Heiner Bojer hört auf

Der Bürgermeister von Renkenberge Heiner Bojer möchte am 31.01.2025 sein Amt als Bürgermeister niederlegen. Das schrieb die Ems-Zeitung heute in einem großen Bericht. "Heiner Bojer ist Renkenberge – Renkenberge ist Heiner Bojer: Die Entwicklung der Gemeinde ist eng mit dem Bürgermeister verbunden. Nach 38 Jahren im Rat legt der 67-Jährige nun seine politischen Ämter im Ort nieder," heißt es dort.

Bojer war seit 1996 Bürgermeister. Diese 28 Jahre sind für Renkenberge eine Ära, die zu Ende geht. Es war schon ein Erlebnis, wenn man auf einer Festveranstaltung in Renkenberge sehen konnte, wie Bojer die Gäste als Bürgermeister begrüßte, den nächsten Programmpunkt ankündigen hörte, ihn dann den Chor dirgieren sah und womöglich danach zur Orgel eilen sah. Auf dem Schützenfest vertrat er auch mal den Oberst und - wie man lesen konnte - dient sein Hof derzeit noch als Lagerstätte für die gemeindeeigenen Maschinen. Was ehrenamtlichen Einsatz angeht, kann ihm kaum einer was vormachen. Mehr im Artikel in der Ems-Zeitung. [jdm]

Über Sürien – denn Syrien gibt es wohl nicht mehr

Zwölf Jahre Krieg und 20 Jahre Sanktionen haben Syrien vollständig verarmt. Die Türkei hatte in ihrer „Deeskalationszone“ in Idlib Dschihadisten ausgebildet, die USA und Israel bombten in dem Land, wie es ihnen passte. Sogar Ölquellen beuteten die USA aus ohne die Erlöse den Syrern zukommen zu lassen. Mit den umfassenden Sanktionen wurden alle Perspektiven für die Menschen im Land zerstört. Jetzt gab es nichts mehr zu verteidigen und so konnte das Land fast widerstandslos von der islamistischen Hai‘at Tahrir asch-Scham (HTS) übernommen werden.

Al-Jolani, der Chef der HTS, kommt aus einer reichen syrischen Familie. Er bewunderte die Angreifer vom 11. September, trat der al-Kaida bei und kämpfte im Irak. Mit Beginn des Krieges kehrte er nach Syrien zurück und gründete die Nusra-Front als Teil von al-Kaida. Weil er sich von einigen Ideen distanzierte wird er jetzt als „pragmatischer Radikaler“ bezeichnet. Anders als vorher mit Assad überlegt die EU jetzt, wie sie sich den neuen Machthabern andienen kann.

Syrien als souveränes Land spielt in den Vorstellungen des Westens trotzdem keine Rolle. Israel, die USA und die Türkei bomben und besetzen weiter, wie es ihnen gerade passt.

Martin Sonneborn fasst in einem Video die Lage und Verlogenheit der Phrasen von der „regelbasierten Weltordnung“ mit zielgenauen Fragen zusammen. [jdm]

Trauer um Habbo Knoch

Rede von Habbo Knoch auf der Gedenkveranstaltung
auf dem Lagerfriedhof Bockhorst anlässlich des
Angehörigentreffens, 29.09.2024 (Foto: Marianne Buck)

In einem Newsletter und auf der Homepage informierte das Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager (DIZ), dass Prof. Dr. Habbo Knoch am 11. Dezember 2024 plötzlich verstorben ist. Seit 2000 war Knoch 1. Vorsitzender des Aktionskomitees für ein DIZ Emslandlager e.V. .

Habbo Knoch erlitt während eines Colloquiums an seiner Universität zu Köln eine Herzinfarkt und starb kurze Zeit später im Alter von 55 Jahren. Zwei Tage vorher, am 9. Dezember hatte er noch im Deutschen Historischen Institut in Rom einen Abendvortrag zum Thema "Gewaltlust. Affekte und Massenmorde im Nationalsozialismus" im Rahmen eines zweitägigen Workshops "Von den NS-Tätern sprechen, der Opfer gedenken. Perspektiven einer deutsch-italienischen Erinnerung zwischen Forschung und Vermittlung" gehalten.

Seit mehr als 35 Jahren hat Knoch die Arbeit des DIZ begleitet. Ende der 1980er Jahre gab es erste Kontakte, als sein Lehrer am Gymnasium Papenburg Bruno Brückner, seinerzeit 2. Vorsitzender des Aktionskomitees, mit ihm ins DIZ an der Wiek rechts 22 kam und in der Folge u.a. ein erstes kleines Interview- und Filmprojekt entstand.

Auch wenn die direkten Kontakte zu ihm während seines Studiums in Göttingen, Bielefeld, Jerusalem und Oxford seltener wurden, blieb er nicht nur dem Verein, sondern auch der Gedenk- und Erinnerungsarbeit auf nationaler und internationaler Ebene verbunden. 1999 folgte seine Promotion, 2008 seine Habilitation in Göttingen. Von 2008 bis 2014 war Knoch Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten (SnG) in Celle und Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Sein zivilgesellschaftliches Engagement bildete laut DIZ für ihn die Grundlage, die Professionalisierung der niedersächsischen Gedenkstättenarbeit voranzutreiben und hierfür als Geschäftsführer der SnG Voraussetzungen zu schaffen. Hiervon profitiere die niedersächsische Gedenkstättenlandschaft bis heute.

Habbo Knoch auf der Demo gegen rechts am 27.01.2024 in Papenburg

Seit 2014 ist er Professor für Neuere und Neueste Geschichte am Historischen Institut der Universität zu Köln. Seine Energie habe er immer zuerst seinen Studierenden gewidmet, denen er Raum gegeben habe, sich persönlich und intellektuell zu entfalten. Seine kritische und engagierte Forschung und Lehre habe viele inspiriert und geprägt.

In dieser fast 25 Jahre währenden Funktion habe man Knoch als sehr besonnenen und klugen Menschen erleben dürfen, der den Verein mit Sachkompetenz und viel Liebe zum Verein, seinen Mitgliedern, den Vorstandsmitgliedern und den hauptamtlichen Mitarbeiter:innen des DIZ geführt habe. Nach dem unfreiwilligen Umzug des DIZ nach Papenburg vor wenigen Monaten entwickelte der Vorstand gemeinsam mit den engagierten hauptamtlichen Kräften Tessa Hesener und Joscha Hollmann viele neue Ideen für die zukünftige Arbeit. Dabei habe man auch von der Vernetzung und von der Anerkennung, die Knoch auf nationaler und internationaler Ebene erfahren habe, profitiert.

Habbo Knoch (rechts) mit den auf der Mitgliederversammlung am 24. November 2024  
in ihren Ämtern bestätigten Vorstandsmitgliedern. (Foto: Jörg Meinke)
Habbo Knoch (rechts) mit den auf der Mitgliederversammlung am 24. November 2024
in ihren Ämtern bestätigten Vorstandsmitgliedern. (Foto: Jörg Meinke)

In der Vorstandsarbeit, in vielen Stunden gemeinsamer, manchmal kontroverser, aber immer konstruktiver Diskussionen sei Knoch der Ideengeber, der Verbindende, der sich jeder Idee offen Zeigende - einfach ein wundervoller Mensch. Gefreut hätte man sich, wenn er mit seiner Frau Frauke und seiner Tochter Leah zu privaten Treffen, Veranstaltungen und Sitzungen nach Papenburg kam, wobei aber immer seine Tochter an erster Stelle gestanden habe, auch wenn sie gerade mitten in Diskussionen steckten. Die Beerdigung findet am 19.12.2024 in Hamburg statt. [jdm]

„Zum Teufel mit den Vaterländern!“

Stolperstein: Stefan Zweig (Kapuzinerberg 5).
Stolperstein: Stefan Zweig (Kapuzinerberg 5, Salzburg).

In dem unvollendeten Roman „Clarissa“ von Stefan Zweig geht es um das Leben der Tochter eines Militärs, die 1914 auf einer Lehrerfortbildung in der Schweiz den Organisator der Fortbildung, einen französischen Lehrer Léonard, kennen lernt. Mitten in diese Fortbildung mit Teilnehmern aus verschiedenen Staaten Europas platzt die Nachricht vom Attentat von Sarajevo auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau durch einen nationalistischen Serben am 28. Juni 1914.

Sofort geifern sich eine österreichische und eine serbische Teilnehmerin an und übernehmen die Konfrontationshaltung ihrer Regierungen. Für den Organisator zerbricht damit seine Hoffnung, durch Veranstaltungen wie diese zur Völkerverständigung beizutragen. Weil er Hoffnungen in die französischen Politiker, die ihre Ziele und Ideale sämtlich im Schachern um die Macht verloren hätten, schon aufgegeben hatte, hatte er sich in die Provinz zurückgezogen um von unten an einer Verbesserung der Verhältnisse zu arbeiten – in seinem Fall mit den Lehrern aus der Provinz, denen er Begegnungsmöglichkeiten schaffen wollte.

In einem Gespräch versucht er Clarissa zu erklären, was ihn jetzt verbittert: „Es geht um diesen verdammten Nationalismus, durch den die Parteien zersprengt werden. International. Er verdirbt alles. Es ist das Böse, das ein einziges Vaterland über alles stellt. Wir werden hineingerissen in die Dummheiten unserer Vaterländer. In die Vaterländerei. Was hilft es uns, ehrlich und guten Willens zu sein, wenn ein Dutzend Leute oben es nicht sein wollen. Eine andere Fahne sehen sie an wie der Stier das rote Tuch. Wir müssen uns von den Vaterländereien loslösen. Zum Teufel mit den Vaterländern! … Wir müssen ehrlich sein. Das Frankreich, das wir tatsächlich sind, und das Österreich und das Serbien. Wir, die kleinen Leute, sind nichts; aber uns wollen sie in ihre Interessen hineinziehen und das Kanonenfutter sein lassen. Der Boden, die Erde, die Sprache, die Kunst, das ist Frankreich, und nicht Camborga (französische Kolonie Kambodscha) und Guayana und Madagaskar. Es bildet kein Haar davon. Ich fühle mich da dumm wie ein Bauer und sage schließlich, was geht es mich an. Man muss primitiv denken, um richtig zu denken. Man muss sich zurückerziehen von diesem Wahn, ganz einfach, ganz ehrlich sein. Ich sage, es geht mich nichts an.“

Das Tragische ist, dass Stefan Zweig, der 1942 Suizid beging, für eine friedliche Zukunft eine Einigung Europas als Voraussetzung ansah. Dass sich ausgerechnet dieses vereinigte halbe Europa „als ein einziges Vaterland über alles stellt“, um einen Krieg gegen Russland zu betreiben und zu eskalieren, hat Stefan Zweig wenigstens nicht mehr erlebt. Nur wir erleben es, dass ein deutscher Kriegsminister die gesamte Gesellschaft wieder "kriegstüchtig" machen möchte, und es ist nicht sicher, dass wir es überleben. [jdm/Foto gemeinfrei © 1971markus@wikipedia.de]

Freese jetzt im Grünen-Vorstand des nördlichen Emslands

Thomas Freese ist jetzt in den Vorstand der Grünen Ortsgruppe Emsland Nord nachgewählt worden. Freese wohnt zwar weiterhin in Groningen, wo er beruflich in der Produktion von Chemikalien als Ersatz für fossile Rohstoffe tätig bleibt. Dies war bisher auch sein Fachgebiet an der Universität.

Er wohne aber immer noch nahe zum Emsland und für ihn sei die deutsche Politik wichtig. Er wolle durch nötigen Klimaschutz oder Schutz der Demokratie zum gemeinsamen Leben beitragen, begründete er sein politisches Engagement. [jdm]

Das gespaltene Verhältnis der EU zu Wahlen und gewaltsamen Demonstrationen

Demokratie ist eine schöne Sache. Blöd ist es, wenn jemand gewählt wird, den man nicht mag. Die EU mag Wahlen deshalb besonders ungern. Im eigenen Haus ist die Sache geregelt, weil das Europaparlament praktisch nichts zu sagen hat.

In Georgien hatte eine Partei die Wahlen gewonnen, die sich die immer wieder neuen Auflagen, die sich die EU für eine Beitrittsoption ausgedacht hatte, nicht mehr länger gefallen lassen wollte und dagegen Widerstand angemeldet hatte. Deshalb wird die Partei "Georgischer Traum" in unserer Presse immer als russlandfreundlich bezeichnet. Die EU hatte mit massiver Wahleinmischung die noch amtierende "EU-freundliche" Präsidentin und ihre Partei unterstützt. Doch dann gewann "Georgischer Traum" und plötzlich war für den Westen klar, dass die Wahl manipuliert war. Die Regierung habe systematisch die öffentliche Meinung manipuliert - na so was! Gut, dass westliche Regierungen so etwas nicht machen.

Jetzt gibt es jeden Tag gewaltsame Proteste der Opposition. Als einige Verwirrte in Berlin die Stufen zum Reichstag erklommen oder nach dem Sturm auf das Kapitol durch Trumps Anhänger war klar: Das sind Putschisten und Verbrecher. Die gewaltsamen Demonstranten in Tiflis sind in unserer Presse dagegen lupenreine Demokraten. Es kommt eben darauf an, welche Interessen man hat.

Die Ereignisse erinnern fatal an die Maidan-Kämpfe 2014 in der Ukraine, als die USA und die EU gegen den demokratisch gewählten Präsidenten putschen ließen und damit die ersten Schritte für die heutige Lage in der Ukraine gingen.

In Moldawien gewann eine "EU-freundliche" Partei die Wahlen sehr knapp. Das Land ist politisch gespalten und so war klar, dass die Arbeitsmigranten im Ausland für das Ergebnis entscheidend sein würden. Die Regierung hatte deshalb über 200 Wahllokale für die ca. 230.000 Migranten in den EU-Staaten eingerichtet. Für die 500.000 Migranten in Russland wurden nur fünf Wahllokale in Moskau eröffnet. Täglich tourten EU-Politiker durch Moldawien, um vor Konsequenzen im Fall einer falschen Wahl zu warnen. Weil das Ergebnis eventuell für die EU ungünstig ausfallen könnte, wurde im Vorfeld vor Wahlmanipulationen gewarnt. Als dann das knappe Ergebnis feststand, sprachen die EU-Politiker natürlich von einer gültigen Wahl.

In Rumänien hat jetzt auch der falsche Mann (weil nicht EU-freundlich) die Präsidentenwahl gewonnen. Es handelt sich um einen Rechtsradikalen, der mit Sozialdemagogie die Verlierer der Wirtschaftskrise für sich gewinnen konnte. Die EU interessiert aber nicht seine rechte Gesinnung, sondern dass Präsidentschaftskandidat Calin Georgescu als pro-russisch gehandelt wurde. Das Oberste Gericht Rumäniens hat entschieden, dass die Wahl wiederholt werden muss. Rumänien sei bei der Wahl Ziel eines "aggressiven russischen hybriden Angriffs" geworden. Solche Angriffe werden bei jedem missliebigen Wahlergebnis behauptet. Auch bei der ersten Wahl von Donald Trump gab es Vorwürfe der Demokraten, Russland habe mit massiver Wahlunterstützung das Ergebnis möglich gemacht. Konkret konnte aber nichts nachgewiesen werden. Was auch logisch ist: Wie sollte eine ausländische Macht in den USA, wo Milliarden Dollar von den beiden Parteien in den Wahlkampf investiert werden, mit einigen Facebook-Beiträgen eine solche Manipulationsmacht entwickeln können. [jdm]

Dörpen: 25.000 Euro Schaden durch unzureichende Förderrichtlinie für Ärzte?

Die Gemeinde Dörpen nimmt für die Verpflichtung eines Arztes/einer Ärztin, sich in Dörpen niederzulassen, viel Geld in die Hand. Dass dies nötig sein kann, zeigt sich gerade in Rhede, wo für den verstorbenen Dr. Ulrich Stein kein Nachfolger gefunden werden konnte. Die hierfür entworfene Förderrichtlinie wurde im Juni 2024 geändert (siehe Sitzungsvorlage vom 28.05.2024).

Die Gemeinde scheint bei der Abfassung der Förderrichtlinie nicht alle Vertragsverletzungen abgedeckt zu haben, die eine Rückerstattung der Förderung zur Folge haben können. Deshalb wurde wohl die Neufassung erforderlich. Im Rahmen einer Förderung gemäß der Richtlinie sei es bislang möglich gewesen, dass ein angestellter Arzt den Förderantrag stellt, die Fördersumme jedoch an die Praxis fließt, bei der der Arzt angestellt sei, erklärte Dörpens Pressesprecher Daniel Mäß. Die Richtlinie sei „aus gegebenem Anlass“ angepasst worden, erfuhr die Ems-Zeitung noch von der Gemeinde. Was es damit genau auf sich hatte, erklärte die Verwaltung jedoch auch auf Nachfrage der Zeitung nicht, und diese ließ es damit auf sich beruhen.

Vermutlich ging es um den folgenden Fall, über den die NOZ am 05.09.2022 berichtete. Eine Gynäkologin, die zuvor gefördert durch die Gemeinde ihre Facharztausbildung am Marien-Hospital in Papenburg absolviert hatte, wurde in einer Dörpener Hausarztpraxis angestellt. Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) unterstützte die Praxis bei der Anstellung der Ärztin mit Fördermittel nach § 2 der Strukturfonds-Richtlinie der KVN. Die Fördermittel waren gebunden an bestimmte Aufwendungen im Zusammenhang mit der Anstellung, z. B. Einrichtung eines zusätzlichen Sprechzimmers, zusätzlicher IT-Ausstattung, Vergrößerung des Wartezimmers, Geräte etc. Eine Auszahlung der Fördermittel erfolgte, nachdem die Rechnungen als Nachweise für die Umsetzung solcher Maßnahmen bei der KVN eingereicht worden waren.

Im Oktober 2023 teilte uns die KVN mit, dass das Arbeitsverhältnis in der Praxis beendet worden sei. Die Praxis habe von der KVN eine Frist von sechs Monaten erhalten, um einen anderen Arzt oder eine andere Ärztin einzustellen. Sollte dies nicht erfolgen, würde die KVN die Situation erneut prüfen und die Fördermittel würden ggf. zurückgefordert.

Nachdem die von der KVN gesetzte Frist überschritten war und offenbar keine neue Ärztin, bzw. kein neuer Arzt für die Praxis gefunden werden konnte, wurden die Fördermittel anteilig zurückgefordert. Am 22.08.2024 war die Rückzahlung laut KVN allerdings noch nicht erfolgt. Weitere Nachfragen zum Stand der Rückzahlung beantwortet die KVN nicht.

Im Juni 2024 wurden die zwei neuen Absätze in die bisherige Förderrichtlinie der Gemeinde eingefügt. Eine Praxis müsste zukünftig die Förderung zurückzahlen, wenn der neu eingestellte Arzt (bzw. die Ärztin) die Praxis verlasse und nicht innerhalb von sechs Monaten eine Nachfolgeregelung gefunden sei. Somit wurde die Förderrichtlinie den KVN-Bedingungen angepasst. Falls ein zuvor in einer Praxis angestellter Arzt jedoch eine eigene Praxis gründen wolle, werde mit der Änderung der Richtlinie dafür wiederum eine Förderung möglich.

Einen Sinn ergeben die Änderung der Richtlinie und die Aussage des Pressesprechers der Gemeinde, wenn man berücksichtigt, dass es am Arbeitsgericht Lingen ein Gerichtsverfahren der angestellten Ärztin gegen den Hausarzt der Praxis gab, das mit einem Vergleichsbeschluss am 2.1.2024 endete.

Möglicherweise wurde der Förderantrag an die Gemeinde von der Ärztin gestellt, aber die Fördersumme kam der Praxis für die Einrichtung der Räumlichkeiten für die Ärztin zu Gute. Die Ärztin wurde dann von der Praxis entlassen, aber der Gegenwert der Fördersumme verblieb in der Praxis. Wer sollte jetzt etwas an die Gemeinde zurückzahlen: Die Ärztin, die gerade ihren Job verloren hatte und von dem Fördergeld nicht (mehr) profitieren konnte? Oder die Hausarztpraxis, die das Geld zwar verbaut hatte, aber gar keinen Förderantrag gestellt hatte?

Die für die Öffentlichkeit undurchschaubaren Hintergründe der Förderpraxis in Dörpen stießen auch auf das Interesse des Bundes der Steuerzahler Niedersachsen und Bremen e.V. (BdS), die die Gemeinde um Aufklärung bat. In der Antwort der Gemeinde hieß es, dass Rückzahlungsansprüche nicht geltend gemacht wurden, weil der Justiziar der Gemeinde zu der Einschätzung gelangt sei, dass nicht exakt abgeschätzt werden könne, ob und inwieweit Rückzahlungsansprüche möglicherweise tatsächlich bestünden bzw. mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnten.

Dabei ging es laut Steuerzahlerbund um eine Summe von ca. 25.000 Euro, die nach dem Ausscheiden der Ärztin (nach Tätigkeit von etwa einem Jahr) noch zurückzufordern waren. Somit ist der Gemeinde Dörpen anscheinend ein Schaden von ca. 25.000 Euro entstanden, weil die Formulierungen der bisherigen Förderrichtlinie unzureichend waren und juristisch nicht durchsetzbar erschienen.

Der Bund der Steuerzahler Niedersachsen und Bremen legt übrigens Wert auf die Feststellung, dass die Landarztförderung als solche nicht kritisiert werde. Es handele sich in Dörpen vielmehr um einen handwerklichen Fehler, der zu einem Schaden geführt habe. „Dieser Fehler wurde nun mit Neufassung der Satzung korrigiert. Man hat also daraus gelernt“, lautet das wohlwollende Fazit des Steuerzahlerbundes.

Bleibt noch offen, ob und gegebenenfalls. wie die Gemeinde versucht hat, eine Rückzahlung der Förderung außergerichtlich zu erreichen. [jdm]

BSW Niedersachsen wählt Landesliste für Bundestag in großer Einigkeit

Amira Mohamed Ali
Amira Mohamed Ali

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) Niedersachsen hat gestern in Oldenburg seine Landesliste für die Wahl zum 21. Deutschen Bundestag aufgestellt. Angeführt wird die Liste von Amira Mohamed Ali, die bei der Wahl 100 Prozent der Stimmen erhielt, auf Platz 2 folgt Dr. Thorsten Renken, der 98 Prozent der Stimmen erhielt.

Die Versammlung beschloss einstimmig, dass Mohamed Ali und Renken als Spitzenkandidaten des BSW Niedersachsen bei der anstehenden Bundestagswahl fungieren sollen. Auf Listenplatz drei folgt der Landesgeschäftsführer des BSW Niedersachsen, Johannes Zang, der ebenfalls 98 Prozent der Stimmen erhielt. Amira Mohamed Ali war über die Landesliste der Linken in den Bundestag gekommen. Zu ihrem Verantwortungsbereich als Abgeordnete gehörte bisher auch das Emsland. [PM/jdm]

Krankenhausvorbehalt bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen teilweise verfassungswidrig

Gestern urteilte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass die ausnahmslose Vorgabe, ärztliche Zwangsmaßnahmen im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus durchzuführen, verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. Der Gesetzgeber ist zur Neuregelung spätestens bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 verpflichtet. Bis zu einer Neuregelung gilt das bisherige Recht fort.

Widerspricht eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff dem natürlichen Willen eines Betreuten (ärztliche Zwangsmaßnahme), kann ein Betreuer in die ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligen. Die Einwilligung, die der Genehmigung des Betreuungsgerichts bedarf, setzt nach der bisherigen Regelung unter anderem die Durchführung der ärztlichen Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus voraus.

Dieser Krankenhausvorbehalt ist nach Auffassung des Gerichts mit den Verfassung unvereinbar, wenn Betreuten erhebliche Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit durch den Wechsel ins Krankenhaus drohen. Im konkreten Fall ging es um eine Betreute, die wegen fehlender Einsichtsfähigkeit die Einnahme lebenswichtiger Medikamente verweigerte. Aufgrund des körperlichen Zustands der Betreuten wäre eine Medikamentengabe gegen ihren Willen (mit richterlicher Genehmigung) auch im Rahmen des Heims möglich gewesen. Aber wegen der Gesetzeslage musste sie jedes Mal in ein Krankenhaus auf die geschlossene Station (mit richterlicher Genehmigung) eingeliefert werden, weil nur dort die Medikamentengabe erlaubt war. Für die Betreute war dies eine hohe zusätzliche Gesundheitsbelastung.

Die Entscheidung des Gerichts ist nicht einstimmig, sondern mit 5 : 3 Stimmen ergangen. Richter Wolff hat ein Sondervotum abgegeben. Daran ist ersichtlich, dass die bisherige gesetzliche Regelung nicht ohne Grund bestand. Sie sollte verhindern, dass Zwangsbehandlungen ohne zwingenden Grund durchgeführt werden, obwohl diese nur als Ausnahme möglich sein sollen.

Richter Wolff schreibt: „Durch die Einführung weiterer (auch noch so eng gefasster) Formen der Zwangsbehandlung wird nach meiner Einschätzung vielmehr eine Gefahr der Absenkung der materiellen Eingriffsschwelle begründet.“

Für das Bundesjustizministerium, das jetzt eine Gesetzesänderung formulieren muss, stellt sich eine große Herausforderung. Es muss das Gerichtsurteil umsetzen und dabei sicherstellen, dass die Möglichkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen gegenüber nicht einwilligungsfähigen Betreuten nur unter engen Voraussetzungen und als letztes Mittel besteht. Bisher wirkte allein die Notwendigkeit der Unterbringung im Krankenhaus dafür, dass die Praxis der Zwangsmedikation eng gehandhabt wurde. [jdm]

Es gibt noch überall in Deutschland Lokalzeitungen – aber es werden weniger

In den USA gibt es kaum noch Lokalzeitungen. Allgemein geht man davon aus, dass dadurch auch die Teilhabe der Menschen am politischen Geschehen in ihren Kommunen leidet. Die Diskussion in der Medienbranche geht deshalb über drohende „Nachrichtenwüsten“ – also Gegenden, in denen es keine täglich erscheinende Lokalpresse mehr gibt. Wie weit Lokalzeitungen in West- und Ostdeutschland tatsächlich noch verbreitet sind, darüber herrscht bislang Unklarheit. Hierzulande gibt es bisher kein systematisches Monitoring der Verbreitung von Lokalzeitungen.

Der „Wüstenradar“ schließt nun diese Lücke, indem er die Zahl der wirtschaftlich unabhängigen gedruckten lokalen Tageszeitungen von 1992 bis 2023 auf Kreisebene erfasst. Die Daten stammen aus verschiedenen Quellen, darunter die Zeitschriftendatenbank der Deutschen Nationalbibliothek, „Zeitungen in Deutschland“ von Walter Schütz, Medienberichte und Handelsregister-​Eintragungen.

Die Hamburg Media School ist ein Projekt der Hamburger Behörde für Wissenschaft und Forschung, der Universität Hamburg, der Hochschule für bildende Künste Hamburg und der Hamburg Media School Stiftung. Sie bildet Medienschaffende aus. Sie hat den "Wüstenradar" zusammen mit dem Netzwerk Recherche, Transparency International Deutschland e.V. und der Die Rudolf Augstein Stiftung entwickelt.

Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie sind, dass auf es Landkreisebene noch keine Nachrichtenwüsten in Deutschland gibt, aber einen erheblichen Rückgang besonders in ländlichen Regionen Westdeutschlands. Bislang sind noch keine negativen Auswirkungen etwa auf politische Partizipation und andere Aspekte des demokratischen Gemeinwesens feststellbar.

Eine interaktive Karte zeigt, dass es in den vergangenen 30 Jahren einen deutlichen Rückgang in der Anzahl der Lokalzeitungen in Deutschland gab. Heute berichtet in fast jedem zweiten Landkreis nur noch ein wirtschaftlich eigenständiges Blatt. Besonders dünn versorgt mit Heimatzeitungen sind dabei der Osten und der äußerste Westen der Bundesrepublik. Einzeitungskreise finden sich aber ebenso ganz im Norden oder in Süddeutschland.

Das Emsland ist schon von jeher ein Ein-Zeitungs-Kreis. Die drei Lokalausgaben der NOZ spielen eine erhebliche Rolle bei der Lokalpolitik. Aber auch sie haben mit Bedeutungsverlust zu kämpfen. Die NOZ versucht die Leserschaft durch neue digitale Angebote an sich zu binden. Das hatte durch ein verändertes Konzept für Unruhe gesorgt, weil sich viele Vereine und Lokalpolitiker in der Berichtserstatttung nicht wiederfanden. Die NOZ argumentiert, dass das so nicht stimmt, sondern nur die Formen sich verändert haben. Die profesionellen Reporter versuchen solche Themen zu recherchieren, von denen die Redaktion aufgrund der Analyse der Nutzung der digitalen Angebote annimmt, dass sie die Leser interessiert.

Dass die NOZ-Lokal-Reporter ihr Handwerk durchaus verstehen, wird bei manchen Themen besonders deutlich. So ist die Berichterstattung z. B. über die Krise der Meyer-Werft sehr umfassend und kritisch bis mutig. Eine Hofberichterstattung kann hier nicht unterstellt werden. Man könnte fast vermuten, dass die allgemeine Krise des Printjournalismus ein Motor zur Erhöhung der Qualität einer Lokalzeitung sein könnte. Was aber leider niemand wissen kann, ob das ausreichend ist, um das wirtschaftliche Überleben des Lokaljournalismus zu sichern. Denn dazu müssen die Zeitungen oder die Online-Angebote letzlich Käufer finden. [jdm]

Meinungsumfragen als Propagandamittel für den Krieg und gegen Kriegsgegner

Die Wahlen rücken näher. Der Presse ist es nicht gelungen, den Kriegsminister zum Kanzlerkandidaten der SPD zu küren. Das passt ihr nicht und deshalb kommt kein Bericht über die Auswahl von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten durch den SPD-Parteivorstand ohne einen Hinweis darauf aus, dass Kriegsminister Pistorius der "beliebteste Politiker Deutschlands" sei. Wer schon mal an einer Meinungsumfrage teilgenommen hat, kann nachvollziehen, wie durch die Art der Fragen das Ergebnis produziert wird, das man haben möchte.

Jetzt werden die Meinungsumfragen eingesetzt, um das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in den Keller schreiben zu können. Dabei sind die Ergebnisse der Meinungsumfragen je nach Institut sehr unterschiedlich. Vor allem Forsa tut sich dabei hervor, dem BSW schlechte Zahlen zu unterstellen. Während alle anderen Institute einen Wählerzuspruch für den BSW zwischen 6 und 9 % erfragt haben wollen, kommt Forsa nur auf 4 %.

Und genau auf diese Umfrage stützte sich heute Tobias Schmidt in seinem Kommentar auf der NOZ-Titelseite, wo er feststellt, "die Luft für BSW wird dünner". Konstruktive Vorschläge gegen die Wirtschaftskrise habe die Partei nicht. Eine Regierungsbeteiligung im Bund bleibe höchst unwahrscheinlich, schreibt er, obwohl das BSW gerade die erste Regierungsbeteiligung eingetütet hat. Und dass sein Kommentar quasi mit einer Wahlempfehlung für die AFD endet, ist sicher symtomatisch. Er lautet: "Und für extreme Protestwähler gibt es die AfD."

Die Bundeswehr nutzt auch gerade das Mittel der Meinungsumfrage, um die Kriegshysterie voranzutreiben. Sie stellt fest, dass 61 Prozent der Männer unter 50 Jahren ihre persönliche Verteidigungsbereitschaft mit der Waffe bekunden. Bei Frauen liege dieser Anteil bei 21 Prozent. "Das heißt, die Mehrheit der Männer und ein nicht geringer Anteil der Frauen im wehrfähigen Alter wären im Verteidigungsfall bereit, für Deutschland zu kämpfen." Das passt natürlich super zum Gedenk- und Aktionstag „NEIN zu Gewalt an Frauen!“

Bei den jungen Menschen, die von Wehrpflicht und Kriegsdienst betroffen wären, sieht die Sache anders aus: 37 % stimmen einer Wehrpflicht zu, 37 % lehnen diese ab und 20 % sind unentschieden. Im Grunde handelt es sich bei dieser Umfrage der Bundeswehr um eine Evaluation der Bundeswehr, ob ihre Kriegspropaganda erfolgreich war. Es wäre zu wünschen, wenn die kritische Haltung zu Krieg und Militär bei der Jugend schon jetzt entsteht und nicht erst - wie derzeit in der Ukraine - wenn schon Hundertausende getötet, verstümmelt oder traumatisiert wurden. [jdm]

Wenn Partnerschaftsgewalt nicht mit der Trennung endet – Fast jeden Tag ein Femizid

 Die Gleichstellungsbeauftragten im Landkreis Emsland präsentieren die Fahne von Terre des Femmes.
Die Gleichstellungsbeauftragten im Landkreis Emsland präsentieren die Fahne von Terre des Femmes. 

Gemeinsam mit den emsländischen Städten und Gemeinden beteiligt sich der Landkreis Emsland in diesem Jahr erneut am internationalen Gedenk- und Aktionstag „NEIN zu Gewalt an Frauen!“, der am Montag, 25. November, stattfindet. Vor dem Meppener Kreishaus und ebenso vor den Außenstellen der Kreisverwaltung in Lingen und Aschendorf werden wieder Fahnen von Terre des Femmes gehisst, um ein deutliches Zeichen gegen Gewalt an Mädchen und Frauen zu setzen.

Gewalt an Frauen ist allgegenwärtig. Laut EU-Kommission erfährt jede dritte Frau in Europa mindestens einmal im Leben körperliche oder sexualisierte Gewalt. Die schwerste Form der Gewalt stellen die Femizide dar. Von einem Femizid spricht man, wenn Frauen allein wegen ihres Geschlechts oder wegen bestimmter Vorstellungen von Weiblichkeit getötet werden. Zur Entwicklung des Begriffs gibt es einen guten Artikel in der Le Monde Diplomatique vom 7.11.2024.

Das Bundesinnenministerium stellte am 18.11.2024 ein von dem Bundeskriminalamt erstelltes Bundeslagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023“ vor. Die wesentlichen Ergebnisse waren:

  • Femizide: 2023 wurden 938 Mädchen und Frauen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten (+1,0 Prozent, 2022: 929). Insgesamt wurden 360 Mädchen und Frauen Opfer vollendeter Taten. Demnach gab es 2023 beinahe jeden Tag einen Femizid in Deutschland.
  • Im Berichtsjahr 2023 wurden 52.330 Frauen und Mädchen Opfer von Sexualstraftaten (2022: 49.284 Opfer, +6,2 Prozent).
  • Über 17.193 Frauen und Mädchen wurden im vergangenen Jahr Opfer Digitaler Gewalt, zum Beispiel von „Cyberstalking“ oder anderen Delikten, die beispielsweise mittels Nutzung von Sozialen Medien begangen werden.
  • Mit 70,5 Prozent sind die weit überwiegende Zahl der Opfer Häuslicher Gewalt Frauen und Mädchen. Im Berichtsjahr stieg die Zahl der weiblichen Opfer um 5,6 Prozent auf 180.715 an (2022: 171.076).
  • Auch beim Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, Zuhälterei und das Veranlassen zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zu sexuellen Handlungen, durch die eine Person ausgebeutet wird, steigen die Zahlen weiter an. 591 Frauen und Mädchen fielen diesen Delikten zum Opfer.
  • Die überwiegende Zahl der Opfer und Tatverdächtigen ist deutscher Staatsangehörigkeit. Lediglich in der Fallgruppe Menschenhandel ist der Anteil an nichtdeutschen Staatsangehörigen bei Opfern sowie Tatverdächtigen höher.

„Den internationalen Aktions- und Gedenktag nutzen wir daher, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, zu informieren und um ein deutliches Zeichen gegen Gewalt zu setzen“, sagt Landrat Marc-André Burgdorf.

Der Aktionstag steht in diesem Jahr unter dem Titel „#WennDieGewaltNichtAufhört – Partnerschaftsgewalt endlich wirksam beenden“. Vor fast allen Rathäusern oder öffentlichen Plätzen werden im ganzen Emsland anlässlich des Gedenktages die Fahnen zu sehen sein. Zahlreiche Veranstaltungen zum Thema werden von den kommunalen Gleichstellungsbeauftragten und ihren Kooperationspartnerinnen und -partnern angeboten. Sie sollen die Forderung, Gewalt an Mädchen und Frauen zu stoppen, unterstreichen. Nähere Informationen zu den Veranstaltungen sind hier zu finden.

Ebenfalls führen die Gleichstellungsbeauftragten die Aktion der orangefarbenen Bänke fort: Weitere der weithin sichtbaren Sitzgelegenheiten sollen an öffentlichen Plätzen im Landkreis Emsland aufgestellt werden. Sie stehen für die Aussage „Hier ist kein Platz für Gewalt“. In diesem Zusammenhang wird es im Kreishaus die Ausstellung „Read the signs“ der Soroptimist International Club Meppen Lingen in Kooperation mit der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises geben. [jdm, Foto: Landkreis Emsland]

Drohen, Einmarschieren, Krieg führen – Des Menschen Natur?

Krieg - ein Computerspiel

Ulrich Scholz

Der Krieg in der Ukraine ist im 33. Monat. Politisches Agieren und Berichterstattung durch die Medien bewegen sich, eigentlich von Beginn an, auf dem Niveau von Schuljungen, die ein Computerspiel spielen. Der, der am Ende die meisten Punkte hat, gewinnt. Es werden Moral und Recht-Punkte vergeben, Truppenstärken-Punkte, Verluste-Punkte, Panzer und Artillerie-Punkte und natürlich Kampfjets-Punkte. Für Fortgeschrittene gibt es Spielerweiterungen in Richtung operative Kriegführung. Es gibt jetzt Punkte für die Fähigkeit, aus der Luft Ziele im gegnerischen Hinterland anzugreifen. Auch eine politische Erweiterung ist schon in Arbeit. Sie vergibt Punkte für Zielerreichung bei zukünftigen Verhandlungen. Nun ist Krieg kein Spiel, bei dem es einen Gewinner gibt. Den gab es in der Geschichte nur, wenn er total bis zur bedingungslosen Kapitulation (Deutschland am Ende des zweite Weltkriegs) bzw. der totalen Vernichtung (Karthago) geführt wurde.

Der Staat – die eigentliche Ursache für Kriege

Wenn Herr Putin oder Herr Zelensky und dessen Protegés im Westen dennoch glauben, diesen Krieg gewinnen zu können, dann sind Zweifel an deren Intelligenz angebracht. Weder können sie ihn gewinnen noch ihre politischen Ziele auf diesem Wege erreichen. In meinem Buch „Krieg-eine Beleidigung der menschlichen Intelligenz“ führe ich das Argument darüber. Wenn dem so ist, stellt sich doch die Frage, warum Staatsführungen immer noch zu dem Mittel „Krieg“ greifen, um Konflikte mit anderen Staaten zu lösen. Die Gründe liegen tiefer als nur in der Intelligenz der Verantwortlichen. Man könnte sie unter dem Schlagwort „mangelnde Bildung“ zusammenfassen. Die Politikwissenschaften und hier die Staatentheorie, die sich auf Philosophen wie Thomas Hobbes und Immanuel Kant berufen, haben schon vor einem halben Jahrhundert wissenschaftliche Antworten gegeben und noch weiter, Wege aufgezeigt, wie Konfliktlösungen zwischen Staaten ohne Krieg möglich sind. Im Folgenden sollen die zwei dominierenden Staatentheorien vorgestellt werden. Sie lauten „Realism“ und „Liberalism“. Da die deutschen Begriffe Realismus und Liberalismus andere Bedeutungen haben, werden die englischen als eindeutige Namensgeber benutzt. Sie stehen für Sichtweisen auf die Natur des Menschen (gut oder böse) und auf die Pflicht des Staates, für die äußere Sicherheit seiner Bürger zu sorgen (Militärische Stärke oder friedliche Ko-Existenz). Wenn Sie um diese scheinbar einfachen Unterscheidungen im Zusammenleben von Staaten wissen, werden Sie vielleicht ahnen, wie wichtig es ist, sie in Hinblick auf die gegenwärtigen Konflikte in der Ukraine und in Westasien zu verstehen. Dieser kleine Artikel soll dazu beitragen.

Realism - eine archaische Sicht auf die Welt

Als Urvater des Realism gilt der englische Philosoph Thomas Hobbes (5. April 1588 - 4. Dezember 1679). Erschüttert von der grenzenlosen Gewalt im englischen Bürgerkrieg postulierte er den starken Staat. Nur der könne für die Sicherheit seiner Bürger sorgen. In seinem Buch „Leviathan - oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und staatlichen Gemeinwesens“ beschreibt er den Menschen in seinem Naturzustand als frei von jeder Moral und traditionellen Einschränkungen. Im Zusammenleben seien Gewalt und Anarchie die Folge (Der Mensch ist des Menschen Wolf). Nur ein starker Staat könnte das verhindern. Politikwissenschaftler des daraus entwickelten Realismus übertrugen dieses Bild auf Staaten. Im Naturzustand verhielten sich die ähnlich wie der Mensch. Da es keine übergeordnete Macht gäbe, sei ihr Zusammenleben von Gewalt und Anarchie geprägt. In diesem Dschungel könne nur ein starker Staat für die Sicherheit seiner Menschen sorgen. Der Lauf der Geschichte nach dem Westfälischen Frieden (14. Oktober 1648), der den 30jährigen Krieg beendete und als Gründungsdatum des Staates, wie wir ihn heute kennen, angesehen wird, bestätigt dieses Bild. Sicherheitspolitik basierte hauptsächlich auf militärischer Stärke. Die großen konnten es sich leisten, die kleinen suchten Bündnisse mit den großen, um zu überleben. Die kriegerischen Auseinandersetzungen des 18., 19. und 20. Jahrhundert liefen nach diesem Muster ab. Die Staatentheorie des Realism befand sich in einer Zirkularität mit der Geschichte. Man könnte nun meinen, dass er bis heute gilt. Dem ist aber nicht so. Beeindruckt durch die Schrecken des 2. Weltkrieges und dem Beginn des Kalten Krieges erfuhr er eine entscheidende Veränderung. Und nicht nur das. Eine neue Staatentheorie entwickelte sich. Die des Liberalism.

Realism – eine vernünftige Sicht auf die Welt

Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Hans-Joachim Morgenthau  (17. Februar 1904 – 19. Juli 1980), der nach dem 2. Weltkrieg die Außenpolitik seines Landes entscheidend beeinflusst hat, gab dem Realism einen zeitgemäßen Anstrich. Für ihn galt es, bei aller Interessenverfolgung Kriege zu vermeiden. So war er ein kompromissloser Gegner des US-amerikanischen Vietnamkriegs. In seinem Jahrhundertwerk „Politics Among Nations – The Struggle for Power und Peace“ finden sie folgende Schlüsselgedanken:

  • Politische Macht dient Interessen
  • Interessenausgleich geht vor Einschüchterung
  • Werte zu Interessen erklären ist Heuchelei
  • Universelle Werte haben ihre Grenzen

Wie Sie am Verhalten der Staaten im Ukrainekrieg erkennen können, sind diese Weisheiten, die auf geschichtlichen Erfahrungen und politischen Erkenntnissen beruhen, an ihnen vorübergegangen. Wir erleben gerade den Rückfall in einen archaischen Realism. Wenn die Staatsführungen von Russland und den USA diesen Weg eingeschlagen haben, kann man es getreu dem Zitat, wer einen großen Hammer besitzt, der sieht in jedem Problem einen Nagel, vielleicht noch verstehen. Wenn die europäischen Staaten dabei mitmachen, nur noch sehr schwer. Die europäische Einigung nach dem 2. Weltkrieg erfolgte nämlich im Geiste des Philosophen Immanuel Kant. Daraus hat sich die Staatentheorie des Liberalism entwickelt.

Liberalism – der Weg zum freundlichen Staat

Auf seiner Prämisse, dass der Mensch gut ist, stellt Kant in seinem Werk „Zum Ewigen Frieden“ ethische Forderungen an den Staat.

  • Moral und Politik gehören zusammen
  • Keine gewaltsame Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates
  • Versöhnungsbereitschaft im Kriege
  • Republikanische Verfassungen
  • Föderalismus freier Staaten

Der europäische Einigungsgedanke war einstmals von diesen Forderungen beseelt. Man hatte den Staat mit seinen Interessen als Ursache für Krieg begriffen. Die politische Konsequenz: Schaffung von internationalen Organisationen und Abgabe von staatlicher Souveränität an dieselben. Die Umsetzung war viel versprechend, wie eine lange Liste von internationalen Organisationen zeigt (UNO, WHO, WTO, IAEA, ICC, EU, Europäischer Gerichtshof, Europäisches Parlament, u.v.m.).

Die Lösung

In vielen Bereichen funktioniert das internationale System, in einigen nicht. Es versagt, wenn Staaten nationales Interesse über das Interesse der Staatengemeinschaft stellen. Diesem „Vergehen“ sind sie alle schuldig. Herr Putin ist in bester Gesellschaft. Die neuere Geschichte, die in der Tradition des Realism von Staaten des Westens geschrieben wurde, ist voller Beispiele. Der Weg von einem aggressiven Realism zu einem Staaten freundlichen Liberalism geht meiner Ansicht nach nur über die Selbstbezüglichkeit, wie Kant sie fordert und auch Morgenthau´s Realism sie anmahnt. Gandhis Zitat bringt es auf den Punkt. Sei Du die Veränderung, die Du Dir für die Welt wünscht. Was für ethisches Verhalten im Zwischenmenschlichen gilt, muss auch für Staaten gelten. Wenn Staatenlenker ((und wir alle) das begreifen, werden irgendwann einmal Drohen, Einmarschieren und Krieg führen der Vergangenheit angehören. Die wahre Natur des Menschen wird sich zeigen, und die heißt Liebe. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrich’s Newsletter]

Krieg statt Sozialstaat – Die Presse will Pistorius zum Kanzler hochschreiben

Vor der letzten Bundestagswahl 2021 haben die Medien die Grünen regelrecht hochgeschrieben. Die damalige "Kanzlerkandidatin" Annalena Baerbock wurde wie ein Superstar vermarktet und die Grünen wurden als neue Volkspartei dargestellt. Davon kann nach deren Leistung in der letzten Regierung, wo sie neben der FDP für Kriegseskalation und Sozialabbau zuständig waren, keine Rede mehr sein. Nur die von sich selbst besoffenen Grünen glauben, in Robert Habeck trotz oder wegen seiner vollkommen inhaltsleeren Reden auf dem Grünen-Parteitag einen neuen Heilsbringer gefunden zu haben.

Friedrich Merz und sein Adlatus Carsten Linnemann (beide CDU) können mit ihren Hassreden auf Bürgergeldempfänger und Migranten keinem Denkenden mehr deutlich machen, wo der Unterschied ihrer Positionen zu denen von der AFD zu finden ist. Außer bei eingefleischten Parteisoldaten ist ihr Sympathiefaktor sehr begrenzt.

Die Presse hat in diesem Wahlkampf deshalb eine neue Person ausgesucht, die ihrem Anspruch auf "Führung" - das bleibt weiterhin des Deutschen höchstes Glück - gerecht wird und die sich leicht tut, mit unbewiesenen Behauptungen eine "klare Sprache" zu sprechen. Anfangs konnte man meinen, dass nur die NOZ aus reinem Lokalpatriotismus den ehemaligen Osnabrücker Oberbürgermeister Boris Pistorius zum Kanzlerkandidaten hochschreiben wollte. Aber mittlerweile ist die gesamte Presse darauf eingestiegen, so dass sich auch erste SPD-Hinterbänkler trauten, Olaf Scholz zu kritisieren.

Bei den beschädigten Internetkabeln in der Ostsee ist für Pistorius z. B. klar, dass es sich um Sabotage handeln muss und der Schaden nicht durch einen Unfall verursacht sein kann. Alles andere wäre undenkbar. Aber selbst die Tagesschau zitiert einen schwedischen Fachmann, der darauf hinweist, dass solche Schäden meistens genau durch solche Unfälle, z. B. durch Schleppnetze der Fischerboote, ausgelöst werden. Aber Fakten interessieren einen Pistorius nicht sonderlich. Für einen Kriegsminister gehört das ständige Malen von Bedrohungsszenarien zur Arbeitsplatzbeschreibung. Unbewiesene Annahmen sind das tägliche Brot der Nato-Kriegstreiber. Ein Beispiel dafür ist auch die Sichtung von nordkoreanischen Soldaten in Russland. Anfangs konnte die Nato keine entdecken, obwohl Selenskis scharfe Augen schon fündig geworden waren. Dann entdeckten die USA plötzlich, dass nordkoreanische Soldaten vermutlich in russische Uniformen gesteckt wurden. Und jetzt sprechen alle Medien und Kriegspolitiker von einer Tatsache, obwohl die Beweislage sich nicht verändert hat.

Aber reale Gefahren werden einfach negiert. Annalena Baerbock warnte angesichts der neuen russischen Nuklearstrategie nicht vor der erhöhten Gefahr eines Atomkriegs, sondern davor, sich von den Russen Angst machen zu lassen. Ein atomar hochgerüstetes Land, das damit droht, Atomwaffen notfalls taktisch einzusetzen, falls es sich zu stark bedrängt fühlt, einfach nicht ernst zu nehmen, zeugt von einer nicht zu überbietenden Dummheit. Einer Dummheit, der sich die führende Politikerkaste aber angeschlossen hat. Und die Presse, die einerseits Putin alles zutraut und ihm die schlimmsten Taten zuschreibt, macht dabei mit und schreibt, als ob sie glaube, dass Russland sich sehenden Auges vom Westen, der jetzt massenweise Waffensysteme zum direkten Angriff auf Russland liefert, besiegen lassen würde und sein Waffenarsenal nicht nutzen würde, um dieses zu verhindern.

Olaf Scholz scheint bei der Kriegspresse in Ungnade zu fallen, weil er sich noch immer gegen die Lieferung weitreichender Waffensysteme (die von deutschen Soldaten bedient werden müssten) wehrt. Es würde leichter fallen, Olaf Scholz hierfür zu loben, wenn er in der Vergangenheit nicht immer wieder bei wichtigen roten Linien umgekippt wäre.

Da ist es logisch, dass die Presse Pistorius zum Kanzler schreiben möchte, der die Deutschen kriegstüchtig machen möchte, die Jugend des Landes zwangsweise in die Armee eingliedern möchte und den Sozialstaat und die öffentliche Infrastruktur zu Gunsten des Militärs zugrunderichten möchte. [jdm]

Bundesregierung beschließt größte Asylrechtsverschärfungen seit Jahrzehnten – Diskriminierende Bezahlkarte wird jetzt eingeführt

Am Mittwoch war die Bundesregierung noch beschlussfähig, um gemeinsam das Asylrecht auszuhebeln. PRO ASYL kritisiert den am letzten Mittwoch beschlossenen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) scharf. Der Entwurf überschreite die von der Europäischen Union geforderten Mindeststandards erheblich, entrechte Geflüchtete massiv und verhindere faire Asylverfahren.

„Die Bundesregierung hat mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verpasst, die Menschenrechte zu achten und rechtsstaatliche Standards zu wahren. Der Entwurf beinhaltet die größten Asylrechtsverschärfungen seit Jahrzehnten, es droht Haft von Familien und Kindern – wie weit soll die Entrechtung von schutzsuchenden Menschen noch gehen?“, kritisiert Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.

PRO ASYL fordert: „Die Bundesregierung muss den Gesetzentwurf im Lichte der Menschenrechte überarbeiten, die von der EU gewährten Ermessensspielräume im Sinne des Schutzes von Asylsuchenden nutzen sowie faire und rechtsstaatliche Verfahren unter menschenwürdigen Bedingungen gewährleisten.“

Obwohl die EU-Vorgaben bereits eine deutliche Verschärfung der Asylpraxis vorsehen, gehe der deutsche Gesetzentwurf noch weiter und führe unter dem Deckmantel der GEAS-Umsetzung neue Möglichkeiten der Freiheitsbeschränkung und De-facto-Inhaftierung von Schutzsuchenden ein.

Es drohten geschlossene Zentren, wie es sie bisher in Deutschland noch nicht gibt: Die Flüchtlinge dürfen diese nicht verlassen, teilweise nur, weil sie aus einem bestimmten Herkunftsland kommen. Besonders besorgniserregend sei, dass durch diese Maßnahmen auch Kinder während ihres Asylverfahrens eingesperrt werden könnten.

Schutzsuchende sollten durch Maßnahmen wie die sogenannte Asylverfahrenshaft massiven Freiheitsbeschränkungen unterworfen werden, die mit internationalen Menschenrechtsstandards nicht vereinbar seien. „Diese Haftformen sind unverhältnismäßig und psychisch extrem belastend. Sie erhöhen das Risiko von Suizidversuchen. Ein faires Asylverfahren ist so  kaum möglich, da Betroffene unter diesen Bedingungen oft nicht in der Lage sind, ihre Fluchtgründe umfassend darzulegen“, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.

Mit dem  Gesetzentwurf sollen zudem die  Konzepte „sicherer Herkunftsstaaten“ und „sicherer Drittstaaten“ massiv ausgeweitet werden, was durch die Vorgaben aus Brüssel nicht zwingend geboten sei.

Das niedersächsische Inneministerium hat derweil mitgeteilt, dass ein Dienstleister für die "Bezahlkarte" gefunden wurde. Inj der Pressemitteilung wrd der Eindruck erweckt, als ob den Asylbewerbern damit ein Gefallen getan werde. Die Asylbewerberleistungen werden jetzt nicht mehr ausgezahlt, sondern über sie kann nur mit der "Bezahlkarte" verfügt werden. Im Monat kann damit maximal 50 € Bargeld abgehoben werden. Der Rest muss in Geschäften ausgegeben werden, die die Bezahlkarte akzeptieren.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hält die Einführung der Bezahlkarte für populistische Symbolpolitik. Damit seiein Diskriminierungsinstrument auf den Weg gebracht, mit dem der Vorrang von Sachleistungen statt Bargeld zementiert werden solle. Überweisungen und Lastschriften werden damit eingeschränkt bzw. ausgeschlossen. Wer sein Geld - besonders, wen es sowieso so wenig ist, nicht selbstbestimmt ausgeben kann, wird damit von der teilhabe am Leben ausgeschlossen. "Der Beschluss, eine Bezahlkarte einzuführen, folgt einer Kampagne, welche in unseren Augen als Hetzkampagne aufgefasst werden könnte. Die Aussage, Geflüchtete würden wegen der besseren Sozialleistungen hierzulande fliehen, widerspricht jeder wissenschaftlichen Erkenntnis." [jdm]

Einkommensungleichheit und Armut haben deutlich zugenommen – Sorgen um Lebensstandard strahlen bis in Mittelschicht aus

Verteilungsbericht WSI 2024

Deutlich mehr als die Hälfte der Menschen in der unteren Einkommenshälfte, aber auch knapp 47 Prozent in der oberen Mittelschicht fürchteten im vergangenen Jahr, ihren Lebensstandard zukünftig nicht mehr halten zu können. Zu diesen Ergebnissen kommt der neue Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

Mit materiellen Einschränkungen und Zukunftssorgen geht vor allem bei ärmeren Menschen eine erhebliche Distanz zu wichtigen staatlichen und politischen Institutionen einher, zeigt die Studie zudem: Weniger als die Hälfte der Armen und der Menschen mit prekären Einkommen findet, dass die Demokratie in Deutschland im Großen und Ganzen gut funktioniert. Sie sehen für sich auch nicht die Möglichkeit, auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Rund ein Fünftel vertraut dem Rechtssystem allenfalls in geringem Maße.

Wie gleich oder ungleich die Einkommen verteilt sind, lässt sich über ein statistisches Maß ermitteln, das in der Wissenschaft häufig verwendet wird: den so genannten Gini-Koeffizienten. Der „Gini“ reicht theoretisch von null bis eins: Beim Wert null hätten alle Menschen in Deutschland das gleiche Einkommen, bei eins würde das gesamte Einkommen im Land auf eine einzige Person entfallen. Die Auswertung der neuesten verfügbaren Daten im Verteilungsbericht zeigt, dass sich der Anstieg der Ungleichheit ab 2010 weiter fortgesetzt hat – in leichten Wellenbewegungen, aber insgesamt mit eindeutiger Tendenz: 2010 lag der Gini-Wert noch bei 0,282. Bis 2021 kletterte er auf einen neuen Höchststand von 0,310.

Noch deutlicher zugenommen hat die Einkommensarmut, also die Quote der Haushalte deren bedarfsgewichtetes Haushaltsnettoeinkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland beträgt. Sehr arm (Fachbegriff: „strenge Armut“) sind Personen, die nicht einmal 50 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Für einen Singlehaushalt entspricht das maximal 1.350 (Armut) bzw. 1.120 Euro (strenge Armut) im Monat.

Schon in den 2010er Jahren stieg die Armutsquote mit gelegentlichen jährlichen Schwankungen im Trend spürbar an, und die Entwicklung hat sich beinahe kontinuierlich fortgesetzt, zeigt der Verteilungsbericht: Im Jahr 2021 lebten 17,8 Prozent der Menschen in Deutschland in Armut, 11,3 Prozent sogar in strenger Armut. 2010 lagen die beiden Quoten noch bei 14,2 bzw. 7,8 Prozent. Damit ist der „Anteil der Menschen in strenger Armut – relativ – noch stärker gestiegen als die Armutsquote“, schreiben die Autoren Dr. Dorothee Spannagel und Dr. Jan Brülle.

Die Daten, die die Forschenden analysieren, machen anschaulich, dass Armut auch in einem reichen Land wie der Bundesrepublik nicht selten mit deutlichen alltäglichen Entbehrungen verbunden ist. So konnten es sich bereits 2021, also vor der großen Teuerungswelle, 9,9 Prozent der Menschen in Armut nicht leisten, abgetragene Kleidung durch neue zu ersetzen. 42,8 Prozent der Menschen in Armut und 21,3 Prozent in der „prekären“ Einkommensgruppe haben keinerlei finanzielle Rücklagen. Knapp 17 Prozent der Armen können sich Freizeitaktivitäten wie einen Kinobesuch einmal pro Monat oder den Besuch einer Sportveranstaltung nicht leisten, knapp 14 Prozent fehlt das Geld, um wenigstens einmal im Monat Freunde zum Essen einzuladen. Die geringeren finanziellen Teilhabemöglichkeiten lassen sich auch nicht durch engere persönliche Kontakte ausgleichen, im Gegenteil: Menschen mit sehr niedrigen Einkommen sind häufiger alleinstehend und haben nach eigener Einschätzung seltener enge Freunde.

Beim Blick auf die Zukunft reichen Abstiegsängste bis weit in die Mittelschicht hinein, und sie haben in allen untersuchten Einkommensgruppen stark zugenommen. Das zeigen die Daten aus der Böckler-Lebenslagenbefragung für die Jahre 2020 und 2023. Im vergangenen Jahr äußerten fast 55 Prozent der Menschen in Armut große oder sehr große Sorgen ihren – ohnehin sehr niedrigen – Lebensstandard nicht dauerhaft halten zu können. Ein Anstieg um rund sechs Prozentpunkte gegenüber dem schon hohen Wert von 2020. Unter den Befragten in „prekären“ Einkommensverhältnissen befürchteten 2023 sogar gut 58 Prozent, wirtschaftlich abzurutschen – 14 Prozentpunkte mehr als drei Jahre zuvor. Nur wenig kleiner ist der Anteil mit großen oder sehr großen Abstiegssorgen in der unteren Mitte: Dort betrug er 2023 knapp 52 Prozent, ein Anstieg um rund 15 Prozentpunkte. Und selbst in der oberen Mittelschicht hat sich die Verunsicherung drastisch ausgebreitet: Die Quote der Befragten mit Sorgen um den künftigen Lebensstandard stieg von knapp 32 auf knapp 47 Prozent.

Verunsicherung spiegelt sich auch in der Identifikation mit der Demokratie und mit staatlichen Institutionen wider, und das besonders bei Personen mit niedrigen Einkommen, zeigen die Ergebnisse der Lebenslagenbefragung von 2023. Zwar ist in allen untersuchten Einkommensgruppen rund die Hälfte oder mehr der Befragten der Ansicht, dass die Demokratie in Deutschland im Großen und Ganzen gut funktioniere. Aber auch hier gibt es deutliche Abstufungen zwischen den Gruppen: Lediglich knapp 50 Prozent der Armen und der Menschen mit prekären Einkommen sind mit der Demokratie im Wesentlichen zufrieden. In der unteren Mitte sind es 52 Prozent, in der oberen Mitte fast 60 Prozent. Damit korrespondiert auch die Einschätzung, ob man selbst auf die eigenen Anliegen aufmerksam machen kann: Hier steigt die Zustimmung von etwas über 44 Prozent bei den Armen auf knapp 52 Prozent in der oberen Mitte. 

Eine noch größere Entfremdung vom politischen Geschehen drückt sich in der Zuschreibung aus, „die regierenden Parteien betrügen das Volk“. Die Zustimmung dazu variiert ebenfalls deutlich entlang der Einkommensgruppen: Unter den Menschen in Armut und mit prekären Einkommen halten über ein Drittel diese Aussage für zutreffend, während es bei der oberen Mitte etwas mehr als ein Viertel ist. Ein deutlicher Zusammenhang zur wirtschaftlichen Situation zeigt sich auch beim Misstrauen gegenüber der Polizei oder Gerichten, das zwischen knapp 21 Prozent unter Menschen in Armut und elf bis zwölf Prozent unter Angehörigen der oberen Mittelschicht variiert. Ähnlich ist das Muster bei der Wahlbeteiligung: Unter den Armen erklären knapp 20 Prozent, bei der nächsten Bundestagswahl nicht wählen gehen zu wollen. Mit steigendem Einkommen sinkt der Anteil der potenziellen Nichtwähler*innen – bis auf knapp elf Prozent in der oberen Einkommensmitte.

Die Befunde seien als beunruhigend, zumal der problematische Trend nun schon über viele Jahre anhalte: Wenn mangelnde materielle Teilhabe und um sich greifende Verunsicherung dazu führten, dass in den Augen vieler Menschen auch ihre politische Teilhabe brüchig werde, „hat das negative Folgen für unser demokratisches System“, warnen sie. Eine verantwortungsvolle Politik müsse auf jeden Fall darauf verzichten, verschiedene Gruppen in der Gesellschaft gegeneinander auszuspielen. Als warnendes Beispiel nennen sie die Debatte um das Bürgergeld in den vergangenen Monaten, in der die Leistungsempfänger als faul und arbeitsunwillig stigmatisiert wurden. Statt die ohnehin zu knappen Leistungen für Bürgergeldempfänger*innen weiter zu kürzen, um den Abstand zwischen Sozialleistungen und Erwerbseinkommen zu erhöhen, sei es „viel sinnvoller, Niedriglöhne wirksam zu bekämpfen und Tarifbindung zu stärken – Maßnahmen, die auch Menschen außerhalb des Grundsicherungsbezugs zugutekommen.“

Gesellschaftliche Teilhabe auch für die (untere) Mitte der Gesellschaft könne besonders durch Sozialversicherungssysteme gestärkt werden, „die eine angemessene Balance zwischen solidarischem Ausgleich und Sicherung des individuellen Lebensstandards finden“, schreiben die Fachleute. Hier gehe es etwa um ein stabiles Rentenniveau in Kombination mit einer auskömmlichen Grundrente. [PM WSI]

„Begegnungen – 1935 im KZ Esterwegen“ – Vortrag in der VHS Papenburg

In Kooperation mit dem Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandlager veranstaltet die Volkshochschule Papenburg am Donnerstag, den 7.11.2024 von 19.30 Uhr bis 21.45 Uhr einen Vortrag von Kurt Buck. Das Thema des Vortrags lautet "Begegnungen - 1935 im KZ Esterwegen".

Werner Finck leitete das Berliner Kabarett "Die Katakombe", Carl von Ossietzky die Wochenzeitschrift "Die Weltbühne", Ernst Heilmann saß für die SPD im Preußischen Landtag und im Reichstag, Adolf Bender lebte als Künstler in Mainz. 1935 begegneten sie sich - unfreiwillig - als „Schutzhäftlinge“ im Konzentrationslager Esterwegen. Ihre Geschichten als Insassen dieses Lagers werden anhand von Erinnerungsberichten, Zeichnungen und Dokumenten vorgestellt.

Ort: Volkshochschule Papenburg, Hauptkanal rechts 72, 26871 Papenburg, Raum V 1.06, Saal (barrierefrei). Um Anmeldung wird gebeten. Den Betrag von 10 EURO zahlen Sie bitte an der Eintrittskasse, die um 19 Uhr öffnet. [Newsletter DIZ]

Wie die Taz denunziert

NOZ-Chefredakteur Burkhard Ewert hat in einem NOZ-Artikel in der Printausgabe am 24. Oktober über eine von der NOZ in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage, die erfragen sollte, wie die Menschen heute auf die Corona-Pandemie blicken, geschrieben. Bei dieser Umfrage hat die NOZ mit dem Online-Magazin „Multipolar“ kooperiert, das die Veröffentlichung der RKI-Files erklagt hatte und zweifellos über Expertise zum Thema verfügt.

Die Umfrageergebnisse sind interessant, aber zeigen keine umwälzenden Erkenntnisse. Man könnte über die Interpretation der Ergebnisse diskutieren.

Aber genau das können die Kräfte, die die jetzige Regierung tragen, überhaupt nicht ertragen. Jeder der die Sinnhaftigkeit der Coronamaßnahmen anzweifelt, wird von den Grünen und SPD/CDU-Vertretern sofort weggebissen. Die Methode dazu ist nicht die  Diskussion über verschiedene Ansichten zu dem Thema, sondern die Denunziation.

Der Taz-Journalist Harff-Peter Schönherr, der auch Redakteur des eingegangenen Stadtblatt Osnabrück war, nimmt in einem Taz-Artikel vom 25.10.2024 in Ermangelung von Argumenten Ewert mit einer Art Kontaktschuld in Haft. Dazu wird einfach das Online-Magazin „Multipolar“ als verschwörungstheoretisches Magazin abqualifiziert. Schriftsteller, Schauspieler, Sänger und Musiker, Wissenschaftlerinnen wie Ulrike Guérot, haben am eigenen Leib erlebt, wie mit dieser Zuschreibung als Querdenker und Verschwörungstheoretiker ihr berufliches Wirken und Karrieren zerstört wurden. Dass solche Zuschreibungen bei Betroffenen Angst auslösen, beweist auch die Reaktion von Forsa-Geschäftsführer Thorsten Thierhoff, der sich auf Nachfrage durch die Taz eilfertig von „Multipolar“ distanzierte.

Mit dieser Zuschreibung, die seit dem Beginn des Ukraine-Krieges um den Begriff des Putinverstehers ergänzt wurde, entziehen sich die Regierungsvertreter und ihre Presse, vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender, jeder Diskussion. Von der grün-sozialdemokratischen-CDU- Linie abweichende Positionen und Berichte werden durch Ausschluss erledigt und nicht gesendet.

Die Taz kritisiert – nein, klagt an – dass NOZ-Chefredakteur Ewert dem russischen Botschafter Sergej Netschajew mehrfach Gelegenheit gegeben habe, russische Standpunkte zur Ukraine und zur deutschen Außenpolitik darzulegen. Zuhören und andere Standpunkte verstehen, um daraus eigene Schlüsse – welche auch immer -  zu ziehen, gilt in der heutigen Medienlandschaft als verwerflich. Früher nannte man das einfach einen demokratischen Diskurs.

Ewerts politische Positionen kann man ohne ihm zu nahe zu treten als neoliberal und im Zweifel konservativ bezeichnen. Aber dennoch hat er sich in der Vergangenheit vorsichtig kritisch zum Kriegseskalationskurs der Nato und zu den Coronamaßnahmen geäußert. Auch zu Fragen des Schutzes bürgerlicher Freiheiten hat er dezidierte Meinungen geäußert.

Für die Taz-Denunzianten ist dies nicht hinnehmbar und Ewert gehört bestraft. Die Grünen haben zur Denunziation sogar ein eigenes Institut gegründet, das Zentrum für Liberale Moderne, das – von den Grünen Ralf Fücks und Marieluise Beck gegründet - vollständig und großzügig von der Bundesregierung alimentiert wird.

Perfide auch, wie angebliche Stimmen aus der NOZ-Redaktion zitiert werden - natürlich ohne Belege und Namen: „In der NOZ sorgt all das für Unmut. Mitarbeitende, mit denen die taz gesprochen hat, und die anonym bleiben wollen, sagen Dinge wie: ‚Wir machen Verschwörungstheoretiker salonfähig und setzen unseren eigenen Ruf aufs Spiel.’ Oder: ‚Das hat mit Meinungspluralität nichts mehr zu tun. Das ist gefährlich.’

Angesichts solcher hetzerischer Leistungen der angeblich linken Zeitung Taz löst die Aussicht darauf, dass die Taz die Einstellung ihrer Printausgabe und die Umstellung auf die reine Online-Ausgabe nicht überleben wird, kein Beileid aus.

Die NOZ hat übrigens am 26.10.2024 einen Artikel ihres sehr konservativen Partners Neue Züricher Zeitung übernommen, in dem Thomas Gottschalk vor Bashing in Schutz genommen wird, weil sein Fall zeige "wie unverfroren viele Medien versuchen, Andersdenkende zum Schweigen zu bringen." [jdm]

Elektronische Patientenakte? – Widerspruchs-Generator hilft

Digitale Patientenakte, (Bild von Gemini, CC0, via Wikimedia Commons)
(Bild von Gemini, CC0, via Wikimedia Commons)

Ab Januar 2025 erhalten alle gesetzlichen Krankenversicherten, die nicht widersprechen, automatisch eine zentrale elektronische Patientenakte (ePA). Ärzte und anderes medizinisches Personal sind gesetzlich verpflichtet, die ePA mit den Behandlungsdaten ihrer Patienten zu füllen. Derzeit verschicken die Krankenkassen Informationen, in denen sie die ePA als wichtiges Instrument zur Verbesserung der medizinischen Versorgung bewerben. Die ePA hat jedoch gravierende Schwächen, die nicht nur aus Datenschutzsicht einen Widerspruch notwendig machen, um die äußerst sensiblen personenbezogenen und medizinischen Daten zu schützen.

Hierfür stellt das Bündnis „Widerspruch gegen die elektronische Patientenakte (ePA)“ einen Widerspruchs-Generator auf der Webseite https://widerspruch-epa.de/ zur Verfügung. Das Bündnis besteht überwiegend aus Organisationen von Datenschützern, Patienten, Ärzten und Psychotherapeuten.

„Die übermäßig positive Darstellung durch Krankenkassen und Politik können wir so nicht stehen lassen“ sagt Dr. Simone Connearn vom Bündnis Widerspruch ePA. „Auf unserer Website bieten wir daher neben dem Widerspruchs-Generator auch kritische Aufklärung über die ePA, damit jeder Versicherte eine fundierte Entscheidung über seine medizinischen Daten treffen kann.“

„Die zentrale elektronische Patientenakte kommt mit großen Ankündigungen“, so Dr. Silke Lüder, Ärztin für Allgemeinmedizin. „Rettung im Notfall, bessere Medizin für alle, mehr Zeit für die Behandlung, keine Arzneimittelnebenwirkungen oder Doppeluntersuchungen mehr, das alles hören wir seit 20 Jahren, und nichts hat sich bisher erfüllt. Mit der neuen ePA droht Zeitverlust durch doppelte Datenhaltung, die Schweigepflicht wird faktisch abgeschafft. Auch ist die ePA keineswegs barrierefrei, große Teile der Bevölkerung werden ausgegrenzt: Menschen mit Einschränkungen oder ohne modernes Handy, wenig technikaffine und ältere Menschen werden ihre Daten keineswegs selbst managen können“ kritisiert Lüder.

Der Widerspruchs-Generator unterstützt die Versicherten bei den beiden gesetzlich vorgesehenen Widerspruchsmöglichkeiten vor der Einführung der ePA:
• gegen die ePA insgesamt oder
• nur gegen die automatisierte Befüllung der ePA mit den Abrechnungsdaten der Krankenkassen.
Unabhängig von der ePA bietet der Generator eine weitere Widerspruchsmöglichkeit: Krankenkassen dürfen künftig die Abrechnungsdaten der Versicherten für personalisierte Empfehlungen auswerten. Auch hiergegen kann man mithilfe des Generators widersprechen.

Ärzte und Psychotherapeuten speichern weiterhin die notwendigen Informationen in ihren praxisinternen Akten. Die ärztliche Schweigepflicht bleibt so auf jeden Fall gewahrt. Die Patienten haben jederzeit Anspruch auf die Herausgabe ihrer Akte, hierfür ist keine zentralisierte Speicherung in der ePA notwendig. [Pressenza, Bild von Gemini, CC0, via Wikimedia Commons]

Lagerfriedhof Groß Fullen – Grabstätte für 1500 ermordete Kriegsgefangene

Emslandlagerfriedhof  X Fullen

Das Lager X Fullen als Teil der Emslandlager der Nazizeit wurde 1938 von der Justiz als Strafgefangenenlager für 1.000 Gefangene eingerichtet. Hier bestand schon vorher ein vom Reichsarbeitsdienst (RAD) errichtetes Lager.

Die Häftlinge dieses Lagers sollten die Kultivierung der linksemsischen Moorgebiete leisten. Die Kultivierungsarbeiten waren angesichts der fürchterlichen Lebensbedingungen der Gefangenen kläglich. Im September 1938 war das Lager bereits mit 1200 Strafgefangenen belegt. Im September 1939 wurde das Lager vom Oberkommando der Wehrmacht übernommen und als Zweiglager des Kriegsgefangenen-Mannschaftsstammlager (Stalag) VI B Versen eingerichtet.

Emslandlagerfriedhof  X Fullen

1940 waren in Fullen französische Kriegsgefangene untergebracht. Im Juni 1940 kamen ca. 400 Polen in das Lager Fullen. Am 1. September 1941 waren im Lager Fullen 1.700 sowjetische Kriegsgefangene untergebracht. Von September 1943 bis 1945 waren hier italienische Militärinternierte untergebracht. Am 20. September ordnete Hitler an, die Kriegsgefangenen zukünftig als „italienische Militärinternierte“ zu bezeichnen. Damit unterlagen sie nicht mehr dem Schutz der für Kriegsgefangene geltenden internationalen Abkommen und des Internationalen Roten Kreuzes.

Emslandlagerfriedhof  X Fullen

In den Kriegsgefangenenlagern mussten Italiener bei schlechtester Ernährung und unzureichender medizinischer Versorgung unter ungewohnten klimatischen Verhältnissen schwerste Arbeiten in landwirtschaftlichen und gewerblichen Betrieben verrichten. Hier wurden sie deutlich schlechter behandelt und verpflegt als die Angehörigen der anderen Nationen, mit Ausnahme der sowjetischen Kriegsgefangenen. Zwischen September 1943 und März 1945 verstarben 872 Italiener in den emsländischen Lagern, davon etwa 404 im Jahr 1944. Im Lager Fullen befand sich das sogenannte „Hospital“ für die Italiener. Seine 1946 im italienischen Bergamo erschienenen Erinnerungen betitelte P. E. Ettore Accorsi bezeichnenderweise mit „Fullen – Il Campo Della Morte“ (Fullen - das Feld des Todes).

Nach der Befreiung wurde das Lager für internierte Nazis, später als Teil der emsländischen Strafanstalten benutzt. 1951 erfolgte die Schließung der Strafanstalt Fullen und die Nutzung der Baracken als Flüchtlingsunterkunft. Die Gebäude des ehemaligen Stalag sind Anfang der 1950er Jahre allesamt abgerissen worden. Die Fläche ging in landwirtschaftliche Nutzung über. Lediglich das Wasserwerk blieb längere Zeit in Betrieb. Es wurde jedoch später durch eine modernere Anlage auf der gegenüberliegenden Straßenseite ersetzt. Heute erinnert nur noch eine Informationstafel an die frühere Bedeutung dieses Ortes. Auf dem Feld des ehemaligen Lagers sind keine Spuren mehr zu finden.

Für den Friedhof Groß Fullen existieren Gräberlisten, die ausweisen, dass auf diesem Friedhof 136 namentlich bekannte und ca. 1.500 unbekannte sowjetische Kriegsgefangene sowie ein unbekannter Albaner ruhen; zudem waren hier 751 italienische Militärinternierte bestattet, die im Laufe der 1950er Jahre exhumiert wurden. 77 von ihnen wurden nach Italien gebracht, die anderen auf den Cimitero militare italiano d’onore in Hamburg-Öjendorf umgebettet, der als zentraler Ehrenfriedhof für 5.839 italienische NS-Opfer in Norddeutschland angelegt wurde.

Auf einem besonderen Teil des Friedhofs sind 145 polnische Männer, Frauen und Kinder bestattet, die vom Juli 1945 bis Januar 1948 in der polnischen Enklave Maczków (Haren/Ems) gestorben waren. So wie durch die Einebnung des Lagers Fullen die Erinnerung an das Lager ausgelöscht werden sollte, so sollte die Umbettung der polnischen Toten von Haren auf diesen abgelegenen Friedhof die Erinnerung an die polnische Besetzung Harens löschen.

Auch die Form der Erinnerung an die ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem Friedhof wurde durch die staatliche Behandlung des Friedhofs deutlich. Zunächst erstellten sowjetische Behörden Denkmäler für die Sowjetsoldaten, die auch Symbole der Sowjetunion enthielten. Die englischen Besatzer sorgten für die Pflege der Anlage. Nachdem die Verantwortung auf die deutschen Behörden und den Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge übergegangen war, gab es zunächst eine Umgestaltung für die man den Ex-Nazi Langerhans als Landschaftsarchitekten beauftragte. Die sowjetischen Symbole wurden entfernt und stattdessen das russisch-orthodoxe Zweibalkenkreuz auf den Steinen verwendet. Mit dieser religiösen Symbolik sollte die Erinnerung an den Weltkrieg jede politische Dimension verlieren. Während des Kalten Kriegs verlotterte der Friedhof und entwickelt sich langsam zu einem Wald. Erst mit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion wurde der Friedhof wieder gepflegt.

Im Rahmen des Projekts „Namensziegel“ des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge haben Schüler*innen der Anne-Frank-Schule in Meppen seit 2013 mehr als 160 Namen von sowjetischen Kriegsgefangenen recherchiert und sie in Tonziegel gebrannt. Diese wurden auf der Kriegsgräberstätte in Metallgestellen aufgestellt, die von Schüler*innen der Berufsbildenden Schulen Meppen dafür gebaut wurden. [jdm]

Der Wertewesten: Verträge müssen gebrochen werden

Im Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12.09.1990 steht in Artikel 5 Absatz 3 eindeutig, dass im ehemaligen Gebiet der DDR keine ausländischen Truppen stationiert werden dürfen.

Trotzdem soll in diesem Oktober in Rostock ein neues NATO-Hauptquartier eröffnet werden. "Vom Marinekommando in Rostock aus sollen künftig alle Nato-Manöver und -Einsätze auf der Ostsee gesteuert werden – Kriegsschiffe, Hubschrauber, Kampfflugzeuge. Dafür werden Soldaten aus allen Anrainer-Staaten an die Warnow versetzt.“

Hier wird wieder deutlich, warum der politische Westen immer von "wertegeleiteter Politik" spricht. Das ist nur eine Umschreibung der Tatsache, dass sich der Westen um Verträge, die UN-Charta, die Abrüstungsverträge der 1980er Jahre oder das allgemeine Völkerrecht nicht schert, sondern nur seine eigenen Maßstäbe anlegt und diese mit militärischer brutaler Gewalt durchsetzt.

Ex-Bundeskanzlerin Merkel hatte im Dezember 2022 in einem Interview schon deutlich gemacht, dass das Minsker Abkommen von 2014 nur ein Versuch war, "der Ukraine Zeit zu geben“ für die Aufrüstung und gar nicht dazu gedacht war, tatsächlich den Frieden in der Ukraine zu sichern. Für den politischen Westen gilt der Grundsatz, dass Verträge einzuhalten sind (Pacta sunt servanda) offensichtlich nicht. [jdm]

In Ukraine flüchten Jugendliche vor Wehrerfassung – CDU will in Deutschland die ganze Jugend für das Militär erfassen

Selenski geht derzeit mit seinem „Siegesplan“ hausieren. Der sieht den schnellstmöglichen Eintritt der Ukraine in die NATO und einen Landkrieg der NATO gegen Russland vor. Als Gegenleistung für weitere Hilfe bietet er den NATO-Ländern an, die Rohstoffe seines Landes auszuplündern. Dabei verkennt er, dass das Land den USA wegen der Kredite sowieso schon fast ganz gehört.

Derweil fehlen dem ukrainischen Militär Soldaten. Jeder der Geld hat, entzieht sich dem Militärdienst durch Schutzgelder an die Rekrutierungsbeamten. Die sind derzeit dazu übergegangen, Soldaten durch Razzien in Kinos, Restaurants und anderen Freizeiteinrichtungen einzusammeln.

Der ukrainische Bildungsminister Oksen Lisowoj teilte bei einer parlamentarischen Anhörung mit, dass etwa 300.000 männliche Schüler der Abschlussklassen nicht zum seit September laufenden neuen Schuljahr erschienen sind. Vermutlich seien sie ins Ausland gegangen, solange sie das von ihrem Alter her noch könnten. In der Ukraine werden die Männer mit 17 Jahren für den Wehrdienst erfasst und dürfen danach nur noch mit Genehmigung das Land verlassen. Die 300.000 jungen Ukrainer sind also nicht bereit, sich in dem sinnlosen Krieg töten zu lassen.

Derweil stellt der CDU-Vorsitzende Merz den Plan der CDU vor, in Deutschland die ganze Jugend für einen zukünftigen Krieg zu erfassen. Bei Caren Miosga sagte er: “Wir gehen ja in der CDU sogar noch einen Schritt weiter und sprechen von einer allgemeinen Dienstpflicht (…). Wir sprechen über 700.000 junge Leute pro Jahr, die wir erfassen müssen und die wir auch entsprechend (…) mustern müssen (…) zunächst einmal mit einem Schreiben an alle, die 18 Jahre alt werden eine solche Aufforderung richtet: meldet euch, füllt einen Personalbogen aus – auch übrigens an Frauen. Dazu müssten wir das Grundgesetz ändern, auch für die Wehrpflicht”.

Typisch ist, dass Merz in einer Grundgesetzänderung offensichtlich kein Problem sieht. Gesetze - auch das Grundgesetz - werden in Deutschland schon lange so hingebogen, wie es die Konzerne oder das Militär wünschen: völkerrechtwidriger Angriffskrieg gegen Jugoslawien, keine Vermögenssteuer, Grundrechtseinschränkungen während Corona-Epidemie, Zensurmaßnahmen gegen missliebige Auslandspresse oder Hochschulpersonal und ganz aktuell ein passendes Medizinforschungsgesetz (MFG) weil ein Pharmakonzern das wegen der besseren Durchsetzbarkeit von Höchstpreisen so wünscht.

Dass hier Merz und seine Partei die ganze Jugend des Landes für einen zukünftigen Krieg verplanen, ist angesichts des Schweigens der Medien darüber bisher wohl noch nicht bei der Jugend angekommen. Vielleicht können ihnen die Jugendlichen aus der Ukraine, die vor ihrer heimischen Tötungsmaschinerie flüchten, mal erzählen, dass die Wehrerfassung den Anfang des Getötetwerdens darstellt. [jdm]

Rede für das Angehörigen-Treffen auf dem Lagerfriedhof Esterwegen am 29. September 2024

Am letzten Septemberwochenende reisten mehr als 40 Angehörige von Häftlingen der Emslandlager aus Deutschland, Belgien, Österreich und England nach Papenburg an. Im Rahmen des sich ausschließlich an Nachkommen gerichteten Treffens fanden Gesprächsrunden, Arbeitsgruppen und Besuche ehemaliger Lagerorte und Friedhöfe statt.

Margot Nohr, Foto: Daniel Chatard
Margot Nohr bei ihrer Rede am 12.09.2024. Foto: Daniel Chatardt

Auf dem Lagerfriedhof Esterwegen hielt Margot Nohr am 29. September 2024 folgende Rede:

"Lieber Habbo Knoch, liebe Angehörige der Häftlinge aus den Emslandlagern, liebe Freunde des DIZ. Ich stehe hier, Tochter von Adolf Härtl, der in Esterwegen inhaftiert war. Ich stehe hier, weil ich hier die Verbindung spüre, ein Band zwischen den ehemaligen Häftlingen, denjenigen, die hier zu Tode gebracht wurden und unseren Angehörigen, die ihr Grab zu Hause haben.

Wir sind nicht nur Zweitzeugen, wir sind geprägt durch die Erfahrungen, die unsere Angehörigen hier in den Emslandlagern gemacht haben, ob unsere Väter, Großväter, unsere Angehörigen davon berichtet haben oder nicht. Auch Schweigen prägt Kinder und Jugendliche, auch die Reaktionen der Nachbarn. Ich habe es so erlebt als Kind und als Jugendliche. Ich wusste schon früh, dass mein Vater in Esterwegen inhaftiert war, dass es ein Gefängnis war. Was ich aber nicht begriffen habe: Mein Vater war doch kein Verbrecher. Er war doch ein guter Mensch, der als Betriebsratsvorsitzender von Prosper II in Bottrop vielen Bergarbeitern geholfen hat, der am 1. Mai die Arbeiterdemonstration angeführt hat.

Ich erinnere mich aber auch, dass Nachbarn gesagt haben: Ohne einen Grund ist niemand verhaftet worden. Ich habe das wie ein Stigma erlebt: Mein Vater war im Gefängnis. Dass er schon am 1.3. 1933 verhaftet wurde, dass es Schwarze Listen gab, dass zuerst Kommunisten, Sozialisten, Gewerkschaftsführer, linke Journalisten und Schriftsteller verhaftet wurden, das habe ich erst sehr viel später begriffen.

Zuhause bei uns wurde nur wenig über die Haftzeit meines Vaters gesprochen. Nur wenn Freunde meines Vaters kamen, dann waren Gespräche über die gemeinsamen Erfahrungen in der NS-Zeit üblich. Aber dann wurde ich zum Spielen rausgeschickt. Geblieben war in meiner Kinder- und Jugendzeit die Scham. Da gibt es etwas, was vor anderen nicht angesprochen wird. Und die Sprachlosigkeit hat auch mich geprägt.

In der Schule und in den Medien habe ich von den Geschwistern Scholl und von Claus Schenk von Stauffenberg gehört, von adeligen Widerstandkämpfern. Diese adeligen Personen und diese jungen Studenten wurden geehrt für ihren Mut und ihre Widerstandskraft. Aber es gab keine ehrenvolle Erinnerung für die Bergleute, die hier in den Emslandlagern und den anderen KZ-Lagern inhaftiert waren.

Das änderte sich erst, als ich Ende der 1980er Jahre die Arbeit des DIZ kennen lernte, Kurt Buck und Marianne, Fietje Ausländer, Sabine Mithöfer, Hanne Weißmann und andere Unterstützer und Freunde des DIZ. Hier habe ich als junge Lehrerin das Team um Kurt Buck erlebt, das sich mit hohem Engagement allen sozialen Gruppen in den Emslandlagern zuwandte. Hier erlebte ich Menschen, die mir mit viel Empathie begegneten.

Die Scham wurde weniger und verschwand, je mehr ich mich mit der Geschichte meines Vaters und der NS-Zeit beschäftigt habe. Aber es gab keinen Ort, der das Schicksal der Bergarbeiter ehrenvoll darstellt. Und so war es ein mich tief bewegendes Ereignis, als ich bei der Eröffnung der Gedenkstätte Esterwegen erlebte, dass auch die Arbeiter-Häftlinge dort einen ehrenvollen Erinnerungsort und einen Platz in der Ausstellung gefunden haben.

Dass dies möglich war, danke ich von Herzen dem Vorstand des DIZ und dem zuverlässigen Team um Kurt Buck. Umso mehr hat es mich entsetzt und auch verletzt zu erleben, dass das DIZ aus der Gedenkstätte Esterwegen herausgedrängt wurde. Für mich ist es heute eine große Freude zu erleben, dass das DIZ lebt. Die junge Generation im DIZ hat die Arbeit übernommen, mit vielen neuen Ideen zur Vermittlung der historischen Kenntnisse über die Emslandlager und die Bedeutung der Geschichte für die gesellschaftlichen und politischen Prozesse heute. Über die Emslandlager wird es kein Schweigen geben. Die junge Generation im DIZ, Joscha Hollmann, Corinna Bittner, Tessa Hesener und Jan Gattermann, sie werden den gesellschaftlichen Diskurs immer wieder anregen, prägen, unüberhörbar und sichtbar.

Ohne Erinnerung können wir uns in der Gegenwart nicht zurecht finden. Erinnerung, umgesetzt in Geschichte, ist unentbehrlich zur Bewältigung von Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben. Das sind wir unseren Angehörigen schuldig und auch den Menschen, die hier zu Tode gebracht wurden. Ich verneige mich vor den Menschen, die hier begraben liegen. Ihr Schicksal und das der vielen anderen Häftlinge soll nicht vergessen werden. Das junge DIZ hat jetzt diese Aufgabe übernommen. Und wir werden sie dabei nicht allein lassen. Danke für Euer Engagement. Wir stehen hier und spüren: Da gibt es einen Auftrag für uns: Nicht zu schweigen." [Newsletter DIZ]

Was macht eigentlich der Scheuer?

Der Andreas Scheuer, Ex-Verkehrsminister, dessen Wirken vor allem mit der in den Sand gesetzten Pkw-Maut, die den Bund 243 Millionen Euro kostete, verbunden wird, ist jetzt in der Passauer Kommunalpolitik aktiv. Und wegen seiner Kompetenz beim Geldversenken sollte er Vorsitzender des Passauer Rechnungsprüfungsausschusses und des Stiftungsausschusses werden.

Das fanden viele Menschen je nach Temperament witzig oder geschmacklos. Der Passauer grüne Stadtrat Synek zitierte Franz-Josef Strauß mit den Worten, man müsse aufpassen, dass man den Hund nicht zum Bewacher der Wurstküche mache. Andreas Scheuer hat offensichtlich gelernt und - anders als früher - gemerkt, dass sein Einsatz nicht wilkommen ist: Die Posten hat er doch nicht angenommen. [jdm]

Friedensbewegung wird breiter – Auch viele junge Menschen auf der Demo

Die Organisatoren der großen Friedensdemo am 3. Oktober in Berlin zählten am Schluss etwa 40.000 Teilnehmer. Nicht nur der Regen stellte die Teilnehmer der Kundgebung auf die Probe, sondern auch die fehleranfällige Lautsprecheranlage, die es schwer machte, die Reden zu verstehen.

Friedensdemo 3. Oktober 2024, Ralf Stegner

Ralf Stegner, SPD-MdB, und das Publikum hatten aber noch ganz andere Probleme. sich zu verstehen. Stegner eröffnete seine Rede mit der Feststellung, dass die einzigen, die vom Krieg profitieren diejenigen sind, die Waffen verkaufen. Seine Einschätzung, dass die Waffenlieferungen an die Ukraine zu deren Selbstverteidigung erlaubt seien, und seine ausführliche Schilderung der Kriegsfolgen für die ukrainische Bevölkerung, stießen auf Unverständnis. Bei aller Unterstützung für die Ukraine müsse man dafür sorgen, dass dieser Krieg aufhöre. Das Blutvergießen zu beenden sei eine Frage der Humanität. Auch im Nahen Osten müsse der Krieg beendet werden. Frieden gebe es aber nur durch Diplomatie. Das Geld, das für Waffen ausgegeben werde, werde dringend zur Lösung der vielen Probleme gebraucht. Diese Aussagen trafen auf Zustimmung, aber seine Aussage, dass die SPD ein Teil der Friedensbewegung sei, wollte ihm das Publikum dann doch nicht abnehmen.

Peter gauweiler auf der Friedensdemo 3. Oktober 2024

Peter Gauweiler stellte in den Vordergrund seiner selbstbewussten und gutgelaunt vorgetragenen Rede das gebrochene Gründungsversprechen der Bundeswehr, dass sie nur zur Landesverteidigung eingesetzt werden dürfe. Für diese Auffassung rief er Franz-Josef Strauß und Helmut Kohl als Zeugen an. Dieses Versprechen sei am 24. März 1999 mit der Nato-Bombardierung der serbischen Städte, die zu 500 getöteten Zivilisten geführt hätten, gebrochen worden. Und danach hätten die Kriege für "unsere Werte" begonnen, die über 1.000.000 Tote gebracht hätten. Das Gerede von unserer Moral und die vielen Verurteilungen Russlands würden den Konflikt nicht beenden. "Niemand hat die Deutschen zu Richtern über die Völker gesetzt!" Er begrüßte ausdrücklich, dass durch die Wahlerfolge des BSW die Bundesländer in die Auseinandersetzung über die Beendigung des Krieges einbezogen würden. "Die Länder sind gefragt, ob sie im atomaren Feuer verbrennen wollen oder nicht."

Sahra Wagenknecht auf der Friedensdemo 3. Oktober 2024

Sahra Wagenknecht formulierte klar die Forderungen der Friedensbewegung. Es müsse ein Ende der Waffenlieferungen geben und Deutschland müsse endlich diplomatische Anstregungen zur Beendigung des Krieges unternehmen. Sie lehnte die Stationierung von Atomraketen in Deutschland ab, weil sich Deutschland damit zur Zielscheibe eines Gegenangriffes Russlands machen werde. Die Natostaaten repräsentierten nur ein Zehntel der Weltbevölkerung, seien aber für 60 % der weltweiten Ausgaben für Rüstung verantwortlich. Das sei 12 mal so viel, wie Russland ausgebe. Es sei eine Beleidigung der Intelligenz, wenn erzählt werde, man müsse noch weiter aufrüsten, um die Sicherheit zu gewährleisten. Wir brauchten das Geld für ganz andere Dinge des Lebens und nicht für den Tod und für Waffen. Auch im Krieg im Nahen Osten müsse endlich diplomatisch ein Ende des Krieges gesucht werden. Diejenigen, die von hoher moralischer Warte verbieten wollten, mit Putin zu reden, seien gleichzeitig diejenigen, die zu den 30.000 Toten in Gaza schwiegen.

Wagenknecht begrüßte es, dass sich mit den Reden des konservativen Peter Gauweiler und des Sozialdemokraten Ralf Stegner die politische Breite zeige. Auch viele konservative Menschen sähen ganz klar, in welchen Irrsinn uns diese Kriegspolitik führe. Die SPD von Scholz und Pistorius sei kein Teil der Friedensbewegung, aber es sei gut, dass es in der SPD auch Menschen gebe, die sich gegen die Eskalation des Krieges stemmten. [jdm/Fotos Maria Deters/Screenshots Welt/Weichreite TV]

Neoliberalismus ist Entwertung und Krieg

Das Sozialstaatsprinzip ist im Grundgesetz als Staatsziel verankert: Nach Artikel 20 und 28 des Grundgesetzes ist der deutsche Staat ein demokratischer und sozialer Bundes- und Rechtsstaat. Das bedeutet, dass sich der Gesetzgeber in der Bundesrepublik auch um soziale Gerechtigkeit und die soziale Sicherheit der Bürger kümmern muss.

Gar nicht gut finden das die Neoliberalen, die den Staat auf eine Institution zum Schutz des Privateigentums an Produktionsmitteln reduzieren wollen. Bekannte neoliberale Politiker sind Margret Thatcher oder Tony Blair, die den Sozialstaat in Großbritannien demontierten, oder Augusto Pinochet, der mit einer Militärdiktatur Chile seine neoliberale Ordnung aufdrückte. Derzeit ist Javier Milei in Argentinien dabei, sein Land an die US-Konzerne auszuliefern und jede soziale Sicherung im Land zu zerstören. Das sind die Extreme.

In Deutschland wird immer noch so getan, als ob der Sozialstaat nicht angekratzt würde, obwohl Gerhard Schröder 2002 schon die neoliberale Wende forcierte. Aber es wird nicht mit offenen Karten gespielt. Die Bahn wurde gezielt mit Streckenstilllegungen und Strukturveränderungen auf wenige profitable Teile reduziert, damit sie für die privatwirtschaftliche Übernahme sturmreif geschossen wird. Dieser Prozess wurde durch die Finanzkrise 2007 unterbrochen, aber derzeit mit der Trennung der Bahninfrastruktur, dem Verkauf von Schenker und dem geplanten Niedergang der DB Cargo wieder verstärkt. Mit dem neuen Postgesetz ist der Staat der Verantwortung für die Postinfrastruktur wieder ein Stück enthoben. Gesundheitsminister Karl Lauterbach verkauft die massenweise Schließung von Kliniken als Qualitätsverbesserung durch Zentralisation. Dabei geht es ihm nur darum, den privaten Krankenhauskonzernen Platz für ihre Ausbreitung durch Untergang der Konkurrenz durch öffentliche Kliniken zu schaffen.

Dass diese Camouflage funktioniert, zeigt sich daran, dass nicht einmal die Gewerkschaft Ver.di sich traut, die von Lauterbach vor sich hergetragene Absicht zu hinterfragen. Louisa Riepe von der NOZ-Chefredaktion musste sich in ihrer Kolumne angesichts der Krankenhausmisere in Osnabrück/Emsland mit dem Thema beschäftigen. Geschenkt, dass sie die offizielle Begründung (Qualitätsverbesserung) einfach schluckt: Zentralisation verbessert angeblich immer die Qualität, aber jeder macht privat ganz andere Erfahrungen.

Und dann kommt das Argument: “Und auch von dem Argument, Gesundheitsversorgung dürfe nicht an wirtschaftlichen Maßstäben gemessen werden, halte ich wenig. Anhand der Spieltheorie lässt sich leicht herleiten, dass Einzelne versucht sein könnten, mehr Leistungen in Anspruch zu nehmen als nötig, wenn sie unabhängig von den Kosten entscheiden könnten – was langfristig zu höheren Kosten für alle führen würde.“ Das ist nichts anderes, als der verklausulierte Grundsatz des Neoliberalismus „Der Markt regelt alles besser.“

Obwohl es jedem klar sein muss, dass ein Krankenhauswesen, das auf Marktmechanismen verwiesen wird, das machen wird, was am meisten Geld bringt. Keine Frau ist scharf auf eine Totaloperation – aber wenn diese OP viel Geld bringt, werden die Ärzte diese OP bei allen möglichen Anlässen empfehlen. Keiner möchte eine Rücken-OP, wenn eine konservative Behandlung sicherer anschlägt. Aber der Klinik bringt eine OP nun mal mehr Geld, als die Empfehlung für eine angepasste Physiotherapie.

In ihrem neuen Newsletter spricht sich Riepe gegen Subventionen im Kulturbereich aus. Sie hat nichts gegen Kultur – Gott bewahre! –„Auch der wirtschaftliche Effekt, der durch die Besuche entsteht, ist nicht zu verachten. Insbesondere Gastronomie und Hotellerie profitieren, wenn Gäste von außerhalb angezogen werden.“ Hier formuliert sie den nächsten neoliberalen Glaubenssatz: Alles ist nur etwas wert, wenn es den Geschäften (dem Markt) dient.

Um mit ihrem Plädoyer anzukommen, werden bei ihr aus Subventionen für  die Kultur „kommunale Zuschüsse in Freizeiteinrichtungen“. Und seine Freizeitgestaltung soll bitte schön jeder selbst bezahlen.

Dass kulturelle Einrichtungen in der Regel – vor allem, wenn sie auch noch die Menschen vor Ort miteinbeziehen - nicht profitabel sind, ist allgemein bekannt. Die VHS, die öffentlichen Büchereien, kleine Theater, Jugendzentren, Pflege der plattdeutschen Sprache und vieles mehr sind auf kommunale Unterstützung angewiesen.

Neoliberale Haltungen schleichen sich mit rational klingenden Scheinargumenten in unser Leben. Doch sie wollen alles, was nicht profitabel ist, aber die Menschen in ihrem sozialen und kulturellen Erleben brauchen, vernichten und durch profitable Formen, sprich kommerzielle Formen ersetzen. Dass in einer solchen Gesellschaft, in der nur der Profit zählt und nur der wahr genommen wird, der Profit bringt, der soziale Zusammenhalt schwindet, dürfte nachvollziehbar sein. Die Entwertung der sozialen und menschlichen Werte durch die Anbetung des Marktes hat zur Folge, dass Menschen sich dieses Weltbild vollkommen zu eigen machen und in ihrem Weltbild alles „Unwerte“ ausmerzen wollen. Das rechte Weltbild der AFD unterscheidet sich dann nicht mehr wirklich von dem „zivilisierten“ Weltbild der bürgerlichen Mitte. Es geht dann nur mehr um die Formen und um Geschmacksache.

Wer menschliches Leben, z. B. von Migranten, behinderten Menschen, Arbeitslosen, Obdachlosen, Alten, sofern sie nicht reich sind, was selten der Fall ist, als unprofitabel betrachtet und ausgrenzen möchte, findet auch nichts mehr dabei, das Geld, das für den sozialen und kulturellen Bereich benötigt wird, in Waffen und allgemein Aufrüstung zu investieren. Zumal die Waffenherstellung und deren Verwendung zwar vollkommen sinnlos sind, aber den Rüstungskonzernen fabelhafte Gewinne bringen. Und bezahlt wird die Rüstung ausschließlich durch die Steuerzahler – das sind vor allem die Arbeiter und Angestellten.

Und damit sind die neoliberalen Anbeter des Marktes auch tatsächlich diejenigen, die jeden Krieg in der Welt befürworten, der ihren Markt erweitert. [jdm]

Am nächsten Sonntag: DIZ zeigt Film über Wehrmachtsdeserteur, die Gedenkstätte Esterwegen stellt Graphic Novel vor

Am 29.09.2024 findet um 16 Uhr eine Veranstaltung des Dokumentations- und Informationszentrums (DIZ) Emslandlager e.V. in Papenburg statt und um 15 Uhr eine Veranstaltung der Gedenkstätte Esterwegen in Esterwegen. Soll man das jetzt für eine belebende Vielfalt oder für eine Vergeudung von Ressourcen durch Konkurrenz halten?

Das DIZ zeigt den Film „Die Liebe zum Leben (2023) von Annette Ortlieb über den Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann um 16 Uhr im Kino Papenburg, Hauptkanal rechts 27. Das Programm sieht eine Begrüßung durch den Ersten Vorsitzenden des Aktionskomitees Prof. Dr. Habbo Knoch, ein Grußwort der Bürgermeisterin der Stadt Papenburg Vanessa Gattung, die Vorstellung der Sammlung des DIZ durch Joscha Hollmann/Tessa Hesener und nach einer kleinen Pause schließlich um 17.00 Uhr eine Einführung in den Film durch Annette Ortlieb und Kurt Buck und die Vorführung des Films vor. Die Veranstaltung bildet zugleich den Abschluss eines Treffens von Angehörigen ehemaliger Häftlinge der Emslandlager, das von Freitag, dem 27. bis zum Sonntag, dem 29. September, in Papenburg stattfindet.

Die Eintrittskarten kosten jeweils 5 Euro. Karten können per E-Mail bis zum 25. September beim DIZ vorbestellt werden: mail@diz-emslandlager.de.

Das Gutachten von Jennifer daniel

Die Gedenkstätte Esterwegen lädt im Rahmen des Literaturfestivals der Emsländischen Landschaft e. V. für die Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim um 15 Uhr zur Vorstellung der Graphic Novel „Das Gutachtenvon Jennifer Daniel ein. Musikalisch begleitet und moderiert Matthias Wieland.

Der Comic ist eine packende Kriminalgeschichte, die zugleich einen tiefgehenden Einblick in die westdeutsche Gesellschaft der 1970er Jahre gewährt. Im Sommer 1977 ereignet sich auf einer Landstraße kurz hinter Bonn ein Autounfall, der bei der ungewöhnlichen Hauptfigur einiges auslöst. Eine junge RAF-Sympathisantin stirbt in ihrem Wagen, vom Unfallverursacher fehlt jede Spur. Herr Martin, ein älterer Angestellter der Bonner Rechtsmedizin, wird aus persönlichen Gründen von diesem Fall in den Bann gezogen und beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln. Seine Nachforschungen führen ihn nicht nur auf die Spur des Unfallverursachers, sondern decken auch seine eigene mühsam verdrängte Geschichte auf. Jennifer Daniel ist eine der bemerkenswertesten deutschen Comiczeichnerinnen. Ihre Graphic Novel vermittelt einen ganz neuen Blick auf unsere Geschichte.

Eintritt: 6 €, ermäßigt 4 €. Karten sind online und auch vor Ort in der Gedenkstätte erhältlich. [jdm]

Nachbarschaftliche Hilfe? Hetze gegen Migranten zeigt Wirkung

Einstürzende Brücken, marode Schulen, bankrotte Kliniken, eine marode Infrastruktur, zu wenig Wohnungen und zu hohe Mieten, eine marode, nicht funktionierende Bahn oder die mit der Aufrüstung verbundene Kriegsgefahr und De-Industrialisierung sind – wenn man Zeitung liest oder die Tagesschau verfolgt – dem Anschein nach kein Problem. Das Problem sind offensichtlich nur die Menschen, die vor den Kriegen, die der politische Westen entfacht hat, flüchten: die Migranten.

Dass die SPD/FDP/Grüne/CDU/CSU mittlerweile fast alle migrantenfeindlichen Positionen der AFD übernommen hat spielt trotz der ganzen Demonstrationen, zu denen genau diese Parteien nach dem Bericht über das Treffen der Rechtsextremen in Potsdam aufgerufen hatten, keine Rolle.

Und diese erbarmungslose Hetze gegen Migranten, z. B. eines Friedrich Merz, zeigt dann auch ganz konkrete Resultate im Verhalten gegenüber den Flüchtlingen. Ich betreue einen in Papenburg lebenden psychisch erkrankten Mann aus Guinea. Er lebt in einer Einzelwohnung und kann sich mit niemandem einen Internetanschluss teilen. Für die Kontaktpflege ist auch für ihn das Internet extrem wichtig. Er lebt von den Asylbewerberleistungen und kann sich deshalb keinen eigenen Internetvertrag leisten.

Wie auch bei anderen Menschen bat ich die Nachbarin, die mir mit einem kläffenden Hund auf dem Arm misstrauisch öffnete, ihm doch gegen einen Obolus von 10 € einen Gastzugang zu ihrem W-LAN zur Verfügung zu stellen. Dass Menschen Angst haben, damit liefen sie Gefahr, dass ihre privaten Angelegenheiten gehackt werden könnten oder dass sie für Kosten des W-LAN-Mitbenutzers haften müssen, ist normal. Diese Nachbarin hatte aber einen ganz anderen Grund, den Zugang zu verweigern. „Da bin ich prinzipiell dagegen. Wieso kann er sich das Internet nicht leisten. Die Asylbewerber kriegen doch mehr Geld vom Staat, als alle anderen!“

Ich frage, wo sie das denn her hat. Auf dem Konto meines Betreuten spiegelt sich das nicht wider. Der Regelsatz, von dem alles (Lebensmittel, Bekleidung, Strom, Handy, Reparaturen, usw.) außer Miete bezahlt werden muss, für einen allein stehenden Asylbewerber beträgt 460 €, ein allein stehender Bürgergeldempfänger hat einen Regelsatz von 563 Euro. Die Gegenfrage der Nachbarin: „Und woher haben die dann alle die schicken Autos? Und wir fahren mit einer alten Kiste.“ Mir sind unsere afrikanischen Mitbürger bisher nur dadurch aufgefallen, dass sie E-Roller benutzen.

Ich klingelte dann an der Tür des Hauses auf der anderen Seite. Hier öffnete eine Spanierin, die mein Anliegen freundlich, aber verständnislos anhörte, bis sie ihre Tochter herrief, die dann übersetzte. Nach Klärung der technischen Details, sagte sie, klar, das könne sie machen und sie stellte dann gleich auf dem Handy meines Betreuten die W-LAN-Verbindung her. Er solle erst mal probieren, ob der Empfang auch klappt, dann könne man weiter sehen. Ich hinterließ meine Handynummer und verabschiedete mich dankend. Und war froh, dass die Sprachbarriere diese Frau daran hindert, von deutschen Medien und deutschen Presseerzeugnissen darauf geeicht zu werden, dass ihr hilfebedürftiger Nachbar das größte Problem in Deutschland darstellt. [jdm]

Bayerns Verfassungsschutz im Einsatz gegen Pressefreiheit – Kritik von der FDP

Der bayrische Inlandsgeheimdienst BayLfV, Verfassungsschutz genannt, veröffentlichte eine Studie über eine nach eigener Einschätzung „großangelegte russische Desinformationskampagne `Doppelgänger’“.

Dabei geht es darum, dass mutmaßlich russische Akteure vom Mai 2023 bis Juli 2024 täuschend ähnliche Seiten von verschiedenen Online-Auftritten, z. B. des Spiegel oder der Süddeutschen Zeitung hergestellt hätten – die so genannten „Doppelgänger“. Damit sollten User auf gefälschte Artikel oder echte Seiten gelenkt werden, mit dem Ziel, durch die Verbreitung bewusster Falschinformation und pro-russischer Narrative in westlichen Gesellschaften Zweifel an liberalen demokratischen Werten zu säen.

Über die betreffende Infrastruktur seien knapp 8.000 Einzelkampagnen über mehr als 700 Zielwebseiten verteilt worden. Im für das BayLfV sichtbaren Zeitraum wurden hiermit 828.842 User erreicht – es wurden also in 14 Monaten 828.842 Klicks auf Links zu dubiosen Seiten, aber auch auf normale Internetauftritte von Zeitungen generiert.

Ui! Da staunen wir aber! Nur zum Vergleich: Von Januar 2024 bis heute (am 12.09.2024) haben 394.745 User auf Hallo-Wippingen.de zugegriffen (2023: 501.422) und dabei 9.287.905 Klicks (2023: 11.978.323) produziert. Was der bayrische Verfassungsschutz da entdeckt hat, sind also rein mengenmäßig Peanuts. Warum machen die dann einen solchen Wind um die Sache?

Die Artikel auf tatsächlich existierenden Zeitungsseiten und Blogs, auf die verlinkt wurde, werden im Bericht einzeln aufgelistet, weil es „nahe liegend (ist), dass die betreffenden Inhalte aus Sicht des Akteurs das russische Narrativ unterstützen bzw. dass die Verbreitung entsprechender Inhalte anderweitig im Interesse des Akteurs liegt.“

Einschränkend heißt es zwar: „Hierzu wurden manche der Artikel gezielt aus ihrem Kontext gerissen. Das BayLfV unterstellt explizit nicht, dass die Verantwortlichen der hier aufgelisteten Webseiten russische Propaganda verbreiten oder in Kenntnis darüber sind bzw.es gutheißen, dass ihre Inhalte im Rahmen der „Doppelgänger“-Kampagne weiterverbreitet werden. Ferner nimmt das BayLfV keinerlei Wertung der Inhalte der betreffenden Webseiten vor.“ Aber gleichzeitig geht es in dem ganzen Bericht darum, dass hier ja gezielt „Desinformation“ betrieben werde.

Der Verfassungsschutz maßt sich an, Presseartikel zu bewerten. In der Pressemitteilung des Verfassungsschutzes wird z. B. die Einschätzung, die Unterstützung der Ukraine werde durch Einsparungen bei Schulen und Krankenhäusern finanziert, als „Falschmitteilung“ qualifiziert. Dieser Meinung kann man doch sein, wenn man den Bundeshaushalt sieht, der durch die immensen Rüstungsausgaben und Militärhilfen an die Ukraine in allen Bereichen Kürzungen erfährt. Man muss nicht dieser Meinung sein, aber der Verfassungsschutz hat diese Meinung nicht zu bewerten und als „Nachrichten passend zum russischen Narrativ“ zu denunzieren.

Wolfgang Kubicki (FDP) hält laut NZZ das Vorgehen der Behörde nicht nur „für unangemessen, sondern für schlicht rechtswidrig“. Die Abgeordnete Sevim Dagdelen (BSW) spricht von einem Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit“. Mehrere der betroffenen Medien wollen gerichtlich gegen den Verfassungsschutzbericht vorgehen. Denn die Nennung von Medien in Verfassungsschutzberichten können schwerwiegende wirtschaftliche Folgen haben. Im Vorgehen gegen die linke Tageszeitung „Junge Welt“ ist dies schon länger ein gezieltes Vorgehen des Geheimdienstes.

Nur die Grünen sind selbstverständlich entsprechend ihres simplen Weltbildes der Meinung, dass der Verfassungsschutz deutsche Medien in gut und böse einteilen sollte. Der Vorsitzende der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe, Robin Wagener (Bündnis 90/Die Grünen), verwies im Deutschlandfunk auf eine »Aufzählung des bayerischen Verfassungsschutzes«, um sowohl dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) als auch der AfD (beide in einem Atemzug zusammen zu nennen, ist auch eine Methode der Desinformation) zu unterstellen, durch das Verbreiten »russischer Propaganda« den Interessen Moskaus in die Hände zu spielen und »bei uns zu destabilisieren«.[jdm]