Schuldenbremse ist ein Ausdruck von Menschenfeindlichkeit
Die Schuldenbremse ist eine Erfindung der Begründer des Neoliberalismus, speziell von James McGill Buchanan. Buchanan war überzeugt, dass man demokratisch gewählte Politiker in ihrem Handeln stark einschränken müsse. Mit einer Schuldenbremse könne man dem Staat vorschreiben, wieviel Geld er ausgeben darf, unabhängig davon was gesellschaftlich gebraucht werde oder wie sich die Wirtschaft gerade entwickele.
Das Menschenbild, das dahinter steht, lässt sich so beschreiben: Der Mensch ist ein „Homo oeconomicus“, der nichts will, als den größtmöglichen wirtschaftlichen Eigennutz. Freundschaft, Liebe, füreinander sorgen oder einstehen, all das gibt es nicht mehr.
Mit der Schuldenbremse werden die Menschen den privatwirtschaftlichen Monopolen ausgeliefert, die die eigentlichen Aufgaben des Staates übernehmen. Ein Musterland für eine solche Politik ist das Land Chile, wo unter dem Diktator Pinochet, der sich von den neoliberalen Chicago Boys beraten ließ, fast alle Aufgaben des Staates privatisiert wurden. Ein Chilene kann nicht mit dem Bus fahren, kein Wasser trinken, keine Medizin schlucken, kein Kind zur Schule schicken, keinen Park benutzen, ohne dass er dafür bezahlen muss.
Diese Politik führt zu einer extremen Spaltung der Gesellschaft in diejenigen, die sich in diesem System die lebensnotwendigen Dinge und Dienstleistungen kaufen können und diejenigen, die das nicht können.
Ziel der Schuldenbremse ist genau dieser Sozialabbau: Es soll kein Cent mehr in Umlauf kommen, an dem die Konzerne und sonstige Kapitalisten nicht verdienen. Und mit dieser Schuldenbremse wiederum lässt sich der Sozialabbau wunderbar begründen, weil ja angeblich kein Geld mehr da ist.
Als der Bundestag 2009 die Schuldenbremse mit Zweidrittelmehrheit beschloss, beschloss er praktisch gleichzeitig den mit 480 Milliarden Euro größten Fonds, den die Bundesrepublik je beschlossen hatte. Dieser Fonds diente zur Rettung der deutschen Banken in der weltweiten Finanzkrise. Das heißt, die Schuldenbremse wurde sofort mit einem „Sondervermögen“, das nichts anderes als Schulden enthielt, gebrochen. Wenn es dem Kapital dient, ist der Staat immer bereit, doch Schulden zu machen.
Würden es die Politiker tatsächlich ernst meinen, dass der Staat keine vermeidbaren Schulden aufnehmen solle, hätte man schon längst die horrenden Militärausgaben sparen können. Im Jahr 1999 belief sich der Militärhaushalt auf umgerechnet 24,3 Mrd. Euro und stieg bis 2017 auf 37 Mrd. Euro an. Man hätte auch die Vermögenssteuer nicht abschaffen müssen, sondern sie im Gegenteil erhöhen können. Man hätte auch die Spekulationen an der Börse versteuern können, statt die Steuern gänzlich abzuschaffen.
Verteidiger der Schuldenbremse vergleichen gern private und öffentliche Haushalte. Der finanzielle Rahmen für Millionen Menschen soll so organisiert werden wie ein Haushalt von wenigen Personen. Die Investitionen des Staates in die Infrastruktur, also in Straßen, Wasserwerke, Abwasserrohre, Krankenhäuser, Schulen und Universitäten, aber auch die Finanzierung und Sicherung von Sozialleistungen, Krankenversicherungen, Renten, Feuerwehr und Polizei tragen letztlich durch bessere Bildung, gute Infrastruktur und mehr Sicherheit zu höheren Einnahmen bei. Das trifft für den privaten Haushalt nicht zu. Die neoliberale Politik der letzten 20 Jahre durch z. B. die faktische Abschaffung der Arbeitslosenversicherung, hat in Deutschland die überwunden geglaubte Armut zurück gebracht.
Weil ohne Schuldenaufnahme praktisch kein Staat zu machen ist, werden permanent Wege gesucht, die Schuldenbremse zu umgehen. Das probate Mittel dazu ist die Schaffung von Sonderhaushalten – oder wie es in der verlogenen Sprache des Neoliberalismus heißt – durch Sondervermögen.
Der Autobahnbau wurde ganz im Sinne der Konzerne an Öffentlich-Private-Partnerschaftsprojekte (ÖPP) ausgegliedert, bei denen Privatunternehmen die Projekte vorfinanzieren und sich das Geld durch garantierte Einnahmen zurück holen. Der Bundesrechnungshof hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es sich dabei lediglich um eine verdeckte Schuldenaufnahme handelt und sie dem Staat viel teurer kommt, als eine direkte Schuldenaufnahme. Berlin finanziert seinen Schulbau über solche Methoden, wobei sich heraus gestellt hat, dass die Kosten pro Schule das Mehrfache der Kosten für die Schulen betragen, die noch direkt von den Bezirken gebaut werden. Die Konzerne stopfen sich die Taschen somit voll, der Staat wird direkt geplündert, aber die verantwortlichen Politiker stellen sich hin und sagen, sie hätten keine Schulden gemacht.
Bundesfinanzminister Lindner stellt sich jetzt hin und fordert ganz im Sinne der Chicago Boys, die Schulden durch Kürzungen in den Sozialetats zu verringern. Natürlich kommt diese Regierung nicht auf die Idee, die Befeuerung des Krieges in der Ukraine zu stoppen, oder das „Sondervermögen“ von 100 Mrd € für die Aufrüstung zu stoppen. Und natürlich werden die Subventionen an die Industrie für die Energiemehrausgaben nicht gekürzt oder an sinnvolle Bedingungen geknüpft. Denn das Menschenbild, dass die FDP und leider auch große Teile der SPD und der Grünen verinnerlicht haben, ist der oben genannte „Homo oeconomicus“.
Die Linke, die Jusos und die Grüne Jugend haben die Aussetzung der Schuldenbremse für den nächsten Haushalt gefordert und sprechen davon, sie am besten ganz abzuschaffen.
Dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums ist jetzt aufgegangen, dass mit der Schuldenbremse der Staat nicht arbeiten kann. Er schlägt deshalb eine Reform der Schuldenbremse vor. Er kritisiert die Praxis der „Sondervermögen“. Es wird vorgeschlagen, Investitionen durch Kredite zu finanzieren, während übrige Ausgaben aus dem Haushalt gedeckt werden. Sinnvoll sei es, in dem Maße Verschuldung aufzubauen, wie den kommenden Generationen durch Investitionen Vermögenswerte bzw. Wachstumschancen zukommen. An diese „Goldene Regel“ in der Haushaltspolitik halten sich Gemeinden in der Regel immer schon, weil ihre Haushalte sonst nicht genehmigt werden.
Als zweiten Punkt zur Reform der Schuldenbremse nennt das Gremium Investitionsfördergesellschaften, denen der Staat jährlich einen Fixbetrag zur Verfügung stellt, den diese einzig für Investitionen verteilen, etwa an Kommunen. Dies solle für mehrere Jahre gesetzlich fixiert werden. Aber hier sind wir vermutlich schon wieder in einem neuen Bereich der Schattenhaushalte, der Ähnlichkeit mit den gescheiterten ÖPP-Projekten hat. [jdm]