Kohlekraft? Nein Danke!
Bundesweit sind Dutzende Kohlekraftwerke geplant. Klimaschutz und erneuerbare Energien bleiben auf der Strecke. Dabei geht es auch ohne Kohle und Atomkraft.
Text: Marcus Franken, Foto: Georg Schreiber
Das Versprechen zeigt Zähne. Auf dem Energiegipfel im vergangenen Jahr haben die großen Stromkonzerne versprochen, 30 Milliarden Euro in den Neubau von Stein- und Braunkohle Kraftwerken zu stecken (neue energie 5/2006). Die Politik nahm es dankbar hin. Und die Konzerne ließen sich feiern, als hätten sie Investitionen in eine Chipfabrik in Brandenburg, den Ausbau eines Hafens in Niedersachsen oder ein Forschungszentrum zur Rettung der Welt angekündigt. Dabei hatten sie nur eingestanden, dass sie ihre technisch in die Jahre gekommenen Altanlagen ersetzen müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Und dass sie in ihrem Kraftwerkspark weiterhin auf Kohle getriebene CO2-Schleudern setzen, um auf unabsehbare Zeit hohe Gewinne aus einem zementierten Anbietermarkt zu ziehen.
Die Konzerne haben Übung darin, ihre Investitionspläne als Druckmittel einzusetzen. Mit immer kürzerer Halbwertzeit werden die Milliarden zur Disposition gestellt. Gleich ob es um die Diskussionen zum Emissionshandel, zu einer verschärften Kartellaufsicht (siehe Seite 12) oder schärfere Wettbewerbsregelungen auf europäischer Ebene geht: Jedes Mal werden Drohungen ausgesprochen, man werde die Pläne überdenken, sollte die Politik keine genehmen Rahmenbedingungen schaffen.
Und auch vor Ort wird reichlich Muskelspiel betrieben. So hat die RWE AG in Essen den Baubeginn des 2.100 Megawatt (MW) Braunkohlekraftwerks Neurath in Nordrhein-Westfalen immer wieder verschoben. Das 2,2 Milliarden teure Projekt wurde genutzt, um politische Zugeständnisse bei der Genehmigung des Tagebaus Garzweiler II zu erreichen. Deutlich wurde dies auch beim Bauvorhaben des 1.600-MW-Steinkohlekraftwerks in Hamm, eine Zwei-Milliarden-Euro-Investition: Nur wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen, drohte ein Sprecher unverhohlen, werde die Anlage kommen. Unter anderem wollte der Konzern verhindern, dass ihm die CO2-Verschmutzungrechte gekürzt werden. Jetzt werden die beiden Anlagen gebaut und RWE dauerhaft einen Spitzenplatz in der Liste der deutschen Kohlendioxid-Emittenten sichern: Über 14 Millionen Tonnen CO2 wird Neurath jedes Jahr in die Luft blasen, in Hamm werden es 5,6 Millionen Tonnen sein. Und das unverändert über eine Betriebzeit von 40 Jahren. Erst 2050 werden Konzerne die Öfen wieder abfahren.
Pläne torpedieren Klimaziele
Das vermeintliche Investitionsversprechen entpuppt sich so als Drohung gegen den Klimaschutz, Konkurrenten und erneuerbare Energien. Gerade letztere werden, so die aktuellen Zahlen des Verbands der Netzbetreiber, viel früher und viel schneller einen wesentlichen Strombeitrag in Deutschland liefern können. Bevor sich diese Erkenntnis herumspricht, sollen die Weichen in die altbekannte Richtung gestellt werden: Anfang März haben die potenziellen Betreiber der Bundesnetzagentur allein 39 neue Steinkohle-Kraftwerke mit einer Leistung von etwa 40.000 MW, dazu sechs Braunkohle-Öfen und 22 Gaskraftwerke angekündigt. Planungshorizont: bis 2018. Werden alle Meiler gebaut, können die Artgenossen von Knuddelbär Knut am Nordpool einpacken. Mehr als 60 neue fossile Kraftwerke sind ein Worst-Case Szenario für den Klimaschutz. Sie würden die Emissionen der Energiewirtschaft kurzfristig von heute 320 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr auf bis zu 370 Millionen Tonnen hochtreiben und bis 2020 etwa auf 350 Millionen Tonnen halten. Das entspricht dem Referenzwert des Jahres 1990. Dabei müssten die Emissionen aus der Energieerzeugung bis dahin auf 210 Millionen Tonnen sinken, wenn man das 40 Prozent-Reduktionsziel der Bundesregierung zum Maßstab nimmt.
Abgesehen von der verheerenden Klimabilanz stellt sich die Frage: Werden die Meiler überhaupt gebraucht? Die Bundesregierung wie die Europäische Union haben das Ziel ausgegeben bis zum Jahr 2020 ein Fünftel weniger Energie zu verbrauchen. Gleichzeitig werden die Regenerativenergien weiter ausgebaut und sollen, so die Schätzungen der EU-Kommission, zum Ende der nächsten Dekade einen Anteil von etwa 34 Prozent erreichen (neue energie 4/2007). Jeder der nachrechnet, wird feststellen: Trotz Kernenergieausstiegs ist Kohlekraft dann nicht einmal im bisherigen Umfang gefragt.
Dennoch sind die Planungen für neue Meiler durchaus konkret. Allein auf eine Perspektive von fünf Jahren listet der Bund für Umwelt- und Naturschutz (Bund) 24 Stein- und drei Braunkohlekraftwerke mit einer installierten Leistung von zusammen 27.600 MW auf. Die Mehrzahl dieser Kraftwerke planen alte Bekannte: Eon, RWE, Vattenfall und Energie Baden-Württemberg (EnBW) sind an 13 Vorhaben auf der Bund-Liste beteiligt. Vier weitere plant die RAG-Tochter Steag, fünf liegen in der Hand von Stadtwerken. Neu auf dem Markt sind Dong Energy mit einem Kohle-Kraftwerk am alten Atomstandort in Lubmin, Iberdrola in Brunsbüttel und Electrabel mit drei Projekten. Zusammen planen die deutschen Stromversorger und die Stadtwerke 21 von 27 Projekten. Das Ziel ist klar: Für die großen Konzerne soll der Markt bleiben, wo er ist. In ihrer Hand.
Widerstand regt sich nur langsam. Zunächst waren vor allem die Braunkohlekraftwerke mit ihren hohen spezifischen CO2-Emissionen und den Lebensraum fressenden Tagebauen den Umweltschützern ein Dorn im Auge. Doch gegen den bundesweiten Protest laufen in Neurath inzwischen die Bauarbeiten. Das Braunkohle-Kraftwerk Boxberg von Vattenfall hat die sächsische Landesregierung im Dezember 2006 nach nur acht Monaten genehmigt. Um den 675 Megawatt-Ofen zu füttern, wird sogar der seit 1999 still liegende Tagebau Reichwalde wieder in Betrieb gehen. Die Landesregierung steht fest zu ihrer Tagebauindustrie. Planungen für neue Windparks ziehen sich in Sachsen dagegen jahrelang hin und neue Eignungsgebiete werden aus Gründen des Landschaftsschutzes nicht ausgewiesen – verkehrte Welt.
Gut für den Klimaschutz und weniger gut für die Betreiber sieht es dagegen beim Kraftwerk der Mibrag in Profen südlich von Leipzig aus. Die Mibrag, Tochter zweier amerikanischer Gesellschaften, muss einen neuen Investitionspartner suchen, nachdem sich EnBW Ende Februar aus den Planungen zurückgezogen hat. Das Projekt sei für die EnBW nicht wirtschaftlich, wie Sprecher Dirk Ommeln sagt. Zu hören ist aber auch, dass der an vier Atomkraftwerken beteiligte Versorger sich im Streit um längere Laufzeiten keinen argumentativen Braunkohle-Klotz ans Bein hängen will.
Kaum Protest gegen die Kohle
Die Diskussion um neue Steinkohle-Anlagen fand bisher nur lokal statt: Die interessierte Republik rieb sich erstaunt die Augen, als der Rat der Stadt Krefeld mit deutlicher Mehrheit den Neubau eines 800 MW-Kraftwerks auf dem Gelände von Bayer-Uerdingen ablehnte. Potenzieller Bauherr ist die Trianel European Energy Trading GmbH in Aachen, eine gemeinsame Gesellschaft von 27 Stadtwerken. Der Wirkungsgrad des Kraftwerkes ist hoch, er soll bei 45 Prozent liegen. Außerdem ist eine Wärmenutzung im benachbarten Gewerbegebiet geplant. Trianel prüft jetzt andere Standorte, auch ohne Wärmekonzept. Einige Politiker werfen den Krefeldern darum einen Schildbürgerstreich vor. Andere sehen darin den Beginn einer Anti-Kohlekraft- Bewegung.
Glücklich waren Klimaschützer mit dem so genannten Investitionsversprechen der Energiekonzerne von Anfang an nicht. Aber die Angst, sich unfreiwillig zum Fürsprecher der Atomkraft zu machen, ist groß. „Die Blockade von fossilen Kraftwerken muss nicht automatisch zu Gunsten der erneuerbaren Energien ausgehen“, sagt Ex-Umweltminister Jürgen Trittin. Da steige auch der Druck, die Laufzeiten von Atomkraftwerken zu verlängern.
Darum haben sich viele Klimaschützer still und leise damit abgefunden, dass die auslaufende Atomenergie erst mal von Kohlekraftwerken ersetzt wird. Dann kann man weiter sehen und in irgendeiner fernen Zukunft die utopischen Optionen ziehen: Seien es Solarkraftwerke in der Sahara oder Biogas-Felder in der Ukraine. „Man kann nicht gleichzeitig aus der Kohle und der Kernkraft aussteigen“, bringt Umweltminister Sigmar Gabriel das Paradigma dieses Denkens auf den Punkt. Nach der Zählung des Patenonkels von Eisbär Knut werden ohnehin nur neun Kohlekraftwerke gebaut – in den kommenden fünf Jahren. „Die sollen zum Großteil alte Dreckschleudern ersetzen. Das ist doch ein Fortschritt!“
Sicher ist das ein Fortschritt, aber leider auf ganz niedrigem Niveau. Studien haben in den vergangenen Monaten gezeigt, dass mit den heute geplanten Kraftwerken die nötige CO2-Reduktion in Deutschland nicht zu verwirklichen ist. Anders als der Minister zählt das Umweltbundesamt (UBA) in seiner nicht öffentlichen Kraftwerksdatenbank 45 geplante Gas- und Kohle-Neubauten. Dabei sind nicht irgendwelche Luftplanungen gelistet, sondern nur Kraftwerke, bei denen die Investoren schon den Brennstoff, die Technik und den Standort benannt haben. „Die Tendenz zum Einsatz von Erdgas ist nicht ausgeprägt genug, um das Klimaschutzziel von minus 40 Prozent bis 2020 zu erreichen“, heißt es im Fazit des internen Arbeitspapiers „Klimaschutz und Investitionsvorhaben im Kraftwerksbereich“. Berechnungen auf Basis der UBA-Kraftwerks-Datenbank zeigen, dass die Kohlendioxid-Emissionen des Kraftwerksparks bis 2012 erst einmal kräftig ansteigen werden, wenn die neuen Anlagen gebaut werden. Bessere Wirkungsgrade hin oder her. Dass die Grünen den Bau neuer Kohlekraftwerke verschlafen hätten, davon will Bärbel Höhn freilich nichts wissen. „In diesem konkreten Umfang sind die Pläne erst jetzt auf den Tisch gekommen“, sagt die Vizevorsitzende der Bundestagsfraktion. Den Grund für Sigmar Gabriels Hang zur Kohleverstromung sieht sie in der Nähe der SPD zur Kohlewirtschaft. Höhn hat damit Erfahrungen als Landesministerin in Nordrhein-Westfalen gemacht. „In fast jedem Koalitionskrach mit der SPD ging es um Braunkohle oder Steinkohle.“ Die Grünen haben die CO2-Emissionen der Energiewirtschaft jetzt auf ihre Agenda gesetzt. Wenn die geplanten Kohlekraftwerke gebaut werden, würden sie zusammen 170 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. Nimmt man das international geforderte Reduktionsziel von 80 Prozent für das Jahr 2050 ernst, bleiben nach den Rechnungen der Grünen für alle anderen Lebensbereiche nur 30 Millionen Tonnen Kohlendioxid über. Damit wäre die gesamte Klimapolitik von Anfang an Makulatur.
Erneuerbaren unterschätzt
Auch volkwirtschaftlich wären die hohen Kohlendioxidemissionen der Kraftwerke fatal: Die Energiewirtschaft stößt vier Zehntel aller Treibhausgase aus. Das Sparpotenzial ist hier weit größer als im Verkehr, der Industrie oder bei Haushalten. Und die Kosten für die Einsparung einer Tonne Kohlendioxid sind obendrein günstiger. Wirtschaftswissenschaftler der Magdeburger Uni haben errechnet, dass es zehnmal effektiver wäre, im Energiesektor CO2 zu sparen als etwa beim Auto. Bleibt die Frage, wo der deutsche Strom in Zukunft herkommen soll. Die Grünen setzten auf Gaskraftwerke und effizientere kleine Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung. „Denn die großen Kraftwerke außerhalb der Städte können höchstens Spargelfelder heizen“, sagt Bärbel Höhn. Hermann Scheer, SPD-Vordenker und Mitglied im Bundesvorstand seiner Partei, traut besonders den Regenerativen mehr zu: „Es muss um einen umfassend angelegten Wechsel zu Erneuerbaren gehen.“ Scheer will den Ausbau von Wind, Wasser, Solar und Biomasse auf ein Niveau von 3.000 MW pro Jahr fortsetzen und so schon im Jahr 2023, wenn die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet werden, auf einen Erneuerbare Energie Anteil von 30 Prozent kommen – mindestens. Denn durch Repowering der Anlagen an Land, neue Standorte entlang von Autobahnen und Bahnstrecken sowie Offshore ließe sich die heute installierte Windenergie-Leistung noch vervielfachen. „Auch Solarstrom ist bis 2023 mindestens auf fünf Prozent der deutschen Stromversorgung steigerbar“, schreibt Scheer in einer Denkschrift „Jenseits von Atom und Kohle.“ Sein Resümee: „Mit energischem Willen wäre eine Vollversorgung aus erneuerbaren Energien bis 2040 vorprogrammiert.“
Das UBA will einen so energischen Willen nicht voraussetzen. Aber auch Präsident Andreas Troge geht davon aus, „dass wir bis 2050 die Hälfte unseres Energiebedarfs aus Wasser-, Wind- und Sonnenenergie sowie Biomasse decken und unseren Primärenergieverbrauch trotz Wirtschaftswachstums halbieren können.“ Die Kosten dieses Schwenks hat sein Amt schon vor Jahren berechnet, sie liegen in Deutschland bei vier Milliarden Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Um die Folgen der Klimaänderung zu kompensieren, müssen die Deutschen nach neuen Berechnungen des UBA ab 2020 rund elf Milliarden Euro pro Jahr aufwenden.
Emissionshandel erst ab 2013 effektiver
Es ist also nicht zu übersehen: Ein runderneuerter fossiler Kraftwerkspark würde alle Pläne zum Klimaschutz in Deutschland zunichte machen. Die Grünen fordern darum einen Baustopp für neue Kohlekraftwerke, bis die angekündigte Kohlendioxid-Abtrennung und Speicherung erprobt ist (siehe Seite 24). Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) in Berlin nutzt die vollmundigen Ankündigung von CO2-freien Kraftwerken: „Wir nehmen sie beim Wort“, sagt Sprecher Gerd Rosenkranz. Wenn die Abtrennung wie angekündigt funktioniert, müssten den Firmen Genehmigungen für den Ausstoß von Kohlendioxid bis 2020 ausreichen.
Die größten Hoffnungen setzen die Kohlegegner inzwischen in den Emissionshandel. Bisher gilt das Geschäft als Flop: Die CO2-Einsparungen lagen in der ersten Handelsperiode nur bei zwei Millionen Tonnen, die nominellen Kosten der gratis zugeteilten Emissionsrechte wurden direkt in Konzerngewinne umgewandelt (neue energie 1/2007). Und in der kommenden Handelsperiode von 2008 von 2012 bekommen Braun- und Steinkohlekraftwerke immer noch Emissionsrechte von 750 Gramm CO2 je Kilowattstunde. Bei der Braunkohle wurde unter der Hand die Laufzeit von 7.500 Stunden auf 8.250 Stunden pro Jahr erhöht. Unter dem Strich dürfen ihre Kraftwerke nun 825 Gramm je kWh kostenlos in die Luft blasen. Gaskraftwerken werden dagegen nur 365 Gramm erlaubt. Der neue Emissionshandel fördert weiter die alten Anlagen.
In der dritten Handelsperiode könnte damit aber Schluss sein. Im UBA gilt es inzwischen als „reale Hoffnung“, dass ab 2013 sämtliche Emissionsrechte versteigert werden. Je nach dem, was die Zertifikate dann kosten, könnten Kohlekraftwerke unwirtschaftlich werden. Oder mit CO2-Abscheidung betrieben werden.
Eon und RWE macht dieser Gedanke nervös. Sie betonen jetzt immer häufiger, dass sie ihr Investitionsversprechen nur dann halten, wenn sie auch nach 2014 ausreichend Emissionsrechte bekommen. Dass sie ihr Versprechen brechen könnten, erscheint in Berlin inzwischen aber nicht mehr als großer Verlust. Eher als eine Notwendigkeit.
Kohle: Weniger gefragt
Welche Strommengen künftig aus welchen Quellen gebraucht werden, lässt sich mit einem einfachen Rechenbeispiel zeigen. Annahme 1: Der Energieverbrauch und analog die Stromerzeugung sinken europaweit, wie beschlossen, bis 2020 um 20 Prozent. Dann müssen die deutschen Kraftwerke nur noch 476,8 Terawattstunden (TWh) bereitstellen. Annahme 2: Regenerative Kraftwerke liefern, wie von der EU-Kommission kalkuliert, 35 Prozent der Gesamtproduktion (= 177 TWh), verbliebe ein Bedarf von 300 TWh für fossile Kraftwerke. Kernkraft könnte ersatzlos entfallen und die verbleibende Menge ist kleiner als das, was Braunkohle, Steinkohle und Gas heute zusammen produzieren (2006 = 335,3 TWh).