Der Tunscherenbrauch in Wippingen

Silvester werden in Wippingen wieder Tunscheren ausgebracht. Das war schon immer so - und auch wieder nicht. Wie alle Bräuche hat sich auch dieser Brauch immer an die aktuellen Bedürfnisse angepasst.

Tunscheren

In der Zeit vor dem 2. Weltkrieg war es in Wippingen noch üblich, die Tunschere zur Brautwerbung einzusetzen. Der junge Mann brachte der Familie seiner Angebeteten eine Tunschere. Er gab damit offen seine Absichten kund. Ähnlich wird der Brauch auch in einem Text aus den 1920er Jahren beschrieben. Hier wird auch der Brauch, eine Wärpelraut auszubringen beschrieben. Elemente beider Bräuche finden sich im Wippinger Tunscherenbrauch wieder.

Auch, dass die Kinder in einzelnen Wippinger Ortsteilen am Neujahrstag zu den Nachbarn gehen und "Glück sängs nei Joahr" wünschen und dafür Neujahrskuchen bekommen, ist ein alter Brauch, der mit Wärpelraut oder Tunschere ebenso verbunden war.

Nach dem Krieg fing es in einzelnen Wippinger Ortsteilen an, dass die Nachbarn und Verwandten mit einer Tunschere beehrt wurden. Die Tunschere in Wippingen bestand und besteht in der klassischen Form aus zwei halbkreisförmig gebogenen, gekreuzten Weidenzweigen auf einer Holzplatte. Die Holzplatte ist mit Geschenkpapier umwickelt. Die Zweige werden mit, zu Rüschen oder Schleifen, beschnittenem und gefaltetem Rosenpapier umwickelt. Das ist eigentlich alles.

TunschereAber ein leeres Brett bietet sich an, etwas daraus zu machen. So gibt es kleine Modelllandschaften oder Figurengruppen, die Glückwünsche darstellen (Rutsche auf Abhang [Guten Rutsch], Schornsteinfeger, Glücksschweine, Glückspfennige, Kleeblätter).

Mit einzelnen Süßigkeiten, die auf das Brett geklebt wurden, fing es an. Jetzt wirken manche Tunscheren schon, wie Präsentkörbe. Und weil es keine Vorschrift in der Gestaltung gibt, werden praktischerweise auch manchmal (Geschenk-) Körbe mit Papier umwickelt. Oder eine Flasche wird mit Papier umwickelt und erhält einen Apfel als Kopf.

Egal, wie die Tunschere aussieht, einzuhalten sind aber zur Zeit folgende Grundregeln:
1. In irgendeiner Weise muß Rosenpapier verwendet werden.
2. Sie sollte mit Freude erstellt worden sein.
3. Eine Tunschere hat keinen praktischen oder materiellen Wert.
4. Beim Ausbringen sollte man sich erwischen lassen, aber der mit der Tunschere Beschenkte muß sich schon etwas beim Suchen anstrengen.
5. Tunscheren sind kein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Man kann eine ausbringen, bekommt aber nicht unbedingt vom Adressaten eine zurück.
6. Wer es nicht geschafft hat, alle Tunscheren auszubringen, darf am Dreikönigstag den Rest ausbringen.

Tunschere Tunschere Tunschere Tunschere

Übrigens: Trotz "Brot statt Böller" werden jeden Silvester neue Verbrauchsrekorde aufgestellt. Auch beim Tunscherenausbringen werden Böller eingesetzt, um den Bewohnern anzuzeigen, dass wieder eine vor der Tür steht. Weil es den ganzen Abend über böllert und knallt, reagieren manche gar nicht mehr. Dann ist es erforderlich zusätzlich ganz normal die Klingel zu betätigen.

In den 60er Jahren reichte es noch, einmal kräftig gegen die Haustür zu treten. Aber das würde heute die gute Laune des Haus- und Türenbesitzers beeinträchtigen. Ganz früher reichte es schon, die Tunschere heimlich und leise in den Flur zu stellen, um die Hausbewohner zu alarmieren.

jdm