8. Mai Tag der Befreiung – VVN fordert arbeitsfreien Feiertag
Der Krieg in Wippingen war schon am 10. April 1945 zu Ende, als kanadische Soldaten von Neudörpen kommend in Wippingen einfuhren. Deutsche Soldaten hatten noch am Vorabend auf der Strootburg an der Straße nach Neubörger die Brücke über die Beeke gesprengt.
Die kanadischen Soldaten überließen die Besetzung des Emslandes in der Folgezeit der polnischen Heimatarmee. Diese requirierten die Lehrerwohnung in der alten Schule und das Haus von Familie Johann Kuper für ihre Verwaltung und als Unterkünfte. Familie Kuper wurde dann von der Verwandtschaft Kuper-Wöste aufgenommen und Lehrer Wilhelm Jansen zog um in sein eigenes Haus an der Stelle der heutigen Gaststätte Zum Herzog.
35 Männer aus Wippingen waren als Soldaten getötet worden, weitere 52 Männer waren während des Krieges als Soldaten an grauenhaften Ereignissen als Täter und Opfer beteiligt: mehrere mussten nach dem Krieg noch eine lange Zeit in Kriegsgefangenschaft verbringen.
Dem aus Wippingen stammenden Pfarrer Schniers brachte die Naziherrschaft den Tod im Konzentrationslager Dachau.
Und seltsam: Schon wenige Jahre später war die ganze Kriegszeit und auch die Naziherrschaft im öffentlichen Gedächtnis verschwunden. Alle jüdischen Mitbürger aus den umliegenden Dörfern, die als Händler vor 1933 zum Ortsbild gehört hatten, waren auch einfach „verschwunden“. Und Begriffe wie „laut wie im Judenhaus“ und „Zigeuner“ – auch die waren jetzt bis auf einige wenige durchreisende Familien „verschwunden“ – wurden vollkommen unbefangen benutzt. Der Antisemitismus und Antiziganismus hatte sich auch tief in die Köpfe der Wippinger eingegraben trotz der durch den Katholizismus bedingten skeptischen Haltung gegenüber den Nazis.
Wenn in den 50er und 60er Jahren über den Krieg gesprochen wurde, dann nur in Form der Kriegsanekdoten, die sich die ehemaligen Soldaten beim Bier oder eher beim damals üblichen Schnäpschen erzählten. Über die Zeit des Faschismus wurde in ähnlicher Weise gesprochen: Anekdoten über Schwarzschlachten, Schwarzbrennerei und kleine Heldentaten, wo jemand etwas gegen einen Ortsgruppenleiter der Nazi-Partei gesagt hatte. Die wenigen ehemaligen Wippinger Mitglieder der NSDAP wurden im Dorfleben weiter als geachtete Bürger auch mit Ämtern betraut. Der Krieg wurde immer noch als „verlorener“ Krieg betrachtet, obwohl sich jeder mit etwas Menschlichkeit keinen Sieg der faschistischen Wehrmacht hätte wünschen können.
Wippingen war da keine Ausnahme; der Kampf um eine würdige Gestaltung der Begräbnisstätte für die Opfer der KZs Börgermoor und Esterwegen an der B401, sowie für die Gestaltung von Gedenkstätten an den Orten der KZs selbst erfuhr von den politisch Verantwortlichen im Emsland keine Unterstützung. Ähnlich wie im bayrischen Dachau wollte auch hier die Bevölkerung die Grausamkeiten vor der eigenen Haustür einfach vergessen und ausblenden.
In Westdeutschland waren viele ehemaligen NSDAP-Mitglieder wieder in führenden politischen Ämtern aktiv; Adenauer machte Hans Globke, den Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze und verantwortlichen Ministerialbeamten für die judenfeindliche Namensänderungsverordnung in der Zeit des Nationalsozialismus, zum Chef des Bundeskanzleramts. Der erste deutsche Bundespräsident Heuss hatte 1933 im Reichstag als liberaler Abgeordneter für die Ermächtigungsgesetze gestimmt in einer Zeit, als die kommunistischen Abgeordneten schon in KZs gequält wurden oder zur Flucht gezwungen waren und die SPD sich zum ersten und letzten Mal wirklich den Nazis entgegen stellte. Hermann-Josef Abs, Hanns-Martin Schleyer, Kiesinger, Filbinger, Lübke, von Bohlen und Halbach: Lauter Funktionäre der NSDAP, der Nazi-Verwaltung und der die Nazis unterstützenden Industrie waren wieder oder sogar noch immer in Amt und Würden. Die deutschen Gerichte wurden zum Großteil von nazistischen Richtern geführt. Die Bundeswehr wieder einzuführen konnte der CDU-Bundesregierung gar nicht schnell genug gehen und Franz-Josef Strauß wollte schon 1956, dass auch die deutsche Bundeswehr mit Atomwaffen aufgerüstet werde. Das konnte damals verhindert werden. Aktuell geht die Diskussion auch gerade darum, in wie weit die Deutschen – trotz der Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages – über die Nato-Mitgliedschaft Zugriff auch die Atomwaffenbestände der USA bekommen können. Die CDU möchte dies; der Vorsitzende der SPD –Bundestagsfraktion Dr. Rolf Mützenich möchte die in Deutschland lagernden Atomwaffen endlich aus dem Land geschaffen wissen, wogegen die Kriegs- und Waffenlobby jetzt heftig agitiert.
Dieses Klima der Verleugnung des Faschismus und der deutschen Kriegsgreuel änderte sich erst, als ab Mitte der 70er Jahre in ganz Deutschland – auch in Folge der Fernsehserie „Holocaust“ – über den Faschismus und später auch über die Rolle der deutschen Wehrmacht diskutiert wurde. Wenn auch hier der Nationalsozialismus und der 2. Weltkrieg zusammen genannt werden, so ist das folgerichtig, weil Faschismus immer Krieg und gegen die Arbeiterklasse und Demokraten gerichtete Gewalt bedeutet. Faschismus und Krieg und Gewalt sind immer zusammen aufgetreten. Und der deutsche Faschismus war mit seinen geschätzten 50 bis 60 Millionen Todesopfern die weltgeschichtliche Ausnahmeerscheinung.
Um das Gedenken an die Greuel des Faschismus und speziell an die Opfer des von den Faschisten entfachten Weltkrieges würdig begehen zu können und auch wach zu halten fordern die Überlebende des KZs Auschwitz, Esther Bejarano und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in einer Petition den 8 Mai als Tag der Befreiung zu einem arbeitsfreien Feiertag zu machen. Das sei seit sieben Jahrzehnten überfällig. Und helfe vielleicht, endlich zu begreifen, dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung war, der Niederschlagung des NS-Regimes.