Keim ohne Lebenn| Süddeutsche Zeitung vom 11.05.2006 |
Süddeutsche Zeitung
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Donnerstag, 11. Mai 2006, Seite 2
Keim ohne Leben
Agrarkonzerne arbeiten an Saatgut, das nur eine einzige Ernte erbringt
-- und gefährden damit die Bauern der Dritten Welt
Von Andreas Bauer und Christof Potthof
Das Getreidekorn ist für viele Kulturen eines der zentralen Symbole des Lebens. Doch vor
allem europäische Konzerne wie Syngenta, BASF oder Bayer, aber zum Beispiel auch der
US-Konzern Delta & Pine Land, entwickeln gentechnische Methoden, um den Pflanzen und
dem Korn gerade dieses Leben zu nehmen. Eingriffe, die Pflanzen durch Manipulation des
Erbgutes ihre Vermehrungsfähigkeit rauben, werden landläufig auch als
"Terminator"-Technologien bezeichnet. Den Pflanzen wird dazu eine Art Programm
eingebaut, das den Embryo im ausgereiften Korn abtötet. Das gekaufte Saatgut keimt aus,
die Pflanzen wachsen, doch die Samen in der Ernte bleiben steril. So sollen Landwirte
daran gehindert werden, Saatgut nachzubauen. Einmal gekauftes Saatgut soll auch nur einmal
verwendet werden.
Bisher sind Terminator-Pflanzen noch nicht im Handel. Nach Aussagen einiger Unternehmen
werden sie aber in Gewächshäusern erprobt. Auch das US-Landwirtschaftsministeriums ist
an der Entwicklung von Terminator-Pflanzen beteiligt. Nach Angabe eines Sprechers
will man "den Wert patentierten Saatguts von US-Konzernen steigern und neue Märkte
in Ländern der Zweiten und Dritten Welt erobern". Seit der so genannten Grünen
Revolution mit ihren von Dünger und Chemie abhängigen neuen Sorten wird weltweit
vermehrt sorten- oder patentrechtlich geschütztes Saatgut verbreitet. Damit geht einher,
dass traditionelle Rechte von Bauern sehr stark eingeschränkt werden. Betroffen ist
insbesondere das so genannte Landwirteprivileg auf den bäuerlichen Nachbau: Demzufolge
dürfen Bauern unter bestimmten Bedingungen auch geschützte Sorten für die Wiederaussaat
einbehalten. Derzeit dringen global agierende Agrarkonzerne in Regionen der Welt vor, in
denen diese Selbstversorgung mit Saatgut noch die Regel ist. Insbesondere in der Dritten
Welt wird Saatgut ausgelesen und mit Nachbarn getauscht . Die besten Körner der Ernten
werden für die Aussaat im nächsten Jahr zurückbehalten. Gehandelt wird es jedoch nicht,
also nicht ge- und nicht verkauft. So wird die Ernährung von mindestens 1,4 Milliarden
Menschen gesichert.
Dieser bäuerliche Nachbau liegt notwendigerweise nicht im Interesse des globalen
Saatguthandels. Um dessen Geschäft zu ermöglichen, fehlt es in den so genannten
Entwicklungsländern zudem an Patentgesetzen und Kontrollmöglichkeiten. Für die
Agrokonzerne wären Terminator-Pflanzen der Schlüssel für das Schlaraffenland, eine Welt
ohne Nachbau. Schätzungen zufolge sind derzeit noch drei Viertel des weltweiten
Saatgutmarktes in bäuerlicher Hand. In Deutschland zum Beispiel werden zirka fünfzig
Prozent des Getreides von den Landwirten nachgebaut.
Die Grundlagen der Terminator-Technologie wurden zu Beginn der 90er Jahre entwickelt. Das
US-Landwirtschaftsministerium und der US-Konzern Delta & Pine Land forschten gemeinsam
an den Pflanzen, die sterile Samen hervorbringen sollten. Ans Licht der Öffentlichkeit
gelangte diese Form der gentechnischen Veränderung jedoch erst, als 1998 die Anmeldung
eines Patentes auf Terminator-Pflanzen und die Absicht bekannt wurde, diese auf den Markt
zu bringen.
Bauern sehen ihre Rechte am Saatgut, Entwicklungsorganisationen das Menschenrecht auf
Nahrung in Gefahr. Umweltverbände sorgen sich um die biologische Vielfalt und die
Ethikkommission der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen erklärt, es sei
"unakzeptabel, Saatgut zu verkaufen, dessen Erntegut die Bauern nicht wiederverwenden
können". Zudem hatten die Vertragsstaaten der UN-Konvention über die biologische
Vielfalt (CBD) im Jahre 2000 ein Moratorium für die kommerzielle Nutzung gentechnisch
sterilisierter Pflanzen beschlossen. Hauptargumente der internationalen Gemeinschaft
waren, dass die Terminator-Technologie die biologische Vielfalt, das Wissen hierüber
sowie die traditionellen -- in den Ländern des Südens noch heute vielfach praktizierten
-- Saatgut-Tauschpraktiken gefährdet.
Die meisten beteiligten Unternehmen versprachen daraufhin, diese Technologie nicht weiter
zu verfolgen oder auf ihre Anwendung zu verzichten. Dennoch soll eine neue Strategie nun
die Vermarktung von Terminator-Pflanzen ermöglichen: Die Industrie versucht seit einiger
Zeit, gentechnisch veränderte Terminator-Pflanzen als Lösung des Problems der
Verunreinigung konventionell und ökologisch bewirtschafteter Felder durch genmanipulierte
Gewächse zu verkaufen. Mit anderen Worten: Eine von der Gentech-Industrie selbst
herbeigeführt Situation -- die Verunreinigung anderer Felder durch transgene Pflanzen --
dient nun als Vorwand, die neue Terminator-Technologie als Schutz zu propagieren. Der Bock
macht sich selbst zum Gärtner.
Die These, mit Terminator-Pflanzen könnte Auskreuzung verhindert werden, ist jedoch
schlichte Bauernfängerei, denn nur die Samen der Terminator-Pflanzen sind steril -- nicht
jedoch die Pollen. Diese können andere Pflanzen bestäuben und benachbarte Äcker
kontaminieren. Die Ernten dieser Felder könnten dann ihrerseits, zumindestens teilweise,
steril werden. Die Industrie erhält Unterstützung von den Regierungen Kanadas,
Australiens und Neuseelands, die ihrerseits das Terminator-Moratorium der CBD aus dem
Jahre 2000 schwächen wollen. Der jüngste Versuch dieser Staaten wurde soeben vereitelt.
Beim diesjährigen Treffen der Vertragsstaaten der CBD im brasilianischen Curitiba wurde
das bestehende Moratorium bestärkt.
Doch die Ächtung der Terminator-Technologie ist auch in Deutschland nicht unumstritten:
Im Vorfeld des Treffens in Brasilien scheiterte eine Initiative der SPD-Bundestagsfraktion
zur Unterstützung des Moratoriums -- interessanterweise am Widerstand der christlichen
Parteien. Wie ernst es den Saatgutzüchtern mit ihren Forderungen zur Einschränkung des
Nachbaus ist, konnte im vergangenen Jahr verfolgt werden: Im Herbst forderte deren
europäische Dachorganisation ESA schlicht die vollständige Abschaffung des
Landwirteprivilegs. Notwendig ist daher eine dauerhafte und völkerrechtlich verbindliche
Ächtung aller Technologien zur gentechnischen Sterilisierung von Pflanzen. Nur so können
grundlegende bäuerliche Rechte verteidigt, kann die biologische Vielfalt geschützt
werden. Beim nächsten Treffen der Vertragsstaaten der Konvention über die biologische
Vielfalt -- 2008 voraussichtlich in Deutschland -- bietet sich die Gelegenheit.
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*Bildunterschrift:*
Andreas Bauer betreut beim "Umweltinstitut München" die
Gentechnik-Abteilung. Christof Potthof arbeitet für das "Gen-ethischen
Netzwerk" in Berlin.
jdm/Süddeutsche Zeitung vom 11.05.2006