Wie Fernand einmal überlistet wurde“ lautet eine Sage, die in „Der Hümmling – Ein Heimatbuch“ aus dem Jahr 1929 zu finden ist. Es geht darum, wie ein Kaufmann auf dem Hümmling von dem „Räuber“ Fernand überfallen wurde und diesen durch eine List übertölpelte.

Wie Holger Lemmermann herausfand, gab es für diese sagenhafte Figur ein reales Vorbild, nämlich Ferdinand Wendeln aus der Hümmlinger Vagabundenfamilie. Er wurde am 19.12.1765 in Lorup getauft und starb am 22.01.1838 in Lorup. Zusammen mit seinen Brüdern wurde er weithin gefürchtet, war mehrfach in Haft, allerdings nicht im Zuchthaus. Er war Schwiegervater des ebenso berüchtigten „Bontekoh“ genannten Johann Jacobs. In der Erinnerung wurden er und sein Neffe Ferdinand, der am 15.09.1806 in Wippingen getauft wurde, durcheinander gebracht. Der Wippinger Ferdinand war liiert mit einer Elisabeth Müller, die in Leer geboren wurde. 1826 saß er im Zuchthaus Hannover, 1827 im Zuchthaus Celle und 1835 im Zuchthaus Osnabrück. 1835 stellte er den Antrag, nach Amerika auswandern zu dürfen.

Nun war es für die Vagabunden – heute würde man Nichtsesshafte sagen – sehr einfach, im Zuchthaus oder im Gefängnis in Meppen zu landen. Denn die feudale Welt der beginnenden Neuzeit konnte mit Vagabunden nichts anfangen, obwohl sie ein Produkt der neuen Zeit waren. Lemmermann weist nach, dass die Emsländer Vagabunden allesamt Nachfahren von Soldaten waren, die als Söldner in irgendeiner Armee von Preußen bis Frankreich, von Hannover bis Italien, angeworben worden waren. Soldaten verloren mit dem Ausscheiden aus der Armee wegen Alter oder Krankheit ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Familie. Und durch das unstete Leben in verschiedenen Ländern und Garnisonen hatten sie auch keinen Lebensmittelpunkt mehr. Viele blieben z. B. in der letzten Garnisonsstadt, wo sie gedient hatten, z. B. auch in der Stadt Meppen.

Andere gingen in ihre Heimat zurück, wo sie aber keine Möglichkeit hatten, sich einzugliedern. In der ständischen Gesellschaft hatte jeder Bauer, Bürger, Handwerker oder Beamter seinen festen Platz. Das Dorf, die Gilde und die Familie boten die soziale Sicherheit. Außerhalb dieser Ordnung war man vogelfrei.

Es gab für die Vagabunden keine Möglichkeit, den Lebensunterhalt zu verdienen, außer durch Betteln. Aber auch das Betteln war nur erlaubt, wenn man im Besitz eines Bettelbriefes war, der meist den eingesessenen Armen vorbehalten war. So war auch das Betteln schon eine kriminelle Handlung. Und in der Verzweiflung wurden auch Diebstähle begangen oder die Bettelei durch Bedrohungen der Seßhaften ertragreicher gemacht.

Die Regierung in Münster ließ zwar in Sögel ein Schloss für die Jagd der Adeligen bauen, hatte aber für die Vagabunden nur Repression im Angebot. Wurde jemand ohne festen Wohnsitz und ohne Pass von der Obrigkeit bzw. speziellen Armenjägern angetroffen, wurden er und seine Familie in Meppen inhaftiert. Dort wurden sie häufig gefoltert. Sie wurden aufgefordert, das Land zu verlassen. Zuvor wurde ihnen ein Ohr geschlitzt oder abgeschnitten, damit man sie wieder erkennen konnte, wenn sie zurückkehren sollten. Vor der Abschiebung wurden sie in der Regel ausgepeitscht.

Überschritten sie dann die Grenze nach Drenthe oder nach Oldenburg, mussten sie sich erneut vor einem Aufgreifen in Acht nehmen. Da war es unter Umständen besser, gleich im dünn besiedelten Emsland zu bleiben, wo die unbewohnten Moorgebiete zumindest etwas Schutz gewährten. Wurden sie erneut aufgegriffen, wurden auch mehrjährige Zuchthausstrafen verhängt.

Zeitweise versuchte man, den Vagabunden die Kinder wegzunehmen, damit sie sich nicht fortpflanzten. Die arenbergsche Verwaltung versuchte auch erfolglos Vagabunden an fremde Heere zu verkaufen. Ferdinand Wendeln, den man auch einem Werbekommando übergeben hatte, kam nach einigen Tagen zurück. Man wollte ihn im Heer nicht haben, weil er einen Leistenbruch hatte und hinkte.

Um 1800 herum wurden Konzessionen für die Scherenschleiferei ausgegeben. Fortan versuchten sich alle Vagabunden – ob mit oder ohne Konzession – als Scherenschleifer und Kesselflicker auszugeben. Im Laufe von drei Generationen betrachtete die emsländische Gesellschaft die Vagabunden schließlich als Einheimische, was ihre Lage juristisch geringfügig verbesserte.

1823 gab es tatsächlich einmal einen Vertrag zwischen dem Kreis Meppen und einem Schustermeister Hermann Beckmeyer, der dafür bezahlt wurde, den 16jährigen Sohn von „Bontekoh“ auszubilden.

Erst der arenbergische Regierungsrat Anton Heyl versuchte, den Vagabunden durch feste Bezirke für die Scherenschleiferei ein Einkommen und einen Lebensmittelpunkt zu verschaffen. Das hatte nichts mit einer menschlichen Einstellung gegenüber den Vagabunden zu tun, sondern war allein einer realistischen Einschätzung der Ursachen des Vagabundentums zu verdanken.

In Lemmermanns Verzeichnis der Scherenschleifer und Vagabunden des Emslands können sie selten mit einem Ort verbunden werden. Wegen der fehlenden Papiere konnten sie nicht offiziell heiraten, die Kinder wurden buchstäblich auf der Straße, in Ställen und Schafskoven geboren. Wippingen gehörte damals zu den Kirchspielen Sögel und Steinbild, so dass auch bei Wippingern in den Kirchenbüchern Sögel bzw. Steinbild festgehalten wurde. Bekannt ist, dass die Vagabundin Johanna Lücken, die in Norden geboren wurde, am 14.03.1812 in Wippingen 70jährig verstorben ist.

1810 ging Nicolaus Wendeln von Neurhede nach Holland, um dort mit Scherenschleifen etwas Geld zu verdienen. Seine Frau Elisabeth Wendeln, geb. Klöne (1765 in Berßen) sollte ihm 14 Tage nach Pfingsten folgen. Elisabeth wanderte dann vermutlich bettelnd mit ihren vier Kindern über Neudersum (1. Nacht) , Dersum (2. Nacht), Düthe, wo sie bei Herm Benen übernachtete, nach Wippingen, wo sie sich drei Nächte auf der Sonderburg aufhielt, schließlich nach Neudörpen, wo sie im Haus von Henrich Sassen starb. 3 der Kinder wurden bei ihrer Tante Anna Wendeln in Lorup untergebracht. Mit dieser zogen sie bettelnd herum, wie sie es früher mit ihren Eltern getan hatten. Eins der Kinder wanderte 1844 nach Amerika aus, eine Tochter heiratete den Scherenschleifer Augustin Rast und eine wurde 1866 als Dienstmagd in Brual erwähnt.

Die letzten Scherenschleifer wurden in Wippingen noch in den 1970er Jahren gesichtet. Sie wurden noch immer als „Bädelker“ – Bettler, wahrgenommen. Einen Schrecken verbreiteten sie nicht mehr, sondern ihre Dienstleistung wurde gerne angenommen. [jdm/Quelle „Zigeuner und Scherenschleifer im Emsland, Holger Lemmermann 1986]