Informationsdefizit zu Kriegsmunition im Seitenkanal wirft Fragen auf
80 Jahre nach einer möglichen Munitionseinbringung in den Seitenkanal Gleesen-Papenburg bei Dörpen erscheint es dringend geboten, zu klären, welche Gefahren davon noch ausgehen. Dies fordert Dr. Johann Müller, Vertreter der Grünen im Gemeinderat Dörpen, der Hallo-Wippingen.de seine Rechercheergebnisse zur Verfügung gestellt hat:
Der Seitenkanal Gleesen-Papenburg wurde von 1938 bis 1942 in Teilstrecken gebaut, jedoch nicht fertiggestellt. Die in Ost-Westrichtung kreuzenden Straßen unterteilen den Kanal in einzelne Abschnitte, die jedoch durch Rohre oder Gräben miteinander verbunden sind.
Einige Teilabschnitte zwischen Lathen und Kluse wurden als Stillgewässer zum Naturschutzgebiet erklärt. Weiter nördlich folgt der früher sehr beliebte „Badekanal“, einem breiteren Abschnitt des Gewässers mit einer tieferen Stelle im nordöstlichen Bereich, die als „Bombenkuhle“ bezeichnet wurde, allerdings lediglich etwa 50 cm tiefer war als der restliche Kanal.
Ein Graben verbindet diesen Abschnitt mit weiteren, die bis zum Küstenkanal in Dörpen reichen. Hier darf weder gebadet noch geangelt werden, weil laut Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Ems-Nordsee ein Verdacht auf vorhandene Kampfmittel besteht, die für Nutzer des Kanals zur Gefahr werden könnten.
Sollten sich allerdings tatsächlich Kampfmittel aus den letzten Kriegsjahren im Kanal befinden, so dürften diese inzwischen weder für Badende noch für Angler zur Gefahr werden, denn am Gewässerboden befindet sich jetzt eine starke Schlammschicht, die alles unter sich begraben haben dürfte, was ehemals auf dem Grund des Gewässer lag.
Sorgen bereiten könnte dagegen eine ökotoxikologische Betrachtung möglicher Kampfmittel im Gewässer. Unglücklicherweise beschränken sich aktuelle Untersuchungen von Altlasten aus dem Zweiten Weltkrieg auf Nord- und Ostsee; Binnengewässer werden nicht untersucht.
Eigene Recherchen zur Datenlage bezüglich Kampfmittel im Seitenkanal und sich daraus ergebenden Gefahren führen allerdings zu einem unbefriedigenden Ergebnis, wobei die angesprochenen Behörden gern auf eine nächste verweisen, die eher zuständig sein könnte.
Folgender Sachstand wurde ermittelt:
Das Umweltbundesamt hat sich in den 1990er Jahren mit militärischen und Rüstungsaltlasten in Deutschland intensiv beschäftigt. Diese Arbeiten wurden 2003 eingestellt und die entsprechenden Datenbanken an die Bundesländer übergeben, die für die Altlastenstandorte zuständig sind. Welche Behörde die Daten für Niedersachsen erhalten hat, konnte nicht geklärt werden.
Das Umweltministerium in Niedersachsen sei seit vielen Jahren nicht mehr für Kampfmittelbeseitigung zuständig, wird von dort mitgeteilt. Daher lägen im Hause auch keine Archivdaten über Kampfmittel/-funde vor. Grundsätzlich zuständige Stelle für derartige Fragen im Kontext mit Verdachtsflächen, Funden etc. sei der Kampfmittelbeseitigungsdienst Niedersachsen.
Dort gibt es aber ebenfalls keine Aufzeichnungen zu Kampfmitteln im Seitenkanal. Bezüglich möglicher Umweltgefahren durch Freisetzung von chemischen Substanzen aus Kampfmitteln könne man grundsätzlich nicht ausschließen, dass diese über einen langen Zeitraum ihren Inhalt aufgrund von Korrosion freigeben. Welchen Umfang mögliche Umweltbelastungen haben könnten, liege an Art und Menge von evtl. vorhandenen Kampfmitteln.
Eine gleichlautende Antwort übermittelt der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, und weist dabei auf die Untersuchungen im Meerwasser hin. Diese werden von der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Nord- und Ostsee (BLANO) durchgeführt, die auch einen Expertenkreis für Munition im Meer eingerichtet hat. Allerdings wird aus dem Expertenkreis auf Anfrage mitgeteilt, dass die Sachverhalte im Meer und in Binnengewässern keineswegs identisch seien, z. B. in Bezug auf Salinität, Acidität, Sauerstoffsättigung, betroffene Organismen u.a., weshalb aus den Untersuchungen kaum Rückschlüsse für Munition in Binnengewässer gezogen werden könnten.
Angebracht erscheint somit eine Neubewertung der beim Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Ems-Nordsee vorliegenden Informationen in Hinblick auf das tatsächliche Vorkommen dieser Stoffe und auf die Gefährdung von Menschen und Umwelt am und im Kanal. Die niedersächsischen Behörden sollten dazu den fachlichen Austausch mit der Bundesbehörde anstreben und nicht versuchen, die Nichtzuständigkeit darzustellen. [Dr. Johann Müller]