VON WILHELM MEYER
Mit diesem Beitrag zu überliefertem Brauchtum möchte
ich einer Aufforderung des verstorbenen Regierungs- und Schulrats Krämer
nachkommen, sein Thema Wäperraut und Tunschere um die
Jahrhundertwende" zu ergänzen. Im Jahrbuch des Oldenburger
Münsterlandes aus dem Jahr 1965 finden wir eine Übersicht und
Deutung dieser geheimnisvollen" Geschäftigkeit in der Zeit,
in der die Sonne ihre tiefste Bahn einnimmt. Inzwischen ist das Interesse
für dieses Glückwunschzeichen früherer Generationen
gewachsen. Da nun jede kleinere Region ihre Eigenarten hat, kann ein
Berichtsraum auch nicht sehr groß sein, wenn Einzelheiten aufgezeigt
werden sollen. Durch verwandtschaftliche Beziehungen zu Nachbarkreisen ergibt
sich auf einem kleineren Raum schon ein sehr buntes Bild. Besonders in dem
Gebiet unserer Heimat, welches noch gern als das Alte Amt
Löningen" gelten möchte, spürt man überall starke
Impulse aus den Nachbarkreisen des Südens und Westens, aus dem alten
Varngau und dem Hümmling.
Als Beweis, daß sich das Drum und Dran" dieser
guten Idee bis heute erhalten hat, möchte ich einen Satz aus dem
erwähnten Buch wörtlich weitergeben: Wegen des satyrischen und
bakchanalischen Muthwillens, der sich mit dem Überreichen dieses Kranzes
im Laufe der Zeit verbunden hatte, suchte der Pfarrer Pohlmann zu Sögel
vor einigen Jahren diese entartete Gewohnheit durch eine kirchliche Feier am
Sylvesterabend zu verdrängen.'
Da das Bringen der Tunschere im Kern ja doch wohl eine gute
und vielsagende Angelegenheit ist, hat sich der Brauch immer wieder neu beleben
können.
Wenn mit Satyr und Bacchus Auswüchse bezeichnet werden,
stellen diese Figuren aber auch den Sinn der Überlieferungen heraus: Mit
einer Überraschung aus der Dunkelheit an ,,Oldejaohrs-" und
,,Koenigsaobend" vertraut zu sein, und als Dank für Glückwunsch
und Geschenk zeigt sich im Bild des Bacchus die Gastfreundschaft dann
besonders freigiebig. Diese Ausführungen mögen nur eine kleine
Nachdenklichkeit bringen, warum diese Sitte von einigen wenigen, meist
älteren Originalen, aus der heimatlichen Bevölkerung so
hartnäckig hochgehalten wurde. Bei den Erkundungsfahrten für das
Beschreiben der Anfertigung dieser Gestecke hörten wir viele begeisterte
Berichte zur Behandlung des Materials, den Kniffen bei der Herstellung und den
Raffinessen für das Überbringen. Eine fehlerlose Anleitung für
Anfänger in der Tunscherenmacherei ist nicht so leicht zu erstellen.
Unklarheiten und Fragen werden bleiben. Frisch gewagt, ist halb gewonnen!
In der geschichtlichen Entwicklung des Tunscherenbringens
muß ein Aspekt besonders herausgestellt werden. In der
Brautwerbung war und ist die Tunschere ein beliebtes Instrumentarium.
Die Ausführung unterliegt einem künstlerischen Wettbewerb. Mit
beigegebenem Geschenk und Brief kann Zuneigung signalisiert werden. In einer
Gedichtform des Briefes kann der Name des Überbringers und sein Anliegen
versteckt werden. In unserer Familie ist ein solcher Brief aus dem Neujahr 1847
erhalten. Die begeisterten Schilderungen der Erlebnisse bei dem Ausbringen der
Tunschere mögen auch ein Anstoß zur Förderung dieses
schönen Brauchtums sein. Die Eigenintiativen in der Konstruktion und das
rechte Überbringen dieses Glückwunschzeichens können eine
herzliche Freundschaft hochhalten.