Kriegsdienstverweigerung aktiv unterstützen, in Russland, Weißrussland und in der Ukraine!

Zur Petion zur Kriegsdienstverweigerung im Ukrainekonflikt

Eine mehrsprachige Petition (ukrainisch, Russisch, englisch und deutsch) fordert von Politiker*innen der EU und der Bundesregierung, die Öffnung der Grenzen und den Schutz und Asyl für Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine.

Alle drei Staaten haben das Recht auf Kriegsdienstverweigerung stark eingeschränkt und verstoßen somit gegen internationales Recht. Männer und Frauen in Russland, Weißrussland und in der Ukraine müssten die Möglichkeit haben, den Dienst an der Waffe und somit das Töten anderer Menschen verweigern zu dürfen, ohne dafür sanktioniert zu werden.

Besonders in der von den westlichen Staaten unterstützten Ukraine, aber auch in Russland und Weißrussland erwarten wir die Umsetzung dieses Rechtes. Ebenso erwarten wir die Unterstützung der EU und Deutschland für Kriegsverweigerer aus der Ukraine, Russland und Belarus.

Mehr Infos und die Möglichkeit zur Unterstützung der Petition finden Sie auf www.change.org. [jdm]

Ideen für ein Haus der Erinnerungen

Das Aktionskomitee hat in einer Ideenskizze erste Gedanken zu dem von ihm vorgeschlagenen „Haus der Erinnerungen“ öffentlich gemacht. Dieses Haus der Erinnerungen könnte idealerweise in Kooperation mit der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen in Esterwegen realisiert werden.

Bei diesem Konzept geht es darum, einen angemessenen Umgang mit der vorhandenen Fülle der seit 1933 entstandenen Selbst- und Lebenszeugnisse zu den Häftlingen und Gefangenen der Emslandlager zu finden.

Bisher dient dieses Material vor allem dazu, einen Platz als Exponat in der Dauerausstellung zu finden. Es könnte aber noch erweitert werden und auf andere Weisen erschlossen werden.

Gedenkbuch in der KZ-Gedenkstätte Dachau
Schniers‘ Eintrag im „Gedenkbuch für die Toten des Konzentrationslagers Dachau“ im Gedenkraum der KZ-Gedenkstätte Dachau

Man stelle sich als Wippinger den Umgang mit dem Nachlass des in Dachau verstorbenen Heinrich Schniers vor. In Dachau erfährt man im ausgestellten „Gedenkbuch für die Toten des Konzentrationslagers Dachau“ im Gedenkraum der KZ-Gedenkstätte Dachau die Lebensdaten des dort ermordeten Pfarrers. Aber warum die Nazis ihn dort internierten, wie er dies verkraftet hat bzw. wie es ihn zerbrochen hat oder wie sein Tod auf seine Gemeindemitglieder in Leer und auf die Menschen und Verwandten in seinem Herkunftsort Wippingen gewirkt hat, erfährt man nicht. Schniers wurde als Pfarrer nach dem Krieg sofort als Opfer der Nazis anerkannt. Aber viele überlebende KZ-Insassen wurden nach der Befreiung von der Naziherrschaft noch als Kriminelle stigmatisiert oder wurden wie im Fall der kommunistischen Gefangenen oder im Fall der homosexuellen Naziopfer weiterhin vom jetzt demokratischen Staat verfolgt.

Den Lebensweg von Schniers haben seine beiden Kirchengemeinden in Leer und Lingen schriftlich festgehalten und gelegentlich in Veranstaltungen, Flyern und Ausstellungen den Menschen nahe gebracht. Schniers ist insofern eine Ausnahme.

Für die vielen Opfer der Emslandlager könnte das Haus der Erinnerungen Ähnliches leisten und eigene Vermittlungsformen wie Wechsel- und Wanderausstellungen, Veranstaltungen, Publikationen, Bildungsmaterialien und digitale Anwendungen entwickeln.

Das Aktionskomitee stellt sich das Haus als einen lebendigen, kommunikativen Raum des entdeckenden, vertiefenden Lernens, der Begegnung und des Austauschs vor, der die Begegnung mit Überlebenden und den Angehörigen der Verfolgten ermöglicht.

Die in der Sammlung befindlichen Quellen und Objekte dokumentieren dabei auch, wie von den Verfolgten ihr Schicksal bereits von 1933 an erinnert worden ist – im Lager, im Geheimen oder im Exil (wie Wolfgang Langhoffs „Die Moorsoldaten“), gegen das Beschweigen in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik (etwa mit dem ersten „Moorsoldatentreffen“ 1956) oder als Bestandteil der Arbeit des DIZ durch den intensiven Austausch mit ehemaligen Häftlingen und Gefangenen und bei zahlreichen persönlichen Begegnungen. Mit der Sammlung Volker Schröder gehört nach Angaben des Aktionskomitees neuerdings ein umfassendes Medienarchiv zahlreicher Gespräche und Besuche von Überlebenden und Angehörigen seit den 1990er Jahren zur Sammlung des DIZ. Viele künstlerische und andere Zeugnisse der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Emslandlager, die nicht von Verfolgten stammen, ergänzen die Bestände des DIZ.

Die Gedenkstätte Esterwegen ermöglicht derzeit mit der Dauerausstellung und dem Angebot an Veranstaltungen eher einen musealen Zugang zum Thema und weniger zu den Opfern selbst.

Im Konzept heißt es: Angesichts des Verlustes der Stimmen der Zeitzeugen bietet ein „Haus der Erinnerungen“, das sich die Begegnung mit den bereits seit 1933 entstandenen Selbstzeugnissen der Verfolgten zu seiner Kernaufgabe macht, eine herausragende Chance, die Erinnerung an die Verfolgten in herausgehobener und einzigartiger Weise wach zu halten und sichtbar zu machen sowie die Kontakte zu ihren Angehörigen und deren Erinnerungen zu pflegen. In einer solchen Institution würde nicht nur ihr Gedächtnis dauerhaft bewahrt, sondern Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Erinnerung in ihren politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen vermittelt, diskutiert und reflektiert werden. Das „Haus der Erinnerungen“ soll ein Ort gelebter Demokratie werden, der bewusst macht, woher sie kommt, was sie trägt und wodurch sie gefährdet wird. [jdm]

Trump: Ziel der Kampagne der Natostaaten gegen Venezuela war es, dessen Öl einfach zu „nehmen“

Rede Trumps zum venezolanischen Öl

Erinnern Sie sich noch daran, dass die USA (mit der deutschen Regierung im Schlepptau) zeitweise den selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó als wahren Präsidenten Venezuelas anerkannten und der Regierung Venezuelas die Anerkennung verweigerten? Erinnern Sie sich noch daran, dass die USA Venezuelas in den USA gelagerte Devisenreserven beschlagnahmten? Erinnern Sie sich noch daran, dass die deutsche Regierung mit ihrem bis dahin dümmsten Außenminister aller Zeiten Heiko Maas den Möchtegern-Putschisten Guaidó unterstützte? Wissen Sie noch warum? Wegen der Demokratie natürlich!

Amerika21.de berichtet jetzt, dass der ehemalige US-Präsident Donald Trump mit Äußerungen zu Venezuela für internationalen Aufruhr gesorgt hat, weil er verriet, dass es tatsächlich nur um die Übernahme der Ölindustrie Venezuelas durch die USA ging. Bei einer Veranstaltung in Greensboro im Bundesstaat North Carolina ereiferte Trump sich darüber, dass die USA unter gewissen Bedingungen Ölfirmen erlauben, ihre Tätigkeiten in Venezuela wieder aufzunehmen.

"Jetzt kaufen wir Öl von Venezuela! Als ich ging, stand Venezuela vor dem Kollaps, wir hätten es übernehmen können. Wir hätten uns all das Erdöl nehmen können, es liegt gleich nebenan. Aber jetzt kaufen wir Venezuela Öl ab und machen einen Diktator reich. Können Sie sich das vorstellen? Niemand kann sich das vorstellen", sagte Trump. Er hatte während seiner Präsidentschaft die völkerrechtswidrigen Wirtschaftssanktionen gegen Venezuela und dessen Ölindustrie stark ausgeweitet. Dazu gehörten Sanktionen gegen das staatliche Erdölunternehmen Petróleos de Venezuela (PDVSA), Drohungen mit militärischen Maßnahmen und die finanzielle Unterstützung für Guaidós "Übergangsregierung".

Der venezolanische Außenminister Yván Gil kommentierte: "Trump gibt zu, dass es seine Absicht war, das venezolanische Öl zu stehlen. All der Schaden, den die USA mit der Unterstützung ihrer Lakaien hier unserem Volk zugefügt haben, hatte ein einziges Ziel: unsere Ressourcen zu stehlen!"

"Trump nimmt 60 Satellitenländern, der internationalen Propaganda und allen Politikern und Intellektuellen, die eine Marionette unterstützt haben, um Venezuela zu regieren, die Maske ab. Das einzige Ziel war es, das Öl des venezolanischen Volkes zu plündern. Was für eine Schande! Hier ist das Geständnis des Verbrechers:", kommentierte der venezolanische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Samuel Moncada.

Der ehemalige Präsident Boliviens, Evo Morales, sagte laut Amerika21.de, dass Trump seinerzeit mit einer "militärischen Option" für Venezuela gedroht hatte. Die USA führten weltweit Operationen im Namen von Freiheit und Demokratie durch, die nur dazu dienten, "die natürlichen Ressourcen der freien Völker zu rauben".

Ecuadors Ex-Präsident Rafael Correa schrieb auf Twitter:“ Unglaublich! Die haben nicht einmal Manieren. Trump gesteht, dass das Ziel des Zusammenbruchs Venezuelas darin bestand, das Öl des Landes zu übernehmen. Ich hoffe, die nützlichen Idioten verstehen das.“ Mit den nützlichen Idioten dürfte er die westeuropäischen Staaten mit ihrer „wertegeleiteten“ Politik meinen. [jdm]

DIZ sieht bundesweite Unterstützung – Stiftung Gedenkstätte pocht einfach auf Hausrecht, statt mit DIZ zu sprechen

Prof. Dr. Habbo Knoch

Die gegen das Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandlager ausgesprochene Kündigung der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen hat für große Empörung gesorgt und eine breite Welle der Unterstützung ausgelöst. Neben zahlreichen regionalen  und  niedersächsischen  Medien  haben  unter  anderem  auch  die  „Süddeutsche Zeitung“, die „Welt“ und der „Stern“ berichtet und dabei unter anderem die Stellungnahme der „Interessengemeinschaft niedersächsischer Gedenkstätten“ zitiert, die die Kündigung als „Schlag ins Gesicht des zivilgesellschaftlichen Engagements für die Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen“ bezeichnet hat.

Innerhalb weniger Tage haben nach Angaben des Vorsitzenden des Aktionskomitees für ein DIZ Emslandlager, Prof. Dr. Habbo Knoch, weit mehr als 700 Angehörige von Verfolgten, zahlreiche Opferverbände und Organisationen, Abgeordnete der Kreis-, Landes- und Bundesebene sowie ein breites, bundesweites und internationales Spektrum an Einzelpersonen aus vielen gesellschaftlichen Bereichen, von Gedenkstätten und Erinnerungskultur, aus der Wissenschaft und der Kulturarbeit den Unterstützungsaufruf des Aktionskomitees für ein DIZ Emslandlager e.V. unterzeichnet. „Die Unterstützung ist überwältigend und eindeutig: Das DIZ muss erhalten bleiben!“, so Prof. Dr. Habbo Knoch. Die Zustimmung zu dem Aufruf reiche damit weit über die mehr als 300 Mitglieder des Vereins hinaus, die zunächst angeschrieben worden seien.

Viele Unterstützer:innen äußerten nach Angaben Knochs ihr Entsetzen darüber, wie die vom Landkreis getragene Stiftung Gedenkstätte Esterwegen mit dem DIZ als einer jahrzehntelang auf höchstem professionellen Niveau arbeitenden Einrichtung umgeht. Die umfangreiche und singuläre Sammlung des DIZ und seine jahrzehntelange Arbeit verkörpere beispielhaft das kulturelle Gedächtnis der Verfolgten.

Zahlreiche Stellungnahmen zeugen von einer tiefen Besorgnis, was das Vorgehen der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen für die Erinnerungskultur der Bundesrepublik bedeuten könnte, wenn aktive Einrichtungen wie das DIZ auf eine solche Weise aus der Arbeit von Gedenkstätten verdrängt werden.

Trotz dieser Wortmeldungen haben sich die Vertreter der Stiftung bisher noch nicht einmal zur Wiederaufnahme von Gesprächen bereit gezeigt. „Die Stiftung pocht weiterhin einfach auf ihr Hausrecht“, so Knoch, „statt konstruktiv und inhaltlich über eine gemeinsame Ausgestaltung der Arbeit der Gedenkstätte zu sprechen.“ 

Das  Aktionskomitee  habe wiederholt seine Gesprächsbereitschaft signalisiert. Es könne jetzt nicht allein um die Rücknahme der Kündigung gehen. „Die am Vermächtnis der Verfolgten und ihren Erinnerungen orientierten Werte und Ziele von DIZ und Verein müssen dauerhaft, verlässlich und substantiell in der Gedenkstätte verankert bleiben.“

Dr.  Elke Gryglewski, die Geschäftsführerin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten (Celle), habe mit dem „Haus der Erinnerungen“ bereits eine Idee auf den Tisch gebracht. Das Aktionskomitee begrüße diese Idee ausdrücklich. Mit dieser Ergänzung der Gedenkstätte Esterwegen könnte die Kooperation zwischen Stiftung und Aktionskomitee weiterentwickelt und auf eine neue Stufe gehoben werden. „In einem solchen internationalen ‚Haus der Erinnerungen‘, das die Stiftung Gedenkstätte Esterwegen und das Aktionskomitee DIZ Emslandlager e.V. in gemeinsamer Trägerschaft verantworteten, sollten Zeugnisse des Erinnerns von 1933 bis in die Gegenwart gesammelt und für Bildung und Forschung zugänglich gemacht werden, um die Lagererfahrungen von Häftlingen und Gefangenen, ihre Lebensgeschichten und die Entwicklung des Erinnerns selbst als Akt der Selbstbehauptung zu dokumentieren und aktiv zu erschließen.“

Das Aktionskomitee würde als Ko-Träger seine Sammlung, Kontakte und Expertise einbringen. Weitere Landes- und Bundesmittel dafür zu gewinnen, sei für ein solches bundesweit einzigartiges Projekt überaus realistisch. Aber auch hier weigere sich die Stiftung bisher, in Gespräche einzutreten.

Es sei nun am Landrat, eine solche Chance nicht zu vertun und auf den Verein zuzugehen, die Kündigung zurückzunehmen und für eine wieder belastbare Vertrauensgrundlage durch ein eindeutiges Bekenntnis zu einer institutionellen Mitverantwortung des bürgerschaftlich getragenen DIZ für die Gedenkstätte Esterwegen zu sorgen.

In einer Richtigstellung geht das Aktionskomitee auf die Pressemitteilung des Landkreises vom 07.06.2023 ein.

Es treffe nicht zu, dass das DIZ nach seinem Wechsel in die Gedenkstätte 2011 „vorerst“ und lediglich die „pädagogische Betreuung der Besuchenden“ übernommen habe. Vielmehr habe das DIZ laut Kooperationsvereinbarung und faktisch in umfassender Weise die inhaltlichen Aufgaben der Gedenkstätte mit seinem eigenen Personal, wahrgenommen.

Es treffe nicht zu, dass dem DIZ „weiterhin ein Arbeitsplatz zur Verfügung“ stehen werde. Die dem Verein bisher angebotenen Alternativen in Bibliothek oder Archiv würden den Erfordernissen eines eigenen Büros weder in arbeitsrechtlicher noch fachlicher Sicht gerecht. Im Klartext: Es gehe nicht um die „Kündigung eines Raumes“, wie Hermann Vinke und Gerhard  Kromschröder in ihrer Stellungnahme geschrieben hätten, sondern um das letzte verbliebene Büro des DIZ in der Gedenkstätte.

Es sei für den Verein vollkommen unklar, ob und wie zukünftig und dauerhaft der „volle Zugang zur Sammlung des Vereins“ und der „sonstigen Infrastruktur“ gewährleistet werden solle.

Es treffe nicht zu, dass die Auflösung des Dokumentations- und Informationszentrums (DIZ) Emslandlager als eigenständiger und unabhängiger Institution in der Gedenkstätte „zu keinem Zeitpunkt gefordert“ worden sei. Vielmehr sei dies seitens des Stiftungsvorstands und  der  Geschäftsführung wiederholt schriftlich und mündlich als Voraussetzung für weitere Gespräche gefordert worden.

Das DIZ und der Verein hätten nie die Vorstellung gehabt, „in der Gedenkstätte autonom walten und schalten“ zu wollen. Der Verein habe seit 2011 die Trägerschaft der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen anerkannt und immer betont, dass er seine Aufgaben vor Ort in enger Abstimmung mit der Stiftung durchführen wolle. Der Verein habe mit dem DIZ bis heute dafür gesorgt, dass Fördermittel des Landes Niedersachsen und Eigenmittel des Vereins in die Gedenkstätte flossen, die die Unterstützungsleistungen des Landkreises für das DIZ überstiegen. [jdm]

Betreuungsrecht: Justizministerkonferenz senkt Anforderungen an Ehrenamtliche – Sollen Betreuungsbedürftige allein gelassen werden?

Menschen, die sich aufgrund einer psychischen Erkrankung, einer geistigen Behinderung oder Demenz und in seltenen Fällen aufgrund starker körperlicher Behinderung nicht um ihre rechtlichen oder finanziellen Angelegenheiten kümmern können, können vom Amtsgericht einen gesetzlichen Betreuer an die Hand bekommen, der sich um diese Dinge stellvertretend kümmern kann.

Es wird dabei zwischen ehrenamtlichen und BerufsbetreuerInnen unterschieden. Ehrenamtliche BetreuerInnen sind zumeist Angehörige, wie die Eltern, Geschwister oder Kinder. Manchmal sind das aber auch Bekannte, Nachbarn oder weitläufig verwandte Personen. Bei Berufsbetreuern gibt es genaue Regeln über die Kontrolle ihrer Tätigkeit durch das Amtsgericht. Im Anfang des Jahres in Kraft getretenen neuen Betreuungsgesetz sind die Mindestanforderungen an BerufsbetreuerInnen festgelegt worden. Von ehrenamtlichen BetreuerInnen werden die Mindestqualifikationen nicht gefordert, wohl aber der Nachweis eines Führungszeugnisses und einer Auskunft aus dem Schuldnerverzeichnis. Damit sollte verhindert werden, dass ehrenamtliche BetreuerInnen in die Versuchung einer Veruntreuung von anvertrauten Geldern kommen.

Auf der Justizministerkonferenz in der vergangenen Woche wurde beschlossen, dass ehrenamtliche BetreuerInnen zukünftig davon entbunden werden, sich um die Vorlage eines Führungszeugnisses und einer Auskunft aus dem Schuldnerverzeichnis zu kümmern; auch deshalb, weil einige ehrenamtliche Betreuer nicht über einen Online-Zugang verfügten.

„Die Minister müssen sich schon die Frage gefallen lassen, wie eine rechtliche Betreuung im 21. Jahrhundert ohne Zugang zum Internet geführt werden soll. Solche Begründungen lassen ernsthafte Zweifel an der Eignung einiger ehrenamtlicher Betreuer aufkommen und schaden der Qualität in der rechtlichen Betreuung. Die Kluft zwischen professioneller Betreuung und ehrenamtlicher Betreuung wird dadurch unnötig weiter vertieft.“ kritisierte Walter Klitschka, der Vorsitzende des Bundesverbandes freier Berufsbetreuer (BVfB), den aus seiner Sicht kontraproduktiven Beschluss.

Klitschka kritisiert darüber hinaus, dass es im gesamten Betreuungswesen nur um die betreuten Menschen, das Ehrenamt und die Betreuungsvereine geht. Freiberufler, die das Rückgrat der gesetzlichen Betreuung bilden, würden in der Politik weitestgehend ignoriert. Die Justizminister der Länder seien auf ihrem Treffen in Berlin in der vergangenen Woche einmal mehr den finanziellen Problemen freiberuflich tätiger Betreuer aus dem Weg gegangen, indem sie sich mit dem vom Kasseler Forum verbändeübergreifend dringend geforderten Inflationsausgleich nicht befasst haben.

Die Vergütung der Berufsbetreuer wird äußerst ungewöhnlich festgelegt. Im Betreuungsgesetz stehen im Gesetz feste Beträge, die nicht einer dynamischen Angleichungsregelung unterliegen. Um eine Anpassung der Vergütung durchzuführen, müssen der Bundestag und die Mehrheit der Landesregierungen einer solchen Anpassung zustimmen. Weil es sich nicht um eine parteipolitisch umstrittene Frage handelt, läuft es auf das Erfordernis einer Zustimmung aller Länder hinaus. Bei der letzten Anpassung der Vergütung haben die Justizminister 15 Jahre dafür gebraucht.

Laut BVfB stoße der Appell der JuMiKo, der Bundesjustizminister solle die Zulassung rechtsgeschäftlichen Handelns bei geschäftsunfähigen Volljährigen prüfen, auf erhebliche Irritationen im Vorstand des BVfB. Aus dem Beschluss ergebe sich nicht, welche Möglichkeiten die Justizminister genau in Betracht zögen. Es sei jedoch erstaunlich, dass trotz Geschäftsunfähigkeit Menschen danach offenbar die rechtlichen Konsequenzen tragen und die Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen können sollten. Ließe sich mit einer ähnlichen These nicht auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit schuldunfähiger behinderter Menschen einfordern? [jdm]

Admiral Nelson und Selbstorganisation

Schalke 04 ist abgestiegen, Borussia Dortmund hat die Meisterschaft vor Augen im letzten Spiel versagt, und Bochum hat den Klassenerhalt geschafft. Was im Einzelnen die Ursachen waren, darüber wird gerade  im Ruhrgebiet leidenschaftlich diskutiert. Es wird keine schlüssige Antworten geben. Einen Zugang zu möglichen Ursachen liefert die Systemtheorie. 

Ulrich Scholz versucht in seinem neuesten Blog-Beitrag an Beispielen zu erklären, wie Selbstorganisation als wichtiger Teil der Systemtheorie über Erfolg und Misserfolg in unserer Gesellschaft anwendbar ist. [jdm]

§ 129 StGB – Gummiparagraf ist Waffe gegen Opposition in Deutschland

Die so genannten Klimakleber stören den Verkehr, beschädigen vielleicht Gegenstände und öffentliche Einrichtungen. Man mag diese Aktionen als richtig oder als falsch einschätzen; letztlich sind dies aber harmlose Aktionen, die auf ein politisches Problem aufmerksam machen wollen. Das sieht auch der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, so.

Der § 129 StGB ist derzeit das Instrument der Strafverfolgungsbehörden, um missliebige Proteste zu kriminalisieren. Nur wenn den Aktivisten einfach unterstellt wird, sie bildeten eine kriminelle Vereinigung, um „Straftaten“ zu begehen, können Protestaktionen blitzschnell in mit Gefängnis zu bestrafende Taten verwandelt werden. Dann muss den AktionsteilnehmerInnen auch nicht mehr nachgewiesen werden, was sie konkret Verbotenes getan haben; es reicht, ihnen die Mitgliedschaft in der besagten „kriminellen“ Vereinigung zu unterstellen, um sie mit bis zu drei Jahren Gefängnis für ihre politischen Aktionen zu bestrafen.

Auf Veranlassung der Generalstaatsanwaltschaft München durchsuchten Beamte bei einer bundesweiten Razzia Objekte in sieben Bundesländern. Es geht unter anderem um den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung durch Klimaaktivisten von der Letzten Generation.

Rund 170 Beamte durchsuchten letzte Woche 15 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern. Der Tatvorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Ermittelt wird gegen sieben Beschuldigte, die zwischen 22 und 38 Jahre alt sind. Festnahmen gab es zunächst nicht. Mit einem polizeilichen Aufgebot wie bei einer terroristischen Gefahr wurden also Wohnungen von Beschuldigten durchsucht, deren Aktionen gerade dadurch auffallen, dass sie ihre Aktionen für jedermann sichtbar öffentlich durchführen. Mit Hilfe des § 219 sollte hier eine „kriminelle Vereinigung“ herbeiphantasiert werden, um den unliebsamen Protest durch die Kriminalisierung der Beteiligten zu stoppen.

Das Oberlandesgericht Dresden hat im so genannten Antifa-Ost-Verfahren heute genau nach dieser Methode vier Angeklagte zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Hauptangeklagte, die Studentin Lina E., wurde sogar zu fünf Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Ihnen wurde vorgeworfen, zwischen 2018 und 2020 Angehörige der äußerst gewaltbereiten Neonazigruppierungen in Leipzig, Wurzen und Eisenach angegriffen zu haben. Lina E. war von vornherein zur „Rädelsführerin“ erklärt worden. Sie war seit November 2020 als einzige der Angeklagten in Untersuchungshaft was allein schon seltsam ist, weil Lina E. über ein gefestigtes soziales Umfeld verfügte (ihre Mutter besuchte jeden der fast 100 Prozesstage) und weder Flucht- noch Verdunkelungsgefahr bestand.

Die Indizien für die zur Last gelegten Taten waren äußerst dürftig; sogar Alibis wurden einfach ignoriert. Die Anklage stützte sich vor allem auf einen Kronzeugen, einen ehemaligen Aktivisten aus der Antifa-Szene, der wegen seines frauenfeindlichen Verhaltens in Streit mit den Angeklagten lag.

Mit dem Gummi-Paragrafen 219 kann praktisch immer, wenn ähnliche Taten zur Last gelegt werden und gemeinsame Überzeugungen mit den anderen Angeklagten vorhanden sind, eine kriminelle Vereinigung konstruiert werden. Das Oberlandesgericht hat hier undemokratische Pionierarbeit geleistet, den Paragraphen 129 als Instrument gegen unliebsame politische Zusammenhänge und für politische Repressionen einzusetzen.

In Zeiten, in denen jede nicht regierungsamtliche Meinung zu Kriegsunterstützung oder Corona schon öffentlich als unstatthafte „Querdenkerei“ diffamiert wird, kann das Dresdner Urteil die Blaupause sein, um jeden öffentlichen Protest zu einem unkalkulierbaren Risiko für das weitere Leben in Freiheit zu machen. [jdm]

Tag der politischen Gefangenen

Vor genau 100 Jahren, am 18. März 1923 wurde der „Tag der politischen Gefangenen“ von der Internationalen Roten Hilfe ausgerufen. An diesem Tag soll an den Aufstand der Pariser Kommune im Jahr 1871 erinnert werden, aber auch an ihre Zerschlagung und die folgende Repression.

In Deutschland wurde der Tag erst seit 1996 wieder zunächst von linken Organisationen begangen, die damit vor allem gegen die Repression der bürgerlichen Staaten gegen Sozialisten, Kommunisten, Anarchisten und Gewerkschaftern protestieren wollten. Ähnlich wie beim Internationalen Frauentag hat hier aber ein Prozess der Übernahme des Tages auch von konservativen bis rechten Spektren stattgefunden.

Wer Demokratie möchte, kann die Inhaftierung und Verfolgung von politisch aktiven Bürgern nicht akzeptieren. Der Tag der politischen Gefangenen ist somit ein Tag, der dem Schutz der Demokratie gewidmet ist.

Die stramm antikommunistische Kalte-Kriegs-Organisation Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) findet die politischen Gefangenen für die sie sich einsetzt wie eh und je in den Ländern China, Iran, Russland, Türkei, Eritrea, Kuba oder Belarus. Im Iran sitzt der deutsch-iranische Journalist Jamshid Sharmahd in der Todeszelle und steht deshalb im Zentrum der diesjährigen Kampagne. Auf der Amnesty International-Seite gibt es die Möglichkeit der Teilnahme an einer E-Mail-Aktion zur Befreiung von Sharmahd.

Die Rote Hilfe Deutschland kämpft für die AntifaschistInnen, die von der deutschen Justiz bei Aktionen gegen Neonazis unter Ausnutzung der neuen antidemokratischen Polizeigesetze der einzelnen Bundesländer verhaftet wurden. Auch Repressionen gegen Klimaaktivistinnen und TeilnehmerInnen von Besetzungsaktionen gegen den Braunkohleabbau werden in den Fokus gerückt.

Berichte über und Proteste gegen das Verbot der linken Internetseite „Linksunten“ haben wiederum zu Polizeiaktionen gegen Journalisten des Radio Dreyeckland in Freiburg geführt.

Der Bundesvorstand der Roten Hilfe weist im Grußwort zum Tag der politischen Gefangenen auch auf die Langzeit-Gefangenen in den USA wie Leonard Peltier oder Mumia Abu-Jamal hin, die seit über 47 beziehungsweise 41 Jahren in Haft sind.  "Und auch im aktuellen Kriegsgeschrei der Ampel-Bundesregierung sei betont: Wir fordern die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen in Russland und der Ukraine, die sich dem Krieg widersetzen und für Solidarität und eine friedliche Lösung des Konflikts eintreten."

In Deutschland ist die Justiz schon lange eine Helferin der Unterdrückung von Kurden in der Türkei. Die kurdische marxistische Partei PKK wird von deutschen Behörden als terroristisch eingestuft und ist verboten, obwohl sie hier in Deutschland lediglich als Partei tätig ist. Ihre Parteifunktionäre werden von deutschen Behörden verfolgt und eingesperrt.

Die mit der PKK befreundete syrische Partei der Demokratischen Union (PYD) hat in Syrien Volksverteidigungseinheiten aufgestellt, die in  Rojava („Westkurdistan“), das rund ein Fünftel Syriens umfasst, unter Bürgerkriegsbedingungen eine demokratische Zone erkämpft haben, die auch die Rechte der Frauen garantiert. Rojava wird von der Türkei bekämpft und die deutsche Justiz unterstützt den türkischen Terror. Der Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. aus Köln weist auf diese Kumpanei der deutschen Behörden bei der Verfolgung kurdischer Politiker hin und fordert das Ende des PKK-Verbots.

Über einen der prominentesten politischen Gefangenen, Julian Assange, der wegen seiner journalistischen Arbeit per Wikileaks in Großbritannien auf Ersuchen der USA seit über 1450 Tagen in Auslieferungshaft sitzt, schweigen IGFM und Rote Hilfe vollständig. Bei Azadi und Amnesty international finden sich zumindest Berichte auf der Homepage. Sie können den Kampf für Assanges Freilassung hier unterstützen. [jdm]

Karlspreis benannt nach einem Krieger, ersonnen von Ex-Nazis und verliehen an Krieger

Gestern wurde in Aachen der „Internationale Karlspreis“ an „S.E. Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, und an das ukrainische Volk“ für die „Verteidigung von Europa und der europäischen Werte“ verliehen. Damit sollte die deutsche Station von Selenskis Werbetour durch Europa werbewirksam gestaltet werden.

Der Karls-Preis ist benannt nach dem Franken-Kaiser Karl „dem Großen“, der praktisch während seiner ganzen Regentschaft Krieg geführt hat und bei seiner „Christianisierung“ als besonders grausam galt. Beim Blutgericht von Verden ließ er 782 an einem Tag 4500 Sachsen hinrichten. Hitler hatte auch einen Narren an Karl dem Großen gefressen - wofür der Frankenkaiser nichts kann, was aber den Gründern des Karlspreises zu denken gegeben haben müsste.

Nach dem Krieg gründeten drei langjährige NSDAP-Mitglieder zusammen mit anderen das Karlspreisdirektorium. Der Ideengeber und Kaufmann Kurt Pfeiffer trat 1933 in die NSDAP ein und war nach einem Bericht des US-Nachrichtenoffiziers Saul Kussiel Padover auch Mitglied in fünf weiteren Nazi-Organisationen.

Der Karlspreis war bisher weniger ein Preis für die europäische Friedens- und Einigungsidee, sondern eher ein Propagandainstrument im Kalten Krieg gegen Osteuropa. So kam Willy Brandt für das Direktorium als Preisträger nicht in Frage. Dies waren in der Regel erzkonservative und nationalliberale Personen. Auch die Kriegsverbrecher Henry Kissinger (Putsch in Chile gegen Salvador Allende, Eskalation des Vietnamkrieges, Massenbombardierungen und Invasion in Kambodscha, verschiedene Terrormaßnahmen im Zuge der „Operation Condor“ in Südamerika, Invasion und Unterstützung der Massenhinrichtungen in Osttimor durch die indonesische Armee unter dem Diktator Suharto und vieles mehr) und Tony Blair (völkerrechtswidriger Angriffskrieg gegen Jugoslawien) gehören dazu.

Dass Selenskis Werbetour der Einsammlung von Waffen diente und nicht dazu, Möglichkeiten und Unterstützung für eine Beendigung des Krieges zu suchen, passt zu dem Karlspreis. Dass der große europäische Einigungsgedanken heute reduziert wird auf die Lieferung von Waffen aus ganz Europa mit der exorbitanten Steigerung der Gewinne von Rüstungskozernen zu Lasten des Wohlstands und der Gesundheit der arbeitenden Menschen hätte die Gründer des Karlspreises sehr erfreut. [jdm]

Kundgebung zum Tag der Befreiung – „Zeitenwende“ heißt vom Frieden zum Krieg

Kundgebung auf dem Begräbnisplatz Esterwegen zum Tag der Befreiung

Zur Erinnerung an den Tag der Befreiung von Krieg und Faschismus am 8. Mai 1945 nahmen gestern etwa 100 Personen an der Gedenkkundgebung auf der Begräbnisstätte Esterwegen teil. Der Veranstalter "Deutsch-Niederländische Initiative 8. Mai" hatte drei Redner eingeladen, die aus dem ehrenden Gedenken an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft aktuelle Schlussfolgerungen für die derzeitige Krisensituation in Europa zogen.

Ulrich Sander
Ulrich Sander

Ulrich Sander Journalist, Buchautor und bis 2020 langjähriger Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) erinnerte im Ersten Teil seiner Rede an die vielen so genannten Kriegsendverbrechen, zu denen auch das des Wehrmachtsgefreiten Willi Herold gehörte, der sich mit einer Hauptmannsuniform bekleidet das Kommando über das mit etwa 3000 Gefangenen überbelegte Emslandlager-KZ Aschendorfer Moor aneignete und mit dem anderen Wachpersonal furchtbare Massaker anrichtete. Sander stellte dieses Verbrechen in eine Reihe mit den vielen Todesmärschen in ganz Deutschland, die Anfang 1945 stattfanden. »Zwischen November 1944 und Mai 1945 wurden etwa 700.000 Häftlinge, 200.000 von ihnen Juden, bei der Räumung und Liquidierung der KZs in Polen und Deutschland, auf etwa hundert Todesmärsche durch ganz Deutschland getrieben. Es wird geschätzt, dass über die Hälfte von ihnen umgekommen ist."

Diese Verbrechen dienten den Nazis dazu, ihre Verbrechen zu verschleiern und gleichzeitig möglichst viele Demokraten aus den oppositionellen Parteien und Bewegungen zu ermorden, um nach dem Krieg weiter ihre Macht auszuüben – was dann ja auch vielen gelang.

Im zweiten Teil der Rede stellte Sander die Frage, wie man die Naziherrschaft hätte verhindern können. Dazu zitierte er Erich Kästner, der am 10. Mai 1958 in Hamburg bei der Tagung des PEN Deutschland sagte: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf.“

Sander wies auf die Unterstützung der Wirtschaft für Hitler hin und sah eine Verbindung zur weit verbreiteten Verweigerung nach dem Krieg, vor den Tätern aus den ökonomischen Eliten zu warnen. Neben Sklavenhaltern und Rüstungsprofiteuren gab es die Militaristen, Junker, bürgerlichen Völkischen und rechten Konservativen. Und diese seien wieder da!

„Ich sage: Der Kapitalismus muss nicht zum Faschismus führen, aber bei uns ist es geschehen, und es kann wieder geschehen. Dagegen wappnen wir uns, indem wir alle Grund- und Menschenrechte verteidigen, die Demokratie und den Frieden, die soziale Gerechtigkeit. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland und hieß 150 Jahre lang vor allem Krupp. Heute heißt er vor allem Rheinmetall.“

Heute heiße die Losung „Zeitenwende“ - vom Frieden zum Krieg. Nicht nur Bundeswehrminister Pistorius habe davon gesprochen, dass Deutschland an einem Krieg beteiligt sei. Sogar der Parteichef der SPD und die Führung der IG Metall würden davon reden, dass mit Russland sei kein Frieden möglich sei. Angesichts des Leids im Ukrainekrieg seien Waffenstillstandsverhandlungen statt Waffenlieferungen nötig.

Jochem Abbes

Der Bourtanger Historiker Jochem Abbes erinnerte in seiner Rede an die vielfältigen Beziehungen in der Grenzregion den über die Grenze hinweg. Dies wurde durch die gemeinsame plattdeutsche Sprache erleichtert. Die Niederländer waren sehr gut über die Verhältnisse auf der deutschen Seite informiert. Allerdings habe man in Westerwolde in den 30er Jahren die Emslandlager einfach als deutsche Angelegenheit ignoriert. Die Emsländer seien durch die Ems-Zeitung durchaus über die Emslandlager informiert, hätten aber die Internierung von Kommunisten und Sozialdemokraten nicht abgelehnt.

Ab 1943 seien die Emslandlager mit der Internierung der „Nacht und Nebel-Gefangenen“, unter denen auch niederländische Widerstandskämpfer gewesen seien, auch eine Sache der Niederländer geworden. Mit der Entdeckung der Liste mit den Namen der 2696 „Nacht und Nebel-Gefangenen“ im Jahr 2014 seien diese Menschen dem von den Nazis gewollten Vergessen entrissen worden.

Heute wüssten viele in der jüngeren Generation wüssten wenig über Emslandlager. Durch das Zurückdrängen der Regionalsprachen seien die grenzüberschreitenden Kontakte anders geworden.

Ernst Martin Walsken

Der dritte Redner Ernst Martin Walsken, der Sohn des Moorsoldaten Ernst Walsken, unterteilte seine Rede in drei Aspekte, die ihm große Sorgen bereiten. Anlässlich des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine bedauerte er den Bruch des Völkerrechts und der internationalen Konventionen, die seit dem Ende des II. Weltkrieges die Friedensordnung zusammengehalten hätten. Er befürchtete, dass zukünftig weitere Staaten diesem Vorbild folgen könnten und der Weltfrieden in Gefahr geraten könnte.

Dann ging er auf die Traumatisierung vieler ehemaliger KZ-Häftlinge ein. Sein Vater habe sehr selten über seine Erlebnisse im Lager gesprochen und sei enttäuscht gewesen, dass er nach dem Zusammenbruch des Faschismus kaum Anerkennung für seine Haltung und seine Erfahrungen erhalten habe. Traumatisierungen erlitten auch die Soldaten, die gezwungen waren, Befehle auszuführen, die ihnen zuwiderliefen. Auch ihre Traumatisierungen wurden nach dem Krieg nie aufgearbeitet. Das Gleiche wird wahrscheinlich auch mit den Soldaten geschehen, die sich aktuell im russisch-ukrainischen Krieg gegenüberstehen.

Auch die neuen Formen des Krieges seien besorgniserregend. Vor allem die so genannten Cyberattacken bedeuteten eine zunehmende Gefahr für die Infrastruktur. In NRW seien bereits mehrere Krankenhäuser Opfer dieser Angriffe geworden. Sie wurden gezwungen hohe Geldsummen zu zahlen, um wieder auf ihre Daten zurückgreifen zu können. Kraftwerke und Militäranlagen seinen ebenfalls in Gefahr, auf diese Weise lahm gelegt zu werden.

Your Local Pirates

Abschließend stellte Walsken die Frage: Was können wir tun, um all das zu verhindern? Er wies darauf hin, dass auch während der NS-Diktatur viele Menschen Nein gesagt hätten, sehr oft ohne dafür bestraft zu werden. Aus diesen Erfahrungen müsse es auch im Sinne des Weiterbestands der demokratischen Gesellschaft die Pflicht der älteren Generation sein, die Jugend zu erziehen, um rechtzeitig Nein zu sagen.

Die kämpferischen und musikalisch interessanten Lieder von Joke Kaviaar and Peter Storm bildeten den musikalischen Rahmen der Kundgebung.

Der Kundgebungsplatz ist mittlerweile neu gepflastert worden und die angrenzende Rasenfläche wurde kürzlich angesät. Der alte Jägerzaun wurde durch einen Doppelstabmattenzaun ersetzt. Die Fußgängerbrücke wurde erneuert. Die Renovierungsarbeiten sind aber noch nicht beendet. [Tony Kofoet/jdm]

Internationale Kundgebung in Esterwegen/Bockhorst am 6. Mai

Die "Deutsch-Niederländische Initiative 8. Mai" veranstaltet in diesem Jahr am Samstag, den 06. Mai, um 15.00 Uhr eine Gedenkkundgebung auf der Begräbnisstätte Esterwegen in Bockhorst an der B 401. Diese Veranstaltung erinnert an den 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung von Krieg und Faschismus, wobei neben dem ehrenden Gedenken an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft auch aktuelle gesellschaftliche Fragen Gegenstand der Beiträge sein werden.

Deutscher Sprecher ist in diesem Jahr der Journalist Ulrich Sander aus Dortmund. Der Regionalhistoriker Jochem Abbes aus Bourtange spricht für die niederländische Seite. Außerdem wird Ernst Martin Walsken, der Sohn des Moorsoldaten Ernst Walsken, über die Erlebnisse seines Vaters im KZ Esterwegen berichten.

Für die kulturelle Umrahmung der Veranstaltung sorgt das Duo Your Local Pirates (Joke Kaviaar & Peter Storm) aus den Niederlanden. [Tony Kofoet]

1. Mai-Kundgebung des DGB in Papenburg

Plakat des DGB zum 1. Mai in Papenburg

Der 1. Mai in Papenburg beginnt um 12:30 Uhr mit einem Spaziergang (Treffpunkt: Sparkasse /Ceka) zum Mühlenplatz, hier wird um 13:00 Uhr die Kundgebung durch Stefan Eikens, DGB-Kreisverbandsvorsitzender eröffnet. Ein Grußwort hält Vanessa Gattung Bürgermeisterin der Stadt Papenburg.

Die Mairede hält Heiko Messerschmidt, IG Metall Bezirk Küste, Abteilung Maritime Wirtschaft, Politik und Presse. Musikalische Unterstützung kommt von der Gruppe "Time makes two", anschließend lädt der DGB zu einem Familienfest rund um die Stände ein. [DGB]

VVN-BdA: Den Tag der Befreiung zum gesetzlichen Feiertag erklären!

Online-Petion 8. Mai Feiertag Screenshot

Der 8. Mai 1945 war der Tag der Befreiung vom Faschismus. Im Frühjahr 1945 wurden politisch und rassistisch verfolgte Menschen aus ganz Europa aus den Konzentrationslagern und Gefängnissen der Faschisten befreit. Die Waffen schwiegen und die Menschen konnten den Frieden feiern. Diese Ereignisse erfordern nach Auffassung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten Niedersachsen (VVN-BdA) einen Gedenktag. Ohne diesen Tag gäbe es bei uns weder Demokratie, Grundrechte noch einen Sozialstaat.

Derzeit findet in Niedersachsen eine Diskussion über einen weiteren arbeitsfreien, staatlichen Feiertag statt. Die Landesregierung überlegt dies, weil Niedersachsen im Verhältnis zu anderen Bundesländern weniger Feiertage hat.
Der 8. Mai steht für die VVN-BdA unter dem Motto: „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“. Beide Forderungen seien, mit Blick auf den Krieg in der Ukraine sowie auf die Kriege weltweit und auf Grund der Situation, dass in deutschen Parlamenten wieder Faschisten säßen, aktueller denn je. Ein arbeitsfreier Feiertag sei für Arbeitnehmer*innen nicht nur ein Tag des Gedenkens und Mahnens, sondern auch ein Tag der Erholung. Die Erinnerung an die Befreiung und die Freude darüber, dass wir heute frei leben können, geht alle Menschen an.

Die VVN-BdA sammelt zur Unterstützung ihrer Forderung Unterschriften und hat eine Online-Petition gestartet. [VVN-BdA/jdm]

Die dunkle Seite von Wikipedia

Die Hierarchie bei Wikipedia, Screenshot aus dem Film

In der Wikipedia gibt es totalitäre bzw. mafiöse Sozialstrukturen, die in Teilen der Online-Enzyklopädie eine sachliche Diskussion bzw. Editierung von Artikeln unmöglich machen. Besonders in politischen und sozialwissenschaftlichen Themenfeldern agieren einige besonders problematische Sichter und Administratoren. Die Rechte der Beteiligten bei Wikipedia unterliegt einer strengen und anonymen Hierarchie.

Der Film "Die dunkle Seite der Wikipedia" von Markus Fiedler weist am Beispiel des Wikipediaartikels zur Person von Dr. Daniele Ganser nach, dass hierin gezielt Rufmord betrieben wird. Die Methoden dazu umfassen u.a. falsche Zitate, sinnentstellte Zitate, selektive Negativquellenauswahl, Zulassen von Quellen aus unsachlichen meinungsmachenden Zeitungsartikeln, ungewöhnliche bis sehr sportliche (sprich: absichtlich falsche) Auslegung der Wikipediaregeln. Auch versteckte semantische Textverknüpfungen, die aber psychologisch sehr wirksam sind, werden genutzt, um im Subtext Negativinformationen zu transportieren.

So wird beispielsweise Dr. Daniele Ganser ohne bestehende Quellenbasis eine Nähe zu Holocaustleugnern angedichtet. Die Mainstream-Medien berichten in der Masse fast ausschließlich wohlwollend über das Onlinelexikon. Es werden zwar (letztendlich erfolglose) Angriffe von Werbefirmen von außen auf die Wikipedia thematisiert, nicht aber die äußerst problematischen Wikipediaautoren in den jeweiligen Führungszirkeln. Diese gruppieren sich (nach Themen spezifisch) rund um bestimmte Administratoren und Sichter und gestalten einzelne politisch relevante Artikel gezielt unsachlich. Der Film enttarnt zwei der Hauptakteure („Kopilot“ und „Phi“) im Artikel zu Daniele Ganser einerseits als Klavierlehrer aus Melle und andererseits als Historiker und Geschichtslehrer aus Hamburg mit Klarnamennennung. [jdm/Filmbeschreibung Markus Fiedler]

„Moor-SA“ und Strafgefangenenlager – Buchvorstellung mit Autor David Reinicke in der Gedenkstätte Esterwegen.

Der 3. April 1946 war für Werner Schäfer sicherlich kein Tag wie jeder andere. Der frühere Kommandeur der „Moor-SA“ und der Strafgefangenenlager im Emsland wurde nach seiner Festnahme durch die britischen Besatzungsbehörden in das Lager Esterwegen gebracht. Damit wurde Schäfer zum Internierten in seinem ehemals „eigenen“ Strafgefangenenlager. Die Briten führten zwar doch kein Verfahren gegen den ehemaligen SA-Oberführer durch, aber das Landgericht Osnabrück verurteilte ihn 1950 wegen Körperverletzung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu vier Jahren Haft. Verfahren und Urteile gegen nicht wenige seiner Wachmänner folgten in den kommenden Jahren.

David Reinicke hat nun eine Studie über die Männer der „Moor-SA“ erarbeitet, deren Gewaltpraxis die Gefangenen ab 1934 in den nationalsozialistischen Strafgefangenenlagern im Emsland ausgesetzt waren. Die „Moor-SA“ entwickelte die Ansprüche, die „Erziehung“ der Strafgefangenen durchzuführen und zugleich die Region zu modernisieren. Hierzu wurden die Gefangenen in einem großangelegten Siedlungsprojekt zur Zwangsarbeit in der Moorkultivierung eingesetzt. Die gleichzeitige Inszenierung als „Gemeinschaft“ versicherte den SA-Männern, dass sie als zukünftige Siedler selbst von ihrem Einsatz profitieren würden. Als Ende der 1930er Jahre aber ein Bedeutungsverlust der „Moor-SA“ einsetzte, zerfiel auch deren Zusammenhalt.

Die Gedenkstätte Esterwegen lädt ein zur Buchvorstellung mit Autor David Reinicke am Donnerstag, 13. April 2023, um 19 Uhr, in der Gedenkstätte Esterwegen. Der Eintritt ist frei. [PM Gedenkstätte]

Kampagne gegen Daniele Ganser ist Kampagne gegen Meinungsfreiheit

Der Auftritt von Dr. Daniele Ganser in der Stadthalle von Hannover hat die Hannoveraner Polit-Elite zur Hochform auflaufen lassen. Ganser ist ein schweizer Friedensforscher, der seit Jahren kompromisslos in öffentlichen Veranstaltungen und in zahlreichen Youtube-Videos die (militärischen) Verbrechen der USA anklagt. Diese Verbrechen sind keineswegs unbekannt und lassen sich mit einfachen Stichworten jeweils sogar bei Wikipedia feststellen: Ermordung von Mossadegh (Iran), Mordversuche gegen Fidel Castro, Tonkin-Zwischenfall (Vietnam), Massaker von Mỹ Lai (Vietnam), Lüge von Massenvernichtungswaffen (Irak), Brutkastenlüge (Irak), Putsche in Chile, Guatemala, Haiti, Drohnenmorde (weltweit), Maidan-Putsch mit Scharfschützen (Ukraine), Zerstörung Libyens, Syriens, Somalias, Guantanamo-Lager und so weiter und so fort.

Ganser folgert daraus, dass die USA häufig der Hauptkriegstreiber der Welt sind. Er bezeichnet die USA als Imperium. Und Ganser ist der Auffassung, dass der Krieg in der Ukraine eine komplexe Vorgeschichte hat und Waffenlieferungen den Konflikt anheizen.

Das gefällt den Politikern, die ihre Grundausbildung, Stipendien und politischen Unterstützer in transatlantischen Think-Tanks finden und gefunden haben, nicht. Gansers Kritik an den USA kann aufgrund der Tatsachen nicht klein geredet werden. Deshalb wird zu einem probaten Mittel gegriffen, den die derzeitige Politikerkaste in Zeiten von Corona und jetzt bei den Auseinandersetzungen um den Ukrainekrieg praktisch gegen jede andere Meinung anwenden: Ganser wird vorgeworfen, er sei ein Verschwörungstheoretiker, was aber angesichts der vielen oben genannten Verschwörungen der USA ein unpassender Vorwurf ist, der sich auch schon etwas abgenutzt hat.

Deshalb lautet der zweite Vorwurf einfach „Querdenker“, ein Begriff der noch vor vier Jahren unabhängig denkende Menschen bezeichnete und heute inflationär gebraucht wird, wenn man dem Kritisierten sonst nichts anflicken kann. Hinzu kommt, dass Ganser als Holocaust-Leugner bezeichnet wird, was mit keiner Aussage von ihm belegt werden kann. Und natürlich ist er prorussisch, obwohl er den Krieg Russlands gegen die Ukraine als rechtswidrig bezeichnet. Aber das kennt man schon von den Verunglimpfungen gegen Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer.

Um Ganser zum Schweigen zu bringen, werden ihm landauf und landab die öffentlichen Veranstaltungssäle verweigert. In Hannover traute sich der grüne OB Belit Onay zwar nicht, den öffentlichen Raum zu verweigern, weil er wusste, dass dies unrechtmäßig wäre und die Stadt einen Schadenersatz zahlen müsste, zumal das Verwaltungsgericht die Absage des Ganser-Auftritts in Dortmund kassiert hat.

Zusammen mit anderen Befürwortern von Waffenlieferungen und Aussetzung von Bürgerrechten in der Coronazeit demonstrierte er gegen Gansers Auftritt. Im Bericht der HAZ über die Demo heißt es „Breites Bündnis: Rund 100 Menschen demonstrieren…“. Das breite Bündnis besteht also aus der kleinen städtischen Politelite, während sich in der Stadthalle 2800 (zahlende) Menschen Gansers Vortrag anhörten.

Das T-Online-Portal hat in seinem Bericht über den Vortrag doch noch den nicht mehr selbstverständlichen Anstand, die Aussagen von Ganser selbst unverfälscht zu referieren. Der Autor muss sogar zugeben, dass Ganser eine charmante und sympathische Art des Vortrags hat. Und genau das ärgert ihn dermaßen, dass der Autor zu den Aussagen Gansers jeweils seine Sicht der Dinge dazu gibt, etwas über Querdenker schwurbelt und mitteilt, dass er unter den 2800 Menschen auch einige AFD-Mitglieder gesehen habe. Auch dass Ganser trotz der medialen Hetze gegen ihn nicht am Hungertuch nagt, sondern von seinen Büchern und Vorträgen offensichtlich gut leben kann, ärgert den Autor so, dass er in einer ersten Version – die dann geändert wurde – fälschlich schrieb, Gansers Bücher würden in einem rechtsradikalen Verlag vertrieben.

Auch das ZDF verbreitet die üblichen Zuschreibungen und beschwert sich, dass Ganser so viel verdienen kann. Und dann steht dort der Satz „Rechtlich ist Ganser nicht beizukommen und so darf er weiter im weichen Bett der Demokratie Menschen manipulieren.“

Und genau das ist ja die Fehlentwicklung der letzten Jahre: Andere Meinungen zu diskutieren, wird von solchen Leuten wie dem ZDF-Reporter Oliver Deuker nicht mehr als Merkmal der Demokratie gesehen, sondern als ein Makel. Zusammen mit der Politikergarde wird versucht, andere Meinungen mundtot zu machen und wenn man die Macht über die Mittel (Stadthallen, Veranstaltungssäle, Fernsehsender, Zeitungen) hat, werden diese den Trägern anderer Meinungen verweigert, mehr noch, sie werden genutzt, um Propaganda gegen andere Meinungen und gegen die Personen zu machen.

Ähnliches passierte übrigens auch der Politikwissenschaftlerin und Publizistin Ulrike Guérot, die sich schon in der Coronakrise für die Achtung der Bürgerrechte aussprach und sich jetzt beim Ukrainekrieg gegen Waffenlieferungen ausgesprochen hatte. Ihr wurde zunächst die öffentliche Wirksamkeit erschwert, und jetzt wurde sie von der Uni entlassen – angeblich wegen eines Plagiats. Dabei ist ziemlich sicher, dass sie ihre Klage irgendwann gewinnen wird, aber ihre berufliche Existenz schon heute vernichtet wird.

Dass es auch noch Verantwortungsträger gibt, denen das Grundgesetz etwas wert ist, zeigt in der Stadt Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart der Oberbürgermeister Roland Klenk (CDU). Hier war laut Nachdenkseiten.de auch ein Auftritt Gansers geplant. In einem Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“ weist er Versuche der Cancel Culture gegen Ganser zurück: Er selber sowie eine Reihe von Mitarbeitern seien unabhängig voneinander zu dem Schluss gekommen: „Keiner macht sich gemein mit Herrn Ganser, aber alle haben gesagt, das muss im Rahmen der Meinungsfreiheit möglich sein.“ Klenk hat sich nach eigener Aussage „stundenlang Youtube-Videos angeguckt“. Was er dort gesehen habe, möge ja „für viele schmerzlich sein“, aber, so Klenk weiter: „Es ist nach meiner festen Überzeugung vom Grundgesetz nach Artikel 5 gedeckt.“ Ob er jemandem verbieten könne, die Meinung zu äußern, dass außer Russland auch noch andere Ursachen gesetzt haben für diesen Krieg, fragt Klenk und antwortet selber: „Ich meine nein. Ich habe Bauchschmerzen, wenn gegen das Grundgesetz verstoßen wird. Die anderen Bauchschmerzen interessieren hier nicht.“ [jdm]

Bundesvorsitzender der VVN-BdA erhielt Ausreiseverbot – Deutsche Polizei behindert Proteste gegen Nazis in Bulgarien

Logo der VVN-BdA

Am 24. Februar 2023 wurde Florian Gutsche, Bundesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), am Berliner Flughafen von Beamten der Bundespolizei im Rahmen einer offensichtlich vorbereiteten Aktion abgefangen. Gutsche war auf dem Weg nach Bulgarien, wo er als Beobachter an internationalen Protesten gegen den faschistischen „Lukov-Marsch“ in Sofia teilnehmen wollte. Er wurde zwei Stunden festgehalten und befragt, sein Gepäck durchsucht und mit einer sechsseitigen „Ausreiseuntersagung“ wieder
entlassen. Diese beinhaltete die Drohung, dass man ihn bei Zuwiderhandlung „in Gewahrsam nehmen“ und strafrechtlich verfolgen werde. Das Ausreiseverbot wurde im Rahmen des Passgesetzes für jegliche Auslandsreise an dem Wochenende erlassen.

Die Verfügung wurde damit begründet, dass damit zu rechnen sei, dass Gutsche „das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland erheblich schädigen“ würde. Indizien sah die Polizei in „mitgeführter Kleidung und Utensilien, die klar dem linken Phänomenbereich zuzuordnen sind“. Darunter ein schwarzer Pulli, eine schwarze Jacke, eine Fahne und eine Broschüre der VVN-BdA. Gutsche wurde ohne jeden Beleg pauschal unterstellt an gewalttätigen Auseinandersetzungen im Ausland teilnehmen zu wollen.

Seit vielen Jahren unterstützt die VVN-BdA legale Proteste gegen geschichtsrevisionistische und neofaschistische Großveranstaltungen in Lettland, Ungarn und Bulgarien. Sie trifft dort auch immer wieder auf Gruppen deutscher Neonazis. Es ist nicht das erste Mal, dass Mitglieder der VVN-BdA dabei polizeilich behindert werden. Bereits 2015 wurden fünf Mitglieder, darunter der Bundesgeschäftsführer Thomas Willms, in Riga stundenlang festgehalten, schikaniert und nach Litauen abgeschoben. Die Bundesvorsitzende Cornelia Kerth war zeitgleich von einer lettischen Fluggesellschaft abgewiesen worden. Neu ist jetzt, dass die deutsche Polizei nicht nur Schützenhilfe für lettische, ungarische und bulgarische Stellen leistet, sondern selbst aktiv wird, um Proteste gegen Neonazis zu verhindern.

In einer Pressemitteilung protestiert die VVN-BdA gegen den schweren Eingriff in die Grundrechte ihres Bundesvorsitzenden und gegen den Versuch der deutschen Polizei, Antifa-Proteste jetzt sogar im Ausland zu behindern. [PM VVN-BdA]

Bus nach Berlin

Am 25.02.2023 findet am Brandenburger Tor um 14 Uhr in Berlin eine Kundgebung für den Frieden statt. Hintergrund ist der Aufruf von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer.

Der Kreisverband Die Linke Oldenburg/Ammerland hat einen Bus gechartert. Die Fahrt kann nur stattfinden, wenn mindestens 40 Leute mitfahren, es ist Platz für maximal 52 Personen. Wer mitfahren will, schickt bitte eine Mail (bitte mit angeben, wo ihr zusteigt).

Der Bus ist mit einem WC, einer Klimaanlage und einem Aerosolfilter ausgestattet.
Abfahrt: Sa, 25.02.23 um 05:30 Uhr Leer/ ZOB, weitere Zustiege: 06:00 Uhr Westerstede/ ZOB, und: 06:30 Uhr Oldenburg/ ZOB.
Ankunft: ca.13:00 Uhr in Berlin, Rückfahrt 18:00 Uhr,
Ankunft in Oldenburg, ca. 00:30, Westerstede ca. 01:00 und 01:30 in Leer. [jdm/HM]

Schöffenwahl für die Amtsperiode 2024 bis 2028

Im ersten Halbjahr 2023 werden bundesweit die Schöffen und Jugendschöffen für die Amtsperiode von 2024 bis 2028 gewählt. Aus der Samtgemeinde Dörpen werden insgesamt 22 Frauen und Männer gesucht, die am Amtsgericht Papenburg und am Landgericht Osnabrück in Strafsachen an der Rechtsprechung mitwirken.

Die Bewerbungsanträge werden von der Samtgemeindeverwaltung entgegengenommen. Die finale Entscheidung darüber, welche Bewerberinnen und Bewerber das Schöffen- oder Jugendschöffenamt am Ende bekleiden werden, treffen die zuständigen Gerichte per Wahl.

Alle Informationen und Formulare rund um das Schöffen- und Jugendschöffenamt, sowie den Bewerbungs- und Auswahlprozess gibt es online unter https://schoeffenwahl2023.de/. [Samtgemeinde Dörpen]

Lesung in Gedenkstätte Esterwegen über die „Tänzerin von Auschwitz“

Anlässlich des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2023 lädt die Gedenkstätte Esterwegen, Hinterm Busch 1, in Esterwegen zu einem Vortrag ein. Der Niederländer Paul Glaser, Autor des Buchs über seine Tante Roosje "Die Tänzerin von Auschwitz: Die Geschichte einer unbeugsamen Frau“, wird am Sonntag, 29. Januar, ab 15 Uhr in der Gedenkstätte (Seminarraum 2), über seine Veröffentlichung sprechen.

Während eines Besuchs in der Gedenkstätte Auschwitz entdeckte Glaser in einer Vitrine einen Koffer mit seinem Familiennamen. Für ihn ist dies der Augenblick, ein Familiengeheimnis zu enthüllen; das verschwiegene Schicksal seiner jüdischen Tante Roosje. Er schreibt ein Buch und beginnt, in Vorträgen die Geschichte zu erzählen.

Die temperamentvolle und emanzipierte Tänzerin Roosje Glaser musste ihren Lebensmut im Zweiten Weltkrieg gegen den nationalsozialistischen Terror verteidigen. Sie wurde in den deutsch besetzten Niederlanden das Opfer des Verrats ihres eigenen Mannes.

Das Buch entstand aus Roosjes Tagebüchern, Briefen und Fotos, Gesprächen und Recherchen in niederländischen Archiven. Die Teilnahme an der Lesung ist kostenfrei. Eine Einführung zu Roosje Glaser und dem Buch von Paul Glaser gibt dieses kurze Video auf Youtube: http://youtu.be/RCma2kvAjbk . Das Buch ist in der Gedenkstätte Esterwegen erhältlich. [Landkreis Emsland]

Unfähigkeit, mit dem Leid anderer Menschen mitzufühlen

Ulrich Scholz fragt sich im neuesten Blog-Eintrag, wie ist es möglich ist, dass vor dem Hintergrund des Leidens von Tausenden Soldaten und von ganzen Familien, Menschen unserer Kultur immer noch Krieg das Wort reden.

Die Erklärungen, dass es wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten gibt, erscheint ihm nicht ausreichend. Er hält die Unfähigkeit des Führungspersonals in Wirtschaft und Politik, mit dem Leid anderer Menschen mitzufühlen, für eine Ursache. Und dafür gibt es – wenn man diese Entscheider nicht zu Psychopathen erklären will – gesellschaftliche Ursachen. Mehr dazu im Blogbeitrag. [jdm]

Vor 50 Jahren, am 1.1.1973, wurde die Samtgemeinde Dörpen gebildet

Wappen der Samtgemeinde Dörpen
Wappen der Samtgemeinde Dörpen

1972 gehörte Wippingen noch mit Dörpen, Neudörpen und Heede zur damaligen Samtgemeinde Dörpen. Ahlen und Steinbild bildeten die Samtgemeinde Kluse und Dersum und Neudersum bildeten die Samtgemeinde Dersum. Lehe und Neulehe gehörten zur Samtgemeinde Aschendorf.

Walchum gehörte keiner Samtgemeinde an. Es hatte lange mit den linksemsischen Gemeinden der heutigen Samtgemeinde Lathen über die Bildung einer Samtgemeinde „Erdhütte“ – woher der Name stammt, ist nicht überliefert – verhandelt. Als sich 1965 die Samtgemeinde Lathen bildete, schloss Walchum sich aber nicht an.

Das Land Niedersachsen drängte schon lange auf die Bildung von größeren kommunalen Einheiten. Hauptgrund war, dass die zum Teil winzigen Gemeinden bestimmte Aufgaben, wie Verwaltung der Finanzen, das Schulwesen und die allgemeine Verwaltung mit ihren ehrenamtlichen Bürgermeistern und Gemeindedirektoren nicht oder nicht angemessen bewältigen konnten. Das Land drohte auch damit, Zuschüsse für Gemeinden zu streichen, die sich nicht bemühten, ihre Finanzkraft durch den Zusammenschluss mit anderen Gemeinden zu stärken.

Die Gemeinden hatten sehr große Angst, dass sie in großen zentralisierten Einheiten untergehen wurden und die eigenen Angelegenheiten nicht mehr vor Ort entschieden werden könnten. Bei der Bildung der Samtgemeinde Lathen wurde 1965 deshalb auch nicht das ganze Schulwesen zur Sache der Samtgemeinde erklärt, sondern nur das 9. Schuljahr. Denn das wurde neu eingeführt.

Eine Strategie der Politiker im Altkreis Aschendorf-Hümmling zum größtmöglichen Erhalt der Selbständigkeit war, durch freiwillige Zusammenschlüsse Zwangszusammenlegungen durch Landesgesetze zuvor zu kommen. Das Kalkül: wenn diese freiwilligen Zusammenschlüsse wirtschaftlich potent genug sind, werden sich die Landesgesetze an unsere Vorgaben halten. Samtgemeinden bestehen aus selbständigen Gemeinden mit eigenem Gemeinderat und Bürgermeister, die nur einen Teil ihrer Aufgaben gemeinsam verwalten. Die andere Form des kommunalen Zusammenschlusses ist die Einheitsgemeinde, wie wir sie heute in Rhede haben, wo die ehemaligen Gemeinden Rhede, Neurhede und Brual nur noch Ortsteile einer Gemeinde ohne einen eigenen Gemeinderat darstellen.

Die Samtgemeinde Lathen bildete schon eine beachtliche Größe. Die Samtgemeinden Dörpen, Kluse und Dersum waren dagegen noch keine ernstzunehmenden Größen. 1967 gab ein Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums als Mindestgröße für die Bildung von Samtgemeinden die Einwohnerzahl 5000 vor. Zudem sollte sich die Samtgemeinde um einen zentralen Ort herum bilden. Die Samtgemeinde sollte nicht mehr als 20 Mitgliedsgemeinden haben und die kleinste Gemeinde musste mindestens 400 Einwohner haben.

Es sollten bevorzugt Einheitsgemeinden gebildet werden; bei größeren Zentralorten war dies Pflicht (Die Papenburg umgebenden Gemeinden konnten somit ihre Selbständigkeit nicht mehr behalten). Das Land Niedersachsen wollte die Gemeindereform nicht mit einem einzigen Gesetz umsetzen, sondern regional vorgehen.

Die Samtgemeinde Dörpen musste also größer werden. Die Gemeinden Steinbild und Neudörpen konnten nach den neuen Regeln nicht einmal mehr selbständige Samtgemeindemitglieder werden; sie müssten sich zunächst einer anderen Gemeinde anschließen. Steinbild und Ahlen (Samtgemeinde Kluse) liebäugelten zunächst mit einem Anschluss an die Samtgemeinde Lathen; Walchum wollte sich dem Votum der Samtgemeinde Kluse anschließen, entschied sich dann aber auf Betreiben des Bürgermeisters Bernd Steinkamp zum Anschluss an Dörpen. Dem folgte dann auch die Samtgemeinde Kluse, die dann zur Gemeinde Kluse wurde. Lehe und Neulehe beschlossen den Austritt aus der Samtgemeinde Aschendorf – vielleicht wären sie sonst heute Ortsteile der Stadt Papenburg. Zumindest war Aschendorf spätestens mit dem Austritt dieser beiden Gemeinden chancenlos im Kampf gegen die Eingemeindung in die Stadt Papenburg. Neubörger war mit 1335 Einwohnern ein relativ großer Ort und hatte die Option, sich der Samtgemeinde Nordhümmling anzuschließen, wo es aber sehr an den Rand gedrängt worden wäre.

Das „Gesetz zur Neugliederung der Gemeinden in den Räumen Leer und Aschendorf-Hümmling“ vom 26.11.1972 trat am 1. Januar 1973 in Kraft. Seitdem – also seit genau 50 Jahren - gibt es die Samtgemeinde Dörpen in ihrer heutigen Form mit den neun Mitgliedsgemeinden Dörpen (mit dem eingemeindeten Neudörpen), Heede, Walchum, Kluse (mit den Ortsteilen Ahlen und Steinbild), Dersum (mit dem eingemeindeten Ortsteil Neudersum), Neubörger, Lehe, Neulehe und Wippingen.

Die ersten Samtgemeinderatswahlen fanden im März 1973 statt. Bis dahin wurde ein Interimssamtgemeinderat aus den Mitgliedern der Verwaltungsausschüsse der Einzelgemeinden gebildet, dem ein Interimssamtgemeindeausschuss vorstand. Aus Wippingen war hier der Bürgermeister Hermann Gerdes (Daus Harm) vertreten.

In den ersten Samtgemeinderat wurden bei der Kommunalwahl am 25.03.1973 aus Wippingen Hermann Gerdes und Josef Kimmann gewählt. [jdm]

Mein Gott, Walter!

Liebe Landsleute, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger – so wendet sich der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an die Bürger. Der Mann, der als Kanzleramtschef für die Umsetzung von Hartz IV verantwortlich war und der den Deutsch-Türken Murat Kurnaz im US-Knast Guantanamo Bay verrotten ließ, wendet sich in seiner Weihnachtsansprache in pastoralem Ton an die Bürger.

Natürlich ist es tröstlich zu wissen, dass sich kaum jemand den Schmarrn wirklich bewusst anhört. Mir tun die Radioreporter leid, die vom Moderator gefragt werden, was der Bundespräsident denn in seiner Rede gesagt habe. Ähnliches habe ich in der Schule empfunden, wenn der Lehrer einen Schüler zu einer mündlichen Inhaltsangabe eines Textes aufgefordert hatte und ich wusste, der Schüler hatte den Text nicht gelesen. Das Mitleid mit dem Reporter und das beginnende Fremdschämen verschwindet aber sofort, wenn man hört, wie routiniert das Nichts zu einer Zusammenfassung aufgebauscht wird.

Dennoch wird die Rede gehalten und die Presse und jede Nachrichtensendung im Radio und Fernsehen referieren die Inhalte. Wozu? Die Rede soll im Sinne eines Tagesbefehls einen angeblichen Konsens über die augenblickliche Lage klarstellen. Die pastorale Art soll unseren Widerspruch zu dem Gesagten nicht nur einlullen, sondern eine andere Sichtweise geradezu verbieten.

Das „Wir“ wird ganz groß geschrieben in der Rede, obwohl im Alltag das „Wir“ eben nicht zählt. Da zählt nur der Konkurrenzkampf, da sind die Kapitalbesitzer, die Reichen, die Manager die „Leistungsträger“. In der Rede hingegen sind es die über Weihnachten Arbeitenden. Bei der nächsten Tarifrunde sind sie dann wieder diejenigen, die den Staats- und Wirtschaftsbankrott gegen die oben genannten „Leistungsträger“ riskieren.

Die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer, die den vor dem Krieg geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern helfen, aber auch die Geflüchteten selbst, werden durch das „Wir“ vereinnahmt für das Anheizen des Krieges durch die Waffenlieferungen. Dass Deutschland und die NATO durch unbegrenztes Provozieren eventuell eine Mitschuld am Ausbruch des Krieges trifft, wird nicht in Erwägung gezogen. Auch, dass Waffenlieferungen den Krieg erst zu dem blutigen, langanhaltenden Krieg gemacht haben, könnte man bedenken, statt sie „ein Gebot der Menschlichkeit, dass wir den Angegriffenen, den Bedrohten und Bedrückten beistehen“ zu nennen. Das Lob der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer bezieht sich bezeichnenderweise nur auf die Hilfe für Menschen aus der Ukraine, ein Lob der Schiffsbesatzungen im Mittelmeer, die auch über Weihnachten dort Ertrinkende aufsammeln, war nicht zu vernehmen.

Steinmeiers Lob der jungen Klimaschützer von der „Letzten Generation“ ist eher ein In-den-Rücken-Fallen: "Ihr mögt ja recht haben, aber nervt bitteschön nicht so rum!“

Die verfassungsrechtliche Funktion des Bundespräsidenten ist es ja eigentlich, wie ein Notar das verfassungsgemäße Zustandekommen von Gesetzen und sonstigen Beschlüssen der Verfassungsorgane zu beglaubigen. Mir würde es reichen, wenn er sich darauf beschränken würde. Die Regierungspolitik und oppositionelle Auffassungen hat er weder zu beglaubigen, noch die Beglaubigung zu verweigern. [jdm]

Vor 25 Jahren Auschwitzfahrt von Wippingern

Ems-Zeitung vom 12.01.1998 über Auschwitzfahrt KLJB Wippingen

Vor 25 Jahren organisierte die KLJB Wippingen eine sechstägige Fahrt nach Auschwitz, an der eine 29köpfige Gruppe teilnahm. Die Ems-Zeitung berichtete im Januar 1998 nach einem Nachbereitungstreffen.

Die Teilnehmer waren erschüttert von den Eindrücken in Auschwitz und Birkenau. Zum Programm gehörte am ersten Tag eine Besichtigung des Stammlagers I in Auschwitz. Der zweite Tag wurde vollständig dem KZ in Birkenau gewidmet, wo die Gaskammern, die Lagerräume für die geraubten Besitztümer der ermordeten Menschen, die jämmerlichen Unterkünfte für die Gefangenen, die zunächst von der Ermordung verschont blieben, weil sie zur Zwangsarbeit eingeteilt wurden und die Krematorien Zeugen des Massenmordes sind. Am Abend gab es ein Gespräch mit einer Überlebenden dieses KZs.

Anders als die Emslandlager, in denen vor allem Gegner des Naziregimes und Kriegsgefangene eingesperrt und gequält wurden, war Birkenau ein Vernichtungslager, in dem vor allem Juden umgebracht wurden. Auf der Wannsee-Konferenz am 20.01.1942 hatten Vertreter von Nazi-Organisationen, von Ministerien und Wehrmacht die systematische Ermordung aller Juden in Deutschland und den besetzten Gebieten organisiert. In Auschwitz wurden auch Sinti und Roma in einem gesonderten "Zigeunerlager" umgebracht. [jdm/Ems-Zeitung vom 12.01.1998]

So ändern sich die Zeiten: Grüne jetzt auch für CETA – Am Donnerstag soll Bundestag beschließen

In zwei Tagen will die Ampelkoalition CETA, das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, ratifizieren. Die meisten Grünen waren – als sie noch in der Opposition waren – gegen CETA. Nun regieren sie gemeinsam mit FDP und SPD und handeln Kompromisse aus. Parlamentarisch ist CETA in Deutschland somit nicht mehr aufzuhalten.

Bislang wird CETA nur vorläufig angewandt, also ohne die Paralleljustiz durch private Schiedsgerichte und die undemokratischen CETA-Ausschüsse. Erst wenn alle Mitgliedsstaaten den Vertrag unterschrieben haben, treten diese in Kraft. Derzeit fehlen außer Deutschland noch elf weitere Länder, sowie die EU und Canada.

Vor zwei Wochen hat der irische Oberste Gerichtshof entschieden, dass die Ratifizierung von CETA verfassungswidrig ist. Laut dem Gericht verletzen die Investorengerichte die Souveränität, die Unabhängigkeit und die Funktion der eigenen irischen Gerichte. Das Gericht hielt aber auch fest: Wenn das Parlament das irische Gesetz zu Schiedsgerichten in einer bestimmten Weise ändert, darf CETA doch verabschiedet werden.

Die EU Kommission verhandelt – auf Initiative der Bundesregierung – derzeit mit Kanada eine Interpretationserklärung in Bezug auf die Schiedsgerichte in CETA. Ein Ziel dieser Erklärung ist, die möglichen Klagegründe für Konzerne einzuschränken. Vor allem der „Schutz“ der Investoren vor indirekter Enteignung (Annex 8-A CETA) und ihre gerechte und billige Behandlung (Artikel 8.10.2 CETA), wurden bislang oft von Schiedsgerichten benutzt, um Konzernen Milliardenzahlungen als Schadenersatz zuzusprechen.

Die finale Formulierung liegt noch nicht vor, aber in der letzten veröffentlichten Version werden die Klagegründe zwar nicht abgeschafft, aber deutlich eingeschränkt. Die Erklärung soll vom gemeinsamen CETA-Ausschuss verabschiedet werden. Prof. Markus Krajewski schätzt die Rechtsverbindlichkeit dieses Vorgehens so ein: „Beschlüsse des Gemischten Ausschusses sind gleichwohl völkerrechtlich verbindlich und daher von den CETA-Gerichten nicht nur als bloße unverbindliche Auslegungshilfen zu berücksichtigen, sondern als verbindlich zu beachten. Es handelt sich der Form nach somit um eine verbindliche Vertragsauslegung.“

Fazit: Schiedsgerichte werden nicht abgeschafft, dazu wären Neuverhandlungen von CETA notwendig, aber es gibt weniger Mißbrauchsmöglichkeiten. ­

Die Ratifizierung im Bundestag soll in zwei Tagen stattfinden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass bis heute keine verbindlichen Entwürfe vorliegen. Entweder werden sie mit heißer Nadel gestrickt oder zurückgehalten. Der völlig unnötige Termindruck verhindert demokratische Kontrolle.­

Wenn die Unterlagen vorliegen, will der Verein Mehr Demokratie e.V. laut einer Pressemitteilung von heute "unter Hochdruck entscheiden, ob wir eine erneute CETA Verfassungsbeschwerde einreichen oder nicht." [Mehr Demokratie e.V./jdm]

Precht/Welzer „Die Vierte Gewalt“ – Buchbesprechung

Cover des Buch "Die Vierte Gewalt" von Richard David Precht und Harald Welzer

Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht und der Sozialpsychologe Harald Welzer haben zusammen ein Buch über die Medien in Deutschland geschrieben: „Die Vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“.

In ihrem Buch wählen sie als Ausgangspunkt die Reaktionen in der Presse auf den von Alice Schwarzer initiierten Offenen Brief an Bundeskanzler Scholz, in dem ein Ende der Eskalation und Diplomatie statt Waffenlieferungen gefordert werden.

Sie stellen fest, dass über den Brief nicht einfach diskutiert wurde, sondern praktisch die gesamte Presse bis auf wenige Ausnahmen diesen Brief einhellig verurteilte. Alle, die sich gegen Waffenlieferungen und für eine Verständigung mit Russland mit den Ziel der Beendigung des Krieges aussprachen, wurden als Putinversteher, Unterwerfungspazifisten oder Kapitulationsintellektuelle verurteilt.

Es zeigte sich – auch schon während der Corona-Pandemie -, dass die gesamte Presse sich in ihrer Haltung zu den Regierungsmaßnahmen einig war. Es wurde der Eindruck erweckt, als ob dies eine einhellige Meinung in der Bevölkerung sei, obwohl die Umfragen allesamt zeigten, dass sich etwa die Hälfte der Menschen gegen Waffenlieferungen aussprach. Dabei war die Motivlage und die Zustimmung zu einzelnen Maßnahmen durchaus unterschiedlich. Es gab Menschen, die zwar Waffenlieferungen befürworteten, aber dennoch eine Verstärkung der diplomatischen Bemühungen wollten, oder welche, die die Sanktionen ablehnten, wiederum aus verschiedenen Gründen.

Bei den Maßnahmen zu Pandemiebekämpfungen gab es auch viele verschiedene Schattierungen. Manche lehnten nur die Einschränkungen für die Kinder ab, bei der Impfpflicht gab es auch mehrere verschiedene Varianten. In der Presse dagegen, gab es nur ein dafür oder ein dagegen, wobei die „Gegner“ als Querdenker und Schwurbler in die rechte Ecke gestellt wurden.

Die beiden Autoren stellen fest, dass die Presse die Meinung der Menschen in keiner Weise mehr widerspiegelte. Sie sprechen von einer Repräsentationslücke. Die Presse habe die Aufgabe, die Diskussionen in der Öffentlichkeit abzubilden und durch Information zu bereichern. Die Medien in Deutschland hätten sich aber in die Richtung entwickelt, dass sie sich zu Kämpfern für eine angebliche Mehrheitsmeinung entwickelt habe. Dabei werde Meinung auch dadurch gemacht, dass über missliebige Themen und Meinungen einfach nicht berichtet werde.

In erster Linie werde nicht mehr über Sachthemen berichtet, also über Politik, sondern über die Politiker als Personen. Dabei werde oft eine einzelne Begebenheit so skandalisiert, dass der Politiker sämtliche Reputation verliere, ohne dass dies sachlich begründet sei. Als Beipiel führen die Autoren die publizistische Vernichtung des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff an oder die Kampagne nach dem Lachen von Laschet bei einem Besuch im überschwemmten Ahrtal. An letzterem Beispiel zeige sich auch der Verlust des Kontextes in der Berichterstattung. Es spiele überhaupt keine Rolle, weswegen Laschet gelacht habe, ob dies in dieser Runde vielleicht eine adäquate Reaktion gewesen sei oder nicht. Der Presse ging es um die Vernichtung der Person.

Jeder Journalist habe Angst, einen Trend zu verpassen und so gebe es ganz schnell einen sich steigernden Erregungsjournalismus, der letztlich eine Gefahr für unsere Demokratie darstelle. Die Politiker würden durch diese Art Presse zu schnellen Aktionen getrieben und hätten keine Chance, sich dem zu entziehen.

Precht und Welzer vermuten als Ursache vor allem den Einfluss der Onlinemedien, die sie im Buch als „Direktmedien“ und Gegensatz zu den thematisierten Leitmedien bezeichnen. Die Direktmedien würden zumeist Meinungen zu einer kleinen Auswahl an Themen veröffentlichen. Dies sei auch logisch, weil die Autoren in Facebook und Co. nur zu einem einzelnen Thema ihre Meinung publizierten. Die Leitmedien deckten hingegen die gesamte Bandbreite der Themen ab. Sie begriffen die Onlinemedien als Konkurrenz und hätten deren Erfolgskriterien (viele Klicks) übernommen.

Das sei zwar dem wirtschaftliche Druck, unter dem die Verlage litten, geschuldet. Aber diese Strategie, die sich unter dem Druck praktisch von allein entwickelt habe, untergrabe das Vertrauen in die Presse. Sei das Vertrauen in saubere journalistische Arbeit erst verloren, sei es schwierig dieses Vertrauen zurück zu gewinnen. In den USA habe diese Art Presse dazu geführt, dass sechs Verlage den Zeitungsmarkt dominierten und eine Lokalpresse nicht mehr existiere.

Precht und Welzer plädieren für mehr öffentlich-rechtliche, kommerzfreie Angebote. Letztlich aber appellieren sie an die Leitmedien, ihrer demokratischen Pflicht nach zu kommen.

Im Buch bringen sie sehr viele Beispiele für die einseitige Ausrichtung der Leitmedien, wenden sich aber gegen Vorstellungen, eine Politiker- und Medienkaste habe sich verschworen, die Bevölkerung falsch zu informieren. Den Vorwurf der Lügenpresse als Verschwörung lehnen sie ab.

Und dennoch haben sich viele Rezensenten gegenüber dem Buch der beiden genauso verhalten, wie Precht und Welzer dies im Buch als Praxis der Leitmedien beklagen. Dass an einer Stelle im Buch die Organisation FuturZwei positiv erwähnt wird, ohne Welzers Beteiligung an dem Projekt zu erwähnen, versucht z. B. Niggemeier ihm als Unredlichkeit auszulegen und ihm so die persönliche Eignung für die Meinungsäußerung zu bestreiten.

Precht und Welzer beschreiben die Probleme der Presse nicht, um diese verächtlich zu machen, sondern um sie wieder besser zu machen. Sie sehen zwar den wirtschaftlichen Druck, unter dem die Verlage stehen, thematisieren aber nicht, dass die Verlage auch Unternehmen sind, die letztlich das Lied desjenigen singen, dem sie gehören.

Das Buch ist sehr lesbar und unterhaltsam geschrieben, auch wenn zum Schluss doch vieles wiederholt wird, was vorne im Buch schon unter einer anderen Kategorie besprochen wurde. Die Autoren wollten mit dem Buch kein wissenschaftliches Werk schreiben, sondern mit einem Essay zur Diskussion über die Medien beitragen. [jdm]

Deutschland will aus Energiecharta-Vertrag austreten

Letzten Freitag teilten Bundestagsabgeordnete von SPD, Grünen und FDP mit, dass Deutschland aus dem Energiecharta-Vertrag (ECT) aussteigen wird. Für die Organisationen, die sich dem Klimaschutz verschrieben haben, ist diese Entscheidung ist ein Meilenstein für den Klimaschutz, einer der größten Bewegungserfolge der letzten Jahre und ein wichtiger Sieg über das veraltete System der privaten Schiedsgerichte (Newsletter Umweltinstitut München). 

Nach Jahren des Protests und über 15 gescheiterten Modernisierungsversuchen beschloss die Bundesregierung, sich der Austrittswelle anzuschließen und bereits in 14 Tagen den Vertrag zu kündigen. In den vergangenen Wochen hatten bereits Polen, Spanien, die Niederlande, Frankreich, Spanien und Slowenien angekündigt, den Energiecharta-Vertrag zu verlassen.

Konzerne wie Uniper, RWE oder Vattenfall haben den ECT in den vergangenen Jahren für teilweise milliardenschwere Klagen gegen Staaten genutzt, die aus fossilen Energien aussteigen oder höhere Umweltschutzstandards einführen wollten. Alleine in Deutschland schützt der Vertrag fossile Investitionen in Höhe von über 54 Milliarden Euro und gilt damit als eine große Gefahr für die Energiewende und die Demokratie. [Newsletter UIM/jdm]

Leben in und mit China

Jürgen Kurz, Homepage zu China

Jürgen Kurz war Gründungsmitglied der Grünen und rund 20 Jahre lang für Bündnis 90/DIE GRÜNEN in Rheinland-Pfalz im Kreisverband Mayen-Koblenz und in Kommunalparlamenten in führender Funktion tätig und in den 90er Jahren auch Mitglied im Landesvorstand in Rheinland–Pfalz. 2003 ging er für seine Firma als General Manager nach Shanghai und hat dort die Zweigstelle gegründet, die heute das weltweit größte Tochterunternehmen seiner Firma ist.

Er ist der Auffassung, dass die Berichterstattung in unseren Medien in Deutschland über das, was in China passiert, auf einer breiten Unkenntnis der Jahrtausende alten chinesischen Kultur und Entwicklung basiert. Erstaunlich und enttäuschend ist für ihn auch, dass viele Freunde aus seiner Partei dieses unreflektierte China Bashing mitbetreiben.

Zum Beispiel lasse MdEP Reinhard Bütikofer kaum eine Möglichkeit aus, China mit übelsten Vorwürfen zu konfrontieren, ohne die geringsten Beweise vorzulegen. Seine Unterstellungen und Beschreibungen träfen in keiner Form die Realität in China. Wer mit China was bewegen wolle, der brauche mehr Kenntnis davon, wie das Land wirklich funktioniere. So wenig wie das heutige Deutschland noch das Deutschland der 60er Jahre sei, so wenig sei das heutige China noch das China von 1949.

Er, Kurz, habe alle Provinzen Chinas bereist. Seit 2011 ist er mit einer Han-Chinesin aus der Xinjiang Provinz verheiratet. Auf seiner Homepage berichtet er von einer intensiven Reise, die über die familiären Besuche hinaus ging, durch die Xinjiang Provinz, in der die Uiguren leben. Wer sich ein Bild von China machen will, das nicht nur aus den Verzerrungen des medialen China-Bashings besteht, dem sei ein Stöbern auf Kurz' Homepage empfohlen.

Chinalogue Podcast

Wer Informationen lieber in Form von Podcasts zu sich nimmt, dem sei das Chinalogue Podcast empfohlen. Chinalogue Podcast vermittelt spannende Inhalte zu China. Dabei werden einzelne Personen, deren Leidenschaft für China sowie deren Tätigkeit oder Errungenschaft in China dargestellt. Wer lernen möchte, was China beruflich und privat zu bieten hat und was man dort erleben kann, der ist hier genau richtig. Beim Chinalogue China Podcast handelt es sich um Gespräche zwischen Sabrina Weithmann und wechselnden Gästen. Themen sind z. B. Essen in China, Normung in China am Beispiel Passivhaus, Chinesische Märchen, Die Autoindustrie, Studium in China, Arbeitsrecht, Rechtstaatlichkeit, Hongkong, Das Konzept des Vertrauens und viele Einzelaspekte des Alltags, der Wirtschaft, Politik und der Kultur mehr. [jdm]

Energiecharta-Vertrag: Unternehmen erklagen per Sonderjustiz Milliardensummen vom Staat

Rechtsgutachten zum ECT

Der Energiecharta-Vertrag (ECT) ist ein internationales Handelsabkommen, das ausländische Investoren im Energiesektor schützt. Es räumt Unternehmen die Möglichkeit ein, Regierungen im Rahmen des Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahrens (ISDS) zu verklagen, wenn diese ihre Gewinne beeinträchtigen, einschließlich klimapolitischer Maßnahmen. Am 24. Juni 2022 wurde eine Grundsatzvereinbarung über die Reform des ECT geschlossen. Die Vertragsparteien haben nun bis zum 22. November 2022 Zeit zu prüfen, ob sie die Ergebnisse annehmen oder aus dem Vertrag austreten wollen.

Zwei Beispiele verdeutlichen die Gefahren des Schutzes fossiler Brennstoffe bis mindestens 2034: Um ihre Verpflichtungen aus dem Pariser-Abkommen zu erfüllen, haben die Niederlande 2019 beschlossen, bis Ende 2030 aus der Kohleverstromung auszusteigen. Anfang 2021 haben zwei Kohleunternehmen, Uniper und RWE, Klagen auf Entschädigungen in Höhe von insgesamt ca. 2,4 Milliarden Euro eingereicht, d. h. sie haben die Entscheidung beinahe zehn Jahre, bevor sie in Kraft treten sollte, angefochten.

In Deutschland haben die deutschen Braunkohleunternehmen RWE und LEAG erhöhte Entschädigungen für den Kohleausstieg erhalten, weil sie mit der Bundesregierung vereinbart hatten, nicht unter dem ECT zu klagen. Der deutsche Kohleausstieg wird zwar erst im Jahr 2038 erfolgen, doch die Unternehmen konnten die Möglichkeit einer
Klage nach dem ECT nutzen, um bereits jetzt erhöhte Entschädigungen zu erhalten.

Das Umweltinstitut München e.V. hat die Grundsatzvereinbarung analysiert und ist zu den folgenden Schlussfolgerungen gekommen: Die Reform des Investitionsschutzes ist unzureichend, um es den Ländern zu ermöglichen, Paris-kompatible Klimamaßnahmen zu ergreifen: Vermögenswerte aus fossilen Brennstoffen sind weiterhin zu lange geschützt; Investorenrechte bleiben sehr weit gefasst; keine Reform des umstrittenen Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahrens (ISDS).

Die Ausweitung auf neue Technologien erhöht das Risiko von Schadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit dem Übergang zu 100 Prozent erneuerbarer Energien. Die Unterzeichnung der Reform würde einem gefährlichen Abkommen neues Leben einhauchen und es wahrscheinlich machen, dass neue Länder beitreten. Für Länder des globalen Südens ist der Beitritt zum ECT mit erheblichen Risiken für eine nachhaltige Entwicklung verbunden.
Ein koordinierter Rückzug verringert im Vergleich zum Verbleib im reformierten ECT das Gesamtrisiko, vor privaten Schiedsgerichten verklagt zu werden.

Mehrere Länder verkündeten den Ausstieg aus dem ECT, darunter Polen, Spanien, die Niederlande, Frankreich und zuletzt Slowenien. Und alle fragen sich: Wo bleibt Deutschland? Der Energiecharta-Vertrag blockiert die Energiewende, behindert wirksamen Klimaschutz und kostet Deutschland Milliarden an Steuergeldern. Ein Rechtsgutachten des Umweltinstituts München zeigt: Der ECT ist nicht nur klimaschädlich und teuer, sondern verstößt auch gegen geltendes Unionsrecht. [Newsletter Umweltinstitut München/jdm]