„Deutschland. Aber normal“, ist der Titel des AfD-Wahlprogramms für die Bundestagswahl. Helmut Kellershohn vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung hat dieses Programm unter dem Titel „Standortnationalismus – Völkischer Nationalismus – Autoritärer Staat“, erschienen im aktuellen Diss-Journal, analysiert.

„Das Ideal des Staates, das der AfD vorschwebt, ist der autoritär geführte nationale Wettbewerbsstaat auf völkischer Basis in einem ‚Europa der Nationen’. Es ist das Programm eines völkischen Neoliberalismus“, so Kellershohn.

Der Leitantrag, den die AfD auf dem Parteitag im April 2021 diskutiert hat, ist zunächst marktradikal und wirtschaftsnationalistisch. Der Staat soll sich aus allem heraushalten. Das ist das klassische Denken des Neoliberalismus, wie wir ihn aus Chile, Peru, den USA und den Politikvorstellungen von Schröder, Blair und heute Macron kennen, deren Ziele die unbeschränkte Machtausübung der Konzerne und der Abbau des Sozialstaates waren.

Dem Staat sollen alle Steuereinnahmen weggenommen werden, die auch Unternehmer zahlen müssten. Die AfD fordert die Senkung der Einkommensteuer, den Wegfall der Gewerbe-, Grunderwerbs- und Grundsteuern, keine Wiedereinführung von Vermögenssteuern, keine Erbschaftssteuern. Zur Finanzierung des Staates bleibt nur die Mehrwertsteuer, die jeder beim Einkaufen zahlen muss. Und die geht als reine Verbrauchssteuer zu Lasten der Arbeiter und Angestellten.

Ausgegeben werden soll das Geld nach AfD-Vorstellungen dann doch zur Förderung von mittelständischen Unternehmern. Außerdem fordert sie den „Blue Deal“, den sie dem „Green Deal“ der EU entgegenstellt. Mit Staatssubventionen soll die deutsche Technologieführerschaft errungen werden. Das ist natürlich ein Widerspruch zur geforderten reinen Wettbewerbs-Wirtschaft. Zuerst soll der freie Markt die Macht der Stärksten durchsetzen, und dann soll (ausgerechnet) der Staat nicht nur die Opfer unter den Unternehmern stützen, sondern sogar selbständig Subventionen an die Konzerne ausschütten, was aber den ganzen vorher genannten marktradikalen Forderungen widerspricht.

Das gilt natürlich nicht für die normalen Arbeiter und Angestellten. Zur Sozialpolitik hat das Wahlprogramm fast nichts zu sagen, außer einem minimalen Rentenkonzept und etwas zur Lohnangleichung in Ost und West. Sozialpolitik besteht in der AfD-Sicht nur aus Familienpolitik, die die Aufgabe hat, deutsche Familien vor allem in ihrer Fortpflanzung zu fördern und ein antiquiertes Familienbild mit drei Kindern und einem Vater als Alleinverdiener wieder herzustellen. Begleitet wird diese deutsche Familienidylle von einer aggressiven Haltung gegen Flüchtlinge und Migranten.

Das was bisher geschildert wurde, hat ja nun gar nichts mit dem Auftreten der AfD als die der eigentlichen Opposition zu tun. Hier greift sie auf den frei aus der Luft gegriffenen Politikansatz der Rechten und Konservativen zurück Es wird nicht über reale auf der Wirtschaft beruhende Machtverhältnisse in der Gesellschaft geredet, sondern einfach die Parteidemokratie in Frage stellt. Die AfD verwendet sogar den Begriff der „Klasse“, verwendet ihn aber nur im Sinne von „Gruppe“. Sie schreibt: “Es hat sich eine politische Klasse herausgebildet, deren vordringliches Interesse ihrer Macht, ihrem Status und ihrem materiellen Wohlstand gilt. Sie hat sich zu einer machtvollen Oligarchie innerhalb der etablierten Parteien entwickelt … Diese Oligarchie hat die Schalthebel der staatlichen Macht … in Händen.“

Die AfD blendet also vollkommen aus, dass tatsächlich die ökonomisch Mächtigen in unserem Land an den Schalthebeln sitzen, was zu einer sozialen Polarisierung geführt hat mit dem Ergebnis; dass die oberen 10 Prozent etwa sechzig Prozent des Vermögens besitzen und das oberste 1 Prozent, genauso viel besitzt, wie die unteren 75 Prozent zusammen. Die AfD folgert aus ihrer Vorstellung von den Verhältnissen, dass sie dem Staat die Steuereinnahmen und alle rechtlichen Möglichkeiten, steuernd einzugreifen entziehen will, und  Methoden der direkten Demokratie, wie in der Schweiz, einführen will. Sie tut dabei so, als ob das „Volk“ bei Volksabstimmungen so abstimmen würde, wie die AfD sich die Welt wünscht. Dass allein ihr Steuerkonzept den Gemeinden, Städten und Landkreisen als unterster Ebene der Demokratie finanziell den Boden unter den Füßen wegzieht, ist ein weiterer Widerspruch, den die AfD nicht auflösen kann. Ein Staat, der pleite ist, kann natürlich auch die öffentliche Sicherheit nicht aufrecht erhalten. Die AFD setzt nur auf Polizei; öffentliche Sicherheit bedeutet aber auch sichere Straßen, Straßenbeleuchtung, Kinderspielplätze und ausgestattete Schulen, und ein Gesundheitswesen, das im Notfall auch sofort verfügbar ist. Mit dem Sicherheitskonzept der AfD sitzt jeder – wie in den USA – mit seiner Feuerwaffe zu Hause und dankt der AfD für die Freiheit vom Staat.

So wie die AfD den Klimawandel leugnet, leugnet sie auch den Sinn von Anti-Corona-Maßnahmen. Beides hat zwar mit der Realität nichts zu tun, aber diese Haltung gibt ihr den Nimbus einer unerschrockenen Opposition.

Die AfD ist also eine Partei für die Reichen, die sich vom Staat nicht hereinreden lassen möchten. Die Opfer dieser neoliberalen Politik sollen sich aber vor den Karren der AfD spannen lassen und werden besänftigt mit einer aggressiven Politik gegen alles Fremde, wozu auch neue kulturelle Phänomene gehören, und mit einer Familienpolitik, die deren Situation zwar nicht verbessert, aber den Trost anbietet, dass es den Migranten dann noch viel schlechter geht. Und irgendeinen Andersdenkenden oder Fremden, gegen den man polemisieren kann und den man unterdrücken kann, wird es immer geben.

Der von der AfD gewünschte Staat kann ohne Unterdrückung nicht funktionieren, weil es natürlich Protest unter den Arbeitern und Angestellten geben wird, die letztlich  in ihren sozialen und demokratischen Rechten beschnitten werden. Die AfD muss somit einen autoritären Staat anstreben, der Frauen ihre Rechte abschneidet (gegen Abtreibung, gegen „Genderwahn“, gegen Frauenerwerbstätigkeit, gegen Bildungsverbesserungen), der Migranten aller Rechte beraubt und Werktätige innerhalb des Betriebsgeländes rechtlos macht. Deshalb die anfängliche Charakterisierung des Ideals der AfD als autoritär geführter neoliberaler Staat auf völkischer Basis. Und Deutschland hatte schon mal eine 12jährige Periode, die diesem Ideal ziemlich entsprochen hat. [jdm]