Hyazinth Sievering über die "Emsländische Grammatik" von Hermann Schönhoff von 1908. | 20.09.2013

Aus der "Emsländischen Grammatik" von 1908

 Buchtitelseite der Emsländischen Grammatik von 1908"Wohlklingend ist die emsländische Mundart, nicht so unruhig und zerhackt wie das Münsterländische, nicht so kahl und nüchtern in der Vokalentfaltung wie die ostfriesischen Dialekte", so beschreibt der Münsteraner Linguist Hermann Schönhoff die emsländische Variante der plattdeutschen Sprache. Es ist die Sprache seiner aus Lathen stammenden Mutter, die der Autor im Jahre 1908 so wohlwollend beschreibt und der er gleich ein ganzes Buch widmet. Er zitiert Emmy von Dincklage, die von Gut Campe bei Steinbild stammende Emslanddichterin: "Die Mundart des Emsländers ist kräftig in den Einzelausdrücken, ungemein biegsam in ihrer Zusammenstellung; nicht nur ist eine bis ins Schwebende streifende Modulation der Vokale gestattet, sondern lästige Silben werden, wie im Englischen, ganz weggestrichen, was die Ausdrucksweise knapp und treffend macht." 

Allerdings beklagt der Autor schon vor über hundert Jahren den Zerfall unseres heimischen Plattdeutsch: "Gemeinsam mit den ostfriesischen Mundarten ist dem Emsländischen eine große Altertümlichkeit des Wortschatzes eigen, der ja freilich seit Durchführung des Schulzwanges und der hochdeutschen Predigt bedenklich abnimmt, auffallend lichtet sich seit der Mitte des 19. Jahrh. die Zahl der Adverbien - eine Erscheinung, die das Emsland freilich mit westfälischen Mundarten teilt."

Man mag sich fragen, was heute, ein Jahrhundert nach der Niederschrift der aus dem Vorwort zitierten Zeilen, von der dort beschriebenen Sprache noch übrig ist. Möglicherweise sind diese Zeilen auch ein Anlass, seinen eigenen Sprachgebrauch zu überdenken und sich zu fragen, ob man nicht mittlerweile aus Bequemlichkeit und Gedankenlosigkeit zu viele original plattdeutsche Begriffe gegen hochdeutsche ausgetauscht hat. Es gibt die Möglichkeit, sich selber ein Bild zu machen. Das Buch gibt es nicht nur gelegentlich antiquarisch zu kaufen, es ist auch als Book-on-demand bei Amazon verfügbar.

Am Schluss des Buches finden sich einige Sprachbeispiele, die leider durchweg in Lautschrift wiedergegeben sind. Es handelt sich um authentische Texte, wie beispielsweise kleine Erzählungen, Spottverse und Lieder. Ich habe einen Text aus unserem Nachbarort Ahlen herausgegriffen und zum Zwecke der Lesbarkeit, so gut es ging, in normale Schrift übertragen. Es handelt sich um eine nette kleine Geschichte von einem entlaufenen Pfannkuchen, die man wahrscheinlich den Kindern erzählte. 

Seite 216 der Emsländischen Grammatik von 1908Volkstümliche Kindergeschichte aus Ahlen vom entlaufenen Pfannkuchen

Dor was'n old Wief wäen, de här säven Saotdöskers* hat. Nu was se an't Pannkauken backen an un de Leste -dat was so'n Fetten wäen- de was ehr ut de Panne sprungen, was over Däle löpp nao buten ut. Do was üm'n Haose tomöite kaomen. - 'N Dag, Haose." - "'N Dag Pannkauken, wor kumms her?" frög de Haose. "Ik bün 'n old Wief ut de Panne sprungen, säven Saotdöskers entlöpp. Nu will ik di, Haose Quickstert, ok noch entlopen."

De Haose dor achter an un do as he dor 'n End achteran wäen is, latt he'n lopen. He kann'n nich fangen.

Kummp üm'n Voss tomöite. "'N Dag Voss." - "'N Dag Pannkauken. Wor kumms her?" fragg de Voss. - "Ik bün'n old Wief ut de Panne sprungen, säven Saotdöskers, Haose Quickstert entlöpp. Nu will ik di, Voss Dickstert ok noch entlopen." De Voss, de kann üm ok nich fangen.

Do kummp üm 'ne Kauh tomöite. "'N Dag Kauh." - "'N Dag Pannkauken. Wor kumms her?" fragg de Kauh. - "Ik bün'n old Wief ut de Panne sprungen, säven Saotdöskers, Haose Quickstert, Voss Dickstert entlöpp. Nu will ik di, Kauh Striedeers ok noch entlopen." De Kauh, de kann üm ok nich kriegen.

Do kummp üm 'n Peerd tomöite. "'N Dag Peerd." - "'N Dag Pannkauken. Wor kumms her?" fragg dat Peerd. - "Ik bün'n old Wief ut de Panne sprungen, säven Saotdöskers, Haose Quickstert, Voss Dickstert, Kauh Striedeers entlöpp. Nu will ik di, Peerd Wieteers ok noch entlopen." Un do, dat Peerd achterher, kann üm ok nich kriegen.

Do kummp üm 'n Schwien tomöite. "'N Dag Schwien." - "'N Dag Pannkauken. Wor kumms her?" fragg dat Schwien. - "Ik bün'n old Wief ut de Panne sprungen, säven Saotdöskers, Haose Quickstert, Voss Dickstert, Kauh Striedeers, Peerd Wieteers entlöpp. Nu will ik di, Olle Huagnua ok noch entlopen."

Dat Schwien di dor achteran to happken, happkede üm half up. Dat annere Half kröp in'n Grund un dor öilt** de Schwiene nu noch nao. Nao den halven Pannkauken.

*Saotdösker = Saatdrescher (Arbeiter)
** öilen = wühlen

Seite 104 der Emsländischen Grammatik von 1908Auffällig ist in diesem Textbeispiel die Form entlopen. Heute würde man wohl eher weglopen sagen.  

Wer sich für unsere heimische Sprachform interessiert und sich auch mit deren Veränderungen im Laufe der Zeit befassen möchte, wird in diesem Buch eine Unmenge an Material finden. Die Tatsache, dass alle Begriffe und Texte in Lautschrift wiedergegeben werden, mag auf den ersten Blick erschwerend wirken. Wenn man sich allerdings schon mal mit dem Wandel der Aussprache unseres Plattdeutschen nur in den vergangenen fünf Jahrzehnten befasst hat, ist man dem Autor sehr dankbar, dass er auf diese Weise die Sprechweise der Menschen zu Kaiser Wilhelms Zeiten für uns konserviert hat.

Hyazinth Sievering, 20. September 2013


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