Barley und SPD: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben
Auf der zweiten Staatenkonferenz zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag (AVV / TPNW) vom 27. November bis 1. Dezember 2023 in New York nahmen 94 Länder als Vertragsstaaten oder Beobachter an der Konferenz teil. Deutschland war einer von nur drei NATO-Staaten, die eine offizielle Delegation als Beobachter nach New York schickten.
Die deutsche Vertreterin Susanne Riegraf; Unterabteilungsleiterin in der Abteilung für internationale Ordnung des Außenministeriums nutzte ihre Rede vor allem, um die AAV-Staaten zu einer Frontstellung gegen „Russland als Haupthindernis für Abrüstungsbemühungen“ zu bringen. Die nukleare Abschreckung diene den nationalen Sicherheitsinteressen Deutschlands, ein Beitritt zum Atomwaffenverbot sei daher ausgeschlossen. Die Bundesregierung versuchte nach Einschätzung von „Ohne Rüstung leben“, das Festhalten der NATO-Staaten an der Drohung mit Atomwaffen zu rechtfertigen und gleichzeitig Abrüstungsschritte von anderen einzufordern. Dieser Versuch der Instrumentalisierung sei auf wenig Verständnis gestoßen. Frau Riegraf erklärte also ausgerechnet auf einer Konferenz über das Atomwaffenverbot ihre Liebe zur amerikanischen Atombombe.
Jetzt hat der republikanische Präsidentschaftskandidat in den USA, Donald Trump, die NATO-Staaten aufgefordert, gehörig aufzurüsten und das Ziel, dass jeder Mitgliedstaat 2 % seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Verteidigung investiert, auch zu erfüllen, weil die USA unter seiner Führung nicht in die Bresche springen würden.
Obwohl angeblich niemand Trump mag, bemühen sich die europäischen PolitikerInnen Trumps Befehl sofort auszuführen. Es wird das verquere Argument gebracht, auf Trump sei kein Verlass, um genau das zu tun, was er fordert. In Wirklichkeit hat Trump nur die Arbeitsteilung zwischen den USA und der EU deutlich gemacht: Die Europäer sollen Russland in Schach halten und möglichst zerstören, damit sich die USA einem Krieg gegen China widmen können. Einen Zwei-Frontenkrieg können die USA nicht erfolgreich schaffen; wenn sie sich ganz China widmen können, hoffen sie, die Vorherrschaft der USA sichern zu können.
Die Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, Katarina Barley, hat auch Trumps Vorschlag vernommen und sofort ihre Liebe zur Atombombe entdeckt – allerdings in Trumps Sinn die Liebe zur europäischen Atombombe. Die EU-eigene Atombombe könne auf dem Weg zu einer europäischen Armee „auch … ein Thema werden“, sagte sie laut Tagesschau. Das passt ja wunderbar, nachdem die EU schon längst von einem angeblichen europäischen Friedensprojekt zu einem Militärbündnis mit zivilem Anhang umgebaut wurde.
Bundesfinanzminister Christian Lindners Ideen gehen schon in Richtung praktische Umsetzung. Er will die strategischen Nuklearstreitkräfte Frankreichs und Großbritanniens als „Element europäischer Sicherheit unter dem Dach der NATO“ weiter denken. Johann Wadephul von der CDU macht sich Sorgen, ob die EU-Bombe denn allein ausreicht ohne die amerikanische Bombe. Ein Fall von Polyamorie: er liebt sie halt alle beide.
Der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner bezeichnete den Vorstoß für gemeinsame europäische Atomwaffen als „brandgefährliche Eskalation“. Dem Tagesspiegel sagte er: „Eine europäische Atommacht braucht es nicht – sie wäre das Gegenteil von europäischer Sicherheit.“ Damit hat er Recht. Aber so wie die SPD dazu da ist, die Menschen zu hintergehen und ihnen Krieg und Sozialabbau häppchenwiese schmackhaft zu machen, so ist es Stegners Aufgabe innerhalb der Sozialdemokratie, seine noch zögernden GenossInnen langsam an die Idee einer militaristischen SPD zu gewöhnen. Er wird also ziemlich sicher umfallen und ebenso lernen, die Bombe zu lieben.
Die SPD war 1958 Teil der „Kampf dem Atomtod“-Bewegung, die damit endete, dass die Nato in Deutschland Atomwaffen stationierte, aber Deutschland selbst keinen Zugriff auf Atomwaffen hat. Denn den Deutschen 13 Jahre nach dem Ende der Terrorherrschaft der Nazis solche Waffen in die Hand zu geben, konnten sich auch die Nato-„Partner“ nicht vorstellen.
Dass Atomwaffen den Frieden sichern können, ist theoretisch überlegenswert, wenn diese Drohung mit der großen gegenseitigen Zerstörung mit vielen Maßnahmen verbunden ist, die Vertrauen zwischen den Atomwaffenbesitzern herstellen können. Das gab es im Rahmen der vielen Rüstungskontrollverträge zwischen den USA und der UdSSR, bzw. zwischen der NATO und den Warschauer Vertragsstaaten. Russland hat nach dem Ende der UdSSR alle Verpflichtungen aus diesen Verträgen übernommen. Aber die USA haben sukzessive alle Abrüstungsverträge gekündigt und eine beispiellose Aufrüstung betrieben.
In einem solchen Umfeld kann die Friedenssicherung durch Abschreckung überhaupt nicht mehr funktionieren. Es besteht die akute Gefahr, dass die Atomwaffen auch eingesetzt werden. Und dann kann auch eine „kriegstüchtige“ Bevölkerung nichts mehr retten von dem, was uns wichtig ist.
Von den 240.000 Einwohnern von Hiroshima starben direkt nach dem Abwurf der (nach heutigen Maßstäben kleinen) Atombombe 45.000 Menschen, 19.000 am nächsten Tag und nach vier Monaten zählte man insgesamt 136.000 Tote und 72.000 Verletzte. Bei einem atomaren Schlagabtausch über Deutschland würden viele Atombomben gezündet werden. Wer dann nicht getötet ist, muss sein Überleben im Atomaren Winter suchen. „Im nächsten Krieg“, prophezeite Nikita Chruschtschow einst, „werden die Überlebenden die Toten beneiden.“ Das gilt noch immer.
„Die richtige Antwort auf Trumps Unsinn ist nicht atomare Aufrüstung, sondern eine Politik der Deeskalation und zivilen Konfliktlösung,“ sagte Linken-Chef Martin Schirdewan. [jdm]