von Pfarrer Walter Albers, Jever
Die Tunschere ist für viele sicherlich noch ein bekannter
Begriff, an dem manche Erinnerungen haften. Erlebnisse rund um den
Brauch des "Tunscherebringens" wurden in mir wieder wachgerufen, als
mir zu Beginn des Jahres eine Tunschere überbracht wurde. Recht
traditionell ging es zu: Plötzlich wurde laut an meine Haustür
geklopft. Nachdem ich die Tür geöffnet hatte, fand ich eine
wunderschöne Tunschere auf den Treppenstufen vor. Weil die
Überbringer sich nach alter Sitte versteckten, musste ich auf die
Suche nach ihnen gehen, die recht bald zum gewünschten Erfolg
führte. In gemütlicher Runde wurden späterhin alte Erinnerungen
wieder wachgerufen. Die begeisterten Schilderungen der
Kindheitserlebnisse beim Ausbringen der Tunschere -an die ich mich
noch gut erinnern kann- waren für mich Anlass, einiges zu diesem
Thema zu schreiben.
Zum Brauch Sacht und geheimnisvoll geschah das
Austragen der Tunschere. Verwandte, Nachbarn oder Freunde brachten
sie am Silvesterabend in der Dämmerung irgendwie vor das Haus, ohne
dass der Bringer gesehen wurde. Nach lautem Klopfen suchte man das
Weite. Sofort versuchten die Hausbewohner, den Bringer zu fangen. Es
war aber eine große Ehre, eine zeitlang unentdeckt zu bleiben. Nach
der Entdeckung wurden die Bringer im Hause reichlich bewirtet. Der
Brauch war Ausdruck guter Beziehungen und wollte bestehende
Verbindungen enger knüpfen. Die Ausführung der Tunschere zeigte
außerordentliche Vielfalt. Oft wurde sie mit besonderer Mühe reich
verziert aus trockenen Stöcken, die kunstgerecht gebogen wurden und
durch Abschaben der Oberfläche dichtes Kräuselwerk zeigten,
gefertigt. Späterhin wurden die Stöcke nicht mehr abgeschabt,
sondern durch kunstvoll geschnittenes Seidenpapier verziert.
Vielfach wurden noch Beigaben wie Neujahrsbriefe, Geschenke,
Tannenbaumschmuck hinzugefügt oder eine Kerze in die Tunschere
gestellt.
Zur Bezeichnung Die Bezeichnung "Tunschere" wird nicht
einheitlich gebraucht. Südoldenburg, das Saterland und der Hümmling
kennen auch die Wäpelraut. Heute wird nur noch an wenigen Orten
zwischen Wäpelraut und Tunschere streng unterschieden; oft werden
beide Namen für denselben Gegenstand gebraucht. In Niederlangen ist
nur die Bezeichnung "Tunschere" bekannt.
Tunschare Der Brauch des Tunscherebringens war schon
im hohen Mittelalter überliefert. "Die Tunscharen jener Zeit
waren diejenigen Dorfbewohner mit eigenem Haus, die an den Zäunen
einer Wehr oder eines Hofes wohnten. Durch den Mietzins hatten sie
ein Pflugrecht (Scharrecht) am Ackerboden der Besitzung. Diese
Dauergäste eines Hofes überbrachten in der Zeit der Sonnen- und
Jahreswende dem patriarchalischen Haus ein Zeichen des Wohlwollens,
eben solch ein Geschenk mit Holzblumen und bunten Farben. Diesen
Gesellschaftsstand gibt es nicht mehr; der Name aber wurde
weitergegeben"1)
Don eher "Ich nehme an, dass der Name
Tuunscheer auf die Verballhornung des frz. Ausdrucks don eher -
teure Gabe, teures Geschenk - zurückgeht" 2) so
Dr. Marron C. Fort. Anfang des 19. Jahrhunderts (1804-1813) war
unsere Heimat von französischen Truppen besetzt. Der linksemsische
Teil des Emslandes gehörte u. a. zum Kaiserreich Frankreich und
nannte sich "Department der Lippe". Viele Begriffe, z.B.
Portemonnaie, Chaiselongue, Billett etc. sind aus dieser Zeit in
unsere Sprache eingegangen. Aus der "teuren Gabe" zu Silvester
wurde im Laufe der Zeit dann die Tuunscher.
Dr. Marron C. Fort stammt aus den U.S.A. und lebt seit 1983 in
Deutschland. Er leitet an der Universität Oldenburg die
Arbeitsstelle Niederdeutsch und Saterfriesisch. Anlässlich eines
Treffens der Oldenburgischen Priesterschaft in Ramsloh durfte ich
diesen interessanten und perfekt Plattdeutsch und Saterfriesisch
sprechenden "Amerikaner" erleben.
Tuunschere "Die Tuunschere ist von der
Grundbedeutung her eine Gartenbescherung. Tuun ist in Ostfriesland
der Garten. Schere, scheren, kommt von bescheren, teilen", so Frau
Cornelia Nath.
Frau C. Nath ist bei der Ostfriesischen Landschaft für die
Plattdeutschförderung zuständig und beschäftigt sich intensiv mit
der Herkunft von Worten.
Tuunscheren Gartenneckerei bzw.
-schererei Scheren kann u.a. aber auch soviel wie "plagen,
foppen, ..., necken, zum Besten haben etc. "3)
bedeuten Scherere, scherdere bedeutet "Schererei, Neckerei,...
Plagerei." 4) So finden wir es im Wörterbuch der
ostfriesischen Sprache. Im Zusammenhang mit den Bräuchen des
Tunscherebringens könnte auch diese Deutung zutreffen.
Tunschääre Tunschääre, so wird die
"geschmückte, auf einem Brett befestigte Rute" auf dem Hümmling
genannt.5)
Tunscheere "Wortbestandteil: tun und
schere -Abgeschnittenes von Zaun- (Garten)" 6) so steht
es u. a. in dem Buch –Wortwurzeln- von Heinrich Book.
Wäpelrout Tunscheere ist ein jüngeres
Wort für Wäpelrout. "... Für das Wäpelrout lässt sich Werpelrute,
Wurfrute annehmen. Werpen ist ... werfen. Raut und rout ist die
Rute....Das Saterland kennt Tuunschiere und Wäpelrout wie der
Hümmling. Sie werden dort als Neujahrsgeschenk bezeichnet...Da die
Wäpelrout in das Haus geworfen wurde -der Überbringer musste
eingefangen werden- liegt diese Worterklärung
nahe."7)
Tunscherenkerl is nich mehr dor
In Werlte, so wird 1929 im Heimatbuch -Der Hümmling- berichtet,
wohnt der Tunscherenkerl, der die Tunschere mit großer
Geschicklichkeit herstellt und von Dorf zu Dorf zieht, bis er die
letzte aus seiner Kiepe verkauft hat.8) Doch am Ende
des Berichtes finden wir eine traurige Mitteilung: "Tunscherenkerl
is dot, und mit ihm ist auch die alte Sitte des Austragens der
Tunschere zu Grabe getragen worden." 9)
Tunscherenkerl is wer dor-wull ik wall tofögen.
Bi Familie Hagemann up Kapellenmoor worden wer mit groter Kunst
Tunscheren maakt! Die Ausarbeitung zu diesem Thema hat mir viel
Freude bereitet und mir einen neuen Aspekt meiner Heimat eröffnet.
Als "Butenlänger" möchte ich auf diesem Wege allen Heimatfreunden
Danke für ihre Mühen sagen. Ein besonderer Dank
gilt den "Tunscherenkerls- und froen" und den Überbringern der
Tunschere.
Literatur
1. Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland, 1984, S. 77 2.
Marron C. Fort, Brief vom 18. 04., S. 1 3. Jan ten Doornkaat,
Wörterbuch der ostfriesischen Sprache, Band 3, S. 115 4. Ebenda,
S. 115 5. Heinrich Book, Hümmlinger Wörterbuch, 1998, S.
284 6. Heinrich Book, Wortwurzeln, 1996, S. 87 7. Ebenda 8.
Der Hümmling, 1929, S. 113 9. Ebenda Zum Zustandekommens
dieses Artikels haben mit ihrer freundlichen Unterstützung
beigetragen: Frau C. Nath, Ostfriesische Landschaft, Dr. Marron C.
Fort, Universität Oldenburg, Herrn J. Grave, Emsländischer
Heimatbund und H. Moormann, Pfarrer im Saterland. Ihnen allen bin
ich sehr dankbar. |