Krieg – ein Computerspiel

Ulrich Scholz

Der Krieg in der Ukraine ist im 33. Monat. Politisches Agieren und Berichterstattung durch die Medien bewegen sich, eigentlich von Beginn an, auf dem Niveau von Schuljungen, die ein Computerspiel spielen. Der, der am Ende die meisten Punkte hat, gewinnt. Es werden Moral und Recht-Punkte vergeben, Truppenstärken-Punkte, Verluste-Punkte, Panzer und Artillerie-Punkte und natürlich Kampfjets-Punkte. Für Fortgeschrittene gibt es Spielerweiterungen in Richtung operative Kriegführung. Es gibt jetzt Punkte für die Fähigkeit, aus der Luft Ziele im gegnerischen Hinterland anzugreifen. Auch eine politische Erweiterung ist schon in Arbeit. Sie vergibt Punkte für Zielerreichung bei zukünftigen Verhandlungen. Nun ist Krieg kein Spiel, bei dem es einen Gewinner gibt. Den gab es in der Geschichte nur, wenn er total bis zur bedingungslosen Kapitulation (Deutschland am Ende des zweite Weltkriegs) bzw. der totalen Vernichtung (Karthago) geführt wurde.

Der Staat – die eigentliche Ursache für Kriege

Wenn Herr Putin oder Herr Zelensky und dessen Protegés im Westen dennoch glauben, diesen Krieg gewinnen zu können, dann sind Zweifel an deren Intelligenz angebracht. Weder können sie ihn gewinnen noch ihre politischen Ziele auf diesem Wege erreichen. In meinem Buch „Krieg-eine Beleidigung der menschlichen Intelligenz“ führe ich das Argument darüber. Wenn dem so ist, stellt sich doch die Frage, warum Staatsführungen immer noch zu dem Mittel „Krieg“ greifen, um Konflikte mit anderen Staaten zu lösen. Die Gründe liegen tiefer als nur in der Intelligenz der Verantwortlichen. Man könnte sie unter dem Schlagwort „mangelnde Bildung“ zusammenfassen. Die Politikwissenschaften und hier die Staatentheorie, die sich auf Philosophen wie Thomas Hobbes und Immanuel Kant berufen, haben schon vor einem halben Jahrhundert wissenschaftliche Antworten gegeben und noch weiter, Wege aufgezeigt, wie Konfliktlösungen zwischen Staaten ohne Krieg möglich sind. Im Folgenden sollen die zwei dominierenden Staatentheorien vorgestellt werden. Sie lauten „Realism“ und „Liberalism“. Da die deutschen Begriffe Realismus und Liberalismus andere Bedeutungen haben, werden die englischen als eindeutige Namensgeber benutzt. Sie stehen für Sichtweisen auf die Natur des Menschen (gut oder böse) und auf die Pflicht des Staates, für die äußere Sicherheit seiner Bürger zu sorgen (Militärische Stärke oder friedliche Ko-Existenz). Wenn Sie um diese scheinbar einfachen Unterscheidungen im Zusammenleben von Staaten wissen, werden Sie vielleicht ahnen, wie wichtig es ist, sie in Hinblick auf die gegenwärtigen Konflikte in der Ukraine und in Westasien zu verstehen. Dieser kleine Artikel soll dazu beitragen.

Realism – eine archaische Sicht auf die Welt

Als Urvater des Realism gilt der englische Philosoph Thomas Hobbes (5. April 1588 – 4. Dezember 1679). Erschüttert von der grenzenlosen Gewalt im englischen Bürgerkrieg postulierte er den starken Staat. Nur der könne für die Sicherheit seiner Bürger sorgen. In seinem Buch „Leviathan – oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und staatlichen Gemeinwesens“ beschreibt er den Menschen in seinem Naturzustand als frei von jeder Moral und traditionellen Einschränkungen. Im Zusammenleben seien Gewalt und Anarchie die Folge (Der Mensch ist des Menschen Wolf). Nur ein starker Staat könnte das verhindern. Politikwissenschaftler des daraus entwickelten Realismus übertrugen dieses Bild auf Staaten. Im Naturzustand verhielten sich die ähnlich wie der Mensch. Da es keine übergeordnete Macht gäbe, sei ihr Zusammenleben von Gewalt und Anarchie geprägt. In diesem Dschungel könne nur ein starker Staat für die Sicherheit seiner Menschen sorgen. Der Lauf der Geschichte nach dem Westfälischen Frieden (14. Oktober 1648), der den 30jährigen Krieg beendete und als Gründungsdatum des Staates, wie wir ihn heute kennen, angesehen wird, bestätigt dieses Bild. Sicherheitspolitik basierte hauptsächlich auf militärischer Stärke. Die großen konnten es sich leisten, die kleinen suchten Bündnisse mit den großen, um zu überleben. Die kriegerischen Auseinandersetzungen des 18., 19. und 20. Jahrhundert liefen nach diesem Muster ab. Die Staatentheorie des Realism befand sich in einer Zirkularität mit der Geschichte. Man könnte nun meinen, dass er bis heute gilt. Dem ist aber nicht so. Beeindruckt durch die Schrecken des 2. Weltkrieges und dem Beginn des Kalten Krieges erfuhr er eine entscheidende Veränderung. Und nicht nur das. Eine neue Staatentheorie entwickelte sich. Die des Liberalism.

Realism – eine vernünftige Sicht auf die Welt

Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Hans-Joachim Morgenthau  (17. Februar 1904 – 19. Juli 1980), der nach dem 2. Weltkrieg die Außenpolitik seines Landes entscheidend beeinflusst hat, gab dem Realism einen zeitgemäßen Anstrich. Für ihn galt es, bei aller Interessenverfolgung Kriege zu vermeiden. So war er ein kompromissloser Gegner des US-amerikanischen Vietnamkriegs. In seinem Jahrhundertwerk „Politics Among Nations – The Struggle for Power und Peace“ finden sie folgende Schlüsselgedanken:

  • Politische Macht dient Interessen
  • Interessenausgleich geht vor Einschüchterung
  • Werte zu Interessen erklären ist Heuchelei
  • Universelle Werte haben ihre Grenzen

Wie Sie am Verhalten der Staaten im Ukrainekrieg erkennen können, sind diese Weisheiten, die auf geschichtlichen Erfahrungen und politischen Erkenntnissen beruhen, an ihnen vorübergegangen. Wir erleben gerade den Rückfall in einen archaischen Realism. Wenn die Staatsführungen von Russland und den USA diesen Weg eingeschlagen haben, kann man es getreu dem Zitat, wer einen großen Hammer besitzt, der sieht in jedem Problem einen Nagel, vielleicht noch verstehen. Wenn die europäischen Staaten dabei mitmachen, nur noch sehr schwer. Die europäische Einigung nach dem 2. Weltkrieg erfolgte nämlich im Geiste des Philosophen Immanuel Kant. Daraus hat sich die Staatentheorie des Liberalism entwickelt.

Liberalism – der Weg zum freundlichen Staat

Auf seiner Prämisse, dass der Mensch gut ist, stellt Kant in seinem Werk „Zum Ewigen Frieden“ ethische Forderungen an den Staat.

  • Moral und Politik gehören zusammen
  • Keine gewaltsame Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates
  • Versöhnungsbereitschaft im Kriege
  • Republikanische Verfassungen
  • Föderalismus freier Staaten

Der europäische Einigungsgedanke war einstmals von diesen Forderungen beseelt. Man hatte den Staat mit seinen Interessen als Ursache für Krieg begriffen. Die politische Konsequenz: Schaffung von internationalen Organisationen und Abgabe von staatlicher Souveränität an dieselben. Die Umsetzung war viel versprechend, wie eine lange Liste von internationalen Organisationen zeigt (UNO, WHO, WTO, IAEA, ICC, EU, Europäischer Gerichtshof, Europäisches Parlament, u.v.m.).

Die Lösung

In vielen Bereichen funktioniert das internationale System, in einigen nicht. Es versagt, wenn Staaten nationales Interesse über das Interesse der Staatengemeinschaft stellen. Diesem „Vergehen“ sind sie alle schuldig. Herr Putin ist in bester Gesellschaft. Die neuere Geschichte, die in der Tradition des Realism von Staaten des Westens geschrieben wurde, ist voller Beispiele. Der Weg von einem aggressiven Realism zu einem Staaten freundlichen Liberalism geht meiner Ansicht nach nur über die Selbstbezüglichkeit, wie Kant sie fordert und auch Morgenthau´s Realism sie anmahnt. Gandhis Zitat bringt es auf den Punkt. Sei Du die Veränderung, die Du Dir für die Welt wünscht. Was für ethisches Verhalten im Zwischenmenschlichen gilt, muss auch für Staaten gelten. Wenn Staatenlenker ((und wir alle) das begreifen, werden irgendwann einmal Drohen, Einmarschieren und Krieg führen der Vergangenheit angehören. Die wahre Natur des Menschen wird sich zeigen, und die heißt Liebe. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrich’s Newsletter]