1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland
Das Jahr 321: Im zum größten Teil unbesiedelten Emsland lebten an den Fluss- und Bachläufen die Ampsivarier, von denen wir nicht viel wissen. Die Einwanderung der Sachsen ins Emsland (bis 700) stand noch bevor und die Eroberung durch das fränkische Reich (ab 772) war noch in weiter Ferne.
In Köln aber war man sich schon uneins, ob jüdische Bürger auch in den Stadtrat verpflichtet werden konnten. Denn das war für den Amtsinhaber ein teures Ehrenamt, das nicht jeder haben wollte, für das man aber gut betuchte Bürger brauchte. Köln war Teil des Römischen Reiches, das das Christentum als Staatsreligion eingeführt hatte. Der Kaiser entschied in einem Dekret, dass auch Juden als Nicht-Christen Stadträte werden konnten (mussten).
Was dieses Dekret heute interessant macht, ist nicht die Kommunalpolitik der damaligen Zeit, sondern dass das Dekret ein erster schriftlicher Nachweis ist, dass Juden schon vor 1700 Jahren in Deutschland lebten. Juden lebten somit schon in Deutschland, als die Emsländer noch gar nicht im Emsland lebten. Dieses 1700jährige Jubiläum wird in diesem Jahr begangen.
Angesichts der Geschichte des Judentums in Deutschland, sind sich nicht alle einig, dass das ein Anlass zum Feiern ist. Dabei war die Geschichte der Juden in dem Gebiet des heutigen Deutschland im ersten Jahrtausend abgesehen von punktuellen Ereignissen keine Geschichte von Diskriminierung – jedenfalls keine die z. B. über die Verfolgung der Heiden im römischen Bereich wesentlich hinausging. Die römischen Kaiser und später die fränkischen Kaiser hatten das Judenregal, das die Juden als minderberechtigt, aber auch als besonders schutzbedürftig, unter den Schutz des Kaisers stellte. Sie mussten ein Schutzgeld zahlen, wofür sie auch bestimmte Rechte erhielten. Für die Kaiser war dies eine wichtige Einkommensquelle.
Die Situation änderte sich ab der Jahrtausendwende als sich im Hochmittelalter die Städte herausbildeten und der Adel sich in einer ständigen Auseinandersetzung mit dem Kaisertum befand. Die Städte wurden in Stände und Zünfte gegliedert. Wer diesen nicht angehörte, konnte in die Stadtgesellschaft nicht eingegliedert werden. Juden wurde diese Integration aufgrund des Glaubens verwehrt. Sie waren wie Frauen, Leibeigene, Knechte und Durchreisende Bürger zweiter Klasse. Die zu Beginn der Neuzeit eingewanderten Sinti und Roma mussten diese Erfahrung auch machen.
Die ländliche Gesellschaft war eine Lehnsgesellschaft. Das Prinzip lautete, der König gibt Land oder Ämter an Kronvasallen, diese geben sie weiter an Untervasallen und diese zur Bearbeitung an unfreie Bauern. Die soziale Rangfolge der Lehnspyramide gliederte sich so: König – Geistliche Fürsten – Weltliche Fürsten – Grafen und Freiherren – Ministeriale – Ritter. Darunter gab es die große Masse der Bauern, die zwar keine Rechte als Staatsbürger, aber wohl Besitzrechte an ihrem Land hatten.
Da passten die Juden weder als Teil der Herrschaftsschichten noch als Bauern hinein, obwohl sie genauso in diesem Land lebten. Als die Ritter zunehmend überflüssig wurden und als Raubritter das Land terrorisierten, verloren auch die Juden zunehmend den staatlichen Schutz. Im Spätmittelalter und der beginnenden Neuzeit waren sie immer wieder an verschiedenen Orten Pogromen und Vertreibungen ausgesetzt. Zeitgleich gab es anderen Orten blühende Gemeinden, die kulturell und wirtschaftlich von großer Bedeutung waren.
Viele große jüdische Theologen und Philosophen, z. B. Rabbi Gerschom ben Jehuda, Baal Shem Tov von Michelstadt, Rabbiner Hirsch, Moses Mendelssohn, lebten im Gebiet des heutigen Deutschland. Katholisch.de fasst das jüdische Leben so zusammen: „sie haben als Stadträte, Lehrer, Künstler, Kaufleute, Handwerker, Wissenschaftler, Soldaten und Politiker gearbeitet und die Gesellschaft mitgeformt. Sie waren Nachbarn, Kollegen und Freunde, Außenseiter, Sündenböcke und Verfolgte“.
Und mit der Judenemanzipation vor allem seit der Französischen Revolution, die Schluss mit der mittelalterlichen Ständegesellschaft machte und bürgerliche Freiheiten einführte, verschwand auch die offene Diskriminierung. Aber gleichzeitig mit dem Kapitalismus und dem damit verbundenen Kolonialismus entwickelt sich auch ein Rassismus, der in Verbindung mit dem historischen christlichen Antisemitismus in Deutschland zur fürchterlichsten Verfolgung einer Volksgruppe in der Geschichte führte. Nach den Massenmorden durch die Deutschen leben heute wieder ca. 150.000 Menschen in Deutschland, die sich als Juden verstehen. Viele sind erst seit 1991 als so genannte Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion zu uns gekommen. [jdm]