Bahnstrecke Leer – Rheine ertüchtigt: Ein Gedankenspiel
Der Bundesrechnungshof hat kritisiert, der Deutschen Bahn fehle 3 Mrd. €. Und empfiehlt den Verkauf eines gewinnbringenden Teils, der LKW-Spedition Schenker. Solche Ausverkaufsempfehlungen von öffentlichem Tafelsilber gehören zum Alltag im neoliberalen Staat, dem die privaten Profite alles und die öffentliche Daseinsvorsorge nichts sind. Und die Empfehlung kann auf Sympathie treffen, weil man sich fragt, warum die Bahn eigentlich mit LKWs Geschäfte machen muss.
Was würde eigentlich passieren, wenn der Landkreis auf der Bahnstrecke Leer – Rheine ein funktionierendes Nahverkehrsangebot schaffen würde? Spielen wir es mal durch. [jdm]
Stellen wir uns vor, die Landkreise Emsland und Leer würden plötzlich erkennen, dass die Bahnstrecke von Leer nach Rheine als Rückgrat einer öffentlichen Verkehrsinfrastruktur ein großes Potential hat. Zusätzlich zu den vorhandenen Bahnhöfen sollten alle Ortschaften entlang der Bahnstrecke Bahnhaltepunkte bekommen (also Ihrhove, Steenfelde, Völlenerfehn, Lehe, Kluse, Melstrup, Hemsen, Meppen-Nödike, Holthausen, Elbergen) und die Emsländische Eisenbahn sollte auf dieser Strecke einen Triebwagen-Pendelverkehr unterhalten. Das wäre das Gegenteil der von der Bahn bisher betriebenen Politik mit Strecken- und Bahnhofsstilllegungen und Rückzug aus der Fläche mit Konzentration auf gewinnbringende Fernverkehrsstrecken. Begründen würden die beiden Landkreise dies mit ihrer Verantwortung für die Massenmobilität im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge und mit dem Klimaschutz, sowie mit ständig steigenden Kosten für den Erhalt der Straßen.
Dass die Landkreise die Haltepunkte auf ihre Kosten bauen würden, würden die Deutsche Bahn und die EU, sowie „die Wirtschaft“, noch gut finden. Sich die Infrastruktur vom Staat bezahlen lassen, aber dem Staat keine Steuern gönnen, ist für die Kapitalbesitzer eine übliche Haltung. Aber der Plan, die landkreiseigene Bahngesellschaft ein sinnvolles und funktionierendes Verkehrsangebot aufbauen zu lassen, würde von der EU und den Unternehmerverbänden mit Händen und Füßen, aber vor allem mit Verweis auf die „Wettbewerbsregeln“ verhindert werden. Das Bahnangebot, das hier durch viele Versuche und mit vielen Änderungen auf die festgestellten Bedarfe erst mit viel Sachverstand entwickelt werden müsste, würde in einem Wust von europaweiten Ausschreibungen untergehen. Am grünen Tisch errechnete fiktive Zuschüsse an die Emsländische Eisenbahn, die auch den anderen plötzlich auftauchenden „Anbietern“ zustehen würden, ließen das ganze Projekt zu einem unkalkulierbar teuren Unternehmen werden und es letztlich zum Scheitern bringen.
Der Vorstand der Deutschen Bahn möchte jetzt durch den Verkauf der britischen Bahngesellschaft Arriva Geld auftreiben. Die britische Gewerkschaft RMT warnt vor einer Zerstückelung im Interesse des Finanzkapitals und fordert die Wiederverstaatlichung der von der britischen Regierung seinerzeit privatisierten Bahn.
Der Rechnungshof meint, das Geld aus dem Verkauf von Arriva reiche nicht, weil die Beschaffung neuer Züge, die Digitalisierung der Schiene oder das Projekt „Stuttgart 21“ mehr Geld kosten. Allein für den Bahnhof in Stuttgart werden unglaubliche 10 Mrd. € zu Gunsten von Gutachtern, Baufirmen und Immobilienspekulanten vergeudet.
Angefangen hat die Misere mit der Umwandlung der deutschen Bahn in eine Aktiengesellschaft, mit der die Eisenbahn auf maximale Rendite und Börsenfähigkeit getrimmt, in unzählige Gesellschaften und Zuständigkeiten zersplittert wurde und damit in eine unüberschaubare Struktur verwandelt wurde, die das tägliche Bahnchaos verursacht. Die EU ist dabei eine treibende Kraft hinter der Zerstörung der europäischen bis dahin funktionierenden Bahngesellschaften. Die EU-Kommission initiierte und das EU-Parlament beschloss 2011 eine Richtlinie, die eine weitere Liberalisierung des Eisenbahnsektors, mehr Ausgliederungen und die faktische Zerschlagung bestehender integrierter Eisenbahngesellschaften vorsah. Hinzu kommen die allgemeinen Wettbewerbsregeln der EU, die im Verbund mit den verschiedenen Freihandelsverträgen den Vorrang von privaten Anbietern vor der öffentlichen Daseinsvorsorge festlegen.
Die Vorstellung, dass der „Markt“ immer die sinnvollste Variante hervorbringt, ist eine Fata Morgana der neoliberalen Freihändler. Der Markt bringt nur das hervor, was Profit bringt. Alles andere wird links liegen gelassen, egal ob die Menschen das dringend brauchen oder nicht.
Und wegen dieser regelmäßigen Zerstörung und Verschlechterung öffentlicher Angebote läuft dann alles auf die gewinnträchtigen Scheinlösungen zu: Weiter mehr Autos – mal mit Elektro, mal mit Wasserstoff, mal mit Gas oder Hybrid, mal selbstlenkend, um noch mehr Autos auf die Straße zu bekommen – aber immer umwelt- und klimaschädigend und profitbringend.
Ach das Neueste vom Markt: Die großen Pharmakonzerne forschen nicht mehr an Antibiotika. Das braucht die Menschheit zwar, bringt aber keinen Profit. Die Antibiotika, die an die Masttiere verfüttert wurden und zu den heute lebensbedrohenden Resistenzen geführt haben, hat man aber gern verkauft.
Drittweltländer kennen dieses Problem schon lange: An Ebola- oder Malariamedikamenten wird auch kaum geforscht, weil die, die die Medikamente brauchen, nicht genug Geld haben, um sie zu kaufen. Und gegen die Gabe von Aidsmedikamenten an die Patienten in Schwarzafrika wehrten sich die Pharmakonzerne lange mit Hilfe des Patentrechtes, bis dieses von einigen Ländern einfach missachtet und die Patente später freigegeben wurden. [jdm]