Privatisierung: Untaugliche Medizin für die Deutsche Bahn wird immer wieder verschrieben
Ein Mensch hat Fieber und der Arzt verschreibt Paracetamol zum Fiebersenken. Weil das nicht hilft, verordnet der Arzt die doppelte Menge Paracetamol. Das hilft auch nicht, also verordnet der Arzt die dreifache Menge Paracetamol. Der Patient stirbt dann an einer verschleppten Infektion. Das würde vermutlich keinem Arzt in der Realität passieren.
Bei der Deutschen Bahn gab es am Anfang Schulden. Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag verordneten 1994 erste Schritte zur Privatisierung der DB durch die Umwandlung des Staatsbetriebes in eine Aktiengesellschaft, damit der „Markt“ die Deutsche Bahn besser mache.
Die Bahn sollte dann 2006 an die Börse gehen, aber der „Markt“, sprich die Finanzkrise 2007, verhinderte einen Verkauf der Aktien. Die Bahn machte höhere Schulden als früher und bekam mehr Geld vom Staat als früher.
Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag verordneten weitere Schritte zur Privatisierung der Deutschen Bahn durch die Aufspaltung der DB in die DB Netz, RegioNetz, Deutsche Umschlaggesellschaft Schiene-Straße, DB Fahrwegdienste, DB Netze Personenbahnhöfe, DB Netze Energie.
Seitdem verkommen die Bahnhöfe, der Regionalverkehr wird von den Ländern finanziert, die Züge werden unpünktlicher, die Infrastruktur der Schienen und der Fahrzeuge verkommt, das Personal fehlt. Die Bahn verwendet das flüssige Geld um international in Logistikunternehmen einzusteigen und hat mehr Schulden als je zuvor aufgehäuft.
Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag wollen als Medizin gegen diese Probleme den nächsten Schritt zur weiteren Privatisierung verordnen: Die Abspaltung des Schienennetzes in einer eigenen Gesellschaft.
Die Krise der Deutschen Bahn wurde also durch den neoliberalen Privatisierungswahn erzeugt und soll permanent durch noch mehr Privatisierung bekämpft werden. Der Arzt im obigen Beispiel würde seine Zulassung aufs Spiel setzen. Die Bahnmanager und Verkehrspolitiker kennen aber nur ein einziges Rezept für die Bahn, das sich schon mehrfach als falsch herausgestellt hat. Sie lassen sich für ihr Versagen mit Ansage Boni auszahlen.
In Großbritannien wurde der Betrieb von defizitären, aber für das Land notwendigen, privatisierten Bahnen vom Staat übernommen. Die Schulden der Bahn werden dort also übernommen, während die Gewinne von den Aktionären abgeschöpft werden.
Heute hat die deutsche „Monopolkommission“ wieder die Abspaltung des Schienennetzes der Bahn gefordert. Verkehrsminister Wissing konnte auf den Koalitionsvertrag verweisen, in dem genau das geplant ist. Die Abspaltung hat auch schon einen Namen „InfraGo AG“. Das Schienennetz wird der Deutschen Bahn weggenommen, wobei das Zuckerl lautet, die Infrago sei gemeinwohlorientiert. Das hört sich gut an, bedeutet aber nur, dass der Staat die Infrastrukur für die privaten Betreiber des Bahnbetriebs bereitstellen soll, damit diese damit Profite machen können. Da die gleichzeitige Aussage fehlt, der Bahnbetrieb solle gemeinnützig sein, kann man davon ausgehen, dass in einem zweiten Schritt dieser privatisiert werden soll. Das Ganze dient also nicht der Verbesserung des Bahnangebotes, sondern nur der Trennung der Deutschen Bahn in privatisierte profitable Bereiche und vom Staat finanzierte unrentable Bereiche.
Nur nebenbei: Die Monopolkommission ist kein neutraler Berater der Bundesregierung, wie ihr offizieller Auftrag lautet, sondern ist eine vom Staat eingesetzte und bezahlte neoliberale Lobbygruppe, die nur aus Vertretern der Industrie bzw. ihnen verbundenen „Wissenschaftlern“ besteht. Ihre Ratschläge zu allen Wirtschaftsthemen lassen sich in dem einzigen Befehl zusammenfassen; „Privatisieren!“.
Für Carl Waßmuth, Sprecher von „Bahn für Alle“ und Vorstand der Trägerorganisation „Gemeingut in BürgerInnenhand“ geht mit dem Übergang des Schienennetzes zur „InfraGo“ die Entwicklung in die falsche Richtung: „Dass es riesige Probleme mit der Bahn gibt, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Aber auch was schlecht ist, kann noch schlechter werden. Mit der InfraGo drohen uns britische Verhältnisse. Die Einheit von Rad und Schiene würde zerstört, der Fernverkehr der Privatisierung preisgegeben. Statt die Bahn zu spalten, muss die ganze Bahn gemeinnützig werden.“
Jorinde Schulz, „Bahn für Alle“ und Sprecherin des Berliner Bündnisses „Eine S-Bahn für Alle“ ergänzt: „Nach einem Vierteljahrhundert Großversuch auf dem Rücken von Fahrgästen und Beschäftigten sehen wir: Der so genannte Wettbewerb auf Europas Schienennetzen ist gescheitert. Er hat das System Bahn nicht vorangebracht, sondern zurückgeworfen.“
In einer Kurzstudie von „Bahn für alle“ vom 9.06.2022 heißt es: „Wenn Staaten, Länder oder Kommunen den Betrieb ihrer Bahnen selbst übernehmen oder an ein öffentliches Unternehmen beziehungsweise einen öffentlichen Verkehrsverbund vergeben möchten, muss dies ohne Auflagen möglich sein. Ein Zwang zur Ausschreibung im Schienenverkehr und ÖPNV befördert schädliche Privatisierungen und ist abzulehnen. Öffentliche Infrastrukturen sollten öffentlich finanziert und gesteuert werden, die Pflicht der Europäischen Union zur Trennung von Netz und Verkehr im Schienenverkehr ist diesbezüglich kontraproduktiv. Entsprechend wäre auch Deutschland gut beraten, statt einer vertieften vertikalen Trennung der Bahn eine bessere politische Steuerung der Bahn vorzunehmen.“ [jdm]