Die Fabrik Três Irmãos, ein paar Kilometer vor Andradina
im Westen des Bundesstaats São Paulo gelegen, gehört zur Cosan-Gruppe, dem
größten Zucker- und Alkoholproduzenten Brasiliens. Etwa 1 500 Männer
schuften mit der Machete in der Hand auf den zugehörigen Plantagen - fünf Tage
Arbeit, ein Tag Erholung, die Arbeitszeit ist beliebig verlängerbar. Bezahlt
wird nach Ertrag: Für eine Tonne Zuckerrohr gibt es noch nicht mal einen Euro.
Aparecido Bispo, Generalsekretär der Landarbeitergewerkschaft des
Bundesstaats São Paulo (Feraesp), erzählt: "In den 1980er-Jahren hat ein
Arbeiter ungefähr 4 Tonnen Zuckerrohr pro Tag geerntet. Heute liegt der
durchschnittliche Ertrag bei mehr als 10 Tonnen, und manche Arbeiter schaffen
sogar 20 bis 25 Tonnen täglich." Einen solchen Akkord kann der menschliche
Körper nur schwer aushalten. Nach einer Studie der Universität Piracicaba ist
das so, als würde man jeden Tag einen Marathon laufen.
Die meisten Zuckerrohrschneider leiden unter Muskel- und Gelenkproblemen,
Rücken- und Kreuzschmerzen. In den letzten Jahren sind nach Angaben der
Gewerkschaften 15 Arbeiter an Erschöpfung gestorben. Ungefähr 80 Prozent der
Arbeiter sind nur für die acht Monate Erntezeit beschäftigt. Meist stammen sie
aus Brasiliens ärmsten Gegenden, der Region Nordeste und dem Bundesstaat
Amazonas. Sie haben keine feste Wohnung und sind den Anwerbern, Vermietern und
Busunternehmern, die alle mehr oder weniger mit den Arbeitgebern unter einer
Decke stecken, völlig ausgeliefert. "In den Verträgen der
Transportunternehmen mit den Fabriken steht, dass sie die Arbeiter von ihrem
Wohnort zum Arbeitsplatz bringen sollen", sagt Bispo. "In
Wirklichkeit spielt der Busunternehmer häufig auch die Rolle des Vorarbeiters
und verlangt unter der Hand einen bestimmten Prozentsatz von der Ernte seiner
Arbeiter." Angesichts der sich zusehends verschlechternden
Arbeitsbedingungen und der ständigen Verstöße gegen das Arbeitsrecht wird
gelegentlich gestreikt. Dann drohen die Arbeitgeber ihrem kaum gewerkschaftlich
organisierten Personal mit der Automatisierung der Ernte; außerdem können sie
sich auf die tatkräftige Unterstützung der Polizei verlassen. "Nach dem
Streik auf den Plantagen von Três Irmãos hat die Leitung sofort 300 Arbeiter
entlassen und erklärt, sie würden nicht ersetzt; die Polizei hat die
Streikenden belästigt und ihnen befohlen, die Arbeit wieder aufzunehmen",
erzählt Bispo.
In der letzten Augustwoche wurden in Ribeirão Preto mehr als 500 Arbeiter
entlassen. Zaqueu Aguilar von der örtlichen Landarbeitergewerkschaft beklagt
die Unnachgiebigkeit der Arbeitgeber: "Vor allem die Firmen, in denen
ausländisches Kapital steckt und wo Aktionäre den Chef aus Fleisch und Blut
ersetzt haben, lehnen jede Form der Verhandlung strikt ab."
Etwa zur selben Zeit, im August 2008, verkündete ein Spruchband am Eingang
des Konferenzzentrums von Campo Grande: "Die Zucker- und Alkoholbranche
bietet neue Perspektiven, neue Technologien und neue Möglichkeiten." Zum
Zuckerkongress "Canasul 2008" trafen sich in der Hauptstadt des
Bundesstaats Mato Grosso do Sul die Vertreter der Industrie, der staatlichen
Verwaltung und der Zuckerrohrproduzenten. Die Stimmung war geradezu euphorisch.
Im letzten Jahrzehnt ist Brasiliens Anteil am globalen Rohrzuckerexport von 7
auf 62 Prozent angestiegen. Auch die Ethanolproduktion(1) boomt: Sie lag im
Jahre 2008 bei 22,3 Milliarden Litern, das ist etwa ein Drittel der
Weltproduktion. Inzwischen wird auf einer Fläche von 7,8 Millionen Hektar
Zuckerrohr angebaut. Trotzdem glaubt Marcos Jank, Präsident des Verbands der
Zuckerindustrie (Unica) und Starredner des Kongresses, dass die brasilianischen
Produzenten eine noch viel wichtigere Rolle auf dem internationalen
Biospritmarkt spielen werden.
Zwar wird der Großteil des brasilianischen Zuckers exportiert, doch beim
Ethanol schluckt der einheimische Markt bislang noch 85 Prozent der Produktion.
Angesichts des zwischenzeitlich hohen Ölpreises und der drohenden Erderwärmung
wird in den reichen Ländern weniger darüber nachgedacht, wie sich der Prozess
umsteuern ließe, als nach einfachen Lösungen gesucht - und Biosprit vorschnell
als "ökologisch sinnvoll" qualifiziert.(2) Die Europäische Union, die
Vereinigten Staaten und Kanada haben eine Reihe von Gesetzesvorhaben initiiert,
die einen bestimmten Anteil von Biokraftstoffen im Benzin vorschreiben.(3)
Brasilía und Tokio haben ein Partnerschaftsabkommen über 8 Milliarden Dollar
geschlossen: In den nächsten fünfzehn Jahren wird Brasilien Japan mit Ethanol
beliefern. Und im Zentrum des Treffens von George W. Bush und Luiz Inácio Lula
da Silva in Camp David am 31. März 2007 stand die Gründung einer neuen Achse
Washington-Brasília zur Produktion und Vermarktung von Biosprit; 70 Prozent des
weltweit produzierten Ethanols stammen allein aus den USA und Brasilien.(4)
Verbandspräsident Marcos Jank rechnet mit einem langfristigen Anstieg der
weltweiten Nachfrage nach Agrotreibstoffen und prognostiziert, dass sich die
Zuckerrohrplantagen im Jahre 2020 auf 14 Millionen Hektar erstrecken werden -
drei Viertel davon zur Ethanolproduktion (heute ist es etwa die Hälfte). Doch
auch wenn Brasilien mit grüner Energie wirbt und die Regierung ein
Nachhaltigkeitslabel für Ethanol entwickelt - die Tonnen von Asche, die auf die
Köpfe der Menschen an den Produktionsstandorten niederregnen, und die Bilder
von den wie Sklaven ausgebeuteten Zuckerrohrarbeitern lassen diesen
Industriezweig gar nicht gut aussehen.
Nach Einbruch der Nacht kann man von den Dächern der höchsten Gebäude in
Sertãozinho, einer kleinen Stadt im Bundesstaat São Paulo, die Brände sehen,
die sich hier und da in die Zuckerrohrfelder fressen. Die Technik, nur die
Blätter zu verbrennen, ohne das Rohr zu zerstören, ist seit den 1960er-Jahren
in Brasilien in Gebrauch und hat sich schnell verbreitet. Sie erleichtert die
Ernte per Hand und erhöht den Zuckergehalt des Rohrs, aber sie setzt enorme
Mengen von Treibhausgasen und anderen Verschmutzungen frei.
Allein im Bundesstaat São Paulo werden nach Angaben von José Eduardo
Cançado, Wissenschaftler an der Universität São Paulo, jeden Tag 285 Tonnen
giftiger Partikel und 3 342 Tonnen Kohlenmonoxid in die Atmosphäre
geblasen. In den Erntemonaten verzeichnet das Krankenhaus von Piracicaba, einer
Stadt im Herzen der Zuckerregion, einen 10-prozentigen Anstieg bei den
Atemwegserkrankungen.(5) Der Bundesstaat São Paulo, der mehr als 60 Prozent der
Zuckerrohrplantagen beherbergt, hat deshalb ein Grünes Protokoll erlassen, nach
dem das Abbrennen der Felder bis zum Jahre 2014 endgültig abgeschafft sein soll
- laut brasilianischem Bundesgesetz ist dieses Ziel erst für 2021 festgesetzt.
Umweltstaatssekretär Xico Graziano bestätigt, dass bereits 148 Ethanolfabriken
und mehr als 10 000 Bauern dieses Grüne Protokoll unterzeichnet haben.
Dass die manuelle Erntearbeit von Maschinen übernommen wird, ist
wahrscheinlich unabwendbar. Die Veränderung ist dabei weniger den
Umweltbedenken der Produzenten geschuldet als dem technischen Fortschritt und
einfachen Rentabilitätsberechnungen: Eine Maschine erledigt die Arbeit von 100
Männern. Außerdem sind infolge der großen Streiks von 1984/85 viele Fabriken
zur automatisierten Ernte übergegangen.6 Doch nach dem heutigen Stand der
Technik können die Maschinen bislang nicht auf Böden mit mehr als 12 Prozent
Steigung arbeiten. Also wird mehr als die Hälfte der Ernte immer noch von Hand
erledigt, und im Bundesstaat São Paulo beteiligen sich daran auch in diesem
Jahr wieder um die 300 000 bóias frias,7 also Landarbeiter.
In keinem anderen Land wird soviel internationales Kapital in Ethanol
investiert wie in Brasilien.8 Unter den Investoren sind die Riesen des
Agrobusiness: Der US-Multi Cargill hat seine Beziehungen zum brasilianischen
Ethanolhersteller Crystalsev verstärkt und im Jahre 2006 einen Aktienanteil von
63 Prozent an der Zucker- und Ethanolfabrik Cevesa gekauft. Der Saatguthersteller
Monsanto baut Partnerschaften mit den Konzernen Cosan und Votorantim auf und
kündigt an, ab 2009 die gentechnisch veränderte Zuckerrohrplanze
"Roundup-Ready"9 einsetzen zu wollen. Und Bajaj Hindusthan, der
wichtigste indische Zucker- und Alkoholproduzent, hat 500 Millionen Dollar in
eine brasilianische Niederlassung investiert.
An ausländischen Börsen wurden Fonds für Investitionen in brasilianisches
Ethanol aufgelegt. Zu den Aktionären zählen der Großinvestor George Soros, die
Investmentbank Goldman Sachs, der ehemalige Weltbankpräsident James Wolfensohn
und die drittgrößte französische Bank Société Générale (über den Bioenergy
Development Fund, eine Fondsgesellschaft mit Sitz auf den Kaimaninseln).
Präsident Lula da Silva setzt konsequent auf die Agroindustrie. Wie seine
Minister nutzt auch er jede Auslandsreise, um Werbung für sein Ethanol zu
machen und Handelsabkommen abzuschließen. Die staatliche Ölgesellschaft
Petrobras baut ihrerseits energisch die Infrastruktur für den Export aus. Das
neueste Projekt ist eine 1 300 Kilometer lange Pipeline vom Landesinneren
zur Raffinerie Paulinia, von wo das Ethanol anschließend zum Hafen São
Sebastião transportiert wird.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts subventioniert der Staat in verschiedenen
Formen die Zucker- und Alkoholproduktion. So kaufte das 1933 gegründete
Institut für Zucker und Alkohol die Zuckerüberschüsse auf und garantierte den
Produzenten so einen Absatzmarkt und stabile Preise. Und das 1975 nach der
ersten Ölkrise lancierte Programm Pró-Álcool trug entscheidend zum Erfolg der
Ethanolautos(10) bei und gewährte der Zuckerbranche großzügige Kredite. Nach
Angaben von Pedro Ramos, Wissenschaftler an der Universität des Bundesstaats
Campinas, "kann der Umfang der direkten und indirekten Hilfen für die Zuckerrohrindustrie
von 1975 bis 1989 auf 500 Millionen Dollar pro Jahr geschätzt werden. (…) Es
ist allgemein bekannt, dass ein Teil dieser Gelder zu anderen Zwecken verwendet
wurde (…). Anfang der 1990er-Jahre hatte die Zuckerindustrie 2,4 Milliarden Dollar
Schulden beim Staat; sie wurden nur teilweise zurückgezahlt."(11)
Präsident Lula da Silva bleibt in der Spur seiner Vorgänger: Im August 2008
erklärte Umweltminister Carlos Minc, für den Zuckerrohranbau würden zusätzlich
7 Millionen Hektar Land zur Verfügung gestellt, und es solle weitere Anreize
für die Produzenten geben.
Dank der von ausländischen Investoren wie von der Regierung getragenen
Goldgräberstimmung konnten ein paar große brasilianische Familien, die
sogenannten Zuckerbarone(12), ihre Machtstellung weiter ausbauen. Zwischen 2000
und 2005 gab es in der Zuckerbranche 37 Fusionen oder Übernahmen. Die
Cosan-Gruppe kaufte die brasilianischen Esso-Tankstellen und sicherte sich
damit einen direkten Vertriebsweg für ihr Ethanol.
Die Kritiker des Ethanolbooms - linke Aktivisten, Wissenschaftler,
Umweltschützer und Bauernorganisationen - verweisen auf die ökologisch und
sozioökonomisch problematischen Folgen. Um ihnen den Wind aus den Segeln zu
nehmen, greift Unica-Präsident Jank auf gut gelernte Argumente zurück(13): Die
neuen Zuckerrohrpflanzungen würden auf altem Kulturland entstehen, es müssten
keine neuen Flächen urbar gemacht werden. Den Gegnern des Einsatzes
gentechnisch veränderter Organismen wirft er Obskurantismus vor und erklärt,
die transgenen Zuckerrohrarten erzielten ein größeres Produktionsvolumen ohne
Steigerung der Anbauflächen.(14 )
Zuckerrohr produziere grüne Energie, fährt der Unica-Präsident fort, seine
CO2-Bilanz sei weitaus besser als beim Mais, der in den USA zur
Ethanolproduktion benutzt wird. Durch Recycling der Pflanzenabfälle (in diesem
Bereich verfügt Brasilien über neueste Technologien) erzeugten die Fabriken
inzwischen mehr Energie, als sie verbrauchten, und trügen so zur Energieversorgung
des Landes bei.15 Schließlich, so Jank weiter, umfasse der Zuckerrohranbau
weniger als 3 Prozent der gesamten landwirtschaftlich nutzbaren Fläche
Brasiliens16 und verdränge daher nicht den Nahrungsmittelanbau.
Ariovaldo Umbelino, Geograf und Professor an der Universität São Paulo,
bestreitet diese Thesen. Als Mitglied der Kommission, die von der Regierung da
Silva mit der Erarbeitung des 2. Nationalen Plans zur Agrarreform beauftragt
ist, kennt er die Unterlagen zur Verteilung der landwirtschaftlichen
Nutzfläche. "Die wichtigsten Ausdehnungsgebiete des Zuckerrohranbaus
liegen rund um den Bundesstaat São Paulo: in Mato Grosso do Sul, Goiás, Minas
Gerais und Paraná. Dort gibt es mehrere neue Anbauprojekte im Cerrado, einem
Savannenökosystem, dessen Biodiversität dadurch unwiederbringlich zerstört
würde. Andere Projekte betreffen den Amazonas - besonders im Bundesstaat Paraná
- und die Region Nordeste."
In dieser Region stößt die von der Regierung geplante Umlenkung des Rio San
Francisco auf großen Widerstand der Bevölkerung. Umbelino zufolge "geht es
vor allem darum, neue landwirtschaftliche Nutzflächen zu bewässern, auf denen
auch Zuckerrohranbau vorgesehen ist. Wenn das Zuckerrohr andere Kulturen
ersetzt oder sich auf ehemaligem Weideland ausbreitet, entsteht ein
Dominoeffekt: Soja- und Maisanbau sowie die Viehherden verschwinden nicht
einfach, sondern weichen auf neue Flächen aus - etwa in Amazonien oder im
Feuchtgebiet Pantanal." Nach den Zahlen des brasilianischen
Raumforschungsinstituts Inpe vom 28. November 2008 wurden zwischen August 2007
und Juli 2008 am Amazonas 11 968 Quadratkilometer Regenwald zerstört, das
sind 3,8 Prozent mehr als im Vorjahr.
Und wie steht es mit der ökologischen Verträglichkeit - von der Praxis des
Abbrennens der Felder einmal ganz abgesehen? Zuckerrohr benötigt - wie jede
Monokultur - sehr viel Chemie, vor allem Stickstoffdünger, die besonders
schädlich für die Ozonschicht sind. Zwar hat man die Millionen von Litern
Vinasse (Rückstände der Alkoholherstellung), die auf den Feldern verteilt
werden, als Naturdünger deklariert - aber sie dringen durch die Böden ins
Grundwasser und bedrohen das Guaraní-Aquifer-System, eines der bedeutendsten
Süßwasserreservoire der Erde.
Auf die Frage, ob der verstärkte Zuckerrohranbau zulasten der
Nahrungsmittelproduktion gehe, führt Umbelino die offiziellen Zahlen des
brasilianischen Geografie- und Statistik-Instituts IBGE an: "Zwischen 1990
und 2006 ist die Anbaufläche für Zuckerrohr im Bundesstaat São Paulo um 2,7
Millionen Hektar gestiegen. Zur selben Zeit gingen im Bohnenanbau 261 000
und im Reisanbau 340 000 Hektar verloren, das bedeutet, es fehlen jetzt
400 000 Tonnen Bohnen und eine Millionen Tonnen Reis, das sind 12
beziehungsweise 9 Prozent der landesweiten Produktion."
Im Nachbarstaat Goiás, in dem sich der Zuckerrohranbau stark ausdehnt,
verzeichnet die Vereinigung der Landwirte und Viehzüchter einen
durchschnittlichen Anstieg der Bodenpreise um 15 Prozent, wobei sich der Wert
einer Fläche verdreifacht, wenn sie in der Nähe einer Zuckerfabrik liegt.
Dieser Preisanstieg macht es den kleinen und mittelgroßen Bauern noch schwerer,
Land zu kaufen, obgleich sie den Großteil der Nahrungsmittel produzieren. Die
Konzentration des Grundbesitzes wird dadurch logischerweise verstärkt.
Zurück in Andradina: Zuckerrohrschneider, Gewerkschafter, Kleinbauern und
Landlose beraten sich für ein Wochenende. Die Zuckerrohrschneider haben keine
Illusionen. Sie wissen, dass ihr Arbeitsplatz gefährdet ist und sie in dieser
Branche keine Zukunft haben. Die Arbeitsperspektiven auf dem Land sehen nicht
gerade rosig aus. Die Kleinbauern, die wenigstens ein Stückchen Land besitzen,
klagen über den Mangel an staatlichen Hilfen: "Der Löwenanteil geht ins
Agrobusiness und bloß ein paar Krümel in den Anbau von Nahrungsmitteln."
Die Landlosen stellen fest, dass ihr Kampf immer schwieriger wird:
"Wenn wir die Enteignung einer Fazenda (Großgrundbesitz) fordern, wo die
Flächen nicht genutzt werden, stehen wir jetzt in Konkurrenz zu den geplanten
Zuckerrohrpflanzungen." Die Bodenreform, einst größtes Versprechen des
Präsidentschaftskandidaten Lula da Silva, scheint in Vergessenheit geraten zu
sein. "Dass das nicht zu einem Aufstand geführt hat, liegt daran, dass
unsere Bewegung durch das Null-Hunger-Programm und Familienhilfen keine Basis
mehr hat", sagt ein Vertreter der Landlosen. Mit diesen Hilfsprogrammen
für die Ärmsten, die das Überleben knapp sichern, hat sich die Regierung den
sozialen Frieden und die Zustimmung der Armen erkauft. "Zuckerrohr und
Ethanol, aber keine Bodenreform" - für Bispo, einen der Organisatoren der
Tagung, hat die Gesellschaft damit eine Wahl getroffen.
Fußnoten:
(1) Ethanol (Alkohol) wird aus Getreide wie Mais oder Weizen, aus
zellulosehaltiger Biomasse wie Forstabfällen oder aus Zuckerrohr hergestellt.
(2) Siehe Eric Holt-Giménez, "Sprit vom Acker. Fünf Mythen vom
Übergang zu Biokraftstoffen", " Le Monde diplomatique,
Juni.2007 und: Oxfam-Positionspapier "Mit Biosprit in die Armut", www.oxfam.de/a_631_aktuell.asp?id=181.
(3) In den USA sollen nach dem Energy Policy Act (2005) und dem Energy
Independence and Security Act (2007) bis zum Jahre 2022 jährlich 36 Milliarden
Gallonen (138 Milliarden Liter) erneuerbare Treibstoffe, vor allem Ethanol,
verwendet werden. In Kanada gibt es ein Gesetzesvorhaben zur Beimischung von 5
Prozent Ethanol im Benzin bis 2010. Die EU-Kommission schlägt vor, dass bis
2020 10 Prozent der im Güterverkehr benutzten Kraftstoffe pflanzlichen Ursprungs
sein sollen.
(4) Am 9. März 2006 haben die beiden Präsidenten in Brasilien ein Abkommen
zur internationalen Förderung des Ethanolhandels unterzeichnet.
(5) Aracy P. S. Balbani,
"Agroindústria da cana-de-açúcar: um Estado em chamas", carosamigos.terra.
com.br/do_site/geral/sonositegeral33.asp#3.
(6) Maria Aparecida de Moraes Silva, "Os Frutos Amargos da
Civilização da Usina: Superexploração e Exclusão Social", in: "O
fenômeno migratório no limiar do terceiro milênio", Rio de Janeiro (Vozes)
1998.
(7) Wörtlich übersetzt "kaltes Essen", eine Anspielung
auf den Henkelmann, den der Landarbeiter morgens mitnimmt und aus dem er
mittags isst.
(8) Die meisten Informationen in diesem Absatz stammen aus der Publikation
der NGO Grain vom Juli 2007: "The sugar-cane-ethanol nexus", www.grain.org/seedling/?id=488.
(9) Unter dem Namen Roundup vertreibt Monsanto eine Reihe von
Totalherbiziden auf der Basis von Glyphosat, häufig kombiniert mit gentechnisch
entsprechend verändertem Saatgut unter dem Namen Roundup-Ready.
(10) 90 Prozent der in Brasilien verkauften Autos verfügen über die
Flex-Fuel-Technik, das heißt, sie können Benzin, Ethanol oder eine Mischung aus
beidem nutzen.
(11) Pedro Ramos,
"Financiamentos subsidiados e dividas de usineiros no Brasil. Uma
história secular", (noch nicht publizierte Studie).
(12) Dazu gehören die Familie Ometto - die Ometto-Gruppe kontrolliert
Cosan - und die Familie Biagi, die im Crystalsev-Konzern den Ton angibt.
(13) Rede beim Kongress Canasul 2008.
(14) Das "Jornal da Cidade vom 31. Januar 2008 notiert, dass
die Produktivität zwischen 2005 und 2008 lediglich um 2,3 Prozent anstieg,
während die Zuckerrohrpflanzungen sich um 12,7 Prozent ausdehnten.
(15) Diese Art der Energieerzeugung deckt 3 Prozent des brasilianischen
Energiebedarfs, bis 2015 sollen es 15 Prozent werden.
(16) Dies sind jedoch 9 Prozent der tatsächlich genutzten Anbaufläche.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
Philippe Revelli ist Journalist.
Le Monde diplomatique Nr. 8852 vom 3.4.2009, 553 Zeilen, Philippe Revelli