Steinmeiers „Blut, Schweiß und Tränen“-Parodie
Als vor 75 Jahren das Grundgesetz verabschiedet wurde, wurden die 19 Grundrechtsartikel recht einfach gehalten, so dass sie klare Aussagen enthielten. Mittlerweile sind diese Grundrechte durch die Notstandsgesetze und diverse Änderungen zu Grundrechtsartikeln mit einem langen „Aber“-Rattenschwanz geworden, was sicher am auffälligsten im Artikel 16 ist, bei dem aus dem einfachen 1949 verabschiedeten Satz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ heute ein Artikel 16a geworden ist, der mit diesem Satz anfängt und dann in vier weiteren Abschnitten die Abers formuliert.
Ähnliches passierte im Artikel 12, der ursprünglich einfach formulierte „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“ Dem wurde der Artikel 12a angehängt, der formuliert “Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.“ Es folgen fünf weitere Abschnitte, die die Einschränkung der Freiheitsrechte im Kriegsfall beschreiben.
Man hat den Eindruck, dass die derzeitigen maßgebenden Politiker in der Bundesrepublik den Artikel 12 a für das ganze Grundgesetz halten. Zum 75. Jahrestag des Grundgesetzes hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier laut NOZ die Menschen in Deutschland auf schwierigere Zeiten eingestellt und zugleich ihren Willen zur Selbstbehauptung beschworen. Er rief dazu auf, die Errungenschaften von Freiheit und Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen. „Unsere Demokratie ist wehrhaft. Wer heute unsere liberale Demokratie bekämpft, muss wissen, dass er es dieses Mal mit einer kämpferischen Demokratie und mit kämpferischen Demokratinnen und Demokraten zu tun hat“, sagte Steinmeier.
Das ist eine Pose, die an Winston Churchills „Blood, Sweat and Tears“ erinnert, die dieser aber nach dem Überfall von Hitlerdeutschland auf Frankreich hielt. Heute wird Deutschland von niemandem angegriffen, sondern ist nur dabei, ein anderes Land mit allen Mitteln daran zu hindern, einen Krieg durch Verhandlungen zu beenden. Steinmeier missbraucht in seiner Rede die Erinnerung an die Verabschiedung des Grundgesetzes, um die Bundesrepublik nach rechts in Richtung Krieg und Sozialabbau zu befördern.
Auf dem Titelbild der NOZ steht die Spitze des Staates zusammen: der Verfassungsgerichtspräsident Harbarth, bei dem man sich in seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter nicht erklären konnte, wie er im Nebenjob als Rechtsanwalt so viel Geld verdienen konnte, der Bundeskanzler Scholz, der seit seiner „Zeitenwende“-Rede das Geld des Staates bzw. seiner Bürger umschaufelte, um den Sozialstaat zugunsten einer Aufrüstung zu zerstören. Nicht Wohnungen werden gebaut, sondern Rheinmetall profitiert vom Rüstungswahn wie noch nie in seiner Geschichte.
Der Bundespräsident und Streubombenfreund Steinmeier bewegte keinen Finger, um als Bundeskanzleramtschef im Fall von Murat Kurnaz den Grundgesetzartikel 16 „Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden.“ durchzusetzen. Und der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ist die Zeitenwende auch zu Kopf gestiegen. Sie würde Deutschland im Kriegsfall womöglich auch selbst mit einer Waffe verteidigen, verkündete sie vor Schülern und spricht sich für die Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Sozialdemokraten sprachen sich früher für Frieden und einen Sozialstaat aus.
Nur die Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig hat sich bisher nicht als Bellizistin entpuppt. Vielleicht einfach, weil sie als Ministerpräsidentin eines kleinen Landes die Auswirkungen der Scholz’schen Zeitenwende besser spürt.
Die Politiker, die heute das Grundgesetz feiern, haben mit den Motiven derjenigen, die 1949 den Text nach den Schrecken des Nazi-Regimes und des 2. Weltkriegs verabschiedeten, nichts mehr gemein.
Im Grundgesetz steht auch, dass Eigentum verpflichtet und dass Eigentum zum Wohle der Allgemeinheit vergesellschaftet werden kann. Diese Artikel wurden nie geändert. Einfach deshalb, weil sie ignoriert wurden. Mit dem undemokratisch zustande gekommenen Maastricht-Vertrag der EU wurde das Kapital sakrosankt erklärt. So bleibt z. B. das Eigentum der Wohnungskonzerne unangetastet und die Wohnungsnot wird sich in diesem bisher reichen Land weiter verschärfen. [jdm]