Angesichts eines Fachkraftmangels im Pflegebereich bemühen sich Pflegeheime, die Fachkraftquote zu erfüllen, indem sie ihre ungelernten PflegehelferInnen motivieren oder drängen, sich zu Staatlich geprüften PflegeassistentInnen zu qualifizieren. Das ist aber gar nicht so einfach, denn die gesetzlichen Vorgaben bremsen Qualifizierungswillige aus.
Auch dem Pflegehelfer Hans B. (Name geändert) wurde von dem Pflegeheim, in dem er tätig ist, eine Qualifizierung vorgeschlagen. Die PflegeassistentInnen-Ausbildung ist eine schulische Ausbildung. Das kann sich Hans B. schlicht nicht leisten. Er hat seine Miete, die weiteren laufenden Ausgaben und seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Es besteht zwar Anspruch auf ein Schüler-Bafög von 600 €, aber das hilft nicht weiter.
Für die zweijährige Umschulung zum/zur Pflegeassistenten/in bietet die Agentur für Arbeit zwei Möglichkeiten zur Finanzierung der Umschulung: 1. die Beschäftigtenqualifizierung, bei der die Arbeitsagentur im Hintergrund 75% des Gehaltes des sich qualifizierenden Beschäftigten trägt und 2. die Möglichkeit während des Bezugs von Arbeitslosengeld die Schule zu besuchen. Für beide Möglichkeiten verlangt die Arbeitsagentur jedoch eine AZAV-Zertifizierung der Pflegeschule.
Die Pflegeschulen im Emsland haben sich alle gegen das Verfahren zur Zertifizierung entschieden, weil es ihnen angesichts ihrer beschränkten personellen Ressourcen zu aufwendig ist. Die nächsten zertifizierten Schulen befinden sich in Rheine und Leer. Hans B. hat keinen Führerschein und so kommen diese Schulen für ihn nicht in Frage.
Die Alternative aus Sicht der Heime und der Qualifizierungswilligen ist der berufsbegleitende Kurzbildungsgang Pflegeassistenz. Hier muss in einer verkürzten Schulzeit das erlernt werden, wofür sonst zwei Jahre gebraucht werden. Die Praxis ist für Hans B. kein Problem; aber sich die Theorie so schnell anzueignen, traut sich Hans B. nicht zu.
Damit ist für ihn der Traum der Höherqualifizierung und eines steigenden Gehaltes gestorben.
Was sind die Gründe für die Anforderung einer Zertifizierung? Immerhin handelt es sich um staatlich anerkannte Schulen, die anerkannte Pflegekräfte ausbilden. Handelt es sich bei der Zertifizierung nicht um eine vermeidbare bürokratische Hürde? Wäre es nicht sinnvoll, den Zugang zu einer Qualifizierung möglichst unkompliziert zu gestalten?
Die Anforderung der Zertifizierung könne von der Arbeitsagentur Nordhorn nicht einfach im Rahmen einer Ermessensentscheidung ignoriert werden, sagt die Pressesprecherin der AA Nordhorn, Dunja Turhan. Die gesetzliche Grundlage, dass die Agentur für Arbeit nur Teilnehmerinnen und Teilnehmer fördern kann, wenn sie an Maßnahmen teilnehmen, die nach der Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung (AZAV) zertifiziert sind, ergebe sich aus dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), insbesondere aus den § 81 und § 84 SGB III.
Durch die AZAV werde gewährleistet, dass die Träger und Maßnahmen, die durch die Agentur für Arbeit gefördert werden, bestimmte Qualitätsanforderungen erfüllen. Dazu gehöre unter anderem, dass die Träger über die notwendige Expertise verfügen und die Maßnahmen ein geeignetes Konzept zur beruflichen Eingliederung und Weiterbildung der Teilnehmer böten.
Es geht aber nicht nur um die Qualität der Ausbildung. Die Zertifizierung soll auch einheitliche Kostensätze für die Schulen erreichen. Denn die Schulen, bei denen die PflegeassitentInnenausbildung gemacht wird, erhalten von der Arbeitsagentur ihre Kosten für die SchülerInnen ersetzt.
Das Zertifizierungsverfahren ist für die Schulen durchaus anspruchsvoll. Sie müssen einen Zertifizierer beauftragen, der für das Verfahren 2500 bis 3000 € verlangt. Die Lehrkräfte der Schulen, die Fachleute für Pflege und Medizin sind, sollen sich plötzlich mit Fragen zu den Kosten der Ausbildung und anderen Fragen beschäftigen, die mit ihrem Fachwissen nichts zu tun haben. Und das für die wenigen SchülerInnen, die aufgrund ihres höheren Alters in der Pflegeklasse Probleme bereiten könnten. Da lässt man es doch lieber bleiben.
Bei den Pflegeschulen im Emsland dürfte man keine Zweifel an der fachlichen Expertise haben, sonst hätten sie keine Erlaubnis, staatlich geprüfte PflegeassistentInnen auszubilden. Also geht es bei der Zertifizierung dieser Schulen eigentlich nur darum, wie viel Geld sie für die von der Arbeitsagentur geförderten Schüler verlangen können.
Hans B.’s Ausbildungspläne sind somit ein Opfer der Gesetze, die bestimmen, welche staatlichen oder quasi-staatlichen Gelder wohin fließen.
Und wie so häufig im Gesetzes-Dschungel ist außer dem Gesetzgeber niemand schuld: die Arbeitsagentur handelt, wie sie es laut Gesetz muss, die Schulen handeln, wie sie es sich leisten können, die Heime können angesichts der begrenzten Mittel niemanden zwei Jahre zur Schule schicken, ohne von seiner Arbeitsleistung zu profitieren. Und die nicht qualifiziert Beschäftigten haben letztlich das Nachsehen. [jdm]