Jens Spahn will Pharmakonzerne zu Krisengewinnern machen
„Und wir wollen finanzielle Anreize setzen, um die Produktion wichtiger Wirkstoffe wieder nach Europa zu verlagern,“ sagte Gesundheitsminister Jens Spahn heute. Dies solle ein Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft werden. Damit hat er seinen Plan veröffentlicht, die Coronakrise zum Vorwand zu nehmen, um auch die Pharmaindustrie, die die Krankenkassen und ihre Versicherten seit Jahrzehnten ausgeplündert hat und auf gehortetem Geld sitzt, zu einem Krisengewinnler zu machen.
Deutschland galt Jahrzehnte lang als Hochpreisland für Medikamente. Sobald ein Medikament seinen Patentschutz verloren hatte, wurde das Medikament durch eine geringfügige Änderung der Rezeptur, die keinerlei Verbesserung brachte, als neues Medikament zu einem hohen Preis auf den Markt gebracht und gegen die Vorgängerversion ausgetauscht.
Das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz sollte dieser Praxis ein Ende bereiten. Zum Teil scheint dies gelungen zu sein, weil das Gesetz auch eine Prüfung des Nutzens vorsieht.
Jetzt hat sich die Pharmaindustrie deshalb eine neue Geldmaschine zurecht gebastelt.
Zwei Drittel aller Arzneimittel, die derzeit entwickelt werden, zielen auf den Spezialmarkt für seltene Krankheiten oder Krebsmittel. Vor zehn Jahren waren die zehn größten Umsatzbringer noch Arzneien aus dem Niedrigkosten-Sektor für die Grundversorgung. Diese Premium-Arzneien, die 100 Euro oder mehr je Packung kosten, sind jetzt der Renner und unser Gesundheitssystem wird mit den erprobten Methoden der Pharmaindustrie dazu gebracht, diese Medikamente massenhaft zu verschreiben. Wir haben auf Hallo-Wippingen.de am 17.09.2019 über das Medikament „Zolgensma“ berichtet, das pro Dosis zwei Millionen Dollar kosten soll und dem Schweizer Konzern Novartis pro Jahr 2,8 Mrd. € Umsatz bringen soll.
An den Medikamenten, die wir brauchen, wie z. B. Antibiotika, wird nicht mehr geforscht. So wurden nach dem Ende der letzten Corona-Sars-Epidemie alle Forschungen an einem Corona-Impfstoff und auch die staatlichen Förderungen abrupt eingestellt.
Die Gelder der Krankenversicherungen gehen somit zu einem großen Teil direkt an die Konzerne, dienen aber nicht unbedingt den Erfordernissen unseres Gesundheitssystems bzw. der Kranken.
Die Forschung an Medikamenten lassen sich die Unternehmen zum Großteil vom Staat bezahlen. Praktisch läuft dies in Kooperationen mit Universitäten durch die sogenannte Drittmittelforschung. Dabei müssen sich die Unis für ihre Forschungsprojekte um Gelder vom Staat bzw. den Forschungsorganisationen, wie der Max-Planck-Gesellschaft, bewerben und dabei einen Kooperationspartner aus der Wirtschaft für einen Rest der Kosten nachweisen. Die Konzerne schöpfen dann die Ergebnisse für ihre Produktion ab, während sich die Professoren wieder auf die Suche nach einem neuen Geldgeber machen müssen, statt sich unbehindert der Forschung widmen zu können.
Wenn der Gesundheitsminister jetzt davon redet, die europäischen Pharmakonzerne durch „finanzielle Anreize“ dazu bringen zu wollen, wieder in Europa selbst zu produzieren, um die Arzneimittellieferungen sicher zu stellen, dann will er die mit Geld geradezu gemästeten Pharmakonzerne mit dem Rückenwind der Coronakrise zu Krisengewinnern machen.
Wenn er Konzernen Geld gibt, damit sie hier produzieren, werden sie das Geld gerne mitnehmen. Aber alles, was nicht direkt bezuschusst wird und nicht kontrolliert wird, wird natürlich weiterhin dort produziert, wo es am billigsten für die Konzerne ist.
Dabei gäbe es natürlich auch einen anderen Weg, für Arzneimittelsicherheit zu sorgen, nämlich einfach das Ordnungsrecht. Es könnte den Pharmaproduzenten einfach vorgeschrieben werden, dass sie in Europa produzieren sollen. Bei der Rüstung zum Beispiel, bei der Verfügungsgewalt über Mordwerkzeuge, haben die Bundesregierung und Frankreichs Regierung keine Hemmungen gehabt, dies zu tun.
Und in diesem neoliberalen Staat gibt es keine Hemmungen, z. B. kleinen Gewerkschaften ihre Tarifverhandlungsmöglichkeiten per Gesetz zu rauben, aber Unternehmen zu einem gesellschaftlich notwendigen vernünftigen Verhalten zu zwingen, ist undenkbar. [jdm]