren Fuß in einem flacheren Winkel (23,5 Grad) auf, während die Ferse beim Nordic
Walking im 33 Grad Winkel auf dem Boden landet. Das belegen Messungen, die kürzlich auf
dem GOTS Kongress in München vorgestellt wurden. Lediglich in der Abstoßphase federn die
Stöcke einen Teil der Kraft ab, wodurch gut trainierte Nordic Walker ihre Gelenke um zehn
bis 15 Prozent entlasten können.
Ob Joggen, Walken oder Nordic Walken besser geeignet ist, muss man individuell
entscheiden", sagt Walther. Menschen mit Arthrose oder Problemen in den
Schultergelenken täten sich mit Nordic Walking nicht unbedingt etwas Gutes. Das Deutsche
Walking Institut rät Personen mit Gelenkproblemen, unbedingt auf einen verkürzten
Schritt und das flächige Aufsetzen der Ferse zu achten." Die GOTS Studien belegen
zudem, dass spezielle Schuhe mit Federungen im Fersenbereich den Aufprall vermindern. Sie
seien daher besonders Menschen zu empfehlen, die viel walken.
Aber woher kommt die Behauptung eigentlich, dass Nordic Walking so gelenkschonend ist?
Daniel Leyser hat die Fachliteratur durchforstet, Wissenschaftliches zum Thema fand er
aber nicht. Das Nachrichtenmagazin Spiegel führte die neue Ode an den
Vierradantrieb" kürzlich auf die pfiffige Werbestrategie eines finnischen
Unternehmens zurück. Die Firma Exel stellt eigentlich Langlaufstöcke her, doch der
Absatz ging zurück, und wir suchten nach etwas, um unser Sportartikelgeschäft
anzukurbeln", sagte ein Manager. Dass Nordic Walking massiv vermarktet
wird", kritisiert auch das Deutsche Walking Institut. Tatsache ist, dass die
Sportbranche derzeit fast nur durch diesen Trend leichte Umsatzsteigerungen verbucht.
Trotz der neuen Studienergebnisse, wollen die Forscher Nordic Walking nicht schlecht
machen. Der Sport sei für Büromenschen gut, weil das Gehen mit Stöcken Verspannungen im
Schulter- und Nackenbereich lösen könne. Nordic Walking aktiviere und kräftige 600
Muskeln und senke den Blutdruck. Deshalb ist der Sport, wie Studien belegen, auch für
Herzpatienten von Vorteil.
Zudem verbessert er die Kondition: Wer seine Stöcke wirklich einsetzt, verbrennt 400
Kilokalorien pro Stunde, während Walker ohne Stöcke lediglich auf 280 Kilokalorien
kommen. Und gerade unsportlichere Menschen fangen mit dem Joggen oft erst gar nicht an.
Für Christian Grüneberg von der EuropaFachhochschule Fresenius gibt es einen klaren
Vorteil des ungewöhnlichen Trendsports: Die Leute kommen endlich in Bewegung."
Kathrin Burger
jdm/Süddeutsche Zeitung vom 20. Juli 2005