Die Kohle-Wäscher

Ab 2020 sollen CO2-arme Kraftwerke in Europa Standard sein. Erste Projekte zur Abtrennung und Speicherung des Klimagases laufen an. Ob die Kommerzialisierung der Technik gelingt, erscheint zweifelhaft. Hohe Kosten sowie Risiken bei der Speicherung stehen einem breiten Einsatz entgegen.

Text: Sascha Rentzing, Foto: Silke Reents

 

Mit Klimaschutz hatte Energieversorger Vattenfall bisher nicht viel am Hut: Der Konzern betreibt mit den Braunkohlekraftwerken Jänschwalde, Schwarze Pumpe und Boxberg im Osten der Republik gleich drei der zehn größten deutschen Treibhausgas-Emittenten – insgesamt mehr als 50 Millionen Tonnen des Klimagases CO2 blasen die Meiler jährlich in die Luft. Und der Stromriese wird in der Liste der schmutzigsten Erzeuger auch weiter einen festen Platz haben: Derzeit erweitert das Unternehmen das Kraftwerk Boxberg um 675 Megawatt (MW) Leistung. 800 Millionen Euro fließen in den neuen Braunkohle-Block, der 2011 in Betrieb gehen soll.

Boxberg IV soll einer der letzten Öfen alten Typs sein, in den investiert wird. „Wir wollen künftig nur noch CO2-freie Kraftwerke bauen und unseren bestehenden Kraftwerkspark mit CO2-Abscheidung nachrüsten“, erklärt Vattenfalls Beauftragter für Klimaschutz, Wolfgang Dirschauer, die neue Strategie.

Dass es dem Energieversorger ernst ist, will er im kommenden Jahr beweisen. Dann soll direkt neben dem Meiler Schwarze Pumpe das erste deutsche CO2-freie Kraftwerk mit 30 MW Leistung in Betrieb gehen. Wobei die Bezeichnung „CO2-frei“ missverständlich ist: Wie bei jedem Verbrennungsprozess entsteht das schädliche Gas auch in dieser Anlage.

Allerdings wird es nicht – wie sonst üblich – einfach in die Atmosphäre geblasen, sondern zuvor abgetrennt und anschließend tief unter der Erde eingelagert. Eine komplette Abtrennung des CO2 ist nicht möglich. In Schwarze Pumpe werden nur 85 Prozent des Treibhausgases am Entweichen gehindert, weshalb die Bezeichnung als „CO2-arme“ Technik treffender wäre.

67 Millionen Euro investiert Vattenfall in das Pilotprojekt, das auf dem so genannten Oxyfuel-Verfahren basiert. Dabei wird Kohle statt mit Luft mit reinem Sauerstoff verbrannt. Aus dem Rauchgas, das sich im Wesentlichen aus Wasserstoff und CO2 zusammensetzt, lässt sich das Kohlendioxid dann relativ leicht abtrennen. Vattenfall rechnet mit zehn Tonnen CO2 pro Stunde, die verflüssigt und unterirdisch verpresst werden sollen. Wo genau, ist indes unklar. „Die Speicher-Möglichkeiten werden derzeit geprüft“, sagt Dirschauer.

 

Premiere in Schwarze Pumpe

Dass der größte ostdeutsche Braunkohleverstromer plötzlich auf saubere Kohle setzt, hat nicht nur Prestigegründe: Um dem Klimawandel zu begegnen, wollen die EU wie die deutsche Bundesregierung neue, effizientere und emissionsarme Techniken forcieren (neue energie 2/2007). Die Energieindustrie sieht in Clean Coal einen Ausweg, auch unter strikten klimapolitischen Rahmenbedingungen weiter auf fossile Energieträger zu setzen. Durch den Emissionshandel haben Treibhausgase zudem einen wirtschaftlichen Wert erhalten, der in den nächsten Jahren wahrscheinlich weiter steigt. Da die Teilnehmer am Emissionshandel in der zweiten Handelsperiode (2008 bis 2012) weniger Zertifikate zugeteilt bekommen, halten es Experten für realistisch, dass ihr Preis auf 20 Euro steigen könnte. Dann wäre es in manchen Fällen billiger, Emissionen zu vermeiden.

Für Energiekonzerne könnte die CO2-Abscheidung noch aus einem anderen Grund interessant werden: Das Gas kann eingesetzt werden, um Erdöl- und Gasfelder besser auszubeuten. Bei den als Enhanced Oil/Gas Recovery (EOR, EGR) bezeichneten Verfahren wird CO2 in die Lagerstätten eingepresst, wodurch sich darin der Druck erhöht. Während Öl oder Gas austreten, verbleibt das CO2 unter der Erde – eine sehr effiziente Lösung, sich des Klimakillers zu entledigen.

In Europa sind daher inzwischen einige Energiemultis im Bereich Clean Coal aktiv. Neben Vattenfall in Europa vorne mit dabei: die norwegischen Firmen Statoil und Naturkraft, die britisch-niederländische BP, der größte italienische Energieversorger Enel sowie die deutschen Stromriesen Eon und RWE. Letztgenannte liefern sich ein regelrechtes Wettrennen um die neue Technik: Beide wollen 2014 ein CO2-armes Kraftwerk mit je 450 MW Leistung ans Netz bringen, das auf dem so genannten Integrated Gasification Combined Cycle (IGCC)-Verfahren mit anschließender CO2-Abscheidung beruht. Dabei wird Kohle zunächst in ein Synthesegas umgewandelt, aus dem dann CO2 herausgewaschen wird. Ergebnis ist ein Brennstoff aus nahezu reinem Wasserstoff. Ob die CO2-arme Technik sinnvoll ist, darüber wird in Europa derzeit hitzig diskutiert. Umweltverbände lehnen Clean Coal kategorisch ab. Die Argumente: Auch bei dieser Technik werde weiterhin CO2 in die Atmosphäre geblasen. Außerdem sei dessen Speicherung mit hohen Risiken verbunden und wie sich das Gas unter der Erde verhält, wisse derzeit niemand.

Politisch ist die rasche Kommerzialisierung CO2-armer Kraftwerke dagegen gewünscht. Nach dem Willen der EU soll die Carbon Capture and Storage (CCS)-Technik bis 2015 erfolgreich demonstriert worden sein. Von 2020 an, so die Vision, sollen in Europa nur noch CO2-arme Kohle- oder Gaskraftwerke gebaut werden. „CCS kann helfen, die Umstrukturierung der Energieversorgung in Richtung Effizienz und erneuerbare Energien leichter durchzuhalten“, erklärt Thoma Schneider, zuständiger Fachmann im Referat Kohle, Öl, Marktbeobachtung bei der Generaldirektion Energie und Verkehr der Europäischen Kommission, wie in Brüssel gedacht wird.

 

Erneuerbare langfristig günstiger

Ob CCS wirklich die avisierte Rolle in Europas Energieversorgung spielen kann, ist aus heutiger Sicht mehr als fraglich. Größtes Problem: Das Verfahren der CO2-Abtrennung und Speicherung ist extrem teuer, es vermindert zudem die Energieeffizienz. So ist die Abscheidung sehr energieintensiv, wodurch sich die Wirkungsgrade – je nach Verfahren – um sechs bis 15 Prozent verringern. Entsprechend erhöht sich der Brennstoffverbrauch.

Vattenfall etwa rechnet für seine Oxyfuel-Technik mit CO2-Vermeidungskosten von 20 bis 25 Euro pro Tonne. Für den Konzern klingt das nach einem guten Geschäft: „Wir gehen davon aus, dass CO2-Emissionszertifikate deutlich teurer werden. Ab einem Preis von 20 bis 25 Euro pro Tonne abgeschiedenem CO2 rechnet sich die Technik für uns“, sagt Vattenfall-Sprecher Damian Müller.

Unabhängige Institute kommen indes auf deutlich höhere Kosten. So fallen nach einer aktuellen, vom Bundesumweltministerium beauftragten Studie, die unter Federführung des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie erstellt wurde, pro vermiedene Tonne CO2 35 bis 50 Euro an. 80 Prozent der Kosten gehen dabei allein auf den Abtrennungsprozess zurück, die restlichen 20 Prozent auf CO2-Transport und Speicherung. Entsprechend hoch sind die Stromgestehungskosten: Beim CO2-armen Kraftwerk liegen diese bei 6,5 bis 7 Eurocent je Kilowattstunde, also zwei bis 2,5 Cent/kWh über den heutigen Kosten für Kohlestrom.

Der Studie zufolge kann Regenerativstrom zum Zeitpunkt der Kommerzialisierung CO2-armer Kraftwerke bereits zu ähnlichen Kosten produziert werden. Zwar liegen die Tarife derzeit noch bei durchschnittlich 13 bis 14 Cent pro kWh, aber einen weiteren Ausbau von Wind-, Sonnen- und Bioenergie vorausgesetzt, könnten die Kostenansätze bis 2020 halbiert werden. Langfristig werden Regenerativenergien nach der Wuppertal-Studie sogar erheblich billiger produzieren als Kohle: 2050 erreichen einzelne Technologien Produktionskosten von vier Cent, während Strom aus CCS-Kraftwerken angesichts steigender Brennstoffpreise teurer wird. Auf langfristige Einspareffekte brauchen Verbraucher bei Clean Coal also nicht zu setzen.

Die hohen Kosten sind aber nicht das einzige Problem: Bei der gesamten technischen Umsetzung gibt es viele ungeklärte Fragen, insbesondere beim Thema Speicherung. Bevor die Treibhausgas-Abscheidung im großen Stil beginnen kann, muss bewiesen sein, dass CO2 überhaupt gefahrlos unter der Erde gelagert werden kann. Bislang fehlen etwa Risikoanalysen über die mögliche Ausbreitung des Gases in süßwasserhaltige Grundwasserleiter, woraufhin das Wasser versauern oder durch Schwermetalle kontaminiert werden könnte.

 

Nur wenig Platz unter der Erde

Es stellt sich zudem die Frage, wie groß das Speicherpotenzial in Deutschland ist. Experten sind sich einig, dass sich tiefe saline Aquifere, also Salzwasser führende Gesteinsschichten, sowie ausgebeutete Gasfelder für die CO2-Ablagerung anbieten. Wie viel Kapazität vorhanden ist, lässt sich aber offenbar schwer eingrenzen: Es kursieren Werte zwischen 14,5 und 48 Milliarden Tonnen CO2. Trifft die erste Zahl zu, würde sich CCS kaum lohnen: Bei der Stromproduktion entstehen heute hierzulande jährlich knapp 400 Millionen Tonnen CO2. Würde diese Menge komplett unter der Erde gelagert, wären die Speicher bereits nach 40 Jahren voll. Gäbe es Platz für 48 Milliarden Tonnen CO2, würde dies immerhin für gut 100 Jahre reichen. Doch auch in diesem Fall wäre CCS in Deutschland nur eine Übergangslösung.

Zumindest über das Verhalten von CO2 im Untergrund dürfte es bald mehr Erkenntnisse geben: In Ketzin bei Berlin wollen Wissenschaftler unter Federführung des Geoforschungszentrums (GFZ) Potsdam im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts CO2Sink im Herbst rund 60.000 Tonnen CO2 in 800 Meter tiefe, poröse und salzwassergesättigte Sandsteine pumpen. „Damit werden wir erstmals in Deutschland die Dichtigkeit und Sicherheit potenzieller Speichergesteine an Ort und Stelle testen und beurteilen“, erklärt der Direktor des Departments Geoengineering beim GFZ, Günter Borm. Die „Lernphase“ solle zwei Jahre dauern und mit der Schließung des Speichers enden. „Dann wissen wir mehr darüber, wie sich CO2 im Gestein verhält und ein Speicher dicht gemacht werden muss.“

Ob CO2Sink erfolgreich sein wird oder nicht – Kritiker halten das Risiko der Kohlendioxid-Speicherung prinzipiell für zu groß. „Das CO2 muss über Jahrtausende unter der Erde bleiben. Möglich, dass das Gas sich in dieser Zeit einen Weg an die Erdoberfläche bahnt“, sagt Karsten Smid, Sprecher der Umweltschutzorganisation Greenpeace. CO2 solle daher grundsätzlich vermieden und nicht vergraben werden.

Die Energiekonzerne lassen sich durch solche kritischen Einwände aber nicht von ihren Vorhaben abbringen. RWE etwa will sein CO2-armes Kraftwerk 2014 unbedingt stehen haben und liegt nach eigenen Angaben „voll im Plan“: Das Technik-Konzept steht weitgehend und auch die Standortfrage ist so gut wie geklärt. Je nach dem, für welchen Energieträger – Braun- oder Steinkohle – sich das Essener Unternehmen im Sommer entscheidet, soll das insgesamt eine Milliarde teure 450-MW-Vergasungs-Kraftwerk im Rheinland oder im Ruhrgebiet gebaut werden.

Parallel zur Kraftwerkstechnik widmet sich das Unternehmen auch intensiv der Speichersuche. „Unser Fokus liegt auf tief liegenden, Salzwasser führenden geologischen Formationen, wie sie unter der Nordsee oder der norddeutschen Tiefebene für eine langzeitsichere Speicherung zu finden sind“, erklärt Johannes Ewers, Projektleiter und Leiter des Bereichs CCS und Neue Technologien der RWE Power AG. Außerdem schaue sich der Essener Energieversorger fördernde und ausgeförderte Gaslagerstätten an. „Hier sind aber die Speicherpotenziale für CO2 in Deutschland sehr gering“, weiß Ewers.

Damit wären für RWE drei Clean-Coal-Szenarien denkbar: Abgeschiedenes CO2 wird aus NRW nach Norddeutschland oder zu einer Bohrinsel in der Nordsee gebracht, von wo aus es in tiefe saline Formationen unter dem Meer verpresst wird. In jedem Fall müsste das CO2 dabei über mehrere hundert Kilometer transportiert werden, weshalb, so Ewers, „der Pipeline-Transport unbedingt notwendig“ ist. Geschätzte Kosten hierfür und die anschließende Speicherung: 200 Millionen Euro, also ein Viertel der Projektkosten.

 

EU erarbeitet Regeln für „Clean Coal“

Neben hohen Kosten und den ungeklärten ökologischen Folgen der CO2-Speicherung stellt sich bei den konkreten Projekten ein drittes großes Problem: Für CCS-Vorhaben gibt es noch keinen Rechtsrahmen. So ist die Verbringung von CO2 weder im deutschen Berg-, noch im Wasser-, noch im Abfallrecht verfasst. Den Konzernen fehlt also jegliche Handhabe, das Klimagas abzulagern. Konkret heißt das für RWE und Co.: Die Firmen müssen mit der Realisierung ihrer Projekte warten, bis die EU und/oder die Mitgliedstaaten spezielle Regelungen getroffen haben.

Das ist allerdings ein schwieriges Unterfangen, weshalb bei der Einführung der Technik erhebliche Verzögerungen drohen: „Bei Erkundung geeigneter Standorte, beim Betrieb der Ablagerungsanlagen sowie im Bereich des Nachbetriebs ist rechtliches Neuland zu betreten, zumal sich der Ablagerungszeitraum über mehrere hundert Jahre erstreckt“, schildert Andreas Hermann, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich Umweltrecht des Öko-Instituts, die Situation.

Zunächst muss der Gesetzgeber grundsätzliche Fragen klären: Etwa, ob CO2 überhaupt sicher gespeichert werden kann. Da es bisher nur wenig Erfahrung gibt, dürfte eine Antwort hierauf schwer fallen. Dann: Wer überwacht die Speicher und wer übernimmt die Haftung im Fall von Leckagen? Schließlich wird die Einführung von CCS nur klappen, wenn die Technik von der Öffentlichkeit akzeptiert wird, was Information und die Einbindung der Bürger in Entscheidungsfindungsprozesse voraussetzt. Die Bevölkerung zu überzeugen, wird nicht leicht werden. Die Vorstellung ist wenig verlockend: RWE baut künftig Pipelines von seinen Kraftwerksstandorten an Rhein und Ruhr quer durch die Republik nach Norddeutschland oder zur Nordsee. Mit Freude wird es sicher auch niemand zur Kenntnis nehmen, wenn in seiner Region ohne vorherige Aufklärung Speicher zur CO2-Ablagerung errichtet würden.

Obwohl also viele juristische wie technische Basisfragen offen sind, wollen EU und Bundesregierung nun schnellstmöglich für Regelungen sorgen. Der Zeitplan: Die EU-Kommission will bis Ende 2007 einen Entwurf zur Regulierung von CCS vorlegen. Ein Jahr später soll den Mitgliedsstaaten dann eine Richtlinie an die Hand gegeben werden, die vorgibt, wie Clean Coal-Projekte konkret abzulaufen haben – von der Standortwahl, über Betrieb und Monitoring bis zum Nachbetrieb der Speicher. Die Bundesregierung „begrüßt die Anstrengungen der Europäischen Kommission zur Schaffung eines geeigneten Rechtsrahmens“ und prüft unterdessen nach eigenen Angaben, welche Rechtsregime in Deutschland der Anpassung bedürfen.

 

Chance für energiehungrige Schwellenländer?

Trotz all dieser Probleme gibt es hierzulande nicht wenige Klimaexperten, die die politischen Pläne begrüßen und die Erforschung von Clean Coal für sinnvoll halten. So zum Beispiel Manfred Fischediek, Vizepräsident am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie: „Man kommt nicht umhin, angesichts der weltweiten Entwicklungen darüber nachzudenken, ob CCS zumindest auf globaler Ebene eine Brückenfunktion haben könnte.“ Zwar hätten erneuerbare Energien und Energieeffizienz „oberste Priorität“, aber für den Fall, dass diese in den nächsten Jahren nicht ungehindert „durchstarten“ könnten, stünde mit CCS möglicherweise eine zusätzliche Klimaschutzoption zur Verfügung.

Es gibt noch weitere Argumente für die „saubere Kohle“: Prognosen gehen davon aus, dass in Deutschland bis 2020 bis zu 45.000 MW an Stromerzeugungskapazitäten ersetzt werden müssen. Gelänge die Kommerzialisierung von Clean Coal, könnte man sich die derzeit geplanten Milliardenprojekte für konventionelle Braun- und Steinkohlekraftwerke sparen. Außerdem sollten Stromversorger verpflichtet werden, „Altmeiler“ mit CO2-Abscheidung nachzurüsten. In Brüssel gibt es bereits Überlegungen, dies von 2015 an vorzuschreiben.

Eine wichtige Bedeutung könnte Clean Coal in boomenden Schwellenländern wie Indien oder China bekommen, die ihren riesigen Energiehunger vor allem mit fossilen Energieträgern stillen (neue energie 4/2007). Vor allem letztgenanntes Land sitzt auf riesigen Kohlevorkommen und wird, trotz massiven Ausbaus von Regenerativenergien, auch künftig auf diesen Brennstoff setzen. Mit CCS könnte Kohle hier weiter genutzt werden, ohne dass die Treibhausgasemissionen so explosionsartig zunehmen, wie es derzeit aussieht (neue energie 3/2007). Auch beim derzeit weltweit größten CO2-Emittenten, den USA, steht die mächtige Kohlelobby der jungen Technik aufgeschlossen gegenüber: Bereits 2012 soll das erste kommerzielle Kraftwerk mit knapp 300 MW Leistung in Betrieb sein. Dabei sollen die Kosten für CCS nicht mehr als zehn Prozent über der konventionellen Kohleverstromung liegen.

Die Kritiker lassen sich aber auch von solchen Perspektiven nicht überzeugen: „Treibhausgas-Emissionen müssen deutlich reduziert werden. Das geht nicht mit CO2-armen Kraftwerken, sondern nur mit erneuerbaren Energien und Energieeffizienz“, sagt Greenpeace-Kohleexpertin Gabriela von Goerne. Letztlich, so wenden andere ein, sei dies viel kostengünstiger, als Milliarden in eine Technologieentwicklung mit unsicherem Ausgang zu stecken. Abgesehen davon kauft von Goerne den Kohleunternehmen nicht ab, dass diese plötzlich ernstlich auf Klimaschutz setzen. „Die Konzerne bauen weiterhin im großen Stil Braunkohle ab, planen zahlreiche neue fossile Kraftwerke und wollen darüber hinaus längere Laufzeiten für ihre Atomkraftwerke. Clean Coal ist da nichts weiter als ein Ablenkungsmanöver“, ist sich die Expertin sicher. Ob die Technologie wirklich nur Augenwäscherei ist oder eine ernst zu nehmende Alternative, wird sich erst in ein paar Jahren herausstellen

 

 

Auf CO2-Fang: Drei Verfahren zur Abscheidung

Bereits vor der Erprobung von Clean Coal ist klar: Gänzlich emissionsfreie fossile Kraftwerke wird es nicht geben. Je nach Technik liegen die Abscheideraten bei 85 bis 98 Prozent. Zwar wäre eine hundertprozentige Abscheidung technisch machbar – allerdings zu sehr hohen Kosten. Aus heutiger Sicht gibt es drei Verfahren: die CO2-Abtrennung nach der Verbrennung (Post Combustion), die Abtrennung vor der Verbrennung in Kohle- und Gaskraftwerken mit integrierter Vergasung (Pre Combustion) sowie das Oxyfuel-Verfahren, die Verbrennung von Kohle oder Gas mit annähernd reinem Sauerstoff.

Post Combustion: Hierbei wird das Rauchgas, also das bei der Verbrennung entstehende Abgas, nach einem weitgehend unveränderten herkömmlichen Kraftwerksprozess chemisch gewaschen. Dafür wird es in so genannte Absorberkolonnen, bis zu 50 Meter hohen Reaktoren, mit einer Lösung aus Aminen in Kontakt gebracht, die das CO2 binden. So können – je nach verwendetem Amin – 85 bis 95 Prozent des CO2 aus dem Rauchgas entfernt werden. Die Waschlösung wird anschließend in einer Desorberkolonne unter Energiezufuhr regeneriert. Das CO2 wird dabei abgetrennt, unter Druck verflüssigt und so transportfähig gemacht; die gesäuberte Lösung fließt zurück in den Absorber.

Aus Sicht vieler Experten ist ein breiter Einsatz dieser Technik in der Zukunft eher unwahrscheinlich: Abgesehen davon, dass mit Post Combustion vergleichsweise wenig CO2 aus dem Rauchgas entfernt werden kann, muss bei dieser Methode vor allem aufgrund des energieintensiven Regenerierungsprozesses mit Wirkungsgradeinbußen von acht bis 14 Prozent, einer Erhöhung des Brennstoffverbrauchs um zehn bis 35 Prozent und zusätzlichen Investitionskosten von 30 bis 150 Prozent gerechnet werden.

Da die Rauchgaswäsche momentan jedoch die einzige Technik ist, mit der bestehende Kraftwerke umgerüstet werden können, wird hartnäckig an deren Verbesserung gearbeitet. So befasst sich etwa das von der EU geförderte Projekt „Castor“ mit diesem Thema. Zahlreiche europäische Unternehmen und Organisationen sind an dem Projekt beteiligt. Wichtige Erkenntnisse liefern soll vor allem ein vom dänischen Energiekonzern Dong Energy in Esbjerg betriebenes Steinkohlekraftwerk, in dem die Rauschgaswäsche seit 2006 pilotmäßig praktiziert wird.

Potenzial zur Kostensenkung sehen die Verfechter der Post Combustion etwa in Membranen aus Kunststoff, Keramik oder Metall, die anstelle der Amine eingesetzt werden und in der Lage sind, mehr CO2 aus dem Rauchgas zu filtern. Solche treibhausgasfangenden Trennschichten sollen aber frühestens 2020 marktreif sein.

Pre Combustion: Bei der CO2-Abtrennung vor der Verbrennung wird Kohle in einem Vergaser in ein Synthesegas umgewandelt, das überwiegend aus Kohlenstoffmonoxid (CO) und Wasserstoff (H2) besteht. Die Vergasung findet in einem Milieu aus Wasserdampf und Sauerstoff bei 650 bis 2.000 Grad Celsius und Drücken bis 100 bar statt. Nach Kühlung des Synthesegases wird dieses unter weiterem Zusatz von Wasserdampf in der Wassergasreaktion im so genannten Shift-Reaktor in ein Gemisch aus CO2 und H2 überführt. Aus diesem Gemisch lässt sich das Treibhausgas relativ leicht mittels physikalischer Wäsche abtrennen. Als Absorber bietet sich etwa Methanol an. Das entstehende wasserstoffreiche Gas wird anschließend verbrannt.

Vorteil dieses Verfahrens: Weil die Gasströme vor der Verbrennung geringer sind, können kleinere Reaktoren gebaut werden. Außerdem ist die Regenerierung des Lösungsmittels durch Druckentspannung (CO2-Abgabe), Rekompression und Kühlung weniger energieaufwändig als die Rauchgaswäsche. Um die Führerschaft bei dieser Technik kämpfen auch die deutschen Energieriesen RWE und Eon. Beide Konzerne wollen 2014 ihr erstes CO2-armes Kraftwerk in Betrieb nehmen.

Oxyfuel-Verfahren: Der dritte große deutsche Stromkonzern Vattenfall gilt dagegen als Protagonist des Oxyfuel-Verfahrens. Ein Demonstrationskraftwerk mit 30 Megawatt (MW) Leistung, in dem Kohle statt mit Luft mit Sauerstoff verbrannt wird, soll bereits nächstes Jahr in Betrieb gehen. Die Idee, die hinter diesem Ansatz steht: Durch Stickstoffentzug und Verbrennung reinen Sauerstoffs wird das Abgasvolumen gering gehalten. So enthalten die Rauchgase nur noch CO2 und Wasserdampf. Das H2 wird anschließend auskondensiert, übrig bleibt CO2, das gespeichert werden kann.

Vorteil der Oxyfuel-Technik: Sie ermöglich Abscheideraten von bis zu 98 Prozent. Außerdem entstehen durch die Verbrennung reinen Sauerstoffs keine Stickoxide, was aufwändige Entstickungsanlagen überflüssig macht. Nachteil sind indes die hohen Kosten der Luftzerlegung. Diese ist sehr energieaufwändig und die nötige Anlagentechnik teuer.

 

 

Der Weg unter die Erde:

Für die CO2-Speicherung gibt es drei Möglichkeiten: Das Gas kann in Kohle flözen, salinen Aquiferen oder ausgebeuteten Öl- und Gasfeldern abgelagert werden. Zunächst muss das im Kraftwerksprozess abgeschiedene CO2 allerdings zu seinem Bestimmungsort transportiert werden. Die Konzerne wollen hierfür Pipelines und Schiffe einsetzen.