Der Irrglaube an den Wettbewerb im Bahn-Fernverkehr
Am 15. Dezember 2020 veröffentlichte die Partei Bündnis 90/Die Grünen ihre Strategie für eine zukünftige Bahn. Es verlangt mehr Verkehr auf der Schiene, die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken und eine bessere und zuverlässigere Bahn. Zu diesem Zweck soll die Organisationsform der Aktiengesellschaft für die Deutsche Bahn (DB) endlich aufgegeben werden. Und das Schienennetz soll keine Bilanzgewinne mehr erzielen. Das sind sinnvolle Ziele und Maßnahmen.
Dr. Bernhard Knierim vom „Bündnis Bahn für alle“ erläutert in einem längeren Artikel, warum das Konzept der Grünen mit der Trennung des Schienennetzes und des Bahnbetriebs auf diesem Netz, eine Reihe negativer Auswirkungen auf den Bahnverkehr hätte.
Sind Netz und Betrieb getrennt, so sind für den Zugbetreiber die Trassengebühren fixe Unkosten, die beim Einsatz jedes Zuges die Frage stellen lässt: Lohnt sich das? Bringen die zu erwartenden Fahrgäste das Geld wieder herein? Bei einem integrierten Betrieb (Netz und Betrieb in einer Hand) dagegen kann jeder zusätzliche Zug, der auf dem Netz fährt, zur Deckung der allgemeinen Unkosten beitragen.
Das Netz-Unternehmen hat kaum Interesse an Infrastruktur-Maßnahmen, die Geld kosten. Ein integriertes Unternehmen kann die Gesamtrechnung aufmachen und die Investitionskosten mit den Vorteilen im Betrieb verknüpfen.
Beim Bau und der Reparatur von Strecken will die Netzgesellschaft kein „kapazitätsschonendes“ Bauen, bei dem der Verkehr weiter abgewickelt werden kann und die Baumaßnahmen zeitlich eingeschränkt werden müssen. Für die Bahnunternehmen ist die Aufrechterhaltung des Betriebs essentiell.
Jetzt schon wird die Trennung in Netz und Betrieb immer wieder in einzelnen Bereichen rückgängig gemacht wird, um Problemen im Bahnbetrieb zu begegnen, z. B. beim DB-Projekt für eine Verbesserung der Pünktlichkeit im Fernverkehr, wo wieder Bahnhofsaufsichten eingeführt wurden.
Verbesserungen im Bahnverkehr der letzten Jahre sind nicht auf den Wettbewerb zurückzuführen, sondern vor allem auf verbesserte Konzepte der Aufgabenträger, die bessere Finanzierung des Personenverkehrs und auf technische Innovationen. Im Gegenteil gibt es bei dem Ausschreibungswettbewerb immer wieder erhebliche Probleme mit der Qualität des Bahnverkehrs bis hin zum Komplett-Ausfall von Zugverbindungen oder gar ganzen Unternehmen.
Den Preisvorteil erwirtschafteten die Ausschreibungssieger vor allem auf Kosten der Bezahlung und Arbeitsbelastung des Bahnpersonals. Das hat zum allgemeinen Personalmangel bei der Bahn mit den Folgen von Zugausfällen beigetragen.
Um die Ausfälle zu vermeiden machen die Länder bei den Ausschreibungen zunehmend engere Vorgaben, und immer mehr Bundesländer schaffen sogar die Züge gleich selbst an. Baden-Württemberg bildet als erstes Bundesland inzwischen sogar selbst Personal aus und stellt es ein, um dadurch Zugausfälle aufgrund von Personalmangel bei den Betreiberunternehmen zu vermeiden. Da ist die Frage, ob die Bahn nicht besser gleich von landeseigenen Unternehmen betrieben werden sollte.
Und da nicht nur der regionale Personenverkehr koordiniert werden muss, sondern mit den Fernstrecken abgeglichen werden muss, wäre der Betrieb unter der Obhut des Bundes die einfachere und sicherere Alternative.
Wenn die kleinen Bahnunternehmen bankrott gehen oder ihre zahlreichen Subunternehmen, führt dies zu einem unzuverlässigeren Bahnbetrieb. Eine große Bahngesellschaft dagegen kann ausgleichend zwischen den Betriebsteilen wirken.
Und der Bahnbetrieb mit vielen im Wettbewerb liegenden Gesellschaften und einem abgetrennten Netzbetreiber ist teurer: Während jeder Kilometer, den ein Fahrgast mit der Bahn zurücklegt, in Großbritannien Gesamtkosten von umgerechnet 24,3 €-Cent verursacht, kostet er in der Schweiz mit umgerechnet 13,5 €-Cent nur gut halb so viel. Als wesentlichen Grund für diese hohen Kosten gilt die Fragmentierung der Strukturen durch die vielen Betreiberunternehmen.
Gäbe es nur private Bahnbetreiber, wäre seit dem Beginn der Pandemie der Bahn-Fernverkehr in Deutschland wohl komplett eingestellt, wie in Großbritannien geschehen, so dass der Staat in der Corona-Krise den Bahnbetrieb von den privaten Unternehmen in seine Obhut übernehmen musste.
Die bessere Alternative wäre stattdessen eine gemeinwohlorientierte Deutsche Bahn ohne das Ziel einer Rendite, die sich auf ihr Kerngeschäft Bahn konzentriert und auf sinnvolle politische Ziele hin ausgerichtet ist. Dies müsste an erster Stelle ein zuverlässiger, flächendeckender, komfortabler und bezahlbarer Bahnverkehr für alle Menschen im Land sein. Die Auftrennung in viele verschiedene Unternehmen und die Konkurrenz der Bahnunternehmen hat umfangreiche negative Auswirkungen. Der Schlüssel ist die Kooperation anstelle der Konkurrenz, denn Bahn im Sinne der Fahrgäste funktioniert am besten als möglichst gut aufeinander abgestimmtes Netzwerk. [jdm/ Bündnis Bahn für alle]